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ARTIKEL/1207: Honorarärzte - Exotenstatus in den Großstädten, Normalfall bei Unterversorgung (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7/2011

Honorarärzte:
Exotenstatus in den Großstädten, Normalfall bei Unterversorgung

Von Dirk Schnack


Honorarärzte sind erfahren und qualifiziert, aber nicht immer angesehen. In vielen Krankenhäusern geht ohne sie nichts mehr. Hochkonjunktur für Vermittler.

Fachärzte, die in medizinischen Einrichtungen zeitlich befristet freiberuflich auf Honorarbasis tätig sind: So beschreibt die Bundesärztekammer Honorarärzte. Hinter der trockenen Definition stecken in Deutschland zahlreiche interessante Einzelschicksale und Arbeitsbeziehungen von Ärzten, denen die Tätigkeit als Honorararzt zunehmend attraktiv erscheint. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren auf rund 4.000 angestiegen, obwohl sich die Chancen auf eine Festanstellung deutlich erhöht haben. Als Notlösung, um eine kurze Zeitspanne ohne festes Beschäftigungsverhältnis zu überbrücken, dient die Honorararzttätigkeit also keineswegs immer. Dennoch ist der Ruf der Honorarärzte bei vielen negativ - manche betrachten sie als eine Art Söldner, die besser verdienen als die fest angestellten Ärzte. Die Badische Zeitung ordnete das Image der Honorarärzte jüngst "irgendwo zwischen Retter und Schmuddelkind" ein. Zur Versachlichung der Rolle des Honorararztes haben eine Positionsbestimmung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung sowie eine Studie des Bundesverbandes Deutscher Honorarärzte beigetragen.

Darin wird festgestellt, dass Honorarärzte in deutschen Krankenhäusern immer häufiger Dienste auf Zeit, Stationsarbeiten, Visiten oder administrative Tätigkeiten zur Überbrückung von Auslastungsspitzen oder personellen Engpässen übernehmen. Eine Vorstellung von den Beweggründen gibt erstmals eine Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes der Honorarärzte, die von vielen Ärztekammern unterstützt wurde und an der sich rund 700 Honorarärzte beteiligten. Die Ergebnisse zeigen, dass Honorarärzte keineswegs junge ungebundene Ärzte sind, die diese Tätigkeit kurzfristig ausprobieren - das Gegenteil ist der Fall. Über 70 Prozent von ihnen sind männlich und haben ein mittleres Alter von 48 Jahren. Oft leben sie in Familien: 60 Prozent sind verheiratet, 69 Prozent haben Kinder, davon Drei Viertel abhängig. 70 Prozent der Honorarärzte hatten ihre letzte Festanstellung im Krankenhaus, 13 Prozent waren zuvor in eigener Praxis tätig. 89 Prozent haben einen Facharzttitel und im Durchschnitt weisen sie über 14 Jahre Berufserfahrung als Facharzt auf. Zwei Drittel der Honorarärzte haben promoviert, 40 Prozent von ihnen waren zuvor in leitender Position eines Krankenhauses tätig. Die häufigsten Einsatzgebiete sind die Anästhesie, die Allgemeinmedizin, Innere und Gynäkologie. Häufige Zusatzbezeichnungen von Honorarärzten sind Notfallmedizin, Intensivmedizin und manuelle Therapie.

Vorteile sehen die Honorarärzte in besseren Verdienstmöglichkeiten, in der vollen Vergütung jeder geleisteten Arbeitsstunde, in der flexibleren Arbeitszeit und der möglichen Teilzeit. Als Nachteile werden eine unsichere Rechtslage in Bezug auf Scheinselbstständigkeit, Versicherungsfragen, fehlende soziale Absicherung und fehlende Anerkennung genannt. Allgemeinärztliche Honorarärzte werden mit rund 80 Euro je Stunde vergütet. Die Stundensätze können aber je nach Fachgruppe deutlich höher ausfallen. Es ist üblich, dass der Auftraggeber für Unterkunft und Verpflegung aufkommt, Reisekosten übernimmt dagegen der Auftragnehmer.

Persönliche Erfahrungsberichte zeigen, dass viele Ärzte mit diesen Rahmenbedingungen zufriedener sind als ihre festangestellten Kollegen. So geht es auch Dr. Florian Hentschel aus Berlin, der seit Jahren als Honorararzt tätig ist und dabei viele Kliniken und Arbeitgeber in Norddeutschland kennen gelernt hat. Sein Einstieg in die Honorararzttätigkeit war klassisch: Eigentlich wollte er nur die Zeit überbrücken, bis er eine für sich geeignete Praxis in Berlin gefunden hatte. Die Tätigkeit als Honorararzt sah er als willkommene Interimslösung, die ihm ein vernünftiges Einkommen und Flexibilität ermöglichte. Heute arbeitet Hentschel noch immer als Honorararzt, eine Praxis sucht der Allgemeinmediziner schon lange nicht mehr. Seinen Wohnort hat er noch immer in Berlin, seine Arbeitsorte wechseln monatlich, manchmal wöchentlich. Ob das attraktiv oder bedauernswert ist, überlässt Hentschel jedem Betrachter selbst. Eine pauschale Empfehlung für oder gegen die honorarärztliche Tätigkeit hält er nicht für angebracht. Fest steht für ihn: "Das ist nicht für jeden geeignet. Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen Anpassung und Abgrenzung."

Auf einer Veranstaltung des Medizin-Management-Verbandes in Hamburg, wo er als zweiter Vorsitzender des Bundesverbandes der Honorarärzte über seine Tätigkeit berichtete, stellte Hentschel klar, dass für ihn persönlich in den vergangenen Jahren die Vorteile überwogen. Bei vier verschiedenen Vermittlungsagenturen ist er gelistet, die Nachfrage nach seiner Tätigkeit ist so hoch, dass er längst nicht mehr jedes Angebot annehmen muss. Dies hält er ohnehin nicht für angeraten, weil nach seinen Erfahrungen auch nicht jede Vermittlungsagentur seriös arbeitet.

Nicht geeignet ist die Honorararzttätigkeit nach Ansicht Hentschels für Ärzte, die Sicherheit und wohnortnahe Arbeit suchen. Honorarärzte sind ständig unterwegs, wohnen in Hotels, müssen sich selbst um ihre soziale Absicherung kümmern und sich immer wieder auf neue Kollegen einstellen - Flexibilität ist also Grundvoraussetzung für die Honorararzttätigkeit. Genauso flexibel können sie sich aber auch ihre Arbeit einteilen.

Was aber sind die Gründe, sich über eine Interimszeit hinaus für die Honorararzttätigkeit zu entscheiden? Die 2010 abgeschlossene Studie zeigt, dass die Mehrzahl der Honorarärzte unzufrieden ist mit den Strukturen im deutschen Gesundheitswesen. Als Kritikpunkte werden fehlende berufliche Autonomie und mangelnde Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit genannt. Auch die von den Teilnehmern empfundene Unabhängigkeit und die Freiheit, das Arbeitsmaß selbst bestimmen zu können, spielen eine wichtige Rolle. Mit anderen Worten: Honorararzt wird man nicht wegen finanzieller Anreize, sondern eher aus Enttäuschung über das deutsche Gesundheitswesen.

Diese Beweggründe gewinnen vor dem Hintergrund des zunehmenden Ärztemangels für die Kliniken als Arbeitgeber an Bedeutung: Ärzte in Festanstellung beklagen den Verlust an Wertschätzung und fühlen sich zum Teil fremdbestimmt. Für viele wiegt auch die geringere Absicherung als Honorararzt die Vorteile dieser Tätigkeit nicht auf.

Hentschel berichtete in Hamburg, dass ihm im ersten Jahr seiner freiberuflichen Tätigkeit die finanzielle Unsicherheit zu schaffen machte. Folge war, dass er so viele Jobs wie möglich annahm. Inzwischen hat er gelernt, dass er sich seine Freiräume suchen und diese auch nutzen muss. Der Familienvater hat die letzten vier Jahre das Weihnachtsfest mit seiner Familie gefeiert. "Welcher Klinikarzt kann das schon von sich sagen", sagt Hentschel. Dafür nimmt er in Kauf, von manchen Kollegen als Exot oder Söldner angesehen zu werden. Dabei hat die Tätigkeit wenig Exotisches: In vielen anderen Ländern sind Honorarärzte seit Jahrzehnten selbstverständlich und auch in Deutschland werden sie immer beliebter. Auf rund 4.000 hauptberufliche und 10.000 nebenberufliche Honorarärzte wird ihre Zahl in Deutschland geschätzt. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die Vermittlungsagenturen die Daten ihres Personalpools nur ungern preisgeben. Fest steht aber, dass immer mehr Krankenhäuser auf Honorarärzte zurückgreifen, um Personalengpässe zu überbrücken. Viele könnten ohne sie den Betrieb nicht mehr aufrechterhalten, sind aber dennoch zum Teil unzufrieden mit dem Einsatz der Honorarkräfte.

Nach Hentschels Erfahrungen sollten Kliniken aus organisatorischen Gründen höchstens zehn Prozent ihrer Ärzte mit Honorarkräften besetzen. Ohnehin hält er Honorarkräfte für keine Antwort auf den Ärztemangel. Die finden deutsche Kliniken nach seinen Erfahrungen aus Tätigkeiten in mehr als zwei Dutzend Krankenhäusern, wenn sie ihre Ärzte in verantwortlicher Stellung besser bezahlen, sich intensiver um die Ausbildung der jungen Ärzte kümmern und die Wertschätzung erhöhen. Fehlende Wertschätzung erlebt Hentschel genauso wie gut organisierte Kliniken, in denen er regelmäßig und gerne arbeitet. Daneben gibt es für Honorarärzte andere Jobs wie private Notdienste oder Reiserückhol-Betreuungen. Zum kollegialen Miteinander zwischen fest angestellten und Honorarärzten: In der Positionsbestimmung der Körperschaften wird ein oft gespanntes Verhältnis konstatiert. "Jeder meint, der andere habe die besseren Karten und dies gehe auf seine Kosten", heißt es. Auch wenn dies objektiv nicht zutrifft, kann eine solche Einstellung zu Problemen im Arbeitsalltag führen. Die Körperschaften mahnen: "Deshalb sollten sich beide Seiten verstärkt die Berufsordnung bewusst machen: Sie enthält das Gebot, sich kollegial zu verhalten und respektvoll miteinander umzugehen."

Appelle allein reichen nach Ansicht der Körperschaften nicht aus. "Entscheidet sich eine Einrichtung für die Zusammenarbeit mit Honorarärzten, sollte dies auf einem möglichst breiten Konsens aller Beteiligten basieren." Daher seien insbesondere die Klinikleitungen sowie die Chefärzte gefordert, klare Vorgaben zur Arbeitsorganisation, zu den Befugnissen und Kommunikationsströmen zu schaffen. Dies betrifft Einsatzzeiten und -orte und die Befugnisse gegenüber dem nachgeordneten Personal. Die Körperschaften empfehlen: "All diese Bereiche müssen eindeutig definiert und organisiert sein, um Konflikte von Anfang an zu vermeiden." Damit wird deutlich, dass Klinikführungen offene Stellen nicht einfach nur mit Aushilfskräften besetzen und sich dann zurücklehnen können, sondern darüber hinaus gefordert sind - sie müssen ein Gespür für aufkeimende Konflikte entwickeln, diese frühzeitig thematisieren und Strukturen schaffen, die zur Konfliktvermeidung beitragen können. Die Recherche zur Vorbereitung dieses Titelthemas, zu der auch die Befragung von Klinikverantwortlichen in Schleswig-Holstein zählte, lässt vermuten, dass dieses von den Körperschaften angemahnte Gespür noch längst nicht in allen Krankenhäusern des Landes in ausreichendem Maße entwickelt ist.

Wer sich für eine Tätigkeit als Honorararzt entscheidet, muss sich damit abfinden, dass die Mehrzahl seiner Auftraggeber nicht in den großen Städten sitzt. Kliniken in Berlin und Hamburg haben wenig Bedarf an Honorarkräften. Faustformel: Je unattraktiver der Standort, desto höher ist der Bedarf an Honorarkräften. Hentschel spürt, dass eine Honorararzttätigkeit nicht als Sprungbrett für eine große Karriere gilt, viele dies sogar als Sackgasse ansehen. Doch es gibt auch eine andere Entwicklung: Immer mehr Kliniken bieten Hentschel an, länger zu bleiben und in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln. Dies zeigt, dass die vermeintlichen Exoten auch in Deutschland langsam etablierter werden - unterstrichen wird dies durch die große Erfahrung, die Honorarärzte besitzen.

Zu den Nachteilen der Honorararzttätigkeit zählt, dass man sich mit zahlreichen rechtlichen Fragen auseinandersetzen muss. Eine dieser Fragen betrifft die Kammerzugehörigkeit, weil die wechselnden Auftraggeber über die Grenze eines Kammerbereichs hinausgehen können. Die Kammer- und Heilberufegesetze der Länder regeln diese Frage unterschiedlich. Die von der Bundesärztekammer favorisierte Monomitgliedschaft lässt sich nicht aufrechterhalten, wie eine Rückmeldung aus den Landesgesundheitsbehörden zeigt. Die Bundesärztekammer hat deshalb angekündigt, sich um eine praktikable Ausgestaltung von Mehrfachmitgliedschaften zu bemühen. Eine weitere Frage betrifft die Zugehörigkeit zum Versorgungswerk. Die Bundesärztekammer empfiehlt hierzu, sich mit dem jeweiligen Versorgungswerk direkt in Verbindung zu setzen. Aufgrund fehlender Rechtsprechung ist es derzeit nicht möglich, honorarärztliche Tätigkeit in eine der beiden Kategorien selbstständige freiberufliche Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung einzuordnen. Deshalb wird derzeit jeder Einzelfall bewertet. Um das Risiko einer Scheinselbstständigkeit zu minimieren, empfehlen die Körperschaften Honorarärzten, beim Abschluss von Verträgen verstärkt auf den faktischen Nachweis der Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit von fachlichen Anweisungen zu achten.

Als Ergebnis ihrer gemeinsamen Positionsbestimmung kommen Kassenärztliche Bundesvereinigung und Bundesärztekammer zu Schlussfolgerungen, die sie als erste berufspolitische Einschätzung und Bewertung, aber nicht als abschließend verstehen. Darunter fällt die Erkenntnis, dass die verzeichnete Zunahme honorarärztlicher Tätigkeit nicht Ursache, sondern Auswirkung und Folge des Ärztemangels sowie der erheblich gesunkenen Attraktivität ärztlicher Arbeitsbedingungen in Klinik und Praxis ist. "Auch wenn es gelingt, die Arbeitsbedingungen von Ärzten zu verbessern und wenn Maßnahmen zur Behebung des Ärztemangels greifen, wird es künftig Honorarärzte geben: Kurzfristige Einsätze etwa bei Urlaubs-, Krankheits-, Schwangerschafts- oder Praxisvertretungen sind immer erforderlich", heißt es in der Positionsbestimmung. Als Beweggründe für einen Wechsel in die honorarärztliche Tätigkeit hat man die gefühlte und erlebte Unabhängigkeit sowie die Freiheit, das Maß der eigenen Arbeit selbst bestimmen zu können, ausgemacht. Der bessere Verdienst mit voller Vergütung aller geleisteten Arbeitsstunden werden als weiterer Anreiz gesehen. Und man verweist auf den kollegialen Umgang zwischen Honorarärzten und der Stammbesetzung einer medizinischen Einrichtung als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte und qualitativ hochstehende ärztliche Versorgung von Patienten.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201107/h11074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen
Ärzteblatts:

www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Dr. Florian Hentschel: "Honorararzt ist ein ständiger Balanceakt zwischen Anpassung und Abgrenzung."

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juli 2011
64. Jahrgang, Seite 28 - 31
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2011

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