Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

INTERNATIONAL/007: Indien - Illegale Medikamententests an Kindern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2012

Indien: Illegale Medikamententests an Kindern

von K. S. Harikrishnan



Thiruvananthapuram, Indien, 17. August (IPS) - Magenprobleme brachten den vierjährigen Deepak Yadav aus der Stadt Indore im Bundesstaat Madhya Pradesh ins 'Chacha Nehru Bal Chikitsalaya'-Kinderkrankenhaus. Dort wurde ihm das Medikament 'Rabeprazole' verabreicht. Doch als sich sein Zustand immer weiter verschlechterte, setzten die Eltern das Präparat ab und wandten sich an die Vereinigung für Opfer von medizinischen Versuchen (CTVA). Die fand heraus, dass der Junge als Laborratte für bislang ungetestete Medikamente missbraucht worden war.

Die Familie von Deepak Yadav ist arm. "Die Behörden haben bisher keine Schritte unternommen, um uns finanziell zu entschädigen", sagt Deepaks Vater Sooraj. Die Tragödie der Familie Yadav ist nur eine vielen, die sich in den letzten Jahren in Indien abgespielt haben. 2.031 Menschen sind nach Angaben des Menschenrechtsaktivisten Anand Rai in den vergangenen vier Jahren an den Folgen illegaler Medikamententests gestorben. Konkret waren dies im Jahr 2008 288 Menschen, im Jahr 2009 637, im Jahr darauf 668, und im Jahr 2011 starben 438 Menschen an sogenannten 'schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen' im Rahmen von Medikamententests.

Rai ist Generalkontrolleur für Medikamente Indiens und hat gerade eine Kampagne gegen die illegalen Tests initiiert. Behörden und Aktivisten sollen ihre Stimme gegen die Praxis erheben, die unschuldige Menschen zu Opfern multinationaler Pharmakonzerne macht. Gegenüber IPS sagte er, dass die meisten Betroffenen arm seien und weder lesen noch schreiben könnten.

"Medizinische Tests an Menschen ohne deren Einverständnis sind eine Verletzung ihrer fundamentalen Menschenrechte", sagt Rai. Medizinische Forschungseinrichtungen hätten Wege gefunden, um sich das Einverständnis der Patienten oder deren Verwandten zu erschwindeln, ohne dass diesen bewusst sei, auf was sie sich eingelassen hätten.


Beweismaterial selten vorhanden

Die Patienten erhalten oft keinen Durchschlag ihrer vermeintlichen Einverständniserklärung. Viele der Institutionen, die in die Medikamententests verwickelt sind, gewähren den Betroffenen keinen Einblick in deren Patientenakte und informieren auch nicht über geltende Sicherheitsbestimmungen, wozu sich die Institutionen möglicherweise verpflichtet haben. Somit haben die Opfer nichts in der Hand, um sich wehren zu können und Entschädigungszahlungen gerichtlich durchzusetzen.

Im Juli beschäftigte sich zum ersten Mal der Oberste Gerichtshof mit dem Thema. Eine von Richter R. M. Lodha geleitete Unterabteilung gab eine Erklärung heraus, in der es hieß, es sei "bedauerlich", dass Menschen als "Versuchskaninchen" für Medikamententests herhalten müssten.

Rechtsexperten sind der Ansicht, dass multinationale Konzerne ihr Glück vor allem deshalb in Indien versuchen, weil die Bestimmungen für Medikamententests in Europa und den USA so strikt sind. In Indien und anderen Entwicklungsländern seien außerdem die Kosten für die Testreihen wesentlich niedriger.

Nach Angaben von Mohan Rao, Professor am Zentrum für Sozialmedizin und kommunale Gesundheit an der Jawaharlal-Nehru-Universität in New Delhi, hat Indien keine vernünftige Regulierungsbehörde, um die Tests neuer Medikamente zu überwachen.

"Leider haben wir unseren Gesundheitssektor für Pharmakonzerne geöffnet, sodass diese Medikamentenversuche machen können, ohne dass wir die notwendige Infrastruktur haben, um sie zu überwachen", sagt Rao. Indien biete einen großen Markt für Medikamente sowie Ärzte, die sich keiner medizinischen Ethik unterworfen haben. Vielen Ärzten sei ihr Einkommen wichtiger als das Leben ihrer Patienten.

"Dazu kommt, dass die Zahl lokaler medizinischer Forschungseinrichtungen immer größer geworden ist. Ferner haben wir einen großen unregulierten privaten medizinischen Sektor mit einer Kultur der Straffreiheit. Für die meisten Menschen hier - vor allem die Elite - ist das Leben der armen Bevölkerungsschichten nichts wert", sagt Rao.


Entschädigungsgesetz vom Tisch

Einem Zeitungsbericht zufolge hatte das Gesundheitsministerium einen Gesetzentwurf vorbereitet, um Opfer illegaler Medikamententests finanziell zu entschädigen, wenn sie beweisen können, dass sie durch die Tests geschädigt wurden. Die 'Financial Express' schrieb außerdem, dass sich Forschungseinrichtungen gegen die neuen Bestimmungen wehren. Daraufhin knickte das Ministerium ein und ließ die Bestimmungen wieder in der Schublade verschwinden.

Ideen zur Ausgestaltung von Entschädigungszahlungen gibt es dennoch. Regulierungsexperte C. M. Gulhati schlägt im Financial Express-Artikel vor, dass das Alter der Opfer eine Rolle bei der Höhe der Zahlungen spielen sollte, ebenso die Todesrate in der Gemeinschaft, in der das Opfer lebt.

Bereits vor mehr als zehn Jahren drang ein Fall an die Öffentlichkeit, in dem eine Gruppe von Krebspatienten, die am Regionalen Krebszentrum in Thiruvananthapuram in Behandlungen waren. als Versuchskaninchen herhalten mussten. Das Zentrum hatte ein Abkommen mit der John-Hopkins- Universität in Baltimore, USA, getroffen.

Doch das ist nicht die einzige Skandalreihe in Indien. Ein Ausschuss von Abgeordneten im Nationalparlament deckte kürzlich auf, dass viele populäre in Indien zugelassene Medikamente auf den Markt gekommen sind, ohne überhaupt ausreichend getestet worden zu sein. Der Ausschuss für Gesundheit und Familienwohlfahrt benannte 33 Medikamente, die zwischen Januar 2008 und Oktober 2010 zugelassen worden waren, ohne zuvor getestet worden zu sein. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:


http://swasthsamarpan-ctva.org/

http://www.ipsnews.net/2012/08/children-treated-as-lab-rats/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2012