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POLITIK/2090: Deutscher Ärztetag ändert die berufsrechtlichen Regelungen zur Suizidhilfe (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2021

Keine Tötung auf Verlangen

von Dirk Schnack


SUIZIDHILFE. Die Diskussion um die Konsequenzen des Bundesverfassungsgerichtsurteils von Februar 2020 war ein mit Spannung erwarteter Tagesordnungspunkt auf dem Deutschen Ärztetag. Nach intensivem Austausch entschieden sich die Delegierten für eine Änderung der Musterberufsordnung. Den Gesetzgeber forderte der Ärztetag auf, die Suizidprävention stärker in den Fokus zu nehmen, sie zu unterstützen, auszubauen und zu verstetigen.


Als Konsequenz aus dem viel diskutierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Februar 2020 zum assistierten Suizid hat der Deutsche Ärztetag die berufsrechtlichen Regelungen für Ärzte zur Suizidhilfe geändert und den Paragrafen 16 Satz 3 der (Muster-)Berufsordnung (MBO) aufgehoben. Darin hieß es bislang: "Sie (Ärztinnen und Ärzte) dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." Der Ärztetag begründete seine Entscheidung mit der "ganz überwiegenden Auffassung, dass Paragraf 16 Satz 3 der MBO in seiner bisherigen Fassung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden könne".

In einem Beschluss formulierte der Ärztetag zudem Eckpunkte, deren Umsetzung er vom Gesetzgeber erwartet, wenn dieser die Rechte von Menschen stärkt, die von fachkundigen Dritten Hilfe für einen sicher und schmerzfrei umzusetzenden Suizid erwarten:

• Eine Verpflichtung zum ärztlich assistieren Suizid darf es
nicht geben.

• Ärzte dürfen keinem Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt werden.

• Eine Tötung auf Verlangen durch Ärzte darf es weiterhin nicht geben.

Die Delegierten verknüpften ihren Beschluss mit dem Wunsch nach verschiedenen Schutzbestimmungen für Suizidwillige. Sie fordern etwa von Politik und Gesetzgeber, die Aktivitäten zur Suizidprävention und zur Beratung Suizidwilliger zu stärken. Zu diesem Punkt hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, vor der Diskussion gemahnt, die Ursachen von Suizidalität wie Einsamkeit, Depressionen und andere schwere Erkrankungen stärker in den Blick zu nehmen und den Betroffenen bessere Lebensumstände zu bieten. Wenn dies gelänge, würde nach seiner Überzeugung bei vielen Menschen der Wunsch nach Suizid gar nicht aufkommen.

Der Ärztetag forderte zudem, die Möglichkeiten der Inanspruchnahme der Palliativmedizin zu verbessern, bei einer Beratung auf alternative Handlungsoptionen zu verweisen, dabei konkrete Hilfsangebote sowie Behandlungsmöglichkeiten zu unterbreiten.

Suizidwillige müssen nach Auffassung des Ärztetages ihren Willen zudem frei und unbeeinflusst von einer psychischen Störung und ohne unzulässige Einflussnahme oder Druck bilden können. Instanzen, die den Suizidwunsch bewerten, und die, die ihn umsetzen, müssen klar getrennt sein. Wenn Ärzte an Entscheidungen über die Gewährung einer Suizidassistenz beteiligt sind, dann sollte dies keine alleinige Verantwortung sein, sondern von interdisziplinär zusammengesetzten Gremien. Der Prozess der Bewertung und der Umsetzung des Suizidwunsches muss nach Auffassung des Ärztetages transparent vollzogen und dokumentiert werden. Im Nachgang muss eine retrospektive Bewertung des Vorgangs stattfinden. Nachdem diese aus Hamburg vorgeschlagenen Forderungen verabschiedet waren, zeigte sich der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Dr. Pedram Emami, "erfreut über die differenzierte und unaufgeregte Diskussion". Den Beschluss wertete er als "Zeichen, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Ärzteschaft zu diesem Thema zusammenführen zu wollen". Emami sagte: "Wir wollen damit nicht nur den gesetzlichen Anforderungen, sondern auch den Veränderungen in der Gesellschaft gerecht werden."

Zum Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil den Paragrafen 217 Strafgesetzbuch, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und damit für nichtig erklärt. Damit war die geschäftsmäßige Förderung eines Suizides nicht mehr strafbar. Das Gericht hatte aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie ein "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" abgeleitet.

In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass das ärztliche Berufsrecht nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war und nur insofern in Bezug genommen wurde, als es der Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten "weitere Grenzen jenseits oder gar entgegen der individuellen Gewissensentscheidung des einzelnen Arztes" setze.

Weiter hatte das Gericht ausgeführt: "Die in den Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern festgeschriebenen berufsrechtlichen Verbote ärztlicher Suizidhilfe unterstellen die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur geografischen Zufälligkeiten, sondern wirken zumindest faktisch handlungsleitend. Der Zugang zu Möglichkeiten der assistierten Selbsttötung darf aber nicht davon abhängen, dass Ärzte sich bereit zeigen, ihr Handeln nicht am geschriebenen Recht auszurichten, sondern sich unter Berufung auf ihre eigene verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit eigenmächtig darüber hinwegsetzen. Solange diese Situation fortbesteht, schafft sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe." Diese Ausführungen waren Anlass, die einschlägige Regelung der MBO zu überprüfen.

Die Streichung des Paragrafen ändert nach Überzeugung des Ärztetages nichts daran, dass "ärztliches Handeln von einer lebens- und gesundheitsorientierten Zielrichtung geprägt ist". Nach Paragraf 1 Abs. 2 der MBO ist es Aufgabe von Ärzten, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. "Mithin zählt es nicht zu dem Aufgabenspektrum der Ärzteschaft, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten", betonte die Bundesärztekammer nach der Entscheidung. Es könne niemals Aufgabe der Ärzteschaft sein, für Nichterkrankte eine Indikation, Beratung oder gar Durchführung eines Sterbewunsches zu vollziehen.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2021
74. Jahrgang, Seite 12-13
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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E-Mail: info@aeksh.de
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. Juli 2021

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