Ruhr-Universität Bochum - 07.07.2009
RUBIN: Verdeckte Rationierung im Gesundheitswesen
Wenn knappe Ressourcen Leistungseinschränkungen erzwingen
Verdeckte Rationierung gehört längst zum Klinikalltag: Das zeigt eine
aktuelle Studie. Doch was tun, wenn die Ressourcen nicht für alles
reichen? Zunächst Versorgungsprioritäten offen diskutieren, empfiehlt
eine interdisziplinäre Forschergruppe der Universitäten Bochum,
Duisburg-Essen und Tübingen und entwickelt kostensensible Leitlinien
am Beispiel von Kardiologie und Intensivmedizin. Im aktuellen RUBIN
stellen Bochumer Juristen diese Leitlinien vor und diskutieren das
juristische Für und Wider.
Wer über den Wert entscheidet
"Dass gut dreiviertel der deutschen Klinikärzte laut unserer aktuellen
Umfrage ihren Patienten sinnvolle Behandlungen aus Kostengründen
vorenthalten, zeigt - es wird bereits verdeckt rationiert", so Prof.
Dr. Stefan Huster (Juristische Fakultät der Ruhr-Universität), der mit
Kollegen der Universitäten Duisburg-Essen und Tübingen an dem
BMBF-Projekt "Ethische, ökonomische und rechtliche Aspekte der
Allokation kostspieliger biomedizinischer Innovationen" beteiligt ist.
Die Konsequenz kann nur sein, offen über Versorgungsprioritäten
nachzudenken. Im aktuellen RUBIN stellen die Bochumer Juristen zwei
sog. kostensensible Leitlinien vor, die sie gemeinsam mit ihren
Kollegen aus der Medizinethik und der Gesundheitsökonomie entwickelt
haben, und diskutieren das juristische Für und Wider.
RUBIN mit Bildern zum Herunterladen finden Sie im Internet unter:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin
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Behandlungsvorgaben versus Therapiefreiheit
"Die Befragung der Krankenhausärzte ist eine Bestandsaufnahme", so
Huster, "sie zeigt auch, dass dreiviertel der Ärzte
Leistungseinschränkungen etwa über sog. kostensensible Leitlinien
nicht mehr ablehnend gegenüber stehen. Wenngleich sie nur begrenzt
bereit sind, Behandlungsvorgaben, die ihre Therapiefreiheit
einschränken, zu akzeptieren. Doch wer soll nach welchen Kriterien
darüber entscheiden, wenn Leistungsbeschränkungen nicht zu vermeiden
sind? Die Gesundheitspolitik scheut bisher die Diskussion. Die
Entscheidungen den Gesetzlichen Krankenversicherungen, als
demokratisch nur wenig legitimierten Organen der Selbstverwaltung, auf
Dauer zu überlassen, ist juristisch äußerst umstritten. "Die
Gesellschaft insgesamt muss klären, was ihr eine soviel bessere
Medizin wert ist - jeder einzelne muss darüber nachdenken", so
Huster.
Kosten-Nutzen-Bewertung für Stents und Defibrillatoren
Die entwickelten Leitlinien betreffen den Einsatz von beschichteten
Koronarstents, die einer erneuten Verengung der Arterien
entgegenwirken, sowie die Implantation von Defibrillatoren zur
Steuerung von Herzfrequenz und Herzrhythmus. Während beschichtete
Stents die Erkrankung nicht unmittelbar beeinflussen, jedoch das
Risiko eines wiederholten Eingriffs verringern, senken Defibrillatoren
die Sterblichkeit bei Herzrhythmusstörungen. Nach den Leitlinien kämen
beschichtete Stents nur bei Patienten mit speziellen Risikofaktoren
und Defibrillatoren nur unterhalb einer bestimmten Pumpleistung des
Herzens zum Einsatz. Beide Leitlinien sollen nun einer theoretischen
interdisziplinären Diskussion mit Vertretern der Gesundheitspolitik,
Ethik, Gesundheitsökonomie dienen und werden von Kardiologen und
Intensivmedizinern bewertet. Eine weitere Befragung von Ärzten soll
letztlich deren Akzeptanz gegenüber solchen kostensensiblen Leitlinien
klären.
Bevölkerung gefragt: Priorisierung von unten
Das BMBF-Projekt setzt sich quasi in einem zweiten fort (seit 2007), an dem mit der Ruhr-Universität insgesamt 13 Hochschulen über die Forschergruppe "Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung" beteiligt sind. Darin geht es um eine umfassendere Betrachtung als lediglich eine Kosten-Nutzen-Bewertung: Es soll auch nach anderen Kriterien priorisiert werden, wie etwa Lebensalter, Dringlichkeit oder Selbstverantwortung, und auch das Verhältnis der Kriterien untereinander ist zu diskutieren. Dazu gehört auch eine große repräsentative Umfrage breiter Bevölkerungsgruppen, die zeigen wird, wo die Bürger ihre Versorgungsprioritäten setzen. Die Bochumer Juristen vermuten sogar, dass sich die Bürgerinnen und Bürger früher als die Politik diesen Fragen stellen werden. Die Umfrage könnte Anstoß sein für die politische Debatte", so Prof. Huster.
Weitere Themen in RUBIN:
Schwerpunkt Astronomie:
· Tiefer blicken ins Weltall
· Sternenromantik via Internet
· Die Sonne im Container
· Geschützte Welt
Ingenieurwissenschaften:
· Forschungsstation Neumayer III
· Sturmwinter in der Antarktis
Facetten:
· Transnationale Migrantenorganisationen
· Die Stärke schwacher Bindungen
· Wasser und Proteine
· Wer führt im Terahertz-Tanz
· Essstörungen
· Der eigene Körper im Zerrspiegel
· Lärmmindernder Asphalt
· Winzige Schluchten schlucken den Schall
· Verständlich schreiben
· Keine Ausreden für angestaubtes Amtsdeutsch
· Forscher üben den Umgang mit den Medien
· Science goes Public.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Stefan Huster
Institut für Sozialrecht an der Juristischen Fakultät der
Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: Stefan.huster@rub.de
Redaktion: Dr. Barbara Kruse
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution2
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 07.07.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2009
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