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FINANZEN/538: Was tun mit den Überschüssen bei den Krankenkassen? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 11 vom 16. März 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Abschöpfung? Nein, danke!
Was tun mit den Überschüssen bei den Krankenkassen?

von Hans-Peter Brenner


19,5 Milliarden sind kein Pappenstiel. Auf diese stolze Summe addieren sich derzeit die Überschüsse bei den gesetzlichen Krankenkassen. Nach den Gründen wird in der öffentlichen Debatte, die darüber derzeit geführt wird, wenig gefragt. Im Prinzip gibt es drei zu berücksichtigende Faktoren:

• Mit der verbesserten Konjunktur und der Rückgänge der Arbeitlosenzahlen gibt es wieder mehr "Normalbeiträge" zahlende Kassenmitglieder.

• Die Beitragserhöhungen der letzten Jahre von 13,9 auf 15,5 Prozent spülten mehr Geld in die Kasse..

• Eine geringere Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen - in erster Linie aus Sorge, dass man sich Krankschreibungen aus beruflichen Gründen nicht leisten könne.

Statt über diese Gründe - vor allem den dritten - nachzudenken, konzentriert sich die Diskussion auf eine verkürzte Entweder-Oder-Debatte. "Entweder die Kassen geben aus den Überschüssen etwas an ihre Mitglieder zurück oder sie "bunkern" das Geld für Zeiten schwächelnder Konjunktur, steigender Arbeitslosigkeit und dadurch sinkender Einnahmen.

Für eine Zwischenposition - die Abschaffung der bisherigen Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro pro Quartal - kommen derzeit sowohl Stimmen aus der FDP- als auch aus der SPD-Spitze.

Nach dpa-Meldungen gibt es in der Frage der Praxisgebühr derzeit keinen Konsens in der Regierungskoalition. Die FDP pochte am vergangenen Wochende erneut darauf, die Praxisgebühr abzuschaffen.

CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder stellte dagegen in der "Süddeutschen Zeitung" den Versicherten eine Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkten in Aussicht. Das würde für den Einzelnen eine Entlastung von (maximal) "stolzen" 1,91 Euro pro Monat bedeuten.

Anderen Unions-Politikern geht das schon zu weit. Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) rief zu "Vorsicht, Achtsamkeit und Zurückhaltung" auf. Angesichts möglicher Zukunftsbelastungen müsse man es aushalten können, auch mal eine Weile mit Überschüssen zu leben. Wollte man "alle derzeit kursierenden Vorschläge" umsetzen, wäre von dem Geld bald gar nichts mehr da, erklärte Singhammer gegenüber dpa.

Die FDP ist sich uneins. Eine Einigung sei noch nicht in Sicht hieß es aus dem FDP-geführten Gesundheitsministerium. Anders äußerte sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie erklärte sich auf dem bayerischen FDP-Landesparteitag in Lindau für die Abschaffung der Praxisgebühr. Diese würde den Versicherten "direkt zu Gute kommen. Die Praxisgebühr hätte ohnehin nicht die erhoffte Steuerungswirkung erbracht: "Wir liegen nach wie vor mit durchschnittlich 18 Arztbesuchen (pro Kopf) im Jahr im europäischen Spitzenbereich." Ähnlich wie Leutheusser-Schnarrenberger argumentierte der neue FDP-Generalsekretär Patrick Döring auf einem FDP-Landesparteitag in Kiel. Eine bislang noch nicht so sehr in Erscheinung getretene von vier privatwirtschaftlich orientierten und der CDU nahestehenden Ärzteverbänden beherrschte "Allianz" mit dem Namen "FALK" - Freie Allianz der Länder-KVen - meldete sich zu Wort: "Hände weg von den Überschüssen der Kassen und dem Gesundheitsfonds" lautet die Parole der Chefs der Kassenärztlichen Vereinigungen in Baden-Württemberg, Hessen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Sie stehen unter dem Einfluss des CDU-gesteuerten Ärzteverbandes "medi".

Der im letzten Jahr durch ein Bündnis der Konservativen ins Amt gehievte Vorsitzende der baden-württembergischen KV, Dr. Metke, erklärte im Namen von "FALK": "Es ist völlig absurd, sofort reflexhaft nach Rückvergütungen an die Versicherten zu rufen oder den Bundeszuschuss für den Gesundheitsfonds einzustellen, wenn die Kassen aufgrund der guten Konjunktur einen Überschuss verzeichnen. Es ist ein Zeichen von solidem Wirtschaften, an dem sich gerade die Politik ein Beispiel nehmen könnte, in guten Zeiten Überschüsse zu erwirtschaften, auf die in schwierigen Zeiten zurückgegriffen werden kann." Metke warnte davor, die Höhe der Überschüsse überzubewerten. "Die reichen gerade einmal aus, um die Ausgaben für die Kliniken für zwei oder drei Monate zu finanzieren." Und für seinen Amtskollegen Zimmeck aus Hessen stellen derartige Forderungen sogar einen "Systemwiderspruch" dar: "Von Seiten der Politik wird immer völlig zu Recht auf den Wettbewerb und die Eigenständigkeit der Kassen Wert gelegt. Vor diesem Hintergrund halten wir es für wenig angebracht, den Kassen Vorschriften machen zu wollen, wie sie mit ihren Überschüssen umgehen. Hinzu kommt, dass wir das Geld dringend benötigen, angesichts der Tatsache, dass die Vergütung der ambulanten Leistungen völlig unterbezahlt ist." Den konservativen Ärzteverbänden geht es also darum, das angesammelte Polster bei den Kassen zur weiteren Aufstockung der eigenen Honorare auszunutzen. Es käme stattdessen jetzt umso mehr darauf an strukturelle Verbesserungen für die gesundheitliche Versorgung der Versicherten anzugehen.

Das Feld der möglichen Entlastungen einerseits und der strukturellen Verbesserungen ist ein "weites". Die Lücken in der medizinischen Versorgungstruktur in schwächer besiedelten Regionen, die unzureichende personelle Situation in vielen Krankenhäusern, die völlig hinterherhinkenden Strukturen angesichts sich wandelnder Morbidität wie z. B. die drastische Zunahme psychosomatischer, psychiatrischer und psychischer Erkrankungen sind dringende Handlungsfelder. Der Katalog lässt sich beliebig weiter fortsetzen.

Statt von Minireformen zu reden oder gar von einer "Abschöpfung" der aufgelaufenen Beitragsüberschüsse für das Bundesfinanzministerium - von zwei Milliarden Euro ist die Rede - müsste umgehend folgendes geschehen.

• Die auf 15,5 Prozent angehobenen Beiträge müssten um mindestens zwei Prozentpunkte gesenkt werden.

• Eine Reform der Versorgungsstruktur, die die größten personellen Mängel in der ambulanten wie auch in der stationären Versorgung mit medizinischem und psychosomatisch-psychotherapeutischem Personal beseitigt, müsste auf den Weg gebracht werden. Dabei muss ein großer Schwerpunkt auf die Prävention und Rehabilitation der zunehmenden berufsbedingten Krankheiten gelegt werden.

• Das System der Arbeitsmedizin, der Vorsorge und Nachsorge ist qualitativ auszuweiten.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 11 vom 16. März 2012, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2012