Securvital 2/2015 - April-Juni
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Pollenallergie
Alarmstimmung
Von Norbert Schnorbach
Mit dem Frühling kommt für viele Menschen auch der Heuschnupfen. Millionen leiden darunter, wenn das Immunsystem überreagiert, weil Bäume, Gräser und Sträucher blühen. Warum nehmen Allergien zu und was hilft dagegen?
Allergien sind kein Phänomen der Moderne. Schon vor 2000 Jahren
suchten Ärzte Mittel gegen Asthma. Aber im Industriezeitalter haben
sich Heuschnupfen und andere Allergien explosionsartig vermehrt und
gelten als »Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts«. Ein Drittel der
Bevölkerung leidet schon darunter. Jedes zweite Kind ist gefährdet. In
jedem Lebensalter kann die Überempfindlichkeit des Immunsystems völlig
unerwartet neu auftreten. Nach Informationen des Robert Koch-Instituts
sind Frauen deutlich stärker betroffen als Männer, und Großstädter
haben mehr Allergien als Landbewohner.
Bei der Suche nach Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten hat die Medizin große Fortschritte gemacht. Aber die Vielzahl der Allergien gibt den Forschern Rätsel auf. Wieso spielt das Immunsystem, das doch auf die Abwehr von Krankheitserregern spezialisiert ist, bei harmlosen Stoffen wie Blütenpollen oder Lebensmittelbestandteilen verrückt? Welche Reaktionen sind erblich, welche werden durch Umwelteinflüsse verschärft? Welche Medizin hilft? Und wie können Kinder am besten geschützt werden?
Kreuzallergie
Bei vielen Pollenallergien entwickelt sich gleichzeitig eine Nahrungsmittelallergie. Wer gegen Birkenpollen allergisch ist, reagiert oft auch auf Kiwis. Grund dafür ist die Ähnlichkeit der Eiweißstoffe, die das Immunsystem verwirren. Bei leichten Formen dieser so genannten Kreuzallergie muss also ein Birkenpollen-Allergiker mit Problemen rechnen, wenn er Haselnüsse isst. In schlimmen Fällen kann es zu Atemnot oder Kreislaufproblemen kommen.
Jedes Jahr im Frühling liegt das Problem wieder in der Luft. Der Wind
verweht die ersten Baum- und Blütenpollen. Nichts Giftiges, nichts
Gefährliches - und trotzdem brennen die Augen von Millionen Menschen,
juckt deren Haut. Ihr Immunsystem spielt förmlich verrückt. Es
reagiert überempfindlich auf die harmlosen Eiweißstoffe der
Blütenpollen, als wären es Krankheitserreger. Ähnlich bei Allergien
gegen Hausstaub, Katzenhaare oder Erdnüsse: Das Immunsystem gibt
falschen Alarm, Antikörper und Botenstoffe steigen auf Höchstwerte wie
bei einem Notfall und bewirken damit das Gegenteil: Sie bringen die
Gesundheit in Gefahr und verursachen geschwollene Schleimhäute,
tränende Augen, allgemeines Schwächegefühl oder in schlimmen Fällen
sogar allergische Schocks, die lebensbedrohlich sind.
Die Ursachen für die Kurzschlüsse im Immunsystems sind vielfältig und nach den Ergebnissen von Allergiestudien in drei Bereichen zu suchen: Umwelteinflüsse, genetische Faktoren und Lebensstil. Der Anteil der Vererbung ist einigermaßen bekannt: Kinder von Allergikern entwickeln häufiger Allergien als andere Kinder. Haben beide Elternteile die gleiche Allergie, steigt die Wahrscheinlichkeit noch höher. Allerdings erklärt die Vererbung allein nicht die starke Zunahme von Allergien seit Beginn des Industriezeitalters. Offenbar sind erhöhte Umweltverschmutzung und Belastungen durch Feinstaub, Ozon und Verkehrsabgase weitere Faktoren, die Allergien fördern. Hinzu kommen allergiefördernde Stoffe in Chemikalien, Plastik, Farben, Sprays und auch in Kosmetikartikeln.
»Die Häufigkeit allergischer Erkrankungen hat seit den 1970er Jahren in Ländern mit westlichem Lebensstil stark zugenommen«, erklärt das Robert Koch-Institut (RKI), das mehrere umfangreiche Studien in Deutschland durchgeführt hat. Zuviel Stress, einseitige Ernährung und Rauchen können demnach zu den Faktoren gezählt werden, die das Entstehen von Allergien begünstigen. Hinzu kommt eine Entdeckung, die den Forschern zu Denken gibt: Wenn Kinder Kontakt zu Natur, Dreck und Tieren haben, entwickeln sie seltener Allergien als Kinder, die in hygienischen Großstadtwohnungen aufwachsen.
30 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland haben im Laufe ihres Lebens mindestens eine, wenn nicht mehrere Allergien entwickelt, stellte das Robert Koch-Institut fest. Heuschnupfen und Asthma sind die häufigsten Allergie-Erkrankungen.
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Gesamt |
Frauen |
Männer |
Mindest eine Allergie Heuschnupfen Asthma Nahrungsmittelallergie Nesselsucht Neurodermitis Insektenallergie |
30 % 15 % 9 % 5 % 4 % 4 % 3 % |
36 % 17 % 10 % 6 % 5 % 4 % 4 % |
24 % 13 % 7 % 3 % 2 % 3 % 2 % |
Quelle: Robert Koch-Institut, 2013
Diese Hygiene-Hypothese, wonach übertriebene Sauberkeit ein Grund für eine steigende Allergierate sein könnte, stammt vom britischen Epidemiologen David Strachan. Prof. Erika von Mutius, Kinderärztin und Allergieforscherin an der Universität München, hat die Hypothese genauer untersucht. Sie fand Bestätigungen dafür, dass das kindliche Immunsystem offenbar die Anreize und Herausforderungen durch Keime und Bakterien verarbeitet, um sich stabil zu entwickeln. Deshalb seien Bauernhofkinder deutlich weniger allergieanfällig. Auch das Wechselspiel der Keime bei engen Kontakten zu Geschwistern und Kindergartenkindern stärke das Immunsystem.
Allergien könnten also deshalb ein Problem darstellen, weil die kindlichen Abwehrkräfte nicht ausreichend trainiert werden. Diese Erklärung birgt »ein enormes Präventionspotenzial«, meint die Münchner Ärztin. Sie plädiert für die Devise »Schutz durch Schmutz« und empfiehlt Eltern, ihren Kindern die Erlebnisse in der Natur und die Begegnung mit Tieren zu ermöglichen. »Wir müssen dem Immunsystem die Chance geben, sich an fremde Stoffe zu gewöhnen«, meint auch Prof. Margitta Worm, Allergieexpertin an der Berliner Charité.
Einen garantierten Allergieschutz gibt es allerdings nicht. Heuschnupfen oder Nahrungsmittelallergien können unverhofft in jedem Lebensalter zum ersten Mal auftreten, nicht nur bei Kindern und Jugendlichen. Auch wer bislang beschwerdefrei war, ist nicht dagegen gefeit. Ärzte stellen immer öfter fest, dass auch Erwachsene plötzlich eine Überempfindlichkeit auf Pollen entwickeln können.
Auf die leichte Schulter sollte man allergische Reaktionen nicht nehmen. Wenn ein Schnupfen »aus heiterem Himmel« ohne Erkältungssymptome auftaucht, wochenlang anhält und womöglich jedes Frühjahr zur selben Zeit wiederkehrt, ist ein Arztbesuch ratsam. Denn auch ein Heuschnupfen, der vielleicht anfangs nur in leichter Form auftritt, kann auf die Bronchien übergreifen. Dann steigt die Gefahr, dass der Heuschnupfen zu allergischem Asthma führen kann. »Bei einer guten Zusammenarbeit von Patient und Arzt kann Heuschnupfen unter Kontrolle gebracht und das drohende Pollenasthma in vielen Fällen verhindert werden«, sagt Prof. Karl-Christian Bergmann, Vorstand der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.
Zur Behandlung von Allergien wenden viele Ärzte ein dreistufiges Verfahren an. Allergiegefahr erkennen, Beschwerden lindern, Auslöser vermeiden. Standard zur Diagnose sind die Tests auf der Haut, mit denen sich konkrete Allergieauslöser herausfinden lassen, und Laboruntersuchungen auf spezifische Antikörper im Blut. Mit Arzneimitteln lassen sich viele Symptome lindern. Nasensprays, oft mit kortisonhaltigen Wirkstoffen, können allergischen Schnupfen lindern. Häufig verschreiben Ärzte auch antihistaminhaltige Präparate in Form von Tropfen, Sprays oder Tabletten, die die Symptome bei akuten Allergieschüben abschwächen. Sie lösen allerdings nicht die Ursache des Problems.
Hoffnung auf ein dauerhaftes Verschwinden von Heuschnupfen und Insektengiftallergien bietet die spezifische Immuntherapie, auch als Hyposensibilisierung bekannt. Bei dieser Behandlung wird durch Allergietests ermittelt, welche Stoffe die Auslöser sind. Dann werden dem Patienten kleinste Mengen eines Extraktes dieser Auslöser als Tropfen oder Tabletten gegeben oder unter die Haut gespritzt. Die Dosis wird nach und nach gesteigert. So soll das Immunsystem langsam daran gewöhnt und beruhigt werden. Die Hyposensibilisierung braucht Zeit und dauert oft mehrere Jahre. Sie ist auch nicht ganz ohne Risiko, denn nicht immer gelingt es, das Immunsystem behutsam zu provozieren, ohne eine schädliche Abwehrreaktion auszulösen. Eine garantierte Heilung gibt es auch hier nicht.
Mit Naturheilkunde haben viele Allergiepatienten gute Erfahrungen gemacht, insbesondere mit Homöopathie und Akupunktur. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) nennt den Heuschnupfen "Bi Yuan" (bildhaft als "Nasenteich" zu übersetzen). Sie sieht im Heuschnupfen die Reaktion auf krankmachende Vorgänge in den Energiebahnen der Lunge.
Akupunkteure behandeln Allergien, indem sie mit Nadeln jene Punkte an Körper und Ohren stimulieren,die die Funktion der Schleimhäute und der Lunge regulieren. "Pollenallergien lassen sich mit Akupunktur erfolgreich behandeln, vor allem, wenn damit schon früh begonnen wird, noch ehe der Heuschnupfen chronisch wird", erklärt die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur (www.daegfa.de). "Sie regt die Selbstheilungskräfte an und ermöglicht eine spürbare Verbesserung bei Heuschnupfen", meint auch die Deutsche Akademie für Akupunktur (www.akupunktur.de). Untersuchungen der Berliner Charité bestätigen das. Allerdings ist Akupunktur bei Heuschnupfen keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland.
Homöopathische Ärzte weisen darauf hin, dass allergischer Schnupfen durch Selbstbehandlung mit homöopathischen Mitteln gelindert werden kann. Aber Heuschnupfen und andere Formen von Allergien sollten als eine chronische Krankheit nicht auf die leichte Schulter genommen werden. "Ihre Behandlung muss sich auf eine gründliche Anamnese und eine sorgfältige Verlaufskontrolle stützen", sagt Christoph Trapp vom Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (www.dzvhae.de).
In der Homöopathie werde nicht die Diagnose Allergie behandelt, sondern Menschen mit allergischen Symptomen. Der Arzt bewerte die persönlichen Aspekte der Krankheit und berücksichtigt Umwelteinflüße. Individuell auf den Patienten abgestimmt sei dann auch die Verordnung des Arzneimittels, die sich nach dem Ähnlichkeitsgebot der Homöopathie richtet.
Ines Landschek: Allergien im Griff. Stiftung Warentest, Berlin 2010, 208 Seiten, 16,90 Euro.
Herbert Renz-Polster u.a.: Gesundheit für Kinder: Kinderkrankheiten verhüten, erkennen, behandeln. Kösel Verlag 2013, 528 Seiten, 29,95 Euro.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
Abb. S. 8:
Allergietest: Die Haut reagiert auf Fremdeiweiße.
Abb. S. 9 oben:
Kontaktfreude: Kinder vom Land haben weniger Allergien
Abb. S. 9 unten:
Grafik: Pollenflugkalender
Abb. S. 10:
Grafik: Das Allergie-Alarmsystem am Beispiel der Nasenschleimhaut
1. Kontakt: Immunisierung
1. Inhaltsstoffe der Pollen (Allergene) gelangen über die
Nasenschleimhaut ins Blut und versetzen T-Zellen (Immunabwehr) in
Alarm. Die T-Zellen aktivieren über Botenstoffe B-Zellen (ebenfalls
Immunabwehr-Zellen.
2. Die alarmierten B-Zellen produzieren IgE-Antikörper gegen die
Allergene.
3. Die IgE-Antikörper heften sich an Mastzellen.
2. Kontakt: Abwehrreaktion
4. Bei erneutem Kontakt mit Allergenen reagieren die alarmierten
Mastzellen mit der Ausschüttung von Histamin und Entzündungsstoffen.
5. Es kommt zu allergischen Reaktionen. Die Nasenschleimhaut schwillt
an und bildet Sekret. Damit schützt sich der Körper.
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Quelle:
Securvital 2/2015 - April-Juni, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2015
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