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DEMENZ/023: Gemeinsam aktiv - Alltagsgestaltung und Beschäftigungen für Menschen mit Demenz (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 1/12
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Gemeinsam aktiv
Alltagsgestaltung und Beschäftigungen für Menschen mit Demenz

Von Hans-Jürgen Freter, Berlin



Wer rastet, der rostet. Es ist eine banale Wahrheit, die in dem bekannten Sprichwort steckt. Für alle, die ihren Alltag auch mit einer demenziellen Erkrankung gemeinsam meistern wollen und müssen, ist es aber eine wichtige Lebensregel. Denn sie mahnt, beweglich zu bleiben: So lange wie möglich den gewohnten Lebensrhythmus beizubehalten, immer aufs Neue vorhandene Fähigkeiten anzuregen, Erinnerungen wach zu halten.

Gezielte Aktivierung und einfühlsame Begleitung können nicht nur den geistigen und körperlichen Abbau verlangsamen, sie tragen ganz entscheidend zum emotionalen Wohlbefinden der Kranken bei.

Die Krankheit verändert Vieles. Unter anderem verlieren Menschen mit Demenz nach und nach die Fähigkeit sich selbst zu beschäftigen und zu motivieren. Das kann zu Rückzug, Unzufriedenheit und Unruhe führen. Hier helfen Impulse von außen, die Körper und Geist anregen, die vorhandenen Fähigkeiten erhalten und Spaß machen. Darum geht es im Schwerpunkt dieses Hefts und in der neu von der DAlzG herausgegebenen Broschüre "Miteinander aktiv".

Wie der gemeinsame Alltag von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen jeweils gestaltet wird, ist individuell ganz unterschiedlich und sollte sich sowohl an der Lebensgeschichte als auch an den aktuellen Bedürfnissen der Erkrankten orientieren. Entscheidend ist, dass das gemeinsame Tun allen Beteiligten Freude macht und nicht mit Stress und Leistungsdruck verbunden ist. Um den gemeinsamen Alltag förderlich und angenehm zu gestalten, ist kein besonderes therapeutisches Wissen erforderlich. Schon der ganz alltägliche Ablauf daheim - die Körperpflege, Mahlzeiten zubereiten, Wäsche zusammenlegen - kann die vorhandenen Fähigkeiten wach halten und üben.

Ob es nun um Aktivitäten im Haus oder Garten, um Bewegung, Sport und Spiele, um Ausflüge, Reisen, Musik, um Feiern, Hobbys oder um innere Einkehr geht, es hat sich bewährt, sich an folgenden Grundsätzen zu orientieren:

Weder über- noch unterfordern
Es gilt Balance zu halten und die Tätigkeiten so zu gestalten, dass Menschen mit Demenz weder über- noch unterfordert werden. Bei allem, was geplant oder unternommen wird, sollte die individuelle Situation der Erkrankten bedacht werden: Was heute noch ging, geht morgen vielleicht nicht, dafür ist etwas anderes möglich. Und was abends nicht klappt, geht vielleicht am nächsten Morgen.

Balance halten ist aber auch ein wichtiger Ratschlag für die Betreuenden und Pflegenden. Wer zu viel von sich verlangt, überfordert sich und hat das Gefühl, seinen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Pflegende Angehörige haben einen langen Weg vor und oft auch hinter sich und müssen immer wieder aufs Neue Kraft auftanken. Das geht nur, wenn Aufgaben abgegeben und Unterstützung angenommen wird, wenn Inseln der Ruhe gefunden werden.

Niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, weil er oder sie einfach keine Zeit hat. Es ist völlig in Ordnung, nach Möglichkeiten zu suchen, die den anderen einfach mal "nur" beschäftigen: Papier zerreißen, Knöpfe sortieren, Wäsche falten, eine DVD einlegen. Danach findet sich auch wieder Zeit für ein intensives Miteinander.

Freude am Tun statt Perfektion
Bei Aktivitäten mit Demenzkranken sollten das gemeinsame Tun, Spaß und Freude, Kreativität im Vordergrund stehen, nicht Leistung, gute Ergebnisse, das genaue Befolgen von Regeln. Leistungsdruck führt nur zu Enttäuschung und Hilflosigkeit. Besser ist es, sich über alles zu freuen, was noch möglich ist. Nur so kann den Betroffenen die Angst zu versagen genommen werden und sich die Sicherheit neu bilden: Ich kann etwas und gehöre dazu.

Eigenständigkeit erhalten - so weit und so lange es möglich ist
Tätigkeiten, die eigenständig durchgeführt werden können, sollten immer wieder angeregt werden, damit sie nicht zu früh verloren gehen. Dafür wird den Betreuenden vor allem Geduld abverlangt. Denn es geht meist schneller und komplikationsloser, wenn die Betreuenden alles selbst erledigen. Aber mit Ruhe und einfühlsamer Unterstützung können viele Kranke durchaus noch allein zur Toilette gehen, sich waschen, kämmen und anziehen oder auch in der Küche helfen und wie gewohnt die Zeitung aus dem Briefkasten holen. Zu Beginn der Krankheit können auch noch Aufgaben übernommen, neue Hobbys entdeckt werden. Wichtig ist die Ermutigung, dies auch zu tun.

Mobil sein - in Bewegung bleiben
Bewegung regt das Gehirn an, entspannt, verursacht Glücksgefühle, vermindert Angst und Aggression. Für Menschen mit Demenz ist regelmäßige Bewegung wichtig, um Kraft und Beweglichkeit zu erhalten und Sturzgefährdung vorzubeugen. Vor allem aber befördert regelmäßige Bewegung das Wohlbefinden und das Denken. Gut anknüpfen lässt sich daran, dass Menschen mit Demenz ihren Sinn für Rhythmik oft noch lange Zeit bewahren: Musikhören, einfache Tanzschritte, in die Hände klatschen oder körperliche Aktivitäten wie Laub harken, fegen oder Holz sägen, können motivieren und die Stimmung heben.

An die Lebensgeschichte anknüpfen
Gut motivieren lassen sich Demenzkranke oft durch Tätigkeiten, die an ihre Lebenserfahrungen und Erinnerungen anknüpfen. Angeregt werden können sie auf vielerlei Weise: Mit Spaziergängen auf gewohnten Wegen, dem Betrachten von Fotoalben, dem Duft des Lieblingsessens oder vertrauter Musik. Sie geben das Gefühl von Gewohnheit und Geborgenheit. Der Kittel, der noch an der Garderobe hängt, kann die Erinnerung an das Arbeitsleben wach halten, ebenso der Werkzeugkasten des einstigen Mechanikers.

Die Sinne ansprechen
Angehörige sollten so oft wie möglich Gelegenheiten nutzen, um Körper und Sinne der Kranken anzuregen. Das kann bei der Körperpflege geschehen, bei alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen oder Putzen, bei Spaziergängen, aber auch mit unterschiedlichen Materialien, die befühlt, gedrückt und betastet werden können. Vieles ist auch für Erkrankte möglich, die die meiste Zeit im Bett verbringen müssen: Ein buntes Mobile an der Decke, der Duft des Kuchens aus der Küche, das Gezwitscher der Vögel vor dem Fenster.

Besser geht es mit Humor
Lachen kann Ängste und Traurigkeit vertreiben und stärkt, wie die Forschung herausgefunden hat, das Immunsystem. Lachen steckt an, schafft Gemeinsamkeit, entspannt die Situation. Oft entsteht es spontan im Alltag, ebenso kann es durch Geschichten, Witzbücher und Comics angeregt werden.


Hilfreiche Tipps für den Alltag

• Lachen und Humor sind gut für die Stimmung.
• Günstig ist eine ruhige Atmosphäre ohne Reizüberflutung.
• Freizeitbeschäftigungen sollen Spaß machen, aber nicht überfordern.
• Ein fester Tagesplan und Wiederholungen können Halt geben, allerdings sollte die jeweilige Tagesform beachtet werden.
• Zeit- und Leistungsdruck sowie ehrgeizige Zielvorgaben führen zu Enttäuschungen.
• Kritik, Schimpfen, Vorhaltungen verderben die Stimmung.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Balance halten, weder über- noch unterfordern - das ist eine wichtige Regel
- Körperliche Aktivitäten wie Laub harken, fegen oder Holz sägen können motivieren und die Stimmung heben

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 1/12, S. 1 + 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2012