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DEMENZ/285: Entscheidung über die Magensonde für Familienangehörige mit Demenz (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 3/16
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

"So ein bisschen wie die Rolle des Herrgotts"
Entscheidung über die Magensonde für Familienangehörige mit Demenz

Von Rosa Mazzola


Das Legen einer Magensonde ist ein medizinischer Eingriff, dem die Betroffenen bzw. deren Bevollmächtigte oder rechtliche Vertreter zustimmen müssen. Diese Entscheidung für oder gegen eine Magensonde kann für Angehörige sehr schwer und belastend sein. Die Autorin hat das Zustandekommen von Stellvertreterentscheidungen über die künstliche Ernährung für Menschen mit Demenz in ihrer Dissertation untersucht und stellt hier einige wichtige Gesichtspunkte dar.


Als bei der 85-jährigen Frau Melzer die Probleme mit dem Essen und Trinken zunehmen, fällt ihren Angehörigen die Entscheidung für oder gegen eine Magensonde schwer. Ihnen fehlen für Laien verständliche, eingehende und neutrale Informationen. Die bevollmächtigte Tochter von Frau Melzer hat das Gefühl, über Leben oder Tod ihrer Mutter entscheiden zu müssen. "Darf ich das bestimmen? (...) Darf ich bestimmen, ob sie isst oder nicht? (...) Fürchterlich, also ich bekam von meinem Gefühl her so eine Rolle, so ein bisschen wie der Herrgott." (Mazzola 2015)

Die Tochter trifft ihre Entscheidung, ohne zu wissen, dass durch eine Magensonde Mangelernährung oder Verschlucken nicht unbedingt verhindert, die Überlebenszeit nicht verlängert und die Lebensqualität nicht immer verbessert werden. Auch die Risiken der Sondenernährung wie Durchfall, Schmerzen oder Entzündungen um die Einstichstelle sind ihr nicht im vollen Umfang bekannt. Die Tochter glaubt verhindern zu müssen, dass die Mutter verhungert. Zusätzlich steht sie bei der Entscheidung unter Zeitdruck. Dass die Tochter bei ihrer Entscheidung über die Sondenernährung an 'Verhungern' denkt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass sie über die Wirksamkeit einer Magensonde bei Menschen mit Demenz unzureichend informiert ist und ihre Bedeutung nicht richtig einschätzt. Der Begriff ist mit starken Moralvorstellungen verbunden und weckt Schuldgefühle. Der Behandlungswille des Menschen mit Demenz tritt demgegenüber in den Hintergrund. "Ich würde praktisch entscheiden 'Meine Mutter verhungert', und ich meine, das steht mir nicht zu, über Leben und Tod zu entscheiden, obwohl sie eine Patientenverfügung hat."

Angehörige benötigen Klarheit über ihre (rechtliche) Stellvertreteraufgabe. Zudem müssen für eine personenorientierte Entscheidung die Kompetenzen der rechtlichen Betreuer bzw. der bevollmächtigten Angehörigen unbedingt gestärkt werden. Bevollmächtigte, rechtliche Betreuungspersonen und Interessierte können in den Betreuungsstellen der Betreuungsgerichte an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen und Beratungsangebote nutzen. Sie brauchen:

• hinreichend Zeit, um frühzeitig konkrete, verständliche und umfassende Informationen über die Gesundheitssituation einzuholen,

• präzise Kenntnisse über den möglichen Nutzen und Schaden der künstlichen Ernährung,

• die Fähigkeiten, den (mutmaßlichen) Willen der oder des
Betroffenen zu ermitteln,

• die Bereitschaft, den Behandlungswillen der oder des Betroffenen durchzusetzen und gegenüber anderen Personen, die an der Entscheidung beteiligt sind, zu vertreten.

Dr. phil. Rosa Mazzola, Wolfsburg, r.mazzola@ostfalia.de


Info

Hilfreiche Fragen für die Entscheidung über eine künstliche Ernährung bei Menschen mit Demenz

• Wer will die langfristige Magensonde? Entscheidend für oder gegen die Maßnahme ist allein der Wille der betroffenen Person.

• Ist mit der Durchführung der Sondenernährung eine Verbesserung des augenblicklichen Gesundheitszustands zu erwarten?

• Kann die Maßnahme die Lebensqualität der Person erhöhen?

• Mit welchen Vorteilen für die Person ist zu rechnen?

• Welche Risiken und Nebenwirkungen birgt der operative Eingriff der Sondenlegung?

• Welche Informationen werden noch benötigt, um die Situation angemessen einschätzen zu können?

• Sind weitere Personen hinzuzuziehen?


Literatur

Mazzola, Rosa. (2015): Das Tabu im PEG-Ereignis - Die Anwendung langfristiger Sondenernährung bei Menschen mit Demenz in der stationären Langzeitpflege.
URN-Link: nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46-00104577-18

Deutsche Alzheimer Gesellschaft: Empfehlungen zum Umgang mit Ernährungsstörungen bei Demenz
www.deutsche-alzheimer.de → Unser Service → Informationsblätter → Empfehlungen zu ethischen Fragestellungen

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 3/16, S. 18
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2016

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