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DIABETES/1539: Fragen und Antworten - "ICT und Pumpe bei Kindern mit Diabetes Typ 1" (diabetesDE)


diabetesDE - Februar 2012

Chat-Protokoll zum Thema
"ICT und Pumpe bei Kindern mit Diabetes Typ 1"

Auszüge aus dem diabetesDE-Experten-Chat vom 2. Februar 2012
Expertin Dr. med. Simone von Sengbusch


Protokoll der Sprechstunde

Sonja fragt:

Hallo, mein 4-jähriger Sohn hat Diabetes und wir verwenden die Pumpe um es ihm und tagsüber auch den Kindergärtnerinnen leicht zu machen. Doch er hat ADS und ist sehr eifrig beim Spielen und knickt oder reißt häufig dabei den Katheter ab. Auch mit den anderen Kindergartenkindern hat er häufig Streit. Sie ärgern ihn weil er so eine "Maschine" bei sich trägt und wollen oft auf den Knöpfen rumdrücken. Ich mache mir häufig Sorgen, ob dadurch nicht einmal seine Versorgung gefährdet ist. Können Sie mir sagen, wie man mit solchen Situationen am besten umgeht? Die Erzieherinnen scheinen oft überfordert mit diesen Vorgängen und können unseren Sohn ja auch nicht immer gesondert beaufsichtigen...

Vielen dank für Ihre Hilfe und freundliche Grüße Sonja E.


Dr. von Sengbusch:

Sehr geehrte Frau E.,

damit Sie sich erstmal sicherer fühlen würde ich empfehlen, die Tastensperre oder Funktionssperre (je nach Pumpe) zu aktivieren, einen Maximalbolus einzuprogrammieren und natürlich das Kindergartenpersonal zu informieren, wie diese Sperre eingerichtet bzw. aufgehoben wird. Außerdem würde ich Ihnen anraten, dass Ihr Sohn die Pumpe in einem kleinen Rucksack auf dem Rücken trägt. Es gibt dafür extra Pumpentaschen, so dass die Pumpe unter dem Pullover getragen wird. Einige Pumpen haben ja eine Handsteuerung (Fernbedienung + Messgerät), für andere kann eine Fernbedienung dazu erworben werden. Sie sollten den Katheter auch so fixieren und durch die Kleidung hindurchführen, dass ein versehentliches Abknicken oder Herausreissen schwerer möglich wird (Sicherheitsschlaufe kleben, oder Transparentpflaster über den Katheter kleben oder / und Schlauch in geschickter Weise durch die Unterwäsche führen, so dass nichts so einfach rausreissen kann).

Es ist schon ungewöhnlich, dass ihr kleiner Sohn aufgrund seiner Pumpe geärgert wird, meist ist so ein Gerät bei kleinen Kindern bald gar nicht mehr so interessant. Wie wäre es, wenn eine Mitarbeiterin aus dem Kinderdiabetesteam, was Sie betreut, mit Ihnen ein Gespräch mit dem Kindergartenpersonal sucht? Hat der Kindergarten initial eine gute Schulung und entsprechendes Material (z.B. die Broschüre von der AGPD/Novo Nordisk "ein Kind mit Diabetes im Kindergarten"? Vielleicht würde ein Pflegedienst zu den Mahlzeiten Entlastung schaffen? Auch eine spielerische Einheit für alle Kinder zum Thema könnte initiiert werden. Wenn Ihr Kind großen sozialpädagogischen Unterstützungsbedarf hat, um wirklich integriert werden zu könne, dann gibt es auch dafür Wege, zum Beispiel über eine Einzelintegrationsmaßnahme. Das ist ein etwas längerer Weg, aber ich bin mir sicher, dass Ihr Kinderdiabetesteam Sie da gern berät und begleitet.

Mit freundlichen Grüßen,
S.v.Sengbusch


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Hans-Günther T. fragt:

Welche Nachteile sehen Sie bei der Insulinpumpe??
Sollte die Insulinpumpe nicht Standard sein für alle Kinder mit Typ 1??


Dr. von Sengbusch:

Sehr geehrter Herr T.,

die Insulinpumpentherapie ist auf dem besten Wege, die Standardtherapie für alle jüngeren Kinder mit Diabetes, aber auch die Therapieform der Wahl für viele Teenager und Jugendliche zu werden. Ein Teil der Kinder und Jugendlichen wünschen jedoch keine Insulinpumpe, da ein Instrument, das ständig am Körper getragen werden muss, sie immer daran erinnert, dass etwas in ihnen nicht richtig funktioniert. Das Spritzen mit Insulinpens gibt ihnen im Gegensatz dazu das gute Gefühl, ganz normal zu sein. Wenn mit einer ICT mit Insulinpens eine stabile und gute Stoffwechsellage erreicht wird, dann würde ich auch nicht dazu raten, auf eine Insulinpumpe wechseln. Ein ganz kleiner Teil der Kinder und Jugendlichen ist aus verschiedenen Gründen für die Insulinpumpentherapie auch nicht geeignet, z.B. wenn sie zu Hause keinerlei Unterstützung bei der Therapiedurchführung erhalten, diese aber benötigen, oder die Eltern mit der Technik überfordert sind.

Es gibt - neben dem Aspekt ein Gerät immer dabei zu haben - nur wenige echte Nachteile bei der Insulinpumpentherapie. Der Therapieaufwand ist nicht geringer als bei einer ICT mit Insulinpens, die Hygiene beim Legen eines Katheters muss beachtet werden, und die etwas erhöhte Ketoazidoseneigung ist zu bedenken. Für die Insulinpumpentherapie spricht die bedarfsgerechte Insulinabdeckung bei Kindern auch mit kleinsten Insulinmengen, die Anpassung der Insulinmenge per Knopfdruck nach Bedarf (prozentuale Anpassung der Basalrate), die gute Therapierbarkeit des Dawn-Phänomens, die starke Reduktion von Stichen für die Insulingabe mit Entkoppelung von "Essen = Stechen" und die Hilfe in der komplexen Insulinberechnung durch einen Bolusrechner. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, so würde ich persönlich sagen, dass die Insulinpumpentherapie allen Kindern mit Typ 1 Diabetes ohne Hürde zur Verfügung stehen sollte, die dieses Instrument aus medizinischen Gründen benötigen oder es zur Verbesserung ihrer Lebensqualität nutzen möchten.

Mit freundlichen Grüßen,
S.v.Sengbusch


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Hans-Günther T.:

Sehr geehrte Frau S.v.Sengbusch,

herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Sie sagen: "Wenn mit einer ICT eine stabile und gute Stoffwechsellage erreicht wird, dann würde ich auch nicht dazu raten, auf eine Insulinpumpe zu wechseln." Warum können wir hier nicht umdenken und die Insulinpumpentherapie als "die" Therapie für Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1 forcieren?? Für den kleinen Teil der Kinder die nicht dafür geeignet sind steht die ICT zur Verfügung. Dann müssten die Krankenkassen nicht mehr entscheiden wer eine Pumpe haben darf und wer nicht. Als ehem. Vorstandsmitglied einer großen, deutschen Selbsthilfegruppe wollen wir bitte auch nicht die großen Probleme von Eltern vergessen, die Ihre Kinder mehrmals täglich spritzen müssen. Die technische Entwicklung geht in allen Bereichen mit sehr großen Schritten voran und wir dürfen uns nicht davor verschließen oder blockieren. Ich denke auch an Patch Pumpen, die in den USA schon mehrere Jahre auf dem Markt sind, aber das ist ein anderes Thema.

Herzliche Grüße HGT

P.S. Ich bin kein Angestellter eines Insulinpumpenherstellers sondern ein Vater eines lieben 11 jährigen Sohnes der seit 4 Jahren Diabetes Typ 1 hat.


Dr. von Sengbusch:

Sehr geehrter Herr T.,

die Gesetzlichen Krankenversicherungen zeigen sich meiner Erfahrung nach inzwischen zumeist entgegenkommend bei Kindern unter 6 Jahren, wenn eine primäre Einstellung oder Umstellung auf eine Insulinpumpentherapie erfolgen soll. Bei älteren Kindern sind die meisten Anträge meiner Erfahrung nach auch erfolgreich, aber nur nach einem recht zeitaufwändigen Antrags- und Bewilligungsverfahren, welches es für Eltern und Diabetesteams schwer macht und Unsicherheit schafft. Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) setzt sich sehr dafür ein, dass ein Wechsel auf diese Therapieform ohne großen Aufwand verlaufen kann, wenn eine Notwendigkeit und bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.

Die technische Weiterentwicklung der Insulinpumpen verläuft in der Tat rasant und ich bin mir recht sicher, dass in wenigen Jahren mehr als die Hälfte aller diabeteserkrankten Kinder in Deutschland eine Pumpe tragen wird.

Mit freundlichen Grüßen,
S.v.Sengbusch


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Mathilda K. fragt:

Betreff: Krampf und anschließende Werte

Unser Sohn (17) ist unlängst nach einem Rum-seeligen Abend mit wenig Essen (höchstens 2 BE) gegen 3 Uhr nachts eingeschlafen. Er hatte sein langwirksames Insulin wie gewohnt gespritzt. Gegen Mittag ist sein Freund (auch noch nicht ganz nüchtern) erwacht, weil unser Sohn Wasser getrunken hat. Anschließend begann er dann wohl zu krampfen, zu brechen und war nicht mehr bei Bewußtsein. Komisch mutet es aber an, dass der Kumpel unseres Sohnes gleich darauf im Minutenabstand drei Werte zwischen 80 und 90 gemessen hat. Unsere Frage ist: Kann das Ganze trotz der guten Werte ein UZ-Krampf gewesen sein?

Mathilda K.


Dr. von Sengbusch:

Sehr geehrte Frau K., es erscheint mir sehr wahrscheinlich, dass eine Unterzuckerung mit Krampfanfall vorgelegen hat, auch wenn die gemessenen Blutzuckerwerte (schon wieder) im Normbereich lagen. Durch das Ausschütten von Stresshormonen versucht der Körper, den Blutzucker so gut es geht anzuheben - und den Erfolg konnte man bei Ihrem Sohn möglicherweise schon messen. Es könnte auch eine Verschmutzung der Finger mit Speiseresten einen höheren Wert erzeugt haben, als tatsächlich vorlag. Letztlich entscheidet nicht der gemessene Blutzuckerwert am Finger, sondern die Gesamtsituation, die hier recht eindeutig auf einen Krampfanfall bei Unterzuckerung hinweist. Um einen Krampfanfall anderer Ursache auszuschließen, könnte ein Hirnstrombild (EEG) hilfreich sein.

Die Kombination von Typ 1 Diabetes und übermäßigen Alkoholgenuss ist gefährlich, und es fällt jungen Heranwachsenden trotz dieses Wissens manchmal nicht leicht, ihr Limit zu kennen und nicht zu überschreiten. Wichtig erscheint es mir, dass Ihr Sohn in einer Einzelberatung schützende Maßnahmen kennenlernt, wie er - trotz Diabetes und Insulintherapie - in angemessener Menge Alkohol trinken kann, ohne sich so zu gefährden, wie es hier passiert ist. Zwei Möglichkeiten wären zum Beispiel die Reduktion des Basalinsulins zur Nacht und die Gabe von extra BE schon am Abend und auch noch vor dem Schlafengehen. Ermuntern Sie Ihren Sohn, so eine Beratung wahrzunehmen oder/und sich im Internet zu informieren, um langfristig gesund zu bleiben und z.B. auch sich und andere beim Autofahren nicht zu gefährden.

Mit freundlichen Grüßen,
S.v.Sengbusch




zum kompletten Chat-Protokoll:
http://ow.ly/97Ujh

Der Diabetes-Chat steht allen Internet-Nutzern kostenfrei auf www.diabetesde.org zur Verfügung.
Protokolle der letzten Sprechstunden können Sie abrufen unter:
www.diabetesde.org/experten_chat

Eine weitere wichtige Anlaufstelle ist das Diabetes Gesundheitstelefon.
Unter der Nummer 0180 250 5205 (6 Cent/Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 42 Cent/Minute) stehen täglich 24 Stunden Experten bereit.


diabetesDE ist eine gemeinnützige Organisation, die alle Menschen mit Diabetes und alle Berufsgruppen wie Ärzte, Diabetesberater und Forscher vereint, um sich für eine bessere Prävention, Versorgung und Forschung im Kampf gegen Diabetes einzusetzen. An oberster Stelle steht die Interessenvertretung für die Menschen, die von dieser Volkskrankheit betroffen sind, die sich in großem Tempo in vielen Ländern der Erde, so auch in Deutschland ausbreitet. Gegründet wurde diabetesDE von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und dem Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD).


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Quelle:
diabetesDE, Pressestelle
diabetesDE-Experten-Chat vom Februar 2012
Bundesgeschäftsstelle
Reinhardtstraße 14, 10117 Berlin
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Fax: +49 (0)30 201 677-20
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Internet: www.diabetesde.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2012