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DIABETES/1749: Forschung - Der Kampf um das Überleben der Betazelle (highlights/Uni Bremen)


"highlights" - Heft 28 / Dezember 2013
Informationsmagazin der Universität Bremen

Diabetes - Der Kampf um das Überleben der Betazelle



Chronisch erhöhte Zuckerspiegel machen krank. Mehr als 360 Millionen Menschen auf der Welt können darüber Zeugnis ablegen: Wenn das Hormon Insulin nicht mehr von Betazellen in der Bauchspeicheldrüse produziert wird, hat das viele Komplikationen zur Folge. Übermäßiger Durst, Sehstörungen, Bluthochdruck oder Schwindelgefühl machen den Gang zum Arzt unvermeidlich. "Diabetes" lautet dann die Diagnose. Unbehandelt sind die beiden Typen dieser Krankheit auf Dauer sehr gefährlich. Sie können im Körper große Schäden anrichten. Wenn durch Umstellung der Ernährung und viel Sport der Zuckerspiegel nicht mehr normalisiert werden kann, müssen die Betroffenen Medikamente zur Senkung des Blutzuckerspiegels einnehmen oder Insulin spritzen. Doch was genau ist eigentlich der Grund für die Zerstörung der Betazellen? Welche Mechanismen laufen dabei in der Zelle ab? Können angegriffene oder zerstörte Betazellen wieder reaktiviert oder neu gebildet werden? Mit derartigen Fragen beschäftigt sich die Arbeitsgruppe für molekulare Diabetologie am Zentrum für Biomolekulare Interaktionen der Universität Bremen. Die Forschungen unter Leitung von Professorin Kathrin Mädler haben in den vergangenen Jahren zu neuen Erkenntnissen geführt, die ein besseres Verständnis von Diabetes ermöglichen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse werden bereits neue Therapieansätze erprobt.


Diabetes ist eine Volkskrankheit - Tendenz steigend. "Die Zunahme in den vergangenen zehn Jahren ist so stark, dass man schon von einer Epidemie spricht", sagt die Pharmazeutin und Biologin Kathrin Mädler. Beim überwiegend verbreiteten Typ 2 Diabetes (siehe Kasten unten "Diabetes mellitus") sind neben anderen Auslösern vorrangig fettreiche Nahrung, Bewegungsmangel und Übergewicht die Ursache - "und weltweit nimmt dieses Problem ganz eindeutig zu." Das bedeutet aber für die Betroffenen eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität. Komplikationen führen zu gefährlichen Organschäden an Herz, Niere und Leber. "Heilen lässt sich Diabetes bislang nicht - höchstens lindern. Mit einer Therapie behandelt man derzeit nur die Symptome, aber nicht die Ursache. Fakt ist: Zerstörte Betazellen produzieren kein Insulin mehr", so die Wissenschaftlerin.

Genau an diesem Punkt ist vor vielen Jahren das Forschungsinteresse von Kathrin Mädler erwacht. Denn der Zerstörungsprozess der Betazellen in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse dauert in der Regel mehrere Jahre. "Im Normalfall ist die insulinproduzierende Betazelle sehr leistungsfähig und belastbar. Wenn zum Beispiel durch Gewichtszunahme oder Schwangerschaft mehr Insulin benötigt wird, kann die Betazelle auch mehr leisten - sie passt sich an. Bei 10 bis 20 Prozent der Menschen kann die Zelle jedoch diese 'Mehrarbeit' nicht dauerhaft verrichten. Dann wird Diabetes Typ 2 daraus." Ähnlich, aber viel schneller verläuft der Prozess beim Typ 1 Diabetes: Hier ist das menschliche Immunsystem der Ausgangspunkt. Es sieht die Betazellen als "fremd" an und sendet entzündliche Signale aus. "Diese entzündlichen Stoffe treten auch im Typ 2 Diabetes auf, jedoch nur in äußerst geringem Maße. Sie entfalten ihre zerstörerische Wirkung erst auf Dauer - nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein", erklärt Kathrin Mädler.


Was führt zum Tod der Betazellen?

Schon in ihrer Doktorarbeit 2002 erforschte die Wissenschaftlerin die Mechanismen, die zur Zerstörung der Betazellen führen. Sie entdeckte die entzündlichen Botenstoffe, die für den Tod der insulinproduzierenden Betazellen verantwortlich sind: Interleukin-1 beta und CXCL10. "Beide bilden sich im Diabetes einerseits in den Langerhans-Inseln, aber auch im Fettgewebe - ein Beleg dafür, dass Übergewicht für Diabetes eine große Rolle spielt. CXCL10 lässt sich schon im Anfangsstadium von Diabetes nachweisen und ist für die Medizin daher ein früher Hinweis auf diese Krankheit."

Kathrin Mädler, die vor ihrer Forschungstätigkeit an der Universität Bremen bereits am Universitätsspital Zürich und an der University of California in Los Angeles an diesem Thema arbeitete, erkannte diese Auslöser durch umfangreiche Versuchsreihen mit isolierten menschlichen Inselzellen. Diese wurden in der Petrischale mit hohen Konzentrationen an Glukose - im Volksmund "Traubenzucker" - sowie mit Fettsäuren behandelt. Dadurch ließen sich die entzündlichen Botenstoffe in den Kulturen nachweisen und die Mechanismen ihrer "Arbeit" charakterisieren.


Neue Therapieansätze möglich

"Die Frage war nun, ob es vielleicht entzündungshemmende Faktoren für die Therapie von Diabetes gibt", so Kathrin Mädler. "Denn damit würde man dem Ziel näher kommen, an der Wurzel des Übels anzusetzen, anstatt 'nur' die Symptome zu lindern." Tatsächlich gibt es Stoffe, die das zerstörerische Interleukin-1 beta neutralisieren können. "Auch hier haben wir nachgewiesen, dass solche neutralisierenden 'Entzündungshemmer' Betazellen vor den schädigenden Einflüssen hoher Glukose- oder Fettsäurekonzentrationen bewahren können. In Mäusen führte die Therapie zum Schutz der Betazellen und zu komplett normalisierten Blutzuckerwerten." Auf der Basis der Ergebnisse wurden klinische Studien gestartet - mit großem Erfolg, wie Kathrin Mädler berichtet: "Eine dreimonatige Gabe des Interleukin-1 Antikörpers führte dazu, dass bei Patienten der Blutzuckerspiegel und die Entzündungsmarker sanken und der Kampf gegen Diabetes somit verbessert werden konnte." Derzeit forschen Mädler und ihr Team zu weiteren Faktoren, die das Überleben der Betazellen stabilisieren.

Die Bremer Professorin und ihre derzeit etwa 15-köpfige international besetzte Arbeitsgruppe waren in den vergangenen Jahren beim Kampf gegen Diabetes und die daraus resultierenden Grundlagen für neue Therapieansätze sehr erfolgreich. Auf dem Gebiet der Diabetes-Betazellenforschung zählt die Gruppe aus der Hansestadt zu den weltweit führenden Forschungsteams. Kathrin Mädler hat für ihre Resultate schon zahlreiche bedeutende Preise erhalten. 2008 bekam sie ein Emmy Noether-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, was Grundlage für die Gründung ihrer eigenen unabhängigen Forschungsgruppe war. 2010 zeichnete der Europäischen Forschungsrat (ERC) sie mit dem begehrten ERC-Grant für Nachwuchswissenschaftler aus. Er soll weiterführende Forschungen für Projekte ermöglichen, die eine Expertengruppe zuvor als "exzellent" eingestuft hat. 2012 schließlich bekam die Hochschullehrerin den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis - eine der international renommiertesten Auszeichnungen, die in Deutschland auf dem Gebiet der Medizin vergeben werden.

Diabetes mellitus
wird auch als "Zuckerkrankheit" bezeichnet - denn das Charakteristikum dieser Krankheit ist eine chronische Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Dieser steigt vor allem durch kohlehydratreiche Nahrung, aber auch durch verschiedene körpereigene Hormone wie zum Beispiel Adrenalin. Geregelt wird der Blutzuckerspiegel durch das in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse gebildete Insulin, das als einziges Hormon den Blutzucker senken kann. Beim Diabetes werden zwei Typen unterschieden. Mit Typ 1 wird der Insulin-Mangel benannt, der aus einer Zerstörung der zur Produktion notwendigen Betazellen durch körpereigene Abwehrzellen herrührt. Er betrifft vor allem Kinder und Jugendliche und macht etwa fünf Prozent aller weltweiten Diabetes-Erkrankungen aus. Als "Altersdiabetes" wird hingegen der Diabetes Typ 2 bezeichnet, der vor allem bei Menschen ab dem 40. Lebensjahr diagnostiziert wird. Hier kommt es zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels, weil die Körperzellen nur noch eingeschränkt auf Insulin ansprechen. Die Betazellen können einen Mehrbedarf zeitweilig kompensieren - doch das kann zur Überarbeitung der Zellen führen. Daraus folgt der Verlust an Betazellen, und die Krankheit bricht aus. Auslöser dafür sind unter anderem zu fettes Essen, Übergewicht und ein Mangel an Bewegung.


Prof. Dr. Kathrin Mädler
Arbeitsgruppe für molekulare Diabetologie
Zentrum für Biomolekulare Interaktionen
E-Mail: kmaedler@uni-bremen.de
www.islets.uni-bremen.de

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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 28 / Dezember 2013, Seite 8-11
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2014