Deutsche Diabetes Gesellschaft - 05.05.2025
Koalitionsvertrag: Volkskrankheit Diabetes fällt durchs Raster - Appell für mehr Prävention und bessere Versorgung
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe, der Bundesverband Niedergelassener Diabetologen e.V. (BVND) und der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) nehmen Stellung zum Koalitionsvertrag "Verantwortung für Deutschland" von CDU/CSU und SPD. Sie begrüßen die angekündigten strukturellen Reformen in der Gesundheitsversorgung, vermissen jedoch klare Aussagen zur Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus. Auch eine strategische Perspektive fehle" insbesondere im Bereich Gesundheitsprävention, Versorgungssicherheit und Anerkennung von Gesundheitsfachberufen.
Zugleich gratulieren die vier Verbände der designierten Bundesgesundheitsministerin Nina Warken zu ihrem zukünftigen Amt. Sie freuen sich auf eine konstruktive und produktive Zusammenarbeit - ganz im Sinne der über neun Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland.
"Im gesamten Koalitionsvertrag findet sich kein einziges Mal der
Begriff 'Diabetes' - das ist angesichts von 9 Millionen betroffenen
Menschen in Deutschland und jährlich rund 500.000 Neuerkrankungen ein
fatales Versäumnis", kommentiert Professor Dr. med. Andreas Fritsche,
Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) aus Tübingen, das
Regierungsprogramm der neuen Koalition.
Positiv bewertet die DDG die angekündigte Weiterentwicklung der Leistungsgruppen im stationären Bereich. Fritsche erklärt: "Unsere Vorschläge zur Anpassung der Leistungsgruppe 2 für komplexe Diabetologie und Endokrinologie wurden im zuständigen Ausschuss zur Kenntnis genommen. Das stimmt vorsichtig optimistisch."
Dennoch überwiegt die Sorge, dass die Versorgung chronisch kranker Menschen in der Fläche weiter unter Druck gerät: "Der Koalitionsvertrag verspricht Sonderregelungen nur für wenige spezialisierte Kliniken. Wir brauchen aber eine flächendeckende Sicherung der qualitativ hochwertigen Versorgung - mit strukturierten Angeboten, zertifiziertem Personal und einer soliden Finanzierung." Das gelte besonders für ländliche Regionen, in denen die bloße Sicherstellung der Grundversorgung nicht ausreiche, um komplexe Erkrankungen wie Diabetes leitliniengerecht zu behandeln. Mindestens die DDG zertifizierten Abteilungen mit Ihrem Fachpersonal sollten erhalten bleiben, denn sie gewährleisten eine bessere Versorgung und geringere Krankenhaussterblichkeit von Menschen mit Diabetes.
Dr. med. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE - Deutsche
Diabetes-Hilfe aus Hamburg, begrüßt ausdrücklich die Ankündigung, die
Rahmenbedingungen für Videosprechstunden, Telemonitoring und
Telepharmazie zu verbessern: "Gerade für Menschen mit chronischen
Erkrankungen kann dies - wenn sie professionell umgesetzt und von
Fachkräften begleitet wird - ein echter Gewinn sein."
Aber auch Kröger kritisiert, dass - anders als in Koalitionspapieren
der Vorgängerregierungen - das Indikationsfeld Diabetes nicht einmal
genannt wird: "Weder eine Nationale Diabetesstrategie noch konkrete
Maßnahmen zur Prävention dieser chronischen Erkrankung finden sich im
Regierungsvorhaben von CDU/CSU und SPD."
Toralf Schwarz, Vorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener
Diabetologen e.V. (BVND) aus Zwenkau, warnt vor einer Überlastung des
ambulanten Sektors: "Die Verlagerung von stationärer in die ambulante
Versorgung kann nicht die Lösung aller Probleme sein. Wir brauchen
sektorübergreifende Versorgungsmodelle - und deren Finanzierung muss
gesichert sein."
Kritisch bewertet Schwarz zudem das angekündigte Primärarztsystem:
"Wenn es klare Schnittstellen gibt, kann das funktionieren. Aber ob
dadurch Wartezeiten verkürzt oder Kosten gespart werden, ist
fraglich." Er verweist auf die Bedeutung einer adäquaten Betreuung
chronisch kranker Menschen: "Pauschalen für einfache Fälle können
helfen, Ressourcen für Menschen mit komplexen Krankheitsbildern wie
Diabetes freizumachen. Aber diese Mittel müssen gezielt eingesetzt
werden."
Kathrin Boehm, Vorsitzende des Verbands der Diabetes-Beratungs- und
Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) aus Bad Mergentheim, zeigt
sich enttäuscht über die unklare Rolle der Gesundheitsfachberufe im
Koalitionsvertrag: "Die angekündigte Stärkung der
Gesundheitsfachberufe ist wichtig - doch wir vermissen die gezielte
Einbindung der Diabetesberatungsberufe. Diese müssen endlich in der
Leistungsgruppe 2 der Krankenhausreform abgebildet werden.
Unumgänglich ist auch, dass das Fachpersonal, das nicht direkt aus der
Pflege kommt und seine Kompetenzen durch Weiterbildungen innerhalb des
DQR-Anerkennungsverfahrens erworben hat, im Finanzierungskatalog der
Reform berücksichtigt wird - das betrifft rund die Hälfte aller
Diabetesberater*innen und Diabetesassistent*innen in Deutschland."
Fallen diese Fachkräfte durch das Raster, stünde Menschen mit Diabetes
ein massives Versorgungsproblem bevor.
"Statt eines Primärarztsystems brauchen wir ein
Primärversorgungssystem, das im Sinne einer interprofessionellen
Zusammenarbeit Gesundheitsfachberufe mit Kompetenzübertragungen und
Verantwortlichkeiten sowie Telemedizin strukturell und finanziell
einbindet. Nur so werden wir den demografischen Wandel bewältigen
können", fordert Boehm.
Mit Blick auf den Bürokratieabbau warnt Boehm vor Schnellschüssen:
"Vereinfachung ist gut, aber sie darf nicht dazu führen, dass komplexe
Versorgungslagen - wie bei Menschen mit Diabetes - durch starre
Pauschalen oder ungeeignete Steuerungsinstrumente verschlechtert
werden."
Alle vier Verbände appellieren gemeinsam an die neue Bundesregierung, die Versorgung von Menschen mit Diabetes sowie die gesundheitliche Prävention konsequent in den politischen Fokus zu rücken. "Die politische Weichenstellung für die kommenden vier Jahre darf die Realität der chronisch Kranken nicht ignorieren", so Schwarz. Besonders kritisch sehen die Verbände, dass Verhältnisprävention - also Maßnahmen, die gesundheitsförderliche Lebensverhältnisse schaffen - im Koalitionsvertrag keine Rolle spielt. "Wir vermissen verpflichtende Regelungen wie Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel, eine Herstellerabgabe auf zuckergesüßte Getränke oder steuerliche Anreize für gesunde Ernährung - obwohl diese Maßnahmen kostengünstig wären und nachweislich wirken", ergänzt Kröger.
Zwar finden sich an einigen Stellen Hinweise auf Prävention, etwa im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen oder Alltagsdrogen. Doch eine breite und systematische Strategie zur Prävention chronischer Krankheiten wie Diabetes mellitus und dessen Folgeerkrankungen fehlt vollständig. "Das ist eine vertane Chance - gerade angesichts der volkswirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Bedeutung dieser Erkrankungen", betont Boehm.
Die Verbände fordern daher konkrete Nachbesserungen: eine nationale
Präventionsstrategie mit klaren Zielen, die Verankerung
verhältnispräventiver Maßnahmen, die Stärkung von allen Fachberufen in
Versorgung und Prävention sowie eine gesicherte Finanzierung für
qualitativ hochwertige Strukturen - ambulant wie stationär. "Was jetzt
zählt, ist die Umsetzung - und die braucht einen klaren Fahrplan sowie
die Einbindung der Fachgesellschaften und Berufsverbände", stellt
Fritsche abschließend klar.
Weitere Informationen:
- Positionspapiere und Forderungen der DDG anlässlich der
Bundestagswahl:
https://www.ddg.info/politik/veroeffentlichungen/gesundheitspolitische-veroeffentlichungen
- Positionspapier des VDBD zur Bundestagswahl:
https://www.vdbd.de/fileadmin/portal/redaktion/Positionspapiere/250211_VDBD_Position_zur_Bundestagswahl_2025_v2_F.pdf
- DANK 6-Punkteplan: "Gesundheit sichern - Wirtschaft stärken"
https://www.dank-allianz.de/pressemeldung/vor-bundestagswahl-dank-legt-6-punkte-plan-fuer-praeventionswende-vor.html
- DANK-Kommentar: Wer Kinder stärken will, darf ihre Gesundheit nicht ignorieren
https://www.dank-allianz.de/pressemeldung/dank-wer-kinder-staerken-will-darf-ihre-gesundheit-nicht-ignorieren.html
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution1246
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsche Diabetes Gesellschaft - 05.05.2025
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 9. Mai 2025
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