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FORSCHUNG/003: Blind durch einen kleinen Wurm (wissen leben - WWU Münster)


wissen leben - Nr. 5, 6. Oktober 2010
Die Zeitung der WWU Münster

Blind durch einen kleinen Wurm

Wissenschaftler aus Münster und Kamerun erforschen die Gefahren durch Kriebelmücken

Von Christina Heimken


Ein Mückenstich ist lästig, aber in Europa kein Problem. Anderswo auf der Welt kann schon ein einziger Pikser eine schwere Erkrankung mit sich bringen. Im zentralafrikanischen Kamerun beispielsweise übertragen weibliche Kriebelmücken mit ihrem Stich häufig Fadenwürmer, die die so genannte Flussblindheit auslösen. Ein kamerunisch-deutsches Projekt, das vom Institut für Zoophysiologie initiiert wurde, erforscht die Entstehung der Erkrankung. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, die Flussblindheit zu bekämpfen.

"Die Krankheitserreger verursachen schon bei Kindern extremen Juckreiz und massive Hautprobleme", erklärt Dr. Dieudonné Ndjonka. Unbehandelt könne die Krankheit zur Erblindung führen. Der kamerunische Wissenschaftler setzt sich in seiner Heimat für die Bekämpfung der Flussblindheit ein und baut ein Projekt zur Erforschung der Erkrankung an der Universität Ngaoundere im Norden Kameruns auf. Derzeit arbeitet er als Gastwissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Prof. Eva Liebau. Der 41-Jährige sucht in traditionellen afrikanischen Heilpflanzen Wirkstoffe, die gegen die Flussblindheit helfen könnten. Dabei kooperiert er auch mit Prof. Andreas Hensel vom Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie. Dieudonné Ndjonkas Aufenthalt in Deutschland wird durch ein insgesamt 18-monatiges "Georg-Forster-Forschungsstipendium für Postdoktoranden" der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglicht.

"Die Flussblindheit ist ein großes Problem in Afrika", betont Dieudonné Ndjonka. Besonders gefährdet sind Menschen, die in der Nähe von Flüssen leben, da diese Fließgewässer den Kriebelmücken als Brutstätten dienen. Die Fadenwürmer der Art Onchocerca volvulus, die die Krankheit beim Menschen verursachen, werden über die Mücken von Mensch zu Mensch übertragen. "Die Parasiten sind unglaublich gut an den Menschen angepasst", so der Wissenschaftler. Die weiblichen Würmer nisten sich in Kapseln unter der Haut ein und bleiben dort bis an das Ende ihres Lebens - und das kann bis zu 15 Jahre dauern. In dieser Zeit produzieren sie täglich rund 1000 Nachkommen. Diese so genannten Mikrofilarien wandern unter der menschlichen Haut und wachsen, bis sie von einer Kriebelmücke mit einer Blutmahlzeit aufgenommen werden. Geraten Mikrofilarien auf ihrer Wanderung durch das menschliche Bindegewebe in die Augen, kann dies zur Blindheit führen.

Neben medizinischen Problemen hat die Flussblindheit auch soziale Folgen: Menschen, die den Übertragungsweg dank der Aufklärungskampagnen kennen, ziehen weg von den Flüssen - und damit verwaist dort fruchtbares Ackerland. Die ehemaligen Bauern versuchen ihr Glück in den Städten und verarmen oft. Erblinden Erwachsene nach jahrelangem Parasitenbefall, wird ein Kind aus der Verwandtschaft beauftragt, dem Blinden als Führer zur Seite zu stehen. "Diese Kinder dürfen dann nicht mehr in die Schule gehen", so Dieudonné Ndjonka. "Die Flussblindheit ist im Gegensatz zu anderen großen Problemen wie Malaria eine 'vernachlässigte Erkrankung' - das heißt, es steht weltweit kaum Geld für ihre Erforschung bereit."

Bei der Aufklärung der kamerunischen Dorfbewohner gibt es eine Reihe von Hürden, die selbst einfachen Schutzmaßnahmen wie der Vermeidung von Mückenstichen durch geeignete Kleidung im Wege stehen. "Wir müssen zum Beispiel erst in jedem Bezirk den König, den es traditionell dort gibt, und den Dorfältesten von unserem Anliegen überzeugen. Erst wenn diese beiden Schlüsselfiguren uns unterstützen, können wir mit Informationskampagnen und medikamentöser Behandlung beginnen", betont Dieudonné Ndjonka. Ein anderes Problem: In manchen Gebieten werden die Würmer bereits resistent gegen den bislang einzigen Wirkstoff gegen Flussblindheit. Daher wollen die Forscher besser verstehen, wie es dem Fadenwurm gelingt, sich im menschlichen Gewebe einzunisten und zu vermehren. Diese Erkenntnisse, so die Hoffnung, könnten auch bei der Entwicklung neuer Medikamente helfen.

"Wir gehen davon aus, dass der Parasit das menschliche Immunsystem zu seinem Vorteil beeinflussen kann", erklärt Eva Liebau. "Die erwachsenen Würmer leben schließlich jahrelang in den Bindegewebsknoten, ohne von der Immunabwehr behelligt zu werden." Ihre Arbeitsgruppe untersucht die Proteine, die der Parasit nach außen abgibt. Denn da, so die Vermutung, liegt der Schlüssel zu dem Schutzmechanismus des Fadenwurms. Die Wissenschaftler arbeiten mit einer Fadenwurmart, die sehr eng mit Onchocerca volvulus verwandt ist, die allerdings nicht Menschen, sondern Rinder befällt. Für das Projekt unterhalten sie eine eigene Rinderherde in Kamerun, um Parasiten für die Laboruntersuchungen zu gewinnen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt mit 800.000 Euro für drei Jahre das deutsch-kamerunische Projekt mit insgesamt sieben Partnern. "Das Projekt ermöglicht es mir, in Kamerun ein eigenes molekularbiologisches Labor aufzubauen und Studierende vor Ort auszubilden", sagt Dieudonné Ndjonka. Eva Liebau, die Koordinatorin des Gesamtprojekts, ergänzt: "Besonders wichtig ist mir, dass Deutsche und Afrikaner gleichberechtigte Partner sind - das war in der Vergangenheit leider nicht immer so."


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Quelle:
wissen leben - Die Zeitung der WWU Münster, Nr. 5, 6. Oktober 2010, S. 5
Herausgeberin:
Die Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Redaktion: Brigitte Nussbaum (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2010