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FORSCHUNG/835: Rolle der Zellmembran bei der Entstehung chronischer Krankheiten (idw)


Universität des Saarlandes - 10.12.2019

Forscher untersuchen Rolle der Zellmembran bei der Entstehung chronischer Krankheiten


Viele Krankheiten, etwa Diabetes oder die Nichtalkoholische Fettleber, haben ihre Ursachen in molekularen Abläufen der Körperzellen. Die genauen Mechanismen, wie solche Krankheiten entstehen, sind bisher kaum verstanden. Ein Team um Professor Robert Ernst wird nun der Frage nachgehen, inwieweit ein gestörtes Gleichgewicht von Fetten und Proteinen in der Zellmembran Krankheiten auslösen kann. Die EU fördert das Projekt mit knapp zwei Millionen Euro aus einem ERC Consolidator Grant, wie sie heute bekanntgegeben hat.

Stress macht uns krank. Von dieser Erkenntnis profitiert inzwischen eine ganze Industrie, von der Wellnessbranche bis hin zum boomenden Wander-Tourismus, die den stressgeplagten Zeitgenossen des Informationszeitalters Entspannung bringen sollen. Was für den Menschen im Ganzen gilt, gilt auch für seine Bausteine: Forscher sprechen vom "Zellstress", wenn Körperzellen aus dem Gleichgewicht kommen und nicht mehr so funktionieren, wie sie sollen. Zellstress - und infolgedessen womöglich eine chronische Krankheit - entsteht beispielsweise, wenn bestimmte Stoffe in den Zellen nicht mehr in ihrem natürlichen Gleichgewicht sind.

In ihrem heute bewilligten Forschungsprojekt, das mit rund zwei Millionen Euro von der Europäischen Union gefördert wird, möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Professor für Molekularbiologie, Robert Ernst, herausfinden, wie ein Ungleichgewicht von Membranfetten (Lipiden) und Eiweißen (Proteinen) in Zellmembranen zu Zellstress und damit zu Krankheiten führen kann - und wie dieser Zellstress wieder abgebaut werden kann. Dazu gilt es, die Mechanismen innerhalb einer Zelle zu durchschauen, die dazu führen, dass eine Zelle das Gleichgewicht der Stoffe erkennen und steuern kann.

"Denn das ist eine der fundamentalen Frage, die seit langem bekannt ist, die wir bisher aber nicht beantworten konnten: Wie erkennt eine Zelle überhaupt, wann genug Lipide und Proteine vorhanden sind?", erläutert der Biowissenschaftler, der sich auf Entscheidungsprozesse in und an Zellmembranen spezialisiert hat. Diese Frage konnte bisher aus einem recht banal klingenden Grund nicht untersucht werden: Es fehlte am Handwerkszeug. "Bisher konnten wir schlicht noch gar keine hochreinen Membranen gewinnen, um die Proteindichte darin genau zu bestimmen", erläutert Robert Ernst.

Klassische Verfahren der Membrangewinnung sind zumeist "verunreinigt" und liefern eher eine wilde Mischung unterschiedlichster Membranen. Damit können Wissenschaftler aber keine Messungen und Experimente durchführen, um die Mechanismen des Gleichgewichts zwischen der Lipid- und Proteinsynthese zu entschlüsseln. "Wir haben in den vergangenen Jahren aber eine Methode entwickelt, wie wir genau solche hochreinen Zellmembranen gewinnen können, so dass wir den Einfluss der Proteindichte in der Membran bei der Untersuchung von Krankheiten nun erforschen können", sagt der Wissenschaftler. "Denn wir vermuten, dass die Zellmembran bisher unterschätzt wird, wenn es um die Entstehung von Krankheiten geht."

Im EU-geförderten Forschungsprojekt "MemDense - Cellular control of membrane protein crowding" möchten die Wissenschaftler nun untersuchen, wie ein Ungleichgewicht von Proteinen und Lipiden in der Zelle entsteht und chronischen Zellstress auslösen kann. Denn die Wissenschaftler haben einen Teufelskreis erkannt, der eigentlich keinen Sinn ergibt. Sie haben im Labor Hefezellen mit gesättigten Fettsäuren regelrecht überflutet. Die Reaktion auf dieses massive Ungleichgewicht ist die Stressantwort der Zelle, die eigentlich versuchen sollte, das Gleichgewicht von Membranfetten und Proteinen wieder herzustellen. "Stattdessen produziert die Zelle jedoch noch mehr Membranfette, wodurch das Ungleichgewicht weiter verstärkt wird und chronischer Zellstress entsteht", erklärt Robert Ernst. Auf Dauer ist kann das zum Zelltod führen und letzten Endes sogar in einer chronischen Krankheit münden, vermuten die Forscher. Diese scheinbar unsinnige Rekation - durch Zellstress entsteht noch mehr Zellstress - liegt darin, dass die Natur es schlicht nicht vorgesehen hat, dass Zellen derart ins Ungleichgewicht gebracht werden. Robert Ernst erklärt es augenzwinkernd so: "In der Evolution ist die Ernährung mit Frittenfett nicht gerade eingeplant."

Findet sein Team heraus, wie das Gleichgewicht von Membranfetten und Proteinen an der Zellmembran reguliert und gesteuert wird, könnten die Forschungsergebnisse wichtige Impulse dafür geben, um die so genannten Zivilisationskrankheiten wie Diabetes besser therapierbar zu machen.

Der Weg von der Grundlagenforschung, wie Robert Ernst sie betreibt, hin zur tatsächlichen klinischen Anwendung ist allerdings sehr weit. Aber, um es im Jargon der Anti-Stress-Branche zu sagen, auch der längste Weg beginnt mit einem ersten kleinen Schritt - am besten ohne Stress.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität des Saarlandes - 10.12.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2019

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