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INFEKTION/1383: Multiresistentes Bakterium Acinetobacter baumannii - "Keime sind die Realität" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2015

Acinetobacter baumannii
"Keime sind die Realität"

Dirk Schnack sprach mit Dr. Bärbel Christiansen


Das multiresistente Bakterium am Campus Kiel hielt das UKSH wochenlang in Atem. Eine vollständige Sicherheit kann es nicht geben.


Eine Pressemeldung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) vom 23. Januar löste Verwirrung bei den Medien aus. Die Infektion von zwölf Patienten mit einem MRGN-Keim am Campus Kiel wurde mitgeteilt. Auf Nachfrage erfuhr die Öffentlichkeit, dass der gramnegative Acinetobacter baumannii auch bei verstorbenen Patienten nachgewiesen wurde. Die Zahl der Patienten, bei denen das multiresistente Bakterium nachgewiesen wurde, kletterte bis Monatsende auf 31. Das UKSH stand wochenlang im Rampenlicht und musste Nachfragen aus ganz Deutschland beantworten. Im Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt nahm Dr. Bärbel Christiansen, Leiterin der Zentraleinheit Interne Krankenhaushygiene am UKSH, Stellung zu den Vorfällen. Mit Christiansen sprach Dirk Schnack.


SHÄ: Frau Dr. Christiansen, was hat zum Ausbruch des Erregers in Kiel geführt?

Bärbel Christiansen: Wir haben im Dezember einen in Schleswig-Holstein lebenden Mann aufgenommen, der nach einem Unfall im Urlaub in der Türkei von einem Krankenhaus vor Ort zu uns verlegt wurde. Der Mann war schwerkrank und musste bei uns intensivmedizinisch behandelt werden. Unsere vier Einzelzimmer auf der internistischen Intensivstation waren zu diesem Zeitpunkt belegt, sodass er in einem Dreibettzimmer untergebracht werden musste. Uns wurde aus der Türkei mitgeteilt, dass bei dem Patienten keine besorgniserregenden Keime festgestellt wurden. Wir haben daraufhin die erforderliche Diagnostik veranlasst und wussten rund eine Woche später, dass der Patient Träger des Erregers Acinetobacter baumannii ist. Bei einer nächtlichen Notoperation des Patienten vom 19. auf den 20. Dezember muss es dann zu einer Ausbreitung des Keims gekommen sein. Es ist anzunehmen, dass in der Hektik dieser Situation die Hygienevorschriften nicht eingehalten werden konnten, weil das Leben des Patienten auf dem Spiel stand.

Wann hat das UKSH welche Maßnahmen ergriffen?

Christiansen: Die Mikrobiologie hat uns umgehend vom Befund unterrichtet und wir haben daraufhin alle in einem solchen Fall erforderlichen Hygienemaßnahmen ergriffen. Die Kontaktpersonen aus dem Dreibettzimmer wurden ermittelt und isoliert. Nachdem am 23. Dezember der Erreger bei einem zweiten Patienten nachgewiesen wurde, galt dies für uns schon als Häufung. Wir haben deshalb am 24. Dezember das zuständige Gesundheitsamt eingeschaltet.

Hätte der Ausbruch verhindert werden können?

Christiansen: In der Theorie sicherlich - aber man muss die Realitäten sehen, unter denen in einem Krankenhaus der Maximalversorgung unter meist hohem Zeitdruck Entscheidungen getroffen werden müssen, um Leben zu retten. Dabei kann es zu Situationen kommen, in denen man nicht alle hygienischen Maßnahmen einhalten kann. Keime an Kliniken sind Realität. Das war vorher so und wird auch künftig so sein. Eine 100-prozentige Sicherheit kann es leider nicht geben. Wenn wir schon vor der Verlegung des Patienten informiert gewesen wären, hätten wir anders reagieren können. Allerdings muss auch bedacht werden, dass die Kapazitäten an Isolationszimmern in der Region Kiel sehr begrenzt sind. Natürlich würde ich mir mehr Isolationszimmer am UKSH wünschen.

Ist die oft kritisierte Personalstärke in der Pflege und bei den Reinigungskräften ein Risikofaktor?

Christiansen: Das kann ein Risikofaktor sein. Generell sind für die Einhaltung der Hygienevorschriften die Disziplin des Personals und die baulichen Voraussetzungen wichtige Faktoren. Dafür muss genügend Personal vorhanden sein.

Wie will das UKSH das Vertrauen der anderen Kliniken und der einweisenden Ärzte zurückgewinnen?

Christiansen: Indem wir weiterhin transparent und offen reagieren und mit zu einer Versachlichung beitragen. Es kursieren Ausdrücke wie "Seuchenherd", die einfach richtig zu stellen sind. Der Ausbruch des Erregers war auf zwei Bereiche der Intensivstation begrenzt. Alle anderen Bereiche des UKSH sind risikolos zu betreten, für die Patienten bestand und besteht keine Gefahr der Übertragung.Wir haben deshalb im Januar auch die breite Öffentlichkeit mit Antworten auf die wichtigsten Fragen in Zusammenhang mit Acinetobacter baumannii versorgt und am 29. Januar eine Informationsveranstaltung auf dem Campusgelände für die Bevölkerung angeboten. Wir haben klargemacht, dass ein Risiko für schwerkranke Menschen, nicht aber für gesunde besteht.

Welche Lehren zieht das UKSH aus dem Vorfall?

Christiansen: Wir werden keine grundsätzlichen Änderungen an unserem Hygiene-Regime vornehmen. Als Vorsitzende der KRINKO (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Instituts RKI) habe ich beim Vorstand des UKSH stets ein offenes Ohr für die Hygienevorschriften, die bei uns lückenlos umgesetzt werden. Prüfen werden wir, ob wir die interne Kommunikation verbessern können, so dass in Ausnahmesituationen wie der Notoperation noch einmal zusätzlich gewarnt wird. Für MRSA beispielsweise haben wir einen solchen Alert in der Gesundheitsakte, das prüfen wir nun auch für diesen Erreger. Bauliche Veränderungen werden ebenfalls angegangen. Wenn es räumlich weniger beengt ist, fällt es sicherlich leichter, die Hygienevorschriften auch in Ausnahmefällen einzuhalten.

Keine Änderung am Hygiene-Regime in Kiel

Gibt es generell ausreichend Hygieneexperten in Deutschland und wie ist die Situation am UKSH?

Christiansen: Unter jungen Kollegen ist ein zunehmendes Interesse an unserem Fach zu beobachten. Das ist auch nachvollziehbar, weil wir alle klinischen Fächer überschauen und weil die Bedeutung der Hygiene durch Fälle wie jetzt in Kiel immer bewusster wird. Unsere Personalsituation am UKSH ist gut. Ich arbeite in Kiel und in Lübeck mit jeweils sechs Hygienefachkräften. In Kiel stehen mir 2,5 und in Lübeck drei ärztliche Kollegen zur Seite.

Ab 2016 ist vorgeschrieben, dass an größeren Krankenhäusern jeweils ein Facharzt für Krankenhaushygiene vorgehalten werden muss. Genügt das?

Christiansen: Ja, das ist ausreichend. Die Politik setzt damit die Forderungen der KRINKO um.

Was können die Gesellschaft und jeder Einzelne tun, um das Risiko für die Verbreitung eines solchen Erregers zu verringern?

Christiansen: Natürlich sollte jeder Einzelne auf die individuelle Hygiene achten, also regelmäßig Hände waschen und Lebensmittel einwandfrei zubereiten. Auch sollte niemand unnötig beim Arztbesuch auf die Verordnung von Antibiotika drängen und dann, wie es oft geschieht, die Einnahme entgegen der ärztlichen Vorgabe mittendrin abbrechen. Das begünstigt, dass Erreger resistent werden können. Problematisch ist aus meiner Sicht der Umgang mit Antibiotika in einigen südeuropäischen Ländern, wo zum Teil eine unkontrollierte Vergabe stattfindet. Ich halte es für bedenklich, wenn Antibiotika im Supermarkt gekauft werden können und die Einnahme ohne ärztlichen Rat erfolgt.

Vielen Dank für das Gespräch.


Dr. Bärbel Christiansen ist Chefin der Krankenhaushygiene am UKSH und Vorsitzende der KRINKO des Robert Koch-Instituts.


Randspalte

4 Einzelzimmer gibt es auf der internistischen Intensivstation am Campus Kiel.

12 weitere Betten der Intensivstation stehen in räumlich beengten Dreibettzimmern.

6 Hygienefachkräfte und 2,5 Arztstellen zählen neben der für beide Standorte verantwortlichen Dr. Bärbel Christiansen zur Hygieneabteilung in Kiel.

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KONSEQUENZEN AUS DER KRISE

Bis Redaktionsschluss war die Krise am UKSH noch nicht bewältigt, es zeichnete sich aber eine Stabilisierung ab. Für eine Entwarnung war es noch zu früh. Politisch dürfte die Krise nachwirken. Die Opposition im Kieler Landtag kritisierte neben dem UKSH-Vorstand auch Gesundheitsministerin Kristin Alheit. Die forderte, zunächst die Krise zu bewältigen und dann über Konsequenzen zu beraten. Eine davon könnte eine bauliche Interimslösung am UKSH sein. Um nicht bis zur Fertigstellung des Neubaus warten zu müssen, kann sie sich Zwischenlösungen wie etwa die Auslagerung einzelner Bereiche in Container vorstellen. Die dafür erforderlichen Mittel werden nach Angaben der Ministerin bereitgestellt. Auf Bundesebene will sie erweiterte Screening-Verfahren und Änderungen am Meldeverfahren ins Gespräch bringen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201502/h15024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Dr. Bärbel Christiansen ist Chefin der Krankenhaushygiene am UKSH und Vorsitzende der KRINKO des Robert Koch-Instituts.
- Das UKSH informierte vergangenen Monat regelmäßig die Öffentlichkeit.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Nr. 2/2015, Februar 2015, Seite 12 - 13
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2015

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