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INFEKTION/1821: Warme Ostsee erhöht das Vibrio-Risiko (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2019

Vibrionen
Warme Ostsee erhöht das Vibrio-Risiko

von Prof. Helmut Fickenscher


Das Infektionsrisiko durch Vibrionen steigt mit der Wassertemperatur. Bei Verdacht auf eine akute Vibrio-Infektion sollte unverzüglich eine mikrobiologische Diagnostik und Therapie erfolgen.

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Ab einer Wassertemperatur von 20° C wird das Bakterium der Gattung Vibrio deutlich aktiver. Menschen mit offenen Wunden und einem geschwächten Immunsystem sollten ab dieser Temperatur beim Baden im Meer vorsichtig sein. Ärzte sollten die Möglichkeit einer akuten Vibrio-Infektion in Betracht ziehen.
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Im Sommer des vorigen Jahres sorgte eine mögliche Infektionsgefährdung durch Vibrionen aus der Ostsee für Beunruhigung unter Urlaubern an der Küste. Der sommerliche Nachweis von Vibrionen im Nord- und Ostseewasser ist zwar ein Normalbefund und kein Grund für ein allgemeines Badeverbot. Ältere Patienten mit Immunsuppression und/oder chronischen Erkrankungen bei Vorliegen offener Wunden sollen den Meerwasserkontakt allerdings meiden. Bei Wundinfektionen oder Sepsisverdacht nach sommerlichem Baden im Meer muss die Möglichkeit einer akuten Vibrio-Infektion berücksichtigt werden und eine unverzügliche mikrobiologische Diagnostik und Antibiotikatherapie erfolgen. Folgende Fakten in Zusammenhang mit Vibrionen sind zu beachten:

• Erreger: Vibrionen sind halophile (Salz liebende) Gram-negative Bakterien, die Toxine bilden können. Vibrio vulnificus ist in diesem Zusammenhang die wesentlichste Spezies. Zusätzlich kommen Vibrio parahaemolyticus und sogar Vibrio cholerae infrage, bei denen aber das Gen für das Choleratoxin nicht nachweisbar ist und somit keine Choleragefahr besteht. Die Erreger werden bei Patienten vor allem aus Blutkulturen und aus Kulturen von Wundabstrichen nachgewiesen.

• Vorkommen: Diese Vibrionen sind weltweit verbreitet, besonders im Brackwasser, wo Meerwasser durch Süßwasser verdünnt wird und somit ein relativ niedriger Salzgehalt vorliegt. Dies liegt im Bereich von Flussmündungen, Förden, Fjorden und Bodden vor. Zur effizienten Vermehrung der Vibrionen im Wasser sind Temperaturen von mindestens 20°C notwendig. An der Ostseeküste unterstützt die niedrige Wassertiefe an den Stränden die schnelle Erwärmung des Wassers. Da Vibrionen im Sommer bei ausreichender Temperatur an der Ostsee- und Nordseeküste normalerweise nachweisbar sind, kann man generell davon ausgehen, dass beim Baden eine Exposition mit Vibrionen erfolgt.

• Übertragung: Die Übertragung von Vibrionen auf Menschen erfolgt durch Badewasser in offene Wunden. An Steinen oder Muschelschalen können beim Baden oberflächliche Schnittverletzungen entstehen, in die Vibrionen eindringen können. Auch bei der Verarbeitung von Muscheln ist über Schnittverletzungen und bei Verzehr roher Meeresfrüchte die Übertragung möglich.

• Risikopersonen: Als gefährdet gelten ältere Patienten mit Immunsuppression, Patienten mit medikamentöser Krebstherapie oder mit chronischen Erkrankungen der Leber, des Herzens oder mit Diabetes mellitus, bei denen offene, nicht heilende Wunden vorliegen und die mit Meerwasser Kontakt haben. Für Kinder, Schwangere oder Menstruierende ist dagegen kein erhöhtes Risiko bekannt.

In Süddeutschland ist die Annahme weit verbreitet, die Heilung offener chronischer Wunden werde durch das Baden in Nordsee- oder Ostseewasser gefördert. Diese Annahme ist möglicherweise in Analogie zum Baden im Toten Meer entstanden. Zur Förderung der Wundheilung durch Nordsee- oder Ostseewasser liegen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, aber die Gefährdung von Risikopersonen durch das Baden mit offenen Wunden ist eindeutig.

• Erkrankungen: Durch Vibrionen werden seltene, sporadische Erkrankungsfälle vor allem bei immungeschwächten Risikopersonen mit offenen Wunden und Meerwasserkontakt hervorgerufen, besonders bei Männern. Infolge von Wundinfektionen kommt es zu Hautulzera und Blasenbildung. Die lokale Infektion kann rasch fortschreiten und zu tiefen Nekrosen führen, sodass die Amputation von Fingern oder Zehen notwendig werden kann. Bei Übertritt in das Blut kann sich rasch eine Sepsis mit hoher Letalitätsrate entwickeln. Nach Verzehr roher Meeresfrüchte sind Verläufe als Sepsis oder Gastroenteritis möglich. Bei Verdacht soll nach der Materialgewinnung (Wundabstriche, Blutkulturen) und vor Erhalt des mikrobiologischen Befundes unverzüglich eine Antibiotika-Therapie mit Drittgenerations-Cephalosporinen, Doxycyclin oder auch Chinolonen begonnen werden.

Folgende Maßnahmen sind zu empfehlen:

1. Gefährdete Personen mit offenen Wunden sollen im Meerwasser weder baden noch waten.

2. Gefährdete Personen mit Immunsuppression oder Diabetes sollten auch ohne offene Wunden nur gegarte Meeresfrüchte verzehren.

3. An Badestellen sollten die Betreiber auf das Infektionsrisiko für besonders gefährdete Personen hinweisen.

4. Umweltuntersuchungen sind nicht relevant, da es sich bei dem Vibrio-Nachweis aus dem Meerwasser im Sommer um einen Normalbefund handelt und Grenz- oder Maßnahmenwerte nicht definiert werden können.

5. Eine Meldepflicht liegt zwar nicht vor; Erkrankungsfälle mit dem Nachweis von Vibrionen sollten aber als "weitere bedrohliche Krankheit" nach IfSG § 6 Absatz 1, 2 Nr. 5 an das Gesundheitsamt gemeldet werden, sodass ein bundesweiter Überblick generiert werden kann. Weiterhin ist von einer starken Untererfassung auszugehen.


Prof. Helmut Fickenscher, Institut für Infektionsmedizin mit Medizinaluntersuchungsamt und Landesmeldestelle, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und UKSH, Kiel


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201907/h19074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juli - August 2019, Seite 35
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2019

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