Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → KRANKHEIT


INFEKTION/1884: Long COVID - Geheilt, aber nicht gesund (Securvital)


Securvital 4/21 - Oktober-Dezember 2021
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Long COVID - Geheilt, aber nicht gesund

Ständige Erschöpfung, Atemnot, Depressionen oder ernste Stoffwechselstörungen:
Die langfristigen Folgen einer Coronainfektion machen vielen Menschen zu schaffen.

Von Astrid Froese


Spitzensportler greifen zum Rollator, Topmanager werden langzeitkrank. Kerngesunde Erwachsene sind genauso betroffen wie Kinder und Jugendliche - sie alle erkennen ihren Körper nicht wieder. Das Post-Covid-19-Syndrom, kurz Long Covid, beschreibt ein komplexes Krankheitsbild aus körperlicher und mentaler Erschöpfung, das mit einer Coronainfektion einhergeht.

Die Betroffenen befällt bleierne Müdigkeit (Fatigue) und Antriebsschwäche. Kleinste alltägliche Handlungen wie Anziehen oder Treppensteigen fallen schwer, Konzentrationsschwäche und Erinnerungsverlust plagen die Menschen. Sie haben Kopfschmerzen oder schlafen schlecht, schmecken oder riechen nichts mehr. Hinzu kommen Kreislaufprobleme, Muskelschmerzen, Herzrasen, Schwitzen, Schwindel - kurz gesagt: Die Menschen fühlen sich um Jahrzehnte gealtert. "Mir fehlt die Kraft für alles", berichtet eine 38-jährige Pflegerin. "An guten Tagen schaffe ich es, den Geschirrspüler auszuräumen, an schlechten geht gar nichts. Im Moment macht alles mein Mann. Ich wohne im dritten Stock und schaffe es zweimal pro Woche in den Garten, weil ich nicht weiß, wie ich danach wieder raufkomme."

Vieles noch unerforscht

Long-Covid-Symptome treten bei manchen Patienten bereits in der akuten Krankheitsphase auf und können über Monate bestehen bleiben. In anderen Fällen vergehen nach der Erkrankung mehrere Wochen oder Monate beschwerdefrei, bevor sich wie aus dem Nichts Symptome einstellen. Dabei ist es grundsätzlich nicht ungewöhnlich, dass Infektionskrankheiten Körper schwächen und die Erholungsphase auch mal länger dauert. Doch Long Covid hat ein rätselhaftes, erschreckendes Profil. Experten warnen denn auch, die körperlichen wie psychischen Langzeitfolgen zu unterschätzen.

Erste Studien zeigen, dass ein schwerer Krankheitsverlauf die Wahrscheinlichkeit von Langzeitfolgen erhöht. Auch ein hohes Alter, Adipositas sowie Vorerkrankungen von Herz und Lunge sollen laut Robert-Koch-Institut (RKI) zu den Risikofaktoren zählen. Zudem seien Frauen unabhängig vom Alter überdurchschnittlich stark betroffen.

Gut 3,9 Millionen Menschen haben sich nach Angaben des RKI seit Beginn der Pandemie in Deutschland mit dem Coronavirus infiziert (Stand: Ende August), 3,7 Millionen gelten als genesen. Wie viele von ihnen unter langfristigen Auswirkungen leiden, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von circa 10 Prozent der Infizierten aus. Einzelne Experten sehen einen wesentlich höheren Anteil.

Dabei trifft es sowohl Menschen mit schwerem Krankheitsverlauf als auch Infizierte, die weitgehend symptomfrei waren. Eine Untersuchung der Universitätsklinik Ulm hat die Corona-Spätfolgen bei ihren Patienten untersucht und bei 20 Prozent von ihnen Organschäden an Lunge, Herz und Gefäßen gefunden. Der größte Teil der übrigen Patienten fühlte sich weniger belastbar als vor der Erkrankung, sagt Dominik Buckert, betreuender Oberarzt der Spezialambulanz für Covid-Spätfolgen.

Lage bei Kindern unklar

Sorge bereitet Medizinern, dass dies auch jüngere Menschen betrifft. "Wir sehen in der Nachsorge, im Reha-Bereich, dass der Bedarf extrem wächst und erschreckenderweise dass es nicht nur alte Patienten sind, sondern zunehmend junge Patienten, die dann weitere Symptome entwickeln", berichtet Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien an der Median-Rehaklinik Heiligendamm. Patienten "im Alter von 20 bis 50 vielleicht", die einen leichten bis mittelschweren Akutverlauf hatten, ohne Krankenhausaufenthalt, und erst ein bis vier Monate nach der Erkrankung wieder Symptome bekommen.

Wie ausgeprägt Kinder von Long Covid betroffen sind, ist noch unklar. In mehreren Ländern nachgewiesen sind selten auftretende, aber schwere Fälle des sogenannten "Multisystem Inflammatory Syndrome", kurz MIS. Dabei kommt es zwei bis vier Wochen nach der Coronainfektion zu einer heftigen Immunreaktion. Die Kinder leiden dann unter hohem Fieber, Gelenkbeschwerden, instabilem Kreislauf, Hautausschlag, Bauchschmerzen und Übelkeit. Dabei weisen sie erhöhte Entzündungswerte ohne erkennbare Ursache auf.

Noch sind die Ursachen für Long Covid nicht abschließend geklärt. Anders als zunächst angenommen, gleicht Covid-19 nicht einer Lungenentzündung, sondern eher einer Blutvergiftung, sagt Andreas Stallmach von der Post-Covid-Ambulanz in Jena. Da die Krankheit das gesamte Gefäß- und Immunsystem angreift, können auch überall im Körper Beschwerden zurückbleiben oder neu auftreten.

Forscher des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts in Erlangen haben eine Ursache gefunden: In Untersuchungen von Blutproben in einem eigens entwickelten Gerät konnten sie Veränderungen der Blutkörperchen infolge der Coronainfektion nachweisen. Durch die Verformung der roten Blutkörperchen verschlechtere sich die Blutzirkulation und mit ihr die Sauerstoffzufuhr. Dies würde Thrombosen und Embolien der Lunge erklären. Auch die weißen - für die Immunabwehr zuständigen - Blutkörperchen zeigten sich bis zu sieben Monate lang verändert. Dies erkläre die bislang bekannten Symptome wie Atemnot, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen sowie den Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns, so die Wissenschaftler in ihrer Erklärung. Diagnostizieren lässt sich Long Covid möglicherweise auch über einen Bluttest. Im Unterschied zu Menschen, die sich nie infiziert oder schnell erholt hatten, weisen Long-Covid-Patienten in ihrem Blut sogenannte Autoantikörper auf, wie Forscher des Imperial College London zeigen konnten.

Medikamente oder wirksame Therapien stehen derzeit noch keine zur Verfügung. Und selbst vor einer Reha scheuen manche Patienten zurück: "Dafür habe ich derzeit einfach nicht genug Kraft", bekennt die betroffene Pflegerin.


Anfang Texteinschub
Weitere Infos

Wer Wochen nach einer Coronainfektion Krankheitssymptome bei sich feststellt, die den Alltag erschweren, sollte sich an einen Arzt oder eine Spezialambulanz wenden, wie sie von vielen Kliniken derzeit eingerichtet werden. In ihnen arbeiten Neurologen, Internisten, Psychiater, Hals-Nasen-Ohren- und Augenärzte zusammen. Auf der Website "Long Covid Deutschland" finden Betroffene ein Verzeichnis von Ambulanzen sowie weiterführende Informationen.
Ende Texteinschub


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Manche Patienten mit Long Covid können monatelang nicht arbeiten.

*

Quelle:
Securvital 4/21 - Oktober-Dezember 2021, Seite 16-17
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH -
Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte
Lübeckertordamm 1-3, 20099 Hamburg
Telefon: 040/38 60 800
E-Mail: presse@securvita.de
Internet: www.securvita.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Oktober 2021

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang