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AIDS/776: Frauenrechte und HIV/AIDS 2010 (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 111, 1/10

"Rights Here, Right Now"
Frauenrechte und HIV/AIDS 2010

Von Claudia Thallmayer


Weltweit leben an die 33 Mio. Menschen mit HIV/AIDS und die Ausbreitung der Krankheit wurde bislang noch nicht gestoppt. Welche Fragen dies für Gesundheitssysteme weltweit, für die Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd und für die geschlechtliche Arbeitsteilung bei Pflege und Betreuung von Kranken und Waisenkindern aufwirft, analysiert WIDE-Koordinatorin Claudia Thallmayer anlässlich der im Juli 2010 in Wien stattfindenden Welt-AIDS-Konferenz.


"AIDS IS NO LONGER JUST A DISEASE, IT'S A HUMAN RIGHTS ISSUE!"
(Nelson Mandela, 2003)

Jahre später hat diese Erkenntnis nichts an Bedeutung eingebüßt: HIV/AIDS ist trotz der seit den 1990er Jahren erreichten Behandelbarkeit (wenn auch nicht Heilbarkeit) eine besondere Krankheit geblieben, die in hohem Maß mit Stigma und Diskriminierung verbunden ist. Das hängt wesentlich damit zusammen, dass HIV/AIDS vor allem sexuell übertragen wird oder durch unsaubere Nadeln beim intravenösen Drogengebrauch. Sex, Drogen und Tod - diese Kombination ist höchst angstbesetzt, tabuisiert, mit Schuldzuweisungen behaftet, wird medial stark skandalisiert und resultiert in Verdrängung und der Stigmatisierung Betroffener.

Dabei ist HIV/AIDS vor allem in den ärmeren Ländern mitten in der Gesellschaft angelangt und betrifft keineswegs nur "Randgruppen". Der Trend der Feminisierung von HIV/AIDS zeigt das überaus deutlich: Frauen machen heute die Hälfte der geschätzten 33 Mio. Menschen mit HIV/AIDS aus; im südlichen Afrika sind es gar 60%.


Eine Machtfrage

Die weiterhin fortschreitende Ausbreitung von HIV/AIDS - laut UNAIDS(1) gab es 2008 circa 2,7 Mio. Neuinfektionen - steht in gesellschaftlichen Zusammenhängen von Macht und Profit, Armut und Prostitution, der Ernährungssituation, (Bürger-)Kriegen und sexueller Gewalt gegen Frauen, ungenügendem Zugang zu Bildung und Gesundheitseinrichtungen, Diskriminierung homosexueller Menschen sowie mangelnder Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Benachteiligung von Mädchen und Frauen.

Auch die Handelsbeziehungen und das Nord-Süd-Verhältnis spielen eine Rolle in der Frage der Ausbreitung oder Eindämmung der Krankheit. Durch TRIPS (Teil der WTO-Verträge zu geistigen Eigentumsrechten) wurden die Schwellenländer - also industrialisierte Entwicklungsländer wie Brasilien und Indien - gezwungen, ihr Patentrecht an jenes der Industrieländer anzupassen, wodurch Produktion und Export von Generika erschwert wurden.


Behandlungsmöglichkeiten und Hindernisse

Günstige Medikamente - für den Einsatz in Entwicklungsländern unentbehrlich - gab es in der Vergangenheit vor allem aufgrund der Konkurrenz durch Generika. Für die Behandlung von HIV/AIDS ist zudem wichtig, dass auch neuere Medikamente in Entwicklungsländern rasch zur Verfügung stehen. In den letzten Jahren konnte dank internationaler Anstrengungen der Zugang zur Behandlung massiv ausgeweitet werden: Laut WHO hatten Ende 2008 rund vier Mio. Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern Zugang zu den lebensrettenden antiretroviralen Medikamenten, das entspricht insgesamt 42% all jener, die eine Therapie benötigen - ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zur Situation vor einigen Jahren!

Dennoch: Geschätzte fünf Mio. Menschen bräuchten derzeit ebenfalls Behandlung, haben aber noch keinen Zugang dazu. Zudem ist HIV/AIDS eine Krankheit, die lebenslang behandelt werden muss. Das bedeutet, dass auch langfristig Mittel und Betreuung vorgesehen und garantiert werden müssen.


Stagnation durch Krise

Derzeit stellt die Wirtschaftskrise eine massive Bedrohung für die - trotz schwieriger Bedingungen - bisher erreichten Fortschritte dar. Laut einem UNAIDS/Weltbank-Report sehen sich acht Länder mit einer beginnenden Medikamenten-Knappheit und Unterbrechungen ihrer HIV/AIDS-Programme konfrontiert. In Uganda werden derzeit aufgrund fehlender Mittel keine neuen PatientInnen mehr in Behandlungsprogramme aufgenommen. Kürzungen der Mittelausstattung internationaler Fonds lassen auch befürchten, dass der notwendige Zugang zu neueren Medikamenten und medizinischen Laboreinrichtungen stagniert, ebenso wie für die familiär oder kommunal (vor allem von Frauen) geleistete Betreuung von Kranken und verwaisten Kindern.


Lösungsvorschläge

Mehr Mittel für öffentliche klinische Forschung wäre ein Lösungsansatz, um die teuren Patentregelungen zu umgehen. Ein anderer/ergänzender ist die Einspeisung von Patenten in einen Pool: So engagieren sich "Ärzte ohne Grenzen" derzeit dafür, dass ein im Dezember 2009 im Rahmen von UNITAID eingerichteter "Patente-Pool" zu einem wirkungsvollen Instrument wird. Die Idee: Pharmafirmen - sowie öffentliche Forschungseinrichtungen - stellen gegen Lizenzgebühr ihre Patente armen Ländern zur Verfügung, sodass auf dieser Basis die Generika-Produktion ermöglicht und angekurbelt wird.(2)

Medizinische Betreuung ist nicht alles - aber sie ist ein Eckpfeiler im Kampf gegen HIV/AIDS. Ohne Behandlung keine Perspektive - wozu sich testen lassen, wenn es keine Perspektive auf Weiterleben gibt, sondern der/die Betreffende nur ein Todesurteil erfährt? Behandlungen senken auch das Übertragungsrisiko - ein oft vergessener Aspekt, wenn aus Kostengründen auf Prävention durch Aufklärung ohne eine Behandlungsoption gesetzt wird. Auch die weltweite Zunahme von Tuberkulose steht in Zusammenhang mit der Ausbreitung von HIV/AIDS und kann wohl nur gemeinsam erfolgreich bekämpft werden. Da HIV/AIDS vor allem Menschen in der (re-)produktiven Phase ihres Lebens betrifft, bedeutet das Überleben von Erwachsenen auch, dass Kinder ihre Eltern nicht verlieren. Neben dem Fokus auf die Behandlung der Krankheit braucht es aber auch einen breiten Ansatz, der die Dimension der Geschlechterungleichheit einbezieht, auf das Empowerment von Frauen setzt und unterschiedliche AkteurInnen im Gesundheitsbereich besser vernetzt.


Betroffene einbeziehen

"Rechte hier und jetzt - Rights Here, Right Now!" ist das Motto der diesjährigen Welt-AIDS-Konferenz, die vom 18. bis 23. Juli 2010 in Wien stattfinden wird.(3) Damit wird die Frage aufgeworfen, wie es um den Zugang "verletzlicher" Gruppen zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten steht. Hat sich das offizielle Österreich jemals mit der UNAIDS-Forderung "GIPA - greater involvement of people living with or affected by HIV/AIDS" beschäftigt? Wie kommen Frauen, Sexarbeiterinnen, Migrantinnen zu Wort? Welche Antidiskriminierungsmaßnahmen werden gesetzt? Welche Antworten können auf die ungeheure Belastung gefunden werden, die vor allem auf Mädchen und Frauen in den armen Ländern drückt, wenn Angehörige krank werden und sterben? Gibt es Geld für kommunale Pflegeleistungen und die Betreuung von Waisenkindern? Welchen Beitrag leistet Österreich, um dem Personalengpass im öffentlichen Gesundheitswesen in Entwicklungsländern entgegen zu wirken? Inwiefern werden Frauenorganisationen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt, Zugang zu den Mitteln internationaler Fonds zu finden und in ihre Beratungsarbeit zu sexueller und reproduktiver Gesundheit auch die psychosoziale Betreuung HIV-positiver Frauen einzubeziehen?


Ausblick

Die in Wien stattfindende Konferenz wird für alle Interessierten spannende Möglichkeiten zum Austausch mit internationalen Initiativen bieten, die die Welt-AIDS-Konferenz nutzen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. In Österreich wurde 2008 das Netzwerk "Frauen und AIDS" gegründet, um die Anliegen HIV-positiver Frauen hierzulande sichtbar zu machen und frauenspezifische Präventionsarbeit zu stärken.(4) Österreich wird sich als Gastgeberin der Welt-AIDS-Konferenz die Frage gefallen lassen müssen, ob es einen seiner Wirtschaftskraft entsprechenden Beitrag an internationale Programme zur Bekämpfung von HIV/AIDS leistet und den Ruf nach "Rechte hier und jetzt!" ernst nimmt!


Anmerkungen:

(1) Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS

(2) Ärzte ohne Grenzen, www.aerzte-ohne-grenzen.at/pushforthepool

(3) Siehe www.aids2O10.org

(4) Siehe www.frauenundaids.at


Zur Autorin:

Claudia Thallmayer ist Koordinatorin des Netzwerkes WIDE - Women in Development Europe (Österreich) (www.wide-netzwerk.at). Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 111, 1/2010, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2010