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ARTIKEL/378: Medizinisch-chemische Forschung - Neue Ansätze für bessere Medikamente (idw)


Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. - 05.03.2009

Medizinisch-chemische Forschung heute

Neue methodische Ansätze für bessere Medikamente


Chemiker entwickeln neue Medikamente heute auf Basis dezidierter Kenntnisse über die im Körper ablaufenden molekularen Mechanismen, die biochemischen Reaktionen. Dabei hat es in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Zugewinn an Erkenntnissen gegeben. Wie nicht anders zu erwarten, ist der menschliche Organismus derart komplex, dass ein Laie ihn nicht mehr durchschauen kann und die Wissenschaftler noch vor vielen ungelösten Rätseln stehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Erforschung neuer, gut wirksamer Medikamente sehr zeitaufwändig und mit vielen Rückschlägen verbunden ist.

Drei wissenschaftliche Gesellschaften, jeweils mit ihren Fachgruppen Medizinische Chemie, nämlich die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) und die Schweizerische Chemische Gesellschaft (SCG), wollen in der jährlichen Tagung "Frontiers in Medicinal Chemistry" wichtige Forschungsfelder sowie zahlreiche neue therapeutische und methodische Ansätze aufzeigen, über die Spitzenwissenschaftler aus aller Welt berichten. In diesem Jahr ist das Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie der Universität Heidelberg vom 15.bis 18. März Gastgeber der Tagung, zu der über 200 medizinische Chemiker, Biochemiker und Pharmazeuten erwartet werden. Sie wollen von dem großen Anwendungsbezug der Themen und dem Gedankenaustausch zwischen universitärer und industrieller Forschung profitieren.

Zu den thematischen Schwerpunkten der Tagung zählen neue Substanzklassen, die aktuell in die klinische Prüfung gelangen und in Zukunft die Therapiemöglichkeiten verbessern sollen. Es werden neue Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Entzündungsmechanismen und atherosklerotischen Erscheinungen sowie neue Therapeutika bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems vorgestellt. Es werden auch neue Target-Klassen im Zentrum der Diskussion stehen, das sind Proteine im Körper, auf die Wirkstoffe zielgenau einwirken müssen, um Erkrankungen zu unterbinden.

In den Fokus rücken hier immer mehr die Proteinkinasen, das ist eine Enzymfamilie, bestehend aus mehreren 100 Proteinen, die unzählige Reaktionen im Körper steuern, beispielsweise die Abwehrreaktionen gegen Implantate. Das Immunsystem des Körpers, genauer seine T-Zellen greifen diese "Fremdkörper" an und wollen sie vernichten. Ein Medikament muss also die Immunabwehr unterdrücken, in geeigneter Weise die Aktivität der T-Zellen hemmen (inhibieren), um die oftmals lebensnotwendigen Implantate zu schützen.

Bereits auf dem Markt befinden sich Calcineurin Inhibitoren, die verhindern, dass T-Zellen aktiviert werden. Weil sie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden müssen, schädigen sie aber die Nieren und das Herz-Kreislauf-System. Daher werden jetzt andere Wirkstoffe erforscht, die T-Zellen "ruhen" lassen, indem sie die Proteinkinase-C-Isoformen (PKC), das ist quasi eine Teilfamilie der Proteinkinasen, inhibieren. Auch bei diesen Substanzen handelt es sich um niedermolekulare Substanzen (LMW, low molecular weight). Auf der Tagung werden erste Fallstudien bezüglich ihrer Wirkweise und Wirksamkeit vorgestellt.

Proteinkinase-Inhibitoren werden auch zur Krebsbekämpfung erforscht; denn Proteinkinasen katalysieren die im Körper äußerst wichtigen und vielseitigen Phosphat-Übertragungsreaktionen, die beispielsweise in so genannten Signalkaskaden ablaufen, durch die Zellwachstum, Zelldifferenzierung, Zellstoffwechsel und Antworten der Zelle auf Entzündungen ermöglicht und gesteuert werden. Zahlreiche Inhibitoren von Proteinkinasen werden zur Behandlung von Krebserkrankungen bereits in der Klinik eingesetzt oder befinden sich in der klinischen Prüfung.

Bevor es soweit war und auch für weitere Entwicklungen mussten und müssen die Wissenschaftler die strukturellen und mechanistischen Grundlagen für die Proteinkinase-Inhibition erforschen. Dabei zeigte sich, dass die Inhibitoren auf die Stellen der Kinasen zielen, an denen sich ATP (Adenosintriphosphat)-Moleküle anlagern, aus denen dann eine Phosphatgruppe abgespalten wird. Dabei spielen die Konformationen der Kinasen eine wichtige Rolle. Diese Konformationen können sich offenbar so verändern, dass es auch zu Resistenzen gegenüber dem Wirkstoff kommen kann. Ein ganz wichtiger neuer Aspekt ist zudem, dass das gesamte Proteingerüst der Kinasen, nicht nur die lokalen Kontakte an den Bindungsstellen und ihre Umgebung, eine entscheidende Rolle bei den biochemischen Abläufen spielt. Im Zentrum der Krebsforschung steht übrigens eine andere Teilfamilie der Kinasen als die bereits erwähnten PKC, nämlich die Cyclin abhängigen Proteinkinasen (CDK).

Rund 520 Kinasen sind derzeit bekannt, an die ATP in sehr ähnlicher Weise bindet. Da kann man sich leicht vorstellen, dass es schwer ist, Kinase-Inhibitoren zu synthetisieren, die eine spezifische Wirkung entfalten. In Heidelberg stellen Forscher Tricks und Kniffe vor, wie man zu kleinen, selektiven Molekülen kommt, die mit ATP konkurrieren können. Auch hierzu muss man die Gesamtstruktur der Kinasen genau betrachten oder auch mit der Struktur des Inhibitor-Moleküls spielen, beispielsweise indem man es so starr macht, dass seine Reaktionsfähigkeiten mit den Kinasen begrenzt werden.

Dass die Herausforderung an die Wissenschaft groß ist, zeigt die Tatsache, dass weltweit erst acht Wirkstoffe zugelassen sind, die auf Proteinkinasen zielen und die Phosphat-Übertragung von ATP auf ein Zielprotein hemmen. Die reversible Phosphorylierung, bei der dann auch Phosphatasen als Enzyme ins Spiel kommen, ist die wichtigste Kontrollstrategie für die Abläufe in den Zellen. Wenn diese Strategie nicht mehr greift, funktioniert die Signalübertragung nicht mehr richtig, wodurch nicht nur Krebs, sondern auch Autoimmunerkrankungen, Entzündungen, Schuppenflechte, allergische Reaktionen, neurologische Störungen und Erkrankungen durch hormonelle Störungen entstehen können.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) gehört mit über 28.000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie hat 25 Fachgruppen und Sektionen, darunter die Fachgruppe Medizinische Chemie mit rund 710 Mitgliedern, vornehmlich Chemiker und Pharmazeuten aus Hochschule und Industrie. Die Fachgruppe will Brücken schlagen zwischen Chemie, Biologie, Medizin und Pharmazie. Sie befasst sich gebietsübergreifend mit Fragen der modernen Arzneimittelentwicklung, insbesondere der Wirkstofffindung, der Leitsubstanzoptimierung unter Einbeziehung moderner Technologien wie kombinatorische Synthese, Hochdurchsatz-Screeningsysteme auf der Basis molekularbiologischer Grundlagen, Drug Design, Molecular-Modelling, quantitative Struktur-/Wirkungsanalysen, Pharmakokinetik und Metabolismus.


Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.gdch.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution122

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., Dr. Renate Hoer, 05.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2009

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