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NEBENWIRKUNG/235: Herzinfarkt durch Appetitzügler (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Mittwoch, 19. Mai 2010

Herzinfarkt durch Appetitzügler


fzm - Für eine 32-jährige Frau hätte die Einnahme des Appetitzüglers ReductilR mit dem Wirkstoff Sibutramin beinahe mit dem Tode geendet. Sie musste wegen eines Herzinfarktes in der Klinik behandelt werden. Kein Einzelfall, wie Experten in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010) berichten. Das Medikament sei zu Recht im Januar 2010 vom Markt genommen worden.

Sibutramin dämpft den Appetit in ähnlicher Weise wie die Droge Kokain, mit der es chemisch verwandt ist. Beide blockieren die Wiederaufnahme der Botenstoffe Noradrenalin und Serotonin in bestimmte Nervenendigungen im Gehirn. Der Konzentrationsanstieg der Botenstoffe verstärke dann das Sättigungsgefühl und bewirke so über eine geringere Nahrungsaufnahme einen Gewichtsverlust, berichtet Dr. med. Janine Pöss vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.

Sibutramin und Kokain haben jedoch noch eine weitere Wirkung. Sie verengen Blutgefäße. Häufig hat dies einen Anstieg des Blutdrucks und des Herzschlags zur Folge. Manchmal kommt es sogar zu einem "Verkrampfen" kleiner Blutgefäße, zu denen auch die Koronararterien des Herzens gehören. Dies war bei einer jungen Frau der Fall, die fünf Tage nach der letzten Einnahme von ReductilR heftige Schmerzen hinter dem Brustbein entwickelte. Sie wurde auf der Intensivstation der Uniklinik des Saarlandes behandelt, wo die Ärzte einen Herzinfarkt diagnostizierten.

Für eine junge Frau, die nie geraucht hat, nicht zuckerkrank war und auch sonst keine Risikofaktoren hatte, sei dies eine ungewöhnliche Diagnose, berichten Dr. Pöss und ihre Kollegen. Ungewöhnlich war auch das Ergebnis der Herzkatheteruntersuchung. Bei den meisten Menschen mit Herzinfarkt finden Ärzte Verengungen in den Koronarien, die schnell zum Ausgangspunkt eines Blutgerinnseln werden, das dann den Herzinfarkt auslöst. Bei der jungen Frau waren die Wände der Herzkranzgefäße glatt. Dennoch hatte sie einen Herzinfarkt erlitten. Das zeigten Bewegungsstörungen des Herzmuskels in der Ultraschalluntersuchung sowie ein Anstieg bestimmter Enzyme, die von abgestorbenen Herzzellen ins Blut geschwemmt werden.

Die Ärzte vermuten einen "Koronarspasmus" als Ursache des Herzinfarktes. Die kurzzeitige Verkrampfung in einem Koronargefäß könnte die Blutversorgung des Herzmuskels unterbrochen und zum Absterben einzelner Herzmuskelzellen geführt haben, erläutert Dr. Pöss. Zu vermehrten Herzkreislaufzwischenfällen sei es auch in einer Studie mit etwa 10.000 Patienten gekommen. Die Studienteilnehmer hatten allerdings anders als die Patientin von Dr. Pöss Vorerkrankungen, die einen Herzinfarkt begünstigen. Die Studie hat inzwischen zur Marktrücknahme aller Medikamente mit dem Wirkstoff Sibutramin geführt. Die Medizinerin rät dringend allen Personen, die noch Restbestände des Medikaments besitzen, diese nicht mehr zu verwenden, auch wenn sie herzgesund sind.


J. Pöss et al.:
32-jährige Patientin mit akutem Myokardinfarkt der Hinterwand unter Einnahme des Appetitzüglers Sibutramin.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2010; 135 (19): S. 965-968


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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 19. Mai 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2010