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ARTIKEL/430: Kunst-Voll ... Sammlung Prinzhorn - auch in Berlin? (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 141 - Heft 3, Juli 2013
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Kunst-Voll

Sammlung Prinzhorn - auch in Berlin?


Ein Haus für Außenseiterkunst in der Hauptstadt geplant

Kunsthistoriker, Künstler, Galeristen, Kuratoren, Psychiater und Lehrende der Kunsthochschule Berlin-Weißensee beabsichtigen, mit der Etablierung einer Sammlung von Kunst so genannter Außenseiter (Außenseiterkunst, Art brut, Outsider Art) eine spürbare kulturelle Lücke in der Berliner Kunst- und Museumsszene zu schließen.

Ein Blick zurück

Seit langem konzentriert sich das Thema Außenseiterkunst in Deutschland auf die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg, den weltberühmten Fundus von Kunst, die in Anstalten entstanden ist. Der Kunsthistoriker und Mediziner Hans Prinzhorn hatte vor etwa neunzig Jahren begonnen, in psychiatrischen Heilanstalten, Kliniken und Sanatorien künstlerische Werke zu sammeln und wissenschaftlich in einer Studie auszuwerten. Sein Buch "Bildnerei der Geisteskranken" erschien 1922 und weckte die Neugier vieler Künstler und Kunstinteressierter für die bisher kaum beachteten, oft verblüffend originellen Bildwerke von Menschen, die als "Verrückte" marginalisiert worden waren. Als "Klassiker" wurde die Pionierarbeit weltweit rezipiert, bis heute mehrfach wieder aufgelegt und in verschiedene Sprachen übersetzt. Seit 2001 gibt die Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg in einem eigens eingerichteten Museum mit wechselnden Ausstellungen Einblicke in ihre Bestände von inzwischen mehr als 18.000 Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen und Textilarbeiten. Außerdem werden dort Forschungsfragen um Kunst und Psychiatrie und deren geschichtliche Zusammenhänge wissenschaftlich bearbeitet.

Die Idee

Der Publikumszuspruch für das Museum in Heidelberg ist begeistert und konstant, aber wegen der geografischen Lage begrenzt. Schon seit geraumer Zeit reift daher die Idee, die Ausstellungen der Sammlung regelmäßig auch in Berlin zu präsentieren. Darüber hinaus haben in Berlin in der letzten Zeit einige Institutionen und Vertreter unterschiedlicher Berufsrichtungen verstärkt künstlerisches und wissenschaftliches Interesse an dem komplexen Thema der Außenseiterkunst gezeigt. Initiativen in Form von Symposien, Vortragsreihen und Ausstellungen streben nach Zusammenarbeit, und Kooperationen von Einrichtungen wie einzelnen Museen, der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, der Charité und der Schlosspark-Klinik in Charlottenburg sind geplant.

Einstellungswandel

Nachdem sich seit den 1970er-Jahren mehr und mehr Sammler, Galerien, Kunstmessen, Auktionen und Museen auf den Sektor Außenseiterkunst spezialisiert haben, wird dieser Bereich nun zunehmend in das allgemeine Feld der Kunst integriert. Die Gründe für diesen Boom dürften über die Faszination für das Exotische hinausreichen. Zum einen verliert sich wohl langsam die Scheu vor psychischer Erkrankung; die vielfältigen Anstrengungen zur Reintegration von Psychiatrie-Erfahrenen in die Gesellschaft zeigen Erfolge auch in einem Einstellungswandel. Zum anderen erhalten in einer Zeit, da mehr und mehr Gesellschaftsmitglieder unter wirtschaftlich prekären Umständen zu leben gezwungen sind und Alternativen zu dem krisenhaften Spätkapitalismus suchen, Gegenbeispiele zum herkömmlichen Kulturbetrieb offenbar eine immer größere Bedeutung.

Vor zirka fünfzehn Jahren gab es bereits einmal eine Initiative, die Sammlung Prinzhorn als Ganzes, ersatzweise in Teilen, nach Berlin zu holen. Damals hatte die Berliner "Irrenoffensive" eine Gedenkstätte für die Opfer der "Euthanasie" als 'Haus des Eigensinns' mit einem 'Museum der wahnsinnigen Schönheit' geplant. Der damalige Versuch, die Rechtmäßigkeit der Besitzverhältnisse anzufechten - die Sammlung Prinzhorn gehört der Universität Heidelberg -, scheiterte ebenso wie das Bemühen, den Berliner Senat zur Finanzierung der Gedenkstätte mit Museum zu überzeugen. Inzwischen ist entschieden, dass für die Opfer der "Euthanasie" neben der Philharmonie - am Ort der früheren Tiergartenstraße 4 - ein Gedenk- und Informationsort entstehen wird, aber kein Museum.

Dafür gibt es nun die Pläne, die Werke der Sammlung Prinzhorn regelmäßig in Berlin zu zeigen, weshalb folgende Schritte schon unternommen wurden oder in naher Zukunft geplant sind.

Der Ort für eine Sammlung

Durch Umbau und Renovierung des denkmalgeschützten Maschinenhauses auf dem Gelände des ehemaligen Kaiserin-Auguste-Viktoria-Hauses in Berlin-Charlottenburg, heute im Besitz der Schlosspark-Klinik, soll ein Ausstellungsgebäude entstehen, in dem in einem ersten Schritt die in der Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, konzipierten Ausstellungen gezeigt werden. Nach einer Erprobungs- und Auswertungsphase könnte in einem zweiten Schritt daraus ein selbstständiges Zentrum entstehen, in dem für Berlin und Brandenburg, möglicherweise auch für den gesamten norddeutschen Raum, eine Sammlung von Außenseiterkunst aufgebaut und eigene Ausstellungen konzipiert werden. Träger dieses 'Hauses für Außenseiterkunst - Prinzhorn in Berlin' soll eine Stiftung oder ein gemeinnütziger Verein sein, dem das Haus vom Eigentümer zur Nutzung überlassen wird. Entsprechende Vorgespräche wurden mit der Geschäftsleitung der Schlosspark-Klinik bereits geführt.

Die Umsetzung dieser Pläne liegt im Interesse eines kulturell vielfältigen Angebots, wie es einer Hauptstadt angemessen ist; das Projekt wird eine große Sogwirkung auf ein interessiertes Publikum ausüben. Im näheren Umfeld locken weitere Museen wie das Museum Berggruen, die Sammlung Scharf-Gerstenberg und das Charlottenburger Schloss mit wechselnden Ausstellungen. Alle diese Orte profitieren voneinander, da Besucher zu Fuß mehrere kulturelle Highlights erfahren können. Die Erschließung über den Schlosspark Charlottenburg mit direktem Zugang durch eine alte Pforte rückt das Gebäude Maschinenhaus als Ort der zukünftigen Präsentation in unmittelbare Nähe zu den anderen Attraktionen.

Eine entsprechende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit könnte positive PR-Effekte für die Schlosspark-Klinik, die Sammlung und den gesamten Museumsstandort Charlottenburg haben.

Forschung und Vortragsreihe

Wissenschaftliche Forschung über Außenseiterkunst gibt es schon an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee im Studiengang Kunsttherapie. Im Oktober 2011 wurde ein zweitägiges Symposium mit dem Thema "KunstAußenseiterKunst" mit großer Resonanz der Öffentlichkeit veranstaltet. Eine Publikation mit den Beiträgen liegt vor.

An der Charité kümmert man sich am Institut für Geschichte der Medizin, beraten durch die Sammlung Prinzhorn, um künstlerische Werke in historischen Krankenakten der Psychiatrie. Solche Projekte erlauben überdies das Einwerben von Forschungsmitteln.

Die Forschung in diesem Feld kann sich noch mit vielen weiteren Aspekten der Außenseiterkunst befassen, wie z.B. mit der Differenzierung der qualitativen Kriterien dieser Kunst.

Um dem großen Interesse an Außenseiterkunst entgegenzukommen, ist eine Vortragsreihe an der Kunsthochschule Weißensee und an anderen Orten wie der Charité in Planung. Künstler, Kunstwissenschaftler, Psychiater und andere Fachleute werden in diesem Rahmen ihre Erkenntnisse präsentieren und zur Diskussion stellen.

Gründung eines Vereins und Unterstützer

Um dem Vorhaben einen organisatorischen Rahmen zu geben, ist Anfang 2013 der Verein 'Außenseiterkunst in Berlin' gegründet worden. Dieser wird Fragen wie die nach der geeigneten Rechtsform des Trägers klären, sich um das Einwerben von Spenden bemühen usw.

Zum Vorstand gehören: Leonie Baumann (Vorsitzende), Professor Dr. Karin Dannecker (Stellvertreterin), Dr. Thomas Röske (Stellvertreter), Uta Buchmann (Schatzmeisterin), Dr. Wolfram Voigtländer (Schriftführer).

Eine erste Unterstützung dieses Projektes und ein Interesse an der Zusammenarbeit haben viele Institutionen und Einzelpersonen des öffentlichen und kulturellen Lebens in Berlin geäußert bzw. zugesagt.


Wenn Sie noch weitere Informationen wünschen oder bei diesem Vorhaben mitmachen wollen, dann wenden Sie sich bitte an:

Außenseiterkunst in Berlin e.V.
c/o Park-Klinik Sophie Charlotte
Heubnerweg 2a
14059 Berlin
E-Mail: info@kIinik-sc.de

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 141 - Heft 3, Juli 2013, Seite 24 - 25
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Zeltinger Str. 9, 50969 Köln
Telefon: 0221/51 10 02, Fax: 0221/52 99 03
E-Mail: dgsp@netcologne.de
Internet: www.psychiatrie.de/dgsp
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich, jeweils zum Quartalsanfang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2014

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