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FORSCHUNG/201: Neue Gene für bipolare Störung entdeckt (idw)


Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - 11.03.2014

Neue Gene für bipolare Störung entdeckt



Erst himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt - so stellen sich die extremen Stimmungswechsel für Menschen mit einer bipolaren Störung dar. Unter Leitung von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Bonn, des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim und des Universitätsspitals Basel hat eine internationale Forscherkollaboration zwei neue Genregionen entdeckt, die mit der verbreiteten Erkrankung zusammenhängen. Die weltweit einmalige Studie nutzte Patientenzahlen im bisher nicht gekannten Umfang. Die Ergebnisse sind jetzt im renommierten Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht.

Rund ein Prozent der Bevölkerung erkrankt im Laufe seines Lebens an einer bipolaren Störung, die auch als manisch-depressive Krankheit bekannt ist. Die Patienten durchlaufen eine wahre Achterbahn der Emotionen: Im extremen Wechsel erleben sie manische Phasen mit Größenwahn, gesteigertem Antrieb und vermindertem Schlafbedürfnis sowie depressive Episoden mit stark gedrückter Stimmung bis hin zu Suizidgedanken. Die Ursachen der Erkrankung sind noch nicht vollständig verstanden, jedoch haben über psychosoziale Auslöser hinaus genetische Faktoren einen großen Anteil. "Für die Ausprägung einer bipolaren Störung hat nicht ein einzelnes Gen einen starken Effekt", sagt Prof. Dr. Markus M. Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. "Es sind offenbar sehr viele verschiedene Gene beteiligt, die mit Umweltfaktoren auf komplexe Weise zusammenwirken."

Größenordnung der Untersuchung ist weltweit einmalig

Die Wissenschaftler des Instituts für Humangenetik waren in den vergangenen Jahren bereits an der Entschlüsselung mehrerer Gene beteiligt, die mit der bipolaren Störung in Zusammenhang gebracht werden. Die Forscher um Prof. Dr. Marcella Rietschel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Prof. Dr. Markus M. Nöthen vom Universitätsklinikum Bonn und Prof. Dr. Sven Cichon vom Universitätsspital Basel nutzten nun in einer internationalen Forschungskollaboration Patientenzahlen in einem bisher nicht gekannten Umfang: Es wurden neue Erbgut-Daten von 2.266 Patienten mit manisch-depressiver Erkrankung und 5.028 Kontrollpersonen gewonnen, mit bestehenden Datensätzen zusammengefügt und gemeinsam analysiert. Insgesamt wurden Daten über das Erbgut von 9.747 Patienten mit Daten von 14.278 gesunden Menschen verglichen. "Die Untersuchung der genetischen Grundlagen der bipolaren Störung in dieser Größenordnung ist weltweit bislang einmalig", sagt Prof. Rietschel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim.

Die Fahndung nach Genen, die an der manisch-depressiven Erkrankung beteiligt sind, gleicht einer Suche im Heuhaufen. "Die Beiträge einzelner Gene sind so gering, dass sie normalerweise im 'Grundrauschen' genetischer Unterschiede nicht zu erkennen sind", erklärt Prof. Cichon vom Universitätsspital Basel. Erst wenn die DNA von extrem vielen Patienten mit bipolarer Störung gegen das Erbgut von einer ebenfalls sehr großen Zahl an gesunden Menschen abgeglichen wird, schälen sich Unterschiede statistisch abgesichert heraus. Solche Verdachtsregionen, die auf eine Erkrankung hindeuten, nennen Wissenschaftler Kandidatengene.

Zwei neue Genregionen entdeckt und drei bekannte bestätigt

Die Forscher erfassten mit automatisierten Analyseverfahren im Erbgut der Patienten und Vergleichspersonen jeweils rund 2,3 Millionen verschiedene genetische Marker. Die anschließende Auswertung mit biostatistischen Methoden ergab insgesamt fünf Risikoregionen auf der DNA, die mit der bipolaren Störung in Zusammenhang stehen. Davon wurden zwei neu entdeckt: Das Gen "ADCY2" auf Chromosom fünf und die sogenannte "MIR2113-POU3F2"-Region auf Chromosom sechs. Die Risikoregionen "ANK3", "ODZ4" und "TRANK1" wurden bereits in vorangegangenen Studien beschrieben. "Diese Genregionen wurden jedoch in unserer aktuellen Untersuchung statistisch nochmals besser abgesichert - der Zusammenhang mit der bipolaren Störung ist nun noch deutlicher geworden", sagt Prof. Nöthen.

Besonders interessieren sich die Forscher nun für die neu entdeckte Genregion "ADCY2". Sie codiert ein Enzym, das an der Weiterleitung von Signalen in Nervenzellen hinein beteiligt ist. "Das passt sehr gut zu Beobachtungen, dass in Patienten mit bipolarer Störung die Signalübertragung in bestimmten Regionen des Gehirns beeinträchtigt ist", erklärt der Humangenetiker des Bonner Universitätsklinikums. Die Wissenschaftler klären mit ihrer Fahndung nach genetischen Regionen die Ursachen der manisch-depressiven Krankheit Schritt für Schritt auf. "Nur wenn wir die biologischen Grundlagen dieser Erkrankung kennen, können wir auch Ansatzpunkte für neue Therapien identifizieren", sagt Prof. Nöthen.

Die Forschung ist durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzwerkes plus (NGFNplus) im Integrierten Genomforschungsnetzwerk MooDS (Systematic Investigation of the Molecular Causes of Major Mood Disorders and Schizophrenia) und im Rahmen des e:Med Programms zur Systemmedizin im Integrierten Netzwerk IntegraMent (Integrated understanding of causes and mechanisms in mental disorders) gefördert worden.


Publikation:
Mühleisen, Leber, Schulze et al., Genome-wide association study reveals two new risk loci for bipolar disorder, Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms4339


Kontakt:

Prof. Dr. Markus M. Nöthen
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Bonn
E-Mail: markus.noethen@ukb.uni-bonn.de

Prof. Dr. Marcella Rietschel
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
E-Mail: marcella.rietschel@zi-mannheim.de

Prof. Dr. Sven Cichon
Abteilung für Medizinische Genetik
Universitätsspital Basel
E-Mail: sven.cichon@usb.ch


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Im Labor: Prof. Dr. Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn.

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Manhattan-Diagramm: Die assoziierten Stellen im menschlichen Genom ragen als "Skyscraper" aus dem Hintergrundrauschen heraus. Die gestrichelte Linie kennzeichnet die Schwelle der Signifikanz.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Johannes Seiler, 11.03.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2014