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INTERVIEW/030: Der Entnahmediskurs - Leben, Sterben ohne Tod, Gespräch mit Dr. Tanja Krones (SB)


Interview am 13. September 2013 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) in Bielefeld


Tanja Krones auf dem Podium mit Projektion - Foto: © 2013 by Schattenblick

Tanja Krones präsentiert Schweizer Modell der Organspende
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Ärztin und Soziologin Dr. med Tanja Krones ist Leitende Ärztin Klinische Ethik und Geschäftsführerin des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsspital Zürich. In ihrem Vortrag auf dem Workshop "The Importance of Being Dead - The Dead Donor Rule and the Ethics of Transplantation Medicine" stellte sie das in der Schweiz verwendete Konzept der Organentnahme anhand der historischen Entwicklung und klinischen Verfahren der Explantation vitaler Organe nach Hirntod und Kreislauftod vor.

So hat die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) schon 1969 den Hirntod als Todesdefinition unabhängig davon etabliert, ob ein primärer irreversibler Hirntod oder ein Kreislauftod vorliegt. Damit unterscheidet sich die Schweizer Praxis von dem etwa in den USA praktizierten Modell, Hirntod und Kreislauftod als parallele Entnahmekriterien zu nutzen.

Organspenden nach Kreislauftod (Non-Heart-Beating-Donors - NHBD) werden auch nach den jüngsten, seit 2011 gültigen Richtlinien der SAMW, des Gesundheitsministeriums und der Organisation Swisstransplant in der Schweiz verwendet. Sie betreffen intensivmedizinisch versorgte Patienten mit infauster Prognose, bei denen häufig eine schwerwiegende Hirnschädigung nach Unfall vorliegt, die aber nicht hirntot sind und daher als NHBD-Spender eingestuft werden. Das dazu geschaffene Protokoll sieht vor, die lebensverlängernden Maßnahmen bei Zustimmung der Angehörigen einzustellen. Zehn Minuten nach Feststellung des Herzstillstands wird durch zwei Ärzte eine Hirntoddiagnose getroffen, nach deren positivem Befund dann Organe entnommen werden können. Im Vorwege können bei Einverständnis der Angehörigen vorbereitende medizinische Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der zu entnehmenden Organe ergriffen werden.

Im Anschluß an ihren Vortrag beantwortete Tanja Krones dem Schattenblick einige Fragen zu der ethischen Problematik der dabei verwendeten Todesdefinitionen und Entnahmekriterien.

Im Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Tanja Krones
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Krones, in der Schweiz erfordert die Entnahme von Organen nach Kreislauftod erst eine Hirntoddiagnose, die nach einer Wartezeit von zehn Minuten nach Herzstillstand vollzogen wird. Wieviel Zeit braucht man dafür?

Tanja Krones: Das geht ganz schnell, eine Minute, anderthalb vielleicht. Die Leute, die das machen, sind in der Hirntoddiagnostik sehr erfahren.

SB: Warum führt man diese Ergänzung des Kreislauftods durch die Hirntoddiagnose nicht auch in anderen Ländern ein, wenn etwa Nieren auch nach zehn Minuten noch verwendungsfähig sind? Könnte es sein, daß man befürchtet, die Organe verlören mit fortschreitender Zeit an Qualität?

TK: Es ist nicht so, daß man das nicht wüßte. Daß Organe schlechter werden, liegt an der nicht vorhandenen Durchblutung. Das ist auch der Grund, warum man das Herztodkriterium verlassen und das Hirntodkriterium etabliert hat. Man muß dabei bedenken, daß die erste Organtransplantation, die durchgeführt wurde, nach Herztod erfolgte. Die Resultate waren schlecht, aber nicht nur wegen der Herztodfeststellung, sondern weil bestimmte medizinische Maßnahmen wie die Gabe von Immunsuppressiva für die Patienten nicht zur Verfügung standen. Aufgrund dessen konnte man das nicht weiter fortführen.

Das wurde erst mit den Fortschritten im intensivmedizinischen Bereich und der Einführung des Hirntodkriteriums möglich. Weil die Patienten in dem Fall noch einen Herzschlag haben, aber für hirntot erklärt sind, also keine neurologische Funktion mehr vom ganzen Hirn ausgeht, die man diagnostizieren könnte, sind die entnommenen Organe in einem besseren Zustand, so daß man die Explantation auch ethisch akzeptieren konnte. Nun konnten Menschen mit einem neuen Organ wirklich länger leben, wozu auch die Entwicklung entsprechender Medikamente beitrug.

Nun hat man in der Schweiz, aber auch weltweit, schon in den 80er Jahren wieder Organe nach Herzstillstand entnommen. Aufgrund der gesamten Entwicklung in der Medizin war das mit besseren Resultaten möglich. Eine Studie von Kollegen aus dem Universitätsspital Zürich, die 2002 veröffentlicht worden ist, mit 175 Nieren, die von 1985 an entnommen wurden, hat gezeigt, daß die Resultate nicht schlechter sind, auch wenn man mit der Entnahme zehn Minuten wartet. Bei der Leber sind die Ergebnisse nicht ganz so klar, aber es geht zumindest. Für die Lunge scheint es auch nicht schlechter zu sein, aber man wird weitere Untersuchungen abwarten müssen.

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag dennoch Zweifel an allen Formen der Todesfeststellung geäußert.

TK: Insofern es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, daß der Patient, wenn man ihn nach einer Frist von zehn Minuten und erfolgter Hirntoddiagnostik noch einmal zu reanimieren versuchen würde, nicht doch noch wiederkommt, das Herz noch einmal zu schlagen anfängt oder eben doch eine minimale Hirnfunktion vorhanden ist. Ich will damit nicht sagen, daß der Mensch nicht dennoch sterben würde. Auch wenn in der Ethikdebatte die Nutzlosigkeit von Reanimationsversuchen behauptet wird, haben wir diese Sicherheit tatsächlich nicht. Das wird auch mit der Todesfeststellung nicht eingelöst. Die Hirntoddiagnostik bietet keine Gewähr, daß wirklich alle Teile des Gehirns tot sind. Viele Menschen, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch Mediziner, haben die Vorstellung, daß mit dem Hirntod-Syndrom wirklich sämtliche Zellen des Gehirns abgestorben sind. Was man sicher weiß, ist, daß kein Patient, wo man das Lege artis festgestellt hat und alles ausgeschlossen wurde, wieder eine Funktion entwickelt hätte. Aber das heißt nicht, daß unter allen Umständen alle Zellen des Gehirns abgestorben sind, wie auch pathologische Studien ergeben haben.

SB: Wenn Restzweifel bestehen bzw. keine hundertprozentige Gewißheit vorliegt, wie ist es dann ethisch zu begründen, daß der Nutzen des Organempfängers den hypothetisch möglichen Schaden des Spenders legitimiert?

TK: Es gibt auch im akademischen Betrieb verschiedene Auffassungen über die Rolle der Ethik in diesem Fall. Einer von manchen Ethikern vertretenen Auffassung zufolge soll Ethik Sicherheiten in einem Bereich schaffen, in dem es eigentlich keine Sicherheiten gibt. Das ist eine klassische Auffassung von Ethik, die ich zum Beispiel nicht teile. Wir sind Menschen und keine Götter, und von daher ist Ethik überall dort wichtig, wo wir keine 100prozentigen Sicherheiten haben, aber trotzdem unser Handeln rechtfertigen müssen. Wir sind weder am Anfang des Lebens noch am Ende des Lebens sicher. Ich glaube, es ist durchaus gerechtfertigt und wichtig, daß es die Möglichkeit zur Organspende gibt, solange wir keine anderen Verfahren besitzen.

Dies gilt auch dann, wenn wir nicht hundertprozentig sicher sind, daß eine Hirntod- oder Herztodfeststellung bedeutet, daß dieser Mensch komplett tot ist und nicht, wenn wir ihn an die Maschinen hängen würden, noch eine Zeitlang ein bißchen Hirnfunktion aufrechterhalten werden könnte. Der Hirntod behauptet ein Kriterium, das angesichts dessen, was wir heutzutage wissen, nicht behauptet werden kann. Trotzdem kann man die Organspende meines Erachtens aus anderen ethischen Gründen rechtfertigen, nämlich dann, wenn man sicher weiß, daß dieser Mensch, egal, ob durch Herz- oder Hirntod, sterben wird, und gewährleistet ist, daß man ihn nicht sterben läßt, um an seine Organe heranzukommen. Wenn er in einem Zustand tiefer Bewußtlosigkeit ist und ausgeschlossen werden kann, daß er noch einmal das Bewußtsein wiedererlangt, finde ich Organtransplantationen ethisch durchaus vertretbar, auch wenn man die Sicherheit des Todeskriteriums nicht mehr behauptet, die in Anbetracht des heutigen Wissensstandes, wie ich glaube, weder philosophisch noch faktisch behauptet werden kann.

SB: In Ihrem Vortrag haben sie über die medizinische Einflußnahme zugunsten der Organtransplantation auch vor dem Zeitpunkt des diagnostizierten Hirntodes berichtet. Sind Sie der Ansicht, daß sich ein solches fremdnütziges Interesse in Hinsicht auf das Wohl des potentiellen Spenders vollständig ausschalten läßt?

TK: Um diese Frage dreht sich eine häufig geführte Debatte, ob wir Menschen in medizinisch-kontroversen Bereichen vor instrumentellen Interessen tatsächlich schützen können. Das ist ein wichtiges Kriterium. Wir müssen alles tun, um das zu vermeiden. Man muß darüber transparent diskutieren, auch wenn man nicht komplett ausschließen kann, daß doch einmal fremdnützige Interessen im Spiel sind. Zu behaupten, daß man dies vollständig verhindern könne, finde ich unehrlich.

Allerdings würde ich andersherum auch nicht die Ansicht vertreten, daß die ganze Praxis aufgrund einzelner Mißbrauchsfälle unmoralisch sei. Ich glaube tatsächlich, daß wir das nicht hundertprozentig ausschließen können, weil wir Menschen sind. Wir müssen alles daransetzen, das zu verhindern, und betonen, daß es ungerechtfertigt ist, etwas gegen das Interesse eines Spenders zu tun.

Man muß sich allerdings fragen, ob die aus der Forderung nach hundertprozentiger Sicherheit resultierenden Konsequenzen tatsächlich im Interesse derjenigen sind, die aus guten Gründen nicht wollen, daß alles gemacht werden sollte. Wir kommen um das Streiten nicht herum und müssen uns bemühen, in diesen Grenzbereichen so integer, aber auch so transparent wie möglich zu sein. Dazu gehört meiner Ansicht nach auch eine ethische Debatte. Allerdings sollte sie nicht mit diesem priesterlichen Anspruch geführt werden, sowohl am Anfang als auch am Ende des Lebens genau zu wissen, was Leben und was nicht Leben ist. Das weiß nämlich kein Mensch. Vielmehr geht es um soziale Normen, die man aber, denke ich, rechtfertigen kann.

SB: Viele Menschen haben überhaupt keine Basisversorgung oder leiden unter Defiziten ganz anderer Art. Bei diesen Menschen ist der Gedanke an ein fremdes Organ jenseits aller Vorstellungen. Wenn man den medizinischen Nutzen der Organspende behauptet und gleichzeitig eine gewisse Unbestimmbarkeit aller Kriterien mitdenkt, wäre es da nicht sinnvoller, erst einmal die sozialen Fragen in den Vordergrund zu stellen, anstatt eine hochtechnisierte, im globalen Vergleich Eliten vorbehaltene Medizin wie die Organtransplantation zu favorisieren?

SB: Das ist eine wichtige Frage, die man natürlich auch dahingehend weitertreiben kann, ob wir nicht überhaupt alle Ressourcen, die wir haben, fairerweise teilen sollten. Das ist eine Frage der Haltung, die im Moment auch weltweit ethisch-philosophisch diskutiert wird, ob wir nicht alle einander verantwortlich sind, nicht nur wir in Deutschland mit unserem Gesundheitssystem, sondern genauso die Menschen in Afrika und die Migranten, die zu uns kommen. Es gibt durchaus Menschen und Philosophien, denen zufolge Gesundheit ein Basisgut ist, auf das eigentlich alle ein Anrecht haben sollten. Diese Debatte ist wichtig, aber ich würde sie nicht unter dem Vorsatz entweder-oder führen wollen.

Richtig ist, daß die soziale Gerechtigkeit in den bioethischen Debatten lange Zeit nicht im Fokus stand. Allerdings muß man dabei auch ein anderes Problem ins Auge fassen, das im ökonomischen Sprachgebrauch als Opportunitätskosten ausgewiesen wird. Denn egal, wie viele Ressourcen wir haben oder ob wir ein reiches oder armes Land sind, das Budget ist immer limitiert. Auch die Betten und das Personal sind limitiert, das heißt, wir müssen immer mit dem auskommen, was wir haben, ob es nun viel oder wenig ist. Wenn man vom Kuchen des Gesundheitssystems einen großen Teil für ganz wenige Menschen abschneidet, dann bleiben für den Rest der Bevölkerung weniger Ressourcen übrig und dann kommen chronisch Kranke oder Menschen mit Behinderungen schlechter weg.

Unabhängig davon, ob es dabei um die Transplantationsmedizin oder um teure Krebsmedikamente geht, muß das Gesundheitssystem angesichts der Probleme der sozialen Gerechtigkeit und Verteilung hinterfragt werden. Dieser Punkt stand in der Bioethik-Debatte am Anfang wirklich nicht auf der Agenda, aber seit zehn Jahren rückt er immer mehr in den Fokus, was unter anderem dazu geführt hat, daß wir heute Institute in Deutschland haben, die auch Evaluationen darüber anstellen, ob das, was neu ins Gesundheitswesen eingeführt wird, gerechtfertigt und vor allem kosteneffizient ist. Ich finde es wichtig, daß man die Transplantationsmedizin mit anderen medizinischen Sparten vergleicht, eben weil sie nur sehr wenigen Menschen hilft. Natürlich hat jeder Mensch ein Anrecht auf medizinische Versorgung, aber im Vergleich zu den dringlichen Themen, die die Gesamtbevölkerung betreffen, hat sie einen sehr hohen emotionalen Stellenwert. Selbstverständlich vertreten in diesem Bereich viele Player ihre Interessen. Und unzweifelhaft ist es ein wichtiger Teil der Medizin, aber ich würde dennoch sagen, daß die Transplantationsmedizin im Verhältnis zur öffentlichen Gesundheitsperspektive, wenn man diese wirklich prioritär nehmen würde, beileibe nicht so wichtig ist, wie es in der Debatte den Anschein erweckt.

SB: Sie leben in der Schweiz und damit in einem Land, in dem sich demokratische Traditionen über lange Zeiten bewährt haben. Wie beurteilen Sie es, wenn tradierte Formen der Todesfeststellung aufgeweicht werden und Relativierungen rechtlicher Standards ins Spiel kommen? Als Deutscher hat man immer den NS-Staat im Hintergrund, aber es gibt auf der Welt auch Diktaturen und repressive Staaten, in denen autoritäre Maßnahmen mit leichter Hand durchgesetzt werden können. Besteht da nicht die Gefahr, daß wissenschaftliche Erkenntnisse auf folgenschwere Weise mißbraucht werden könnten?

TK: Die Gefahr ist staatlicherseits genauso gegeben wie die Instrumentalisierung von Menschen. Es heißt, man kann ein Messer verwenden, um Menschen zu ernähren oder um sie zu töten. Genauso ist es mit allem, was wir in der Wissenschaft tun. Natürlich ist Wissenschaft an sich weder gut noch böse, es kommt immer darauf an, was wir damit machen. Ich glaube schon, daß wissenschaftliche Erkenntnisse per se ihren Wert haben, weil sie aufklärerisch wirksam sind. In Staaten, in denen die Kirche nicht vorschreibt, was falsch und richtig ist, herrscht die Grundtendenz vor, daß Menschen mit aller Transparenz wissen wollen, was passiert. Daß man alles zum Guten wie zum Schlechten verwenden kann, ist wohl unstrittig. Die Frage ist, welche Haltung man an den Tag legt.

Es gibt philosophische Traditionen im Bereich kritischer Bioethik, die vertreten, weil wir das Messer für das eine wie für das andere einsetzen können, sollten wir den technischen Fortschritt komplett verbieten bzw. nicht anwenden. Das wäre eine gesellschafts-, technik- und wissenschafts-, aber vor allem eine menschenkritische Haltung, die daraus resultiert, daß man den Menschen nicht zutraut, damit richtig umzugehen. Das ist ein, wie ich finde, ziemlich gewagter Standpunkt, weil man damit behauptet, moralisch verstanden zu haben, welche Auswirkungen das haben könnte, und so tut, als ließen sich unmoralische Praxen durch ein Verbot verhindern. Meines Erachtens läßt sich das durch Verbote nicht grundsätzlich verändern. Ich glaube vielmehr, daß man zur Verhinderung oder Verbesserung dieser Praxen transparente und offene Strukturen braucht, um ehrliche Argumente austauschen und Unsicherheiten, die tatsächlich vorhanden sind, artikulieren zu können, ohne daß man dafür bestraft wird. Diese Haltung könnte am ehesten dazu führen, daß wir gut und fair mit diesen Dingen umgehen, statt Verbote auszusprechen oder No-Gos zu deklarieren.

SB: Können Sie sich vorstellen, daß das Transplantationsgesetz in Deutschland auf demokratischem Wege so verändert wird, daß die Entnahme von Organen auch von Kreislauftoten eines Tages möglich sein könnte?

TK: Ich bin Deutsche und lebe erst seit vier Jahren in der Schweiz. Ich habe hier in Deutschland die Debatte über die Präimplantationsdiagnostik miterlebt und konnte auch verfolgen, daß die Bioethik-Debatte hierzulande in den letzten zehn oder zwanzig Jahren tatsächlich einer Haltung entspringt, als würden wir in Deutschland reine, ewige Gesetze qua unserer Verfassung schaffen, die uns davor schützen, jemals irgendwelche falschen Dinge zu tun. Das ist meiner Ansicht nach ganz problematisch, weil wir in 100 Jahren garantiert völlig andere Voraussetzungen haben werden als jetzt. Schon wenn man vergleicht, wie sich die Gesetzgebung innerhalb der letzten zehn Jahre verändert hat, da sich Gesetze und Gesellschaftsprozeß natürlich gegenseitig bedingen, dann ist es völlig absurd, wenn wir in Deutschland die neue Todesfeststellung als hundertprozentig sicher diskutieren. Man denke da nur an die langen Debatten um den Status des Embryos und das Embryonenschutzgesetz, in denen immer so getan wurde, als müßte das auf ewige Zeiten so sein. Das ist völlig absurd.

Ich weiß nicht, wo das herkommt, aber das Verlangen nach Sicherheit in diesen bioethischen Fragen ist, so glaube ich, extrem christlich geprägt, ohne daß man immer merkt, daß der Katholizismus dahintersteht. Und wenn Linksalternative, zu denen ich mich selber tendenziell politisch zählen würde, in vielen gesellschaftlichen Bereichen aufgrund vermeintlicher Sicherheiten Positionen verteidigen, die man nicht verteidigen kann, dann ist das meiner Ansicht nach auch ein Fehler.

SB: Frau Krones, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

Bisherige Beiträge zum Kongreß "The Importance of Being Dead - The Dead Donor Rule and the Ethics of Transplantation Medicine" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN→ REPORT:

BERICHT/014: Der Entnahmediskurs - Fluß der Fragen, Meer der Zweifel (SB)
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7. Januar 2014