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INTERVIEW/038: Der gläserne Patient - fundamentale Teilbedenken ...    Meinhard Starostik im Gespräch (SB)


Das Bundesverfassungsgericht als Datenschützer

Interview mit dem Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik

Strategietreffen der Aktion "Stoppt die e-Card" am 29. April 2016 in Hamburg


Während des Interviews - Foto: © 2016 by Schattenblick

Meinhard Starostik
Foto: © 2016 by Schattenblick

Wie beim Strategietreffen des bundesweiten Aktionsbündnisses "Stoppt-die-e-Card" am 29. April in Hamburg zu erfahren war [1], halten die seit fast zehn Jahren im Protest gegen dieses aus vielfältigen Gründen ablehnungswürdige Mammutprojekt engagierten Akteure an ihrer Kritik fest. Das E-Health-Gesetz würde den Medizindatenschutz zum Nachteil der Patienten nachhaltig aushöhlen, wie Dr. Silke Lüder, Sprecherin des Aktionsbündnisses, erklärte. Derzeit wird unter Mitwirkung des Berliner Rechtsanwalts und Richters am dortigen Verfassungsgerichtshofs Meinhard Starostik eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Zwangsgesetz geprüft.

Bereits seit den 1980er Jahren in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, hat dieser sich insbesondere um den Schutz persönlicher Daten verdient gemacht. 2005 reichte er eine Verfassungsbeschwerde gegen die Speicherung personenbezogener Daten durch eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes ein. Der von ihm 2007 im Namen von 35.000 Sammelklägern erhobenen Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung wurde 2010 stattgegeben. Im selben Jahr reichte er abermals eine Sammelklage von 22.000 Klägern beim Bundesverfassungsgericht ein, diesmal gegen den Elektronischen Entgeltnachweis (ELENA), dessen Einführung 2011 von den zuständigen Bundesministerien zurückgenommen wurde. [2]

Meinhard Starostik erklärte sich im Anschluß an das Hamburger Aktionstreffen bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Einschätzung verfassungsrelevanter Aspekte im Zusammenhang mit der umstrittenen e-Card zu beantworten.


Schattenblick (SB): Sie haben in der Diskussion davon gesprochen, daß die Ideologie der Selbstoptimierung dem verfassungsrechtlichen Menschenbild widerspricht. Wie würden Sie das begründen?

Meinhard Starostik (MS): Das Menschenbild unserer Verfassung geht von einem Menschen aus, der sein Leben selber bestimmt. Er ist kein einzelner in dem Sinne, daß er von anderen völlig abgesondert ist, sondern ein soziales Wesen, das deshalb auch in soziale Zwänge eingebunden ist. Aber letztlich ist er derjenige, der sein Schicksal und sein Leben bestimmen darf. Dazu gehört auch, daß er das, was er in seinem Leben für richtig hält, in seinem Handeln durchsetzen kann, solange er andere nicht schädigt. Er darf sich sogar selbst schädigen. Man kann ihn nicht dazu zwingen, "vernünftig" zu sein - vernünftig in Anführungsstrichen -, so wie sich das derjenige, der ihn dazu zwingen will, vorstellt.

SB: Welche Gründe sprechen Ihrer Ansicht nach aus verfassungsrechtlicher Sicht gegen das e-Card-Projekt?

MS: Was die Patienten angeht, besteht das Problem bei der e-Card meines Erachtens darin, daß das ganze Projekt so angelegt ist, daß alle Anwendungen, die heute noch freiwillig sind, auf die Dauer zwangsweise durchgeführt und zu einer Datenerhebung führen werden, die unverhältnismäßig und nicht im Sinne der Patienten ist. Ich stelle mir vor, daß der Patient es in der Hand haben muß, wem er seine Gesundheitsdaten gibt. Das sind ganz besonders schutzwürdige Daten, und der Patient muß entscheiden können, welchem Arzt und ob überhaupt er sie jemandem anvertraut. Das ist bei der Speicherungsstruktur in zentralen Dateien nicht mehr gewährleistet. Daß die Freiwilligkeit dieser Anwendungen auf lange Sicht abgeschafft wird, sagt eigentlich jeder, der dieses Gesetz liest.

Zum anderen ist natürlich die Frage, inwieweit die Daten und die Übermittlungswege in diesem System hinreichend sicher geschützt sind. Wir haben heute von jemandem gehört, wie einfach es für ihn war, mit ein paar kleinen Tricks Gesundheitsdaten eines Fremden von der Krankenkasse zu bekommen. Solange diese Löcher nicht gestopft sind, ist ein solches System nicht zulässig. Wichtig ist auch die Frage, ob wir es überhaupt brauchen. Nein! Wir brauchen es nicht! Sicherlich brauchen wir auch im Gesundheitswesen eine elektronische Datenübertragung. Die ist schneller, die kann man sicher gestalten, und die ist preisgünstiger, als wenn man alles auf Papier machen muß.

Aber ich muß als Patient doch entscheiden können, wem diese Daten übertragen werden. Zum Beispiel gehe ich zu meinem Hausarzt und möchte, daß er meinem Krankenhaus, wenn ich nach seiner Diagnose ins Krankenhaus muß, diese Daten übermittelt. Das kann ich dann freigeben. Dafür braucht man ein System der sicheren Datenübertragung. Was wir aber nicht brauchen, ist ein System, in dem erst einmal alle Daten nach oben an eine Zentrale gegeben werden und in dem es dann verschiedene Zugriffsberechtigte gibt, die sich das abholen. Das hebelt die Hoheit des Datenträgers, über seine Daten selber zu bestimmen, vollständig aus.

SB: Welche Motive und Beweggründe würden Sie hinter dem e-Card-Projekt vermuten?

MS: Zum einen gibt es diesen Fetisch, man müsse jetzt endlich alles elektronisch machen, also E-Government. Wunderbar, aber das kann man auch datenschutzgerecht gestalten. Zum anderen stehen natürlich sehr große wirtschaftliche Interessen dahinter, die an diese Daten kommen wollen. Es ist ja auch beabsichtigt, sie in anonymisierter oder auch pseudonymisierter Form weiter nutzbar zu machen.

SB: Vorhin in der Diskussion wurde auch von der Überwachungsfunktion gegenüber Patienten und Ärzten gesprochen. Würden Sie sagen, daß via e-Card ein Kontrollzugriff installiert wird, der weit über das hinausgeht, was bislang möglich war?

MS: Es gibt da offenbar diesen Zug, daß letztlich der Medizinische Dienst der Krankenkasse bestimmt, wie ich behandelt werde, daß also die Therapiefreiheit meines Arztes völlig aufgehoben wird. Auch das sehe ich als Problem. Inwieweit das im Moment schon so weit greift, daß man es auch juristisch angreifen kann, weiß ich nicht. Aber sicherlich ist das ein Zug, der diesem wie auch allen anderen Digitalisierungsprojekten, mit denen wir es im Moment zu tun haben, innewohnt. Die Zentralisierung führt immer auch zu einer zentralen Steuerung. Erst werden nur die Daten gehalten, aber dann kann man sie auch zentral verwenden und auswerten, was dazu führt, daß bisher autonome und getrennt voneinander funktionierende Prozesse, wie die ärztliche Behandlung durch verschiedene Ärzte, auf einmal in die Hand einer ganz anderen Institution gelegt werden wie etwa der Krankenkasse, der das gar nicht zusteht. Die ist nur dazu da, die Kosten abzuwickeln.

SB: Sie haben auch Erfahrung mit anderen Verfassungsbeschwerden. Wie würden Sie die Grenzen und Möglichkeiten der Verfassungsgerichtsbarkeit einschätzen? Was sollte man sich vom Bundesverfassungsgericht erwarten, was nicht?

MS: Das Bundesverfassungsgericht kann immer nur äußerste Grenzen setzen, es ist nicht der bessere Gesetzgeber. Mit Argumenten, daß ein Gesetz vielleicht schlecht ist und daß man es so oder so besser machen kann, kommt man in der Regel beim Bundesverfassungsgericht nicht an. Es ist dazu da, die verfassungsmäßigen Rechte zu wahren, also die äußersten Grenzen dessen, was der Gesetzgeber einzuhalten hat, zu überwachen und dafür zu sorgen, daß sie eingehalten werden. Das betrifft zum Beispiel mein Recht auf meine Daten. Ich habe ein Recht darauf, daß meine sogenannten informationstechnischen Systeme, also meine Computer und meine eGK, die ich in der Hand halte, geschützt werden. Dazu ist das Bundesverfassungsgericht da. Es ist aber nicht seine Aufgabe zu kritisieren, daß man das noch ein bißchen besser und zweckmäßiger gestalten könnte. Das ist etwas, was in den Gesetzgebungsprozeß und in die öffentliche Diskussion gehört.

SB: Vielen Dank, Herr Starostik, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Siehe den Bericht zum Treffen der Aktion "Stoppt die e-Card!" am 29. April 2016 in Hamburg
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN → REPORT:
BERICHT/027: Der gläserne Patient - steter Tropfen ... (SB)

[2] Siehe zu ELENA die Rezension des Buchs "ELENA und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung"
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH:
REZENSION/567: Heinrich Wilms - ELENA und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (SB)

21. Mai 2016


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