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INITIATIVE/102: Flüchtlinge übersetzen für anrufende Arztpraxen - Schritt in die Integration (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2016

Flüchtlinge
Schritt in die Integration

Von Dirk Schnack


Chyar Sido und Ahmed Hashim sind bei der ife Gesundheits-AG in Nehmten angestellt. Dort lernen sie Deutsch und übersetzen für anrufende Arztpraxen, die Flüchtlinge behandeln.


Die ersten Arztpraxen in Schleswig-Holstein nutzen seit einigen Wochen den kostenlosen Dolmetscherdienst der ife Gesundheits-AG, die das Telearzt-Zentrum in Nehmten betreibt. Am Telefon übersetzen die dort angestellten Flüchtlinge Chyar Sido und Ahmed Hashim, die von ihrem Arbeitgeber auch Deutschunterricht erhalten.

Um sieben Uhr morgens, zwei Stunden vor ihrem Dienstbeginn, fangen Sido und Hashim mit ihrem Deutschlehrer an zu büffeln. Englisch, Arabisch, Türkisch, Russisch, Kurdisch - diese Sprachen beherrschen die beiden Ärzte aus Syrien und Irak. Deutsch gehörte bis vor Kurzem nicht dazu. Hashim fing bei Null an, als er in Nehmten begann, Sido konnte die Sprache ein wenig. "Deutsch ist eine schwere Sprache", steht für die beiden fest. Dennoch machen sie schnelle Fortschritte - so schnell, dass sie inzwischen als Übersetzer am Telefon helfen können. Sie übersetzen für Ärzte, die in Schleswig-Holstein niedergelassen sind und sich mit Flüchtlingen, die in ihre Praxen kommen, nicht verständigen können. Der Dienst ist für die anrufenden Ärzte kostenlos, bezahlt wird die Dienstleistung vom Arbeitgeber der beiden dolmetschenden Ärzte.

"Wir müssen etwas machen", waren sich die ife-Vorstände Ute Glahn und Dr. Ekko Schrader einig, als im vergangenen Jahr immer mehr Menschen aus den Krisengebieten Syrien, Iran und Afghanistan nach Deutschland kamen. Wie aber könnte ein mittelständisches Familienunternehmen, für das Ärzte am Telefon Fragen von gesetzlich Versicherten beantworten, Flüchtlingen helfen? Naheliegend wäre, Flüchtlinge am Telefon medizinisch zu beraten. Diese Idee musste aber wegen der damit zusammenhängenden rechtlichen und fachlichen Probleme verworfen werden. Die Antwort lieferte schließlich eine Befragung des Unternehmens unter den mit ihnen in Verbindung stehenden Ärzten. Die Umfrage zeigte, dass viele niedergelassene Ärzte Probleme in der Kommunikation mit Flüchtlingen haben, die häufig weder deutsch noch englisch sprechen. Arabisch oder Kurdisch dagegen sind keine gängigen Sprachen, die von den Mitarbeitern in schleswig-holsteinischen Arztpraxen beherrscht werden. Deshalb kamen viele Flüchtlinge erst in die Praxen, als sie jemanden zum Übersetzen gefunden hatten. "Das ist aufwendig. Zum einen sind die dolmetschenden Landsleute durch diese Unterstützung oft komplett ausgelastet und schaffen es kaum noch, ihre eigenen Anliegen zu verfolgen. Zum anderen hat das zur Verzögerung notwendiger Behandlungen geführt, weil die kranken Flüchtlinge die Arztbesuche aufgeschoben haben, bis sie von einem Übersetzer begleitet werden konnten", sagt Dr. Thomas Schang. Der ärztliche Leiter des Zentrums hat durch Gespräche mit Kollegen die Sprachbarriere als ungelöstes Problem und zugleich als erhebliche Belastung des Sprechstundenablaufs erkannt. Durch Kontakte zu Ärztenetzen wurden schließlich Sido und Hashim gefunden.

Hashim ist HNO-Arzt und stammt aus Bagdad. Dort hat er vor seiner Flucht in einer Klinik und in einer privaten Praxis gearbeitet. Sein komplettes Studium im Irak hat er in englischer Sprache absolviert. Im Juli 2015 kam er mit seinem jüngeren Sohn nach Deutschland, einige Monate später kam seine Frau mit den zwei weiteren Kindern nach. Derzeit leben sie in Trappenkamp. In einem Volkshochschulkurs lernte der HNO-Arzt den dort niedergelassenen Arzt Dr. Christian Kraus kennen, der ihm seitdem hilft und über den auch der Kontakt zur Ärztekammer und zu Vorstandsmitglied Schang zustande kam. Über seinen Asylantrag war bis Redaktionsschluss noch nicht entschieden, Hashims Aufenthaltsgenehmigung muss alle sechs Monate verlängert werden.

Sido stammt aus dem syrischen Aleppo und hat in St. Petersburg eine abgeschlossene Ausbildung zum Allgemeinmediziner absolviert. Sein mittelfristiges Ziel ist die Weiterbildung zum Chirurgen. Seit November 2014 lebt er in Ahrensbök und engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. So hat Sido u. a. viele Flüchtlinge bei Arztbesuchen begleitet und kennt aus dieser Tätigkeit die dabei auftretenden Probleme. Auf diese Weise kam auch der persönliche Kontakt zu Dr. Hans Trepkau in Ahrensbök zustande, der über das Ärztenetz Eutin-Malente Schang auf Sido aufmerksam machte. Sidos Asyl-Anerkennungsverfahren ist seit Februar positiv abgeschlossen, damit kann er mindestens drei weitere Jahre in Deutschland bleiben. Die Nachfrage nach ihren Leistungen muss sich noch herumsprechen, derzeit übersetzen sie rund fünf Mal am Tag, Sido auf Deutsch, Hashim vorerst noch auf Englisch.

Schang ist sicher, dass der Bedarf größer ist, hält die geringe Nachfrage zu Beginn aber für gut, damit die beiden Ärzte sich an ihre neue Tätigkeit gewöhnen können. Beide sind froh und dankbar über die Arbeitsmöglichkeit. Für beide steht aber auch fest, dass sie langfristig wieder in ihrem Beruf arbeiten möchten.


Kontakt

Unter der Telefonnummer 045 26/381 370 können Arztpraxen aus Schleswig-Holstein den kostenlosen Dolmetscherdienst der ife Gesundheits-AG in Anspruch nehmen. Sie erreichen die Übersetzer dort werktäglich zwischen 9 und 17:30 Uhr (mittwochs nur bis 13 Uhr). Der Dienst gilt nur für Praxen, weil Krankenhäuser in aller Regel andere Dienste nutzen bzw. über eigene Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkenntnissen verfügen. In den Erstaufnahmeeinrichtungen stellt das Land die Dolmetscher.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201605/h16054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Mai 2016, Seite 24
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2016

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