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PFLEGE/745: "Zu viel Arbeit auf zu wenigen Schultern" (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 2/18
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

"Zu viel Arbeit auf zu wenigen Schultern"

Interview von Astrid Lärm mit Johanna Knüppel


Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) ist der größte Pflegeberufsverband in Deutschland und vertritt die beruflichen Interessen der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Sprecherin Johanna Knüppel beschreibt im Interview die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Pflege und was nötig wäre, um die Situation zu verbessern.

Alzheimer Info: Der DBfK vertritt als Berufsverband u.a. die Interessen von Pflegefachkräften, die in Altenpflegeheimen arbeiten. Was sind zurzeit deren dringendste Probleme?

Johanna Knüppel: Es lastet zu viel Arbeit auf zu wenigen Schultern. Tausende von Pflegefachkraftstellen sind nicht besetzt, weil es an Bewerbern fehlt, die unter den gegebenen Bedingungen diesen Beruf ausüben wollen. Die Arbeit muss aber trotzdem erledigt werden.

In der Altenpflege gibt es vergleichsweise hohe berufsbedingte Krankheitsausfälle. Die Branche fällt in den Gesundheitsreports der Kassen immer mit stark steigenden stressbedingten, vor allem psychischen Erkrankungen auf. Grund ist die seit Jahren anhaltende chronische Überlastung. Die hohen Krankenstände verschärfen die ohnehin angespannte Personalsituation.

Pflegefachkräfte werden außerdem mit immer komplexeren und anspruchsvolleren Pflegesituationen konfrontiert. Die Verweildauer der BewohnerInnen und Bewohner in Pflegeheimen ist inzwischen recht kurz, sie ziehen erst dort ein, wenn aufwändige Pflege und Betreuung notwendig sind, die in der häuslichen Umgebung nicht mehr erbracht werden können. In der Regel liegen gleich mehrere chronische und behandlungsbedürftige Erkrankungen vor, der Bedarf an Unterstützung ist groß. Zudem gibt es nach wie vor einen sehr hohen Bürokratie- und Kontrollaufwand, mit dem Pflegefachkräfte viel Zeit verbringen.

Sehr belastend ist für Pflegekräfte die Diskrepanz zwischen dem, was professionelle Pflege eigentlich für Menschen leisten will und könnte - und dem, was unter den gegebenen Bedingungen möglich ist. Hier stehen professionell Pflegende in einem ständigen Konflikt - unter anderem auch mit den Erwartungen, die pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige an sie richten.

Grundsätzlich kämpfen Pflegekräfte mit der fehlenden Wertschätzung, die dem Beruf entgegen gebracht wird und die sich auch in vergleichsweise niedrigen Löhnen ausdrückt.

Was müsste passieren, damit sich die Situation der Pflegekräfte verbessert?

Das Problem wird nicht gelöst, indem man das Bildungsniveau absenkt, Fachkräfte durch Helfer ersetzt oder auf Zuwanderung aus Fernost wartet. Solange die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege für Fachkräfte nicht deutlich besser werden, wird man keine jungen Menschen mit guten Schulabschlüssen in den Beruf locken können. Solange man die, die bereits im Beruf sind, chronisch überlastet und gravierende berufsbedingte Erkrankungen in Kauf nimmt, kann Mitarbeiterbindung nicht gelingen. Für Investoren sind Pflegeheime offenbar lukrativ - Geld wird hier aber sehr häufig durch riskantes Sparen am Personal erwirtschaftet. Das muss aufhören!

Warum ist es schwierig, die Interessen der Beschäftigten in der Altenpflege politisch durchzusetzen?

Pflege ist zwar die größte Berufsgruppe im deutschen Gesundheitssystem, in den Entscheidungsgremien aber nicht mit Sitz und Stimme vertreten. Hinzu kommt, dass Pflegende es nicht gewohnt sind, eigene Interessen in den Vordergrund zu stellen. Ihr Ziel ist es, pflegebedürftigen Menschen zu helfen. Das tun sie oft unter großem Einsatz und Hintenanstellen eigener Bedürfnisse. Das Erstreiten besserer Arbeitsbedingungen hat auch deshalb in der Pflege keine Tradition. Der Organisationsgrad professionell Pflegender in Berufsverbänden und Gewerkschaften ist in Deutschland mit rund 8 Prozent äußerst gering. Eine Hoffnung sind daher die allmählich auch in Deutschland entstehenden Pflegekammern, die als Körperschaften öffentlichen Rechts künftig politisch beteiligt werden müssen.

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in Zukunft weiter steigen. Was ist aus Sicht des DBfK notwendig, um den Altenpflegeberuf attraktiver zu machen?

Der Altenpflegeberuf bietet in seiner heutigen Form nur ein sehr eingeschränktes Tätigkeitsfeld und entspricht dadurch nicht den Erwartungen vieler junger Menschen. Auch deshalb setzt sich der DBfK seit vielen Jahren für eine generalistische Pflegeausbildung ein, die auf Basis einer breit angelegten gemeinsamen Grundausbildung für die Alten- und für die Krankenpflege ein großes Spektrum an Tätigkeitsfeldern und Spezialisierungsvarianten eröffnet.

Die Wertschätzung für diesen anspruchsvollen Beruf muss größer werden. Für die pflegerische Versorgung alter Menschen braucht man mehr als flinke Hände und Füße und ein warmes Herz - auch wenn die Politik seit Jahren eine "Pflegen kann jeder"-Strategie verfolgt und gern jeden arbeitsmarktpolitischen Problemfall in die Pflege lotsen möchte.

Die Arbeit in der Altenpflege muss besser vergütet werden, Dienstpläne müssen verlässlich sein, Arbeitsanfall und Personalkapazität müssen qualitativ und quantitativ gut aufeinander abgestimmt werden. Die Arbeit in der Altenpflege muss wieder Freude machen und am Ende einer Schicht eine innere Befriedigung zurücklassen. Dann sprechen Berufsangehörige mit Begeisterung darüber. Solch eine Werbung kann keine Imagekampagne leisten.

Das Interview führte Astrid Lärm, DAlzG

Internet: www.dbfk.de

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 2/18, S. 5 - 6
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2018

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