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PSYCHOLOGIE/157: Gesellschaft hält psychisch Kranke für gefährlicher als sie sind (idw)


Universität Basel - 03.04.2017

Gesellschaft hält psychisch Kranke für gefährlicher als sie sind


Für wie gefährlich hält die Bevölkerung Menschen mit psychischen Erkrankungen? Wissenschaftler der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel haben untersucht, welche Faktoren die soziale Stigmatisierung beeinflussen. Die Fachzeitschrift "Scientific Reports" hat die Resultate veröffentlicht.

Menschen mit psychischen Krankheiten leiden unter starker sozialer Stigmatisierung. Zusätzlich zu den eigentlichen Krankheitssymptomen führt eine Diskriminierung durch die Gesellschaft zu weiteren Leiden wie Angst, Stress und niedrigem Selbstwertgefühl bei den Betroffenen. Um der Stigmatisierung zu entgehen, meiden Menschen mit psychischen Leiden häufig eine notwendige Therapie.

Das Phänomen der Stigmatisierung von psychisch Erkrankten kennt viele Facetten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Tatsache, dass die Betroffenen oft als gefährlicher wahrgenommen werden, als sie eigentlich sind. Zwar kann eine kleine Zahl an psychischen Erkrankungen zu einem relativ erhöhten Gewaltrisiko führen, die meisten Menschen mit psychischen Störungen sind aber nicht gewalttätig.

Stigma der psychischen Krankheit

Psychiater und Psychologen der Universität Basel und der UPK Basel beschäftigen sich mit der Frage, für wie gefährlich die Bevölkerung psychisch Erkrankte hält und welche Faktoren diese Einschätzung beeinflussen. "Wir wollen verstehen, ob eher das Wahrnehmen von Symptomen oder die Information, dass jemand in psychiatrischer Behandlung war, stigmatisierend wirkt", so Prof. Christian Huber.

Dazu befragten sie 10'000 Personen im Kanton Basel-Stadt. Anhand unterschiedlicher fiktiver Fallgeschichten mussten die Probanden einschätzen, für wie gefährlich sie die Person hielten. Die Hälfte der Fälle schilderten Symptome verschiedener psychischer Krankheiten (Alkoholabhängigkeit, Psychose, Borderline-Persönlichkeitsstörung). Die andere berichtete über den Ort der psychiatrischen Behandlung (Allgemeinkrankenhaus, Psychiatrie, Psychiatrie mit forensischer Klinik).

Psychiatrische Symptome besonders bedrohlich

Bei Fallbeispielen, die nur den Ort der Behandlung beschrieben und bei Fallbeispielen mit einer Beschreibung von Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten wurden die Patienten generell als gefährlich eingeschätzt. Eine Schilderung von Symptomen führte dabei zu stärkerer Zuschreibung von Gefährlichkeit, besonders bedrohlich wahrgenommen wurden Menschen mit Symptomen einer Alkoholabhängigkeit.

Vorurteile bekämpfen

Ein wichtiges Ergebnis der Studie besteht darin, dass die Art und Weise, wie die Psychiatrie Patienten behandelt, die Vorurteile beeinflusst, unter denen sie zu leiden haben. Eine Behandlung in einer psychiatrischen Abteilung in einem Allgemeinkrankenhaus war mit einer geringeren Gefährlichkeitszuschreibung verbunden als die in einer spezialisierten psychiatrischen Klinik. Ausserdem zeigte sich, dass Menschen, die in der Vergangenheit persönlichen Kontakt mit der Psychiatrie oder psychisch Erkrankten hatten, das Gefahrenpotenzial generell geringer einschätzten.

Um Vorurteile abzubauen, so die Autoren, sollte der Kontakt zwischen Allgemeinbevölkerung und psychisch kranken Menschen gefördert werden. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass Kampagnen zur Entstigmatisierung die Bevölkerung realistisch über das geringe Gefahrenpotenzial von Menschen mit psychischen Erkrankungen aufklären sollten". Des Weiteren könnte eine Verlagerung der stationär-psychiatrischen Behandlung aus eigenständigen Kliniken in Allgemeinkrankenhäuser die Entstigmatisierung fördern und die Ausgrenzung von Betroffenen verringern.

Diesen Weg beschreiten die UPK in Basel: "Wir haben die psychiatrische Kriseninterventionsstation ausgebaut, welche sich im Universitätsspital Basel befindet, sowie eine Akutambulanz im Stadtzentrum geschaffen, die einen niedrigschwelligen Kontakt mit der Psychiatrie ohne Voranmeldung ermöglicht", so Prof. Undine Lang, Koautorin der Studie und Direktorin der Erwachsenen-Psychiatrischen Klinik der UPK Basel.


Originalbeitrag
Julia F. Sowislo, Franca Gonet-Wirz, Stefan Borgwardt, Undine E. Lang, and Christian G. Huber
Perceived Dangerousness as Related to Psychiatric Symptoms and Psychiatric Service Use - a Vignette Based Representative Population Survey
Scientific Reports (2017), doi: 10.1038/srep45716

Weitere Auskünfte

Dr. Julia Sowislo, Dipl.-Psych.
Universität Basel und
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
E-Mail: julia.sowislo@upkbs.ch

Prof. Dr. Christian Huber
Universität Basel und
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
E-Mail: christian.huber@upkbs.ch

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution74

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Basel, Reto Caluori, 03.04.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2017

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