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PSYCHOLOGIE/198: Vertrauen ist Kopfsache (idw)


Universität Wien - 11.10.2019

Vertrauen ist Kopfsache:
Neue Erkenntnisse über Funktion der Amygdala geben Einblick in die Vertrauensbildung


Eine intakte basolaterale Amygdala ist notwendig, um einer Person Vertrauen zu schenken. Zu diesem Ergebnis ist ein Team von PsychologInnen um Lisa Rosenberger und Jack van Honk gekommen. In einer neuen Studie haben sie die Vertrauensbildung von Patientinnen mit dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom erforscht, das sich durch Verkalkungen von Teilen des Gehirns kennzeichnet. Die Ergebnisse sind wegweisend für personalisierte Behandlungsmethoden von psychischen Erkrankungen und erscheinen aktuell in Current Biology.

Vertrauen ist ein Grundbaustein für unsere Beziehungen mit anderen. Ein naives Vertrauen führt zu Ausbeutungen; extremes Misstrauen manifestiert sich in psychischen Erkrankungen wie der Paranoiden- und der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine genaue Identifizierung der Bausteine des Gehirnnetzwerks, das die Vertrauensbildung reguliert, ist notwendig, um neue medizinische Behandlungen entwickeln zu können.

Die ForscherInnen untersuchten Patientinnen mit dem Urbach-Wiethe-Syndrom. Dieses ist eine genetisch bedingte, äußerst seltene Krankheit mit weltweit nur ungefähr 100 bekannten Fällen, von denen ein Großteil in Südafrika vorkommt. Für das Forschungsprojekt hat das Team dort bei fünf Patientinnen Daten erhoben. Die Gehirnschädigungen der Patientinnen sind ausschließlich auf eine Teilregion der Amygdala, der sogenannten basolateralen Amygdala, beschränkt - eine solche spezifische Gehirnschädigung ist einzigartig in der menschlichen Hirnforschung.

In der Studie wurde ein Verhaltensexperiment durchgeführt - das sogenannte Vertrauensspiel, bei dem die Teilnehmerinnen bei ökonomischen Interaktionen lernen, dass einer großzügigen Mitspielerin zu vertrauen ist und einer selbstsüchtigen Mitspielerin nicht. Die Urbach-Wiethe-Patientinnen mit der basolateralen Amygdala-Schädigung konnten das nicht lernen und haben sowohl die großzügige als auch die selbstsüchtige Mitspielerin gleichbehandelt.

"Wir haben mit Hilfe von Kontrollmessungen gezeigt, dass die Schädigung der basolateralen Amygdala - und nicht etwa allgemeine Lernprobleme oder der sozioökonomische Status - für die Defizite bei der Vertrauensbildung der Probandinnen verantwortlich ist", sagt Rosenberger. Durch die defekte basolaterale Amygdala wurden Informationen über die Vertrauenswürdigkeit der Mitspieler nicht an die notwendigen Regionen des involvierten Gehirnnetzwerks weitergeleitet, wodurch die Patientinnen ihr Vertrauen gegenüber den Mitspielerinnen nicht verändern konnten.

Die Ergebnisse der Studie erweitern die Kenntnisse über das Gehirnnetzwerk und die Mechanismen der Vertrauensbildung. Das ist eine wichtige Basis für die Entwicklung moderner, personalisierter Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Störungen mit Vertrauensdefiziten. Gleichzeitig bestätigen die Ergebnisse, dass die Amygdala nicht als eine uniforme Gehirnregion betrachtet werden sollte, sondern dass Teilregionen unabhängige Funktionen haben.


Originalpublikation in Current Biology:
Die Studie wurde im Rahmen des WWTF-Projekts "The neurobiology of belief updating during dynamic social interaction" und eines Marietta-Blau-Stipendiums durchgeführt.
Lisa A. Rosenberger, Christoph Eisenegger, Michael Naef, David Terburg, Jorique Fourie, Dan Stein, und Jack van Honk (2019). The human basolateral amygdala is indispensable for social experiential learning. Current Biology.
DOI: 10.1016/j.cub.2019.08.078

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Wien - 11.10.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2019

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