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RECHT/112: Schwangerenberatung - Sozialrechtliche Fragen nehmen einen immer größeren Raum ein (pro familia)


pro familia magazin 2/2015
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

Sozial- und Konfliktberatung bei Schwangerschaft
Sozialrechtliche Fragen drängen die Auseinandersetzung mit der Geschichte des § 218 StGB in den Hintergrund

Von Heike Pinne


Was müssen BeraterInnen wissen, wenn sie zu den Themen Schwangerschaft und Schwangerschaftskonflikt beraten? Eine Frage, die wir uns im Team der TrainerInnen der Kurse "Grundlagen der Sozial- und Konfliktberatung bei Schwangerschaft" des pro familia Bundesverbands immer wieder stellen müssen - und deren Antwort sich im Laufe der Zeit drastisch verändert hat. Die Reformphase nach der Vereinigung von DDR und BRD war noch deutlich geprägt von der politischen Auseinandersetzung um die Abschaffung des § 218 und vom Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen.

Der Fokus der Ausbildung neuer KollegInnen lag wesentlich stärker auf der sogenannten Konfliktberatung und - neben Fachwissen und Beratungstechniken - auf der Frage, wer da eigentlich einen Konflikt hat und mit wem. Ich selbst habe zu dieser Zeit noch nicht in der Beratung gearbeitet, weiß aber von den langjährig erfahrenen KollegInnen, dass die politische Dimension deutlich präsenter war in der alltäglichen Beratungsarbeit. Und die persönliche politische Haltung war enger verknüpft mit der Professionalität als BeraterIn.

Beratung zu Elterngeld & Co nimmt breiten Raum ein

Im Laufe der Jahre hat sich der Kursinhalt sowohl inhaltlich als auch thematisch verändert. Insbesondere die allgemeine Schwangerenberatung nach § 2 SchKG ist im Umfang geradezu explodiert und ein Ende ist kaum abzusehen. Gemeint ist insbesondere die Beratung zu finanziellen Leistungen für Schwangere und junge Familien, die tatsächlich einen Großteil der Beratungen nach § 2 SchKG ausmachen. Etwa ein Drittel der Zeit im Grundlagenkurs zur Beratung bei Schwangerschaft wird derzeit für die Vermittlung der Kenntnisse zu den Leistungsgesetzen benötigt. Mutterschutz, Elterngeld & Co sind hoch komplexe Beratungsfelder geworden. Die notwendigen Kenntnisse, um diese Beratungen sorgfältig und professionell leisten zu können und sowohl einen guten Überblick geben zu können, als auch komplexen Fällen gewachsen zu sein, sind schwer zu begrenzen. Den Überblick verloren haben auch die Schwangeren und ihre PartnerInnen. Sie haben immer öfter Schwierigkeiten, sich im Feld der sozialen Leistungen zu orientieren. Und so leisten die Schwangerschaftsberatungsstellen staatliche Aufgaben, die von den jeweiligen Behörden kaum mehr angeboten werden. Das gebündelte Wissen der BeraterInnen und der kompakte Überblick sind hilfreich für die Ratsuchenden, ohne Frage. Allerdings verdrängt dieses komplexe, täglich zunehmende Arbeitsgebiet die anderen Aufgaben des § 2 SchKG immer mehr. Es stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, in einer allgemeinen Schwangerenberatung mit einer vielleicht komplizierten Fallkonstellation finanziell-rechtlicher Art, den Kontakt zur Klientin so zu halten, dass für die Frau/das Paar noch ausreichend Raum ist, mögliche Ängste oder andere Belastungen zu benennen.

Die Signale der KlientInnen wahrnehmen

Selbstverständlich ist es das gute Recht jeder Klientin, sich ausschließlich mit einem fokussierten Anliegen finanzieller Art an uns zu wenden. Eine Beratungshaltung, die von der Suche nach anderen Konflikten und Problemlagen geprägt ist, wäre hier fehl am Platz. Dennoch sollten die BeraterInnen ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung haben, um andere Signale der KlientInnen aufmerksam wahrnehmen zu können. Alles in einer Person zu vereinen - einen guten Kontakt, offene und annehmende Haltung, differenziertes Wissen zu sozialen Leistungen - das ist eine hohe Kunst!

In vielen Beratungsstellen übersteigt heute die Zahl der allgemeinen Schwangerenberatungen bei weitem die Zahl der Beratungen nach § 5 SchKG. Die Nachfrage durch die KlientInnen und die Komplexität des Gebietes hat nach und nach zu einer Spezialisierung in den Teams der Beratungsstellen geführt. Dies zeigt sich auch in den Kursen zur Sozial- und Konfliktberatung bei Schwangerschaft. Dort begegnen wir heute KollegInnen, deren hauptsächliche Aufgabe die Beratung zu sozialen Leistungen sein wird. Sie arbeiten sich tief ein in die sozialen Leistungsgesetze, machen das Feld zu ihrem Fachgebiet und werden nach und nach zu wahren Koryphäen in ihren Beratungsstellen. Sie können beinahe alle Fragen beantworten, halten ihr Wissen aktuell, komplizierte Fälle werden an sie übertragen.

Weil dieses Gebiet aber so zeit- und arbeitsintensiv ist, gibt es immer mehr KollegInnen, die im Feld Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung ihre Hauptaufgabe ausschließlich in der Beratung nach § 5 sehen, der Beratung zum Schwangerschaftskonflikt. Ihnen stehen oft nur wenige Stunden dafür zur Verfügung, denn sie arbeiten schwerpunktmäßig in der Paar- und Sexualberatung oder der Sexualpädagogik. Ein tiefergehendes Wissen in den sozialen Leistungsgesetzen kann von ihnen aufgrund der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen gar nicht geleistet werden. In den Kursen führt das gelegentlich zu Überforderungsgefühlen und auch zu der Frage, wie all dieses komplexe Wissen überhaupt gesichert und dauerhaft aktuell gehalten werden kann. Und es gibt immer seltener KollegInnen, die das Thema Schwangerschaftsabbruch mit allen Facetten und verwandten Themen zu ihrem Spezialgebiet machen.

Für die Kurse zur Beratung bei Schwangerschaft überarbeiten wir unser Konzept immer wieder neu, passen es an die Bedürfnisse der Teilnehmenden an und müssen uns auch mit dieser Frage der unterschiedlichen Bedarfe an Kenntnissen beschäftigen. Dazu gehört allerdings auch die Frage: Werden wir den KlientInnen gerecht? Und besonders: Welchen Einfluss hat eine solche Spezialisierung auf den Umgang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch?

Erfahrungswissen geht durch Generationenwechsel verloren

Die KollegInnen in unseren Kursen sind neu im Verband oder zumindest neu im Fachgebiet Schwangerenberatung und viele von ihnen ersetzen KollegInnen, die sich in den Ruhestand verabschieden. Immer weniger Mitarbeitende in den Beratungsstellen können aus der Zeit vor dem SFHÄndG berichten, aus der Zeit des politischen Kampfes um die Streichung des § 218. Das Wissen, die Erfahrungen und das persönliche Erleben der Geschichte rund um den Schwangerschaftsabbruch nehmen sie mit. In den Beratungsstellen bleiben oft Schränke voller Unterlagen, Zeitungsartikel, Schriftstücke mit geradezu historischer Anmutung zurück. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte gerät in den Hintergrund - zugunsten von SGB II, Regelungen im Ausländerrecht und Mutterschutzfragen. Und so werden die Schränke ausgeräumt, Unterlagen und Ordner weggeworfen - zum Sichten und Sortieren bleibt keine Zeit, schon gar nicht für ausführlichen Austausch und Wissensweitergabe. Welche Beratungsstelle kann sich schon Überschneidungen in den Arbeitsverträgen leisten, um eine persönliche Einarbeitung und Wissensweitergabe zu gewährleisten?

Die gesellschaftliche Dimension in den Blick rücken

Und überhaupt stellt sich ja die Frage: Wie anders sind die Zeiten heute eigentlich beim Thema Schwangerschaftsabbruch? Wir bewegen uns immer noch im Geltungsbereich des Strafgesetzes. Wenn Frauen sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, müssen sie mit dem Etikett "rechtswidrig" leben. Die wenigsten BeraterInnen machen das mit den Frauen zum Thema - und dennoch wirkt es auf diese Form der Beratung ein.

Auch wenn es insgesamt politisch still geworden ist um den § 218 StGB, so ist auf der Straße die Forderung nach dessen Streichung wieder öfter zu hören, weil Gegendemonstrationen gegen die sogenannten "Märsche für das Leben" immer wichtiger werden und eine junge, neu erstarkte "Pro-Choice"-Bewegung* den Faden wieder aufnimmt.

In vielen Beratungsstellen gerät im Alltag die Auseinandersetzung mit den politischen, ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Dimensionen der Beratung zum Thema Schwangerschaftsabbruch zunehmend in den Hintergrund, dies auch, weil die Beratung zu Sozialen Leistungen mehr und mehr Zeit und Energie einnimmt. Das 20-jährige Bestehen des SFHÄndG bietet Anlass für Rückblick und auch für Standortbestimmung. Vielleicht auch ein guter Zeitpunkt, dem Thema Schwangerschaftsabbruch im eigenen Team der Beratungsstelle wieder mehr Raum zu geben.

(*) Pro choice benennt die Haltung, die Frauen das Recht auf Wahlfreiheit für oder gegen eine Schwangerschaft zugesteht.


Heike Pinne ist Dipl.-Sozialpädagogin, Beraterin und stellvertretende Leiterin der pro familia Beratungsstelle Darmstadt / Bezirksverband Darmstadt-Bensheim. Darüber hinaus ist sie als Fortbildnerin tätig, u.a. für den pro familia Bundesverband zu den Themen "Einführung in die Sozial und Konfliktberatung bei Schwangerschaft" und "Vertrauliche Geburt".

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Quelle:
pro familia magazin Nr. 02/2015, S. 18 - 20
Herausgeber und Redaktion:
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V., Bundesverband
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Telefon: 069 26 95 779-0, Fax: 069 26 95 779-30
E-Mail: info@profamilia.de
Internet: www.profamilia.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2015

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