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FORSCHUNG/159: Kreislauf-Unterstützungssystem soll die Überlebens-Chancen nach einem Herzstillstand erhöhen (idw)


Universitäts-Herzzentrum Freiburg / Bad Krozingen - 16.09.2016

Innovative Therapie verbessert Überlebens-Chancen nach Herzstillstand

Europäische Union fördert die Weiterentwicklung zur Marktreife mit 2,3 Millionen Euro


Die Methode kann nicht nur die Überlebenschancen erhöhen, sondern auch die Schädigung des Gehirns deutlich vermindern. Nun soll das System miniaturisiert und zur Marktreife gebracht werden.

Es klingt wie ein Paradoxon: Kehrt nach einer Reanimation der Sauerstoff in das unterversorgte Gewebe zurück, entstehen hochgiftige Stoffe, die oft zum Tod des Patienten oder zu einer schweren Hirnschädigung führen. Nun fördert die Europäische Union mit 2,3 Millionen Euro ein neuartiges Behandlungskonzept, das derartige Reperfusionsschäden vermindern soll. Das neue Behandlungskonzept, das an der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des Universitäts-Herzzentrums Freiburg · Bad Krozingen (UHZ) entwickelt wurde, besteht aus drei Säulen: der möglichst schnellen Wiederherstellung einer effizienten Blutzirkulation, der Steuerung wichtiger Blutwerte wie pH-Wert und Sauerstoff-Konzentration, und der Kontrolle physikalischer Kreislauf-Eigenschaften wie Druck, Fluss und Temperatur. Technische Voraussetzung der innovativen Behandlung ist ein neu entwickeltes Kreislauf-Unterstützungssystem, das diese Aufgaben übernimmt und dadurch sofort eine umfangreiche Therapie des durch den Herzstillstand geschädigten Körpers ermöglicht. Die Methode kann nicht nur die Überlebenschancen erhöhen, sondern auch die Schädigung des Gehirns deutlich vermindern. Nun soll das System miniaturisiert und zur Marktreife gebracht werden. Die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten werden hauptsächlich in dem vom Universitätsklinikum Freiburg ausgegründeten Start-up-Unternehmen ResuSciTec in Verbindung mit der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des UHZ und dem Universitätsklinikum Freiburg durchgeführt.

Bislang überleben nach einer Reanimation nur wenige Betroffene

Nur jeder fünfte Patient, der im Krankenhaus nach einem Herzstillstand wiederbelebt wird, überlebt langfristig, außerhalb des Krankenhauses ist es nicht einmal jeder Dreißigste. Ein entscheidender Grund dafür ist erst seit wenigen Jahren bekannt: Wird Gewebe nach Sauerstoffmangel plötzlich wieder mit Sauerstoff versorgt, bilden sich giftige Moleküle, die das Gewebe zerstören. Prof. Dr. Friedhelm Beyersdorf, Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des UHZ, erforscht seit 30 Jahren verschiedene Aspekte von Sauerstoffmangel und Wiederdurchblutung und hat dabei zentrale Faktoren identifiziert, mit deren Kontrolle sich derartige Schäden vermindern lassen.

"Das neue Konzept könnte ein Wendepunkt in der klinischen Wiederbelebung sein. Denn damit können wir erstmals gezielt Reperfusionsschäden vermindern", sagt Prof. Beyersdorf. "Die Überlebenschancen steigen dadurch deutlich und Organschäden, insbesondere des Gehirns, werden reduziert."

Technischer Fortschritt ermöglicht komplexe Therapie

Das Gesamtkonzept wird als kontrollierte, automatisierte Ganzkörper-Reperfusion (Controlled, Automated Reperfusion of the whoLe body, CARL) bezeichnet. Das neu entwickelte Kreislauf-Unterstützungssystem nennt sich CIRD (Controlled Integrated Resuscitation Device). Es stellt im Bereich der extrakorporalen Zirkulation einen völlig neuen Ansatz dar, da es nicht nur die Blutzirkulation wiederherstellt, sondern erstmals eine Behandlung der durch den Herzstillstand geschädigten Organe des Körpers ermöglicht. CIRD wird an die Leistengefäße des Patienten angeschlossen und stellt mittels Pumpen den Kreislauf des Patienten wieder her. Gleichzeitig wird das aus der Vene des Patienten entnommene Blut in vielerlei Hinsicht verändert und auf die neue Situation nach dem Herzstillstand angepasst. So können zum Beispiel kontinuierlich bis zu zehn Blutparameter verändert sowie eine Reihe physikalischer Eigenschaften modifiziert werden. Auch Medikamente können über CIRD verabreicht werden. "Die präzise Kontrolle aller Blutwerte und physikalischen Bedingungen zu Beginn der Wiederbelebung sind sehr komplex. Erst mit der Entwicklung von CIRD wurde diese Behandlung möglich", sagt Prof. Beyersdorf.

Mehr Menschen überleben mit weniger Langzeitschäden

Seit Ende 2014 konnte bei zehn Patienten am Universitäts-Herzzentrum Freiburg · Bad Krozingen das komplette CARL-Behandlungsprinzip durchgeführt werden. Die technische Durchführung erfolgte mit einer ersten zugelassenen Version von CIRD. Sechs von ihnen überlebten die Wiederbelebungsmaßnahmen und hatten keine oder nur geringe neurologische Schäden. Eine 44-jährige Patientin überlebte sogar, obwohl ihr Herz nach einem Herzstillstand erst nach 120-minütiger Reanimation und nachfolgender CARL-Behandlung wieder zu schlagen begann. In den umfangreichen tierexperimentellen Studien hatten über 80 Prozent der Tiere sogar nach einem 20-minütigen, kompletten Herzstillstand ohne langfristige Hirnschäden überlebt.

Zentrale weitere Schritte sind nun zum einen die Miniaturisierung des CIRD-Systems, die die großflächige Verbreitung und den Einsatz in Notfall-Fahrzeugen erlaubt. Zum anderen wird unter Leitung von Prof. Beyersdorf, PD Dr. Georg Trummer, Oberarzt an der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des UHZ, und Prof. Dr. Ing. Christoph Benk, Leiter der Kardiotechnik der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des UHZ, in einer Vergleichs-Studie an zehn Standorten in Europa die Sicherheit, Effizienz und klinische Wirksamkeit des Konzepts überprüft. Prof. Beyersdorf, Dr. Trummer und Prof. Benk haben bereits in umfangreichen Forschungsstudien die Grundlagen für die Wiederbelebungsmethode CARL entwickelt.

Diese klinischen Forschungsarbeiten im Rahmen des Markteintritts werden nun von der Europäischen Union im Rahmen des Förderprogramms Horizon 2020 mit 2,3 Millionen EUR unterstützt. Insgesamt wurden von 263 Anträgen aus ganz Europa nur 16 zur Förderung bewilligt, davon nur zwei, deren Koordination in Deutschland angesiedelt ist. Einer davon ist das start-up Unternehmen ResuSiTec, das 2012 von Prof. Beyersdorf mit besonderer Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und privater Investoren gegründet wurde.


Kontakt:

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Friedhelm Beyersdorf
Ärztlicher Direktor
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie
Universitäts-Herzzentrum Freiburg · Bad Krozingen
friedhelm.beyersdorf@universitaets-herzzentrum.de

Johannes Faber
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Freiburg
johannes.faber@uniklinik-freiburg.de

Weitere Informationen finden Sie unter http://www.herzzentrum.de/kliniken-fachbereiche/klinik-fuer-herz-und-gefaesschirurgie.html Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1760

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen, Benjamin Waschow, 16.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2016

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