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HINTERGRUND/149: Mercedes Sosa - ¡Presente! (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 41 vom 9. Oktober 2009
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Mercedes Sosa - ¡Presente!
"La Negra" ist tot, bleiben werden ihre Lieder

Von Uli Brockmeyer


Es ist unmöglich, eine Beschreibung zu finden, die ihr gerecht wird, ihr und ihrem großen Werk - und schon gar nicht der Lücke, die sie hinterlässt. Mercedes Sosa war wie keine andere Sängerin die Stimme Lateinamerikas, authentisch und immer präsent, auch dann, als reaktionäre Militärs sie 1979 aus dem Land trieben und ihre Lieder mit Verbot belegten.

Mercedes Sosa, geboren am 9. Juli 1935, am argentinischen Nationalfeiertag, in San Miguel de Tucumán - dem Ort, der Geschichte atmet, an dem am 9. Juli 1816 die Unabhängigkeit Argentiniens proklamiert worden war -, repräsentiert wie keine andere Künstlerin die Geschichte, die Kultur, die Folklore und den Kampf Argentiniens. Die Tochter eines Zuckerrohrarbeiters wurde in ihrem Elternhaus geprägt von Armut, aber auch von Stolz und Aufrichtigkeit. Nach Beendigung der Schule verdiente sie etwas Geld als Tanzlehrerin, begann sich aber auch für die Musik des Volkes zu interessieren. Nachdem sie 1950 bei einem lokalen Radiosender einen Gesangswettbewerb, zu dem ihre Freundinnen sie drängen mussten, gewonnen hatte, ergriff sie die Chance, vor immer mehr Publikum zu singen.

Irgendwann stand sie vor der Entscheidung, vielleicht Opernsängerin zu werden. Aber schließlich stimmte sie ihrem Vater zu, der damals meinte, dann müsse sie immer für die Reichen singen. Das wollte sie nicht und wählte statt dessen den Weg, auf dem sie erst Jahre später zu Ruhm und Ansehen kam. Gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Manuel Oscar Matus und mit Armando Tejada Gómez wurden sie innerhalb weniger Jahre die führenden Akteure des Neuen Lateinamerikanischen Liedes, und sie nahm die ersten Titel auf.

Ihrer ersten Platte "La voz de la zafra" (Das Lied der Zuckerrohrernte) im Jahre 1962 folgten etwa 70 weitere Alben. Sie übernahm Texte und Kompositionen anderer argentinischer und lateinamerikanischer Künstler, viele dieser Gedichte und Lieder wurden jedoch erst durch ihre Interpretation berühmt.

In den 60er Jahren gab sie ihr erstes Konzert in einem kleinen Theater in Buenos Aires. In der Hauptstadt und ihrer Heimatprovinz Tucumán wurde sie rasch bekannt. Die Menschen nannten sie wegen ihrer schwarzen Haare "La Negra", oder einfach Mercedes. Die Tagelöhner im Hafen von Buenos Aires, die Männer in den Fabriken und Schlachthöfen und die Frauen in den Arbeitervierteln sagten: "sie ist eine von uns". Sie ging oft zu den einfachen Menschen, zu jenen, die meist nicht genug Geld hatten, um sich eine Karte für eines der Konzerte der "Negra" kaufen zu können.

Und sie reiste durch das ganze Land, vom Norden bis in den tiefsten Süden, wo Leute leben, für die Buenos Aires so weit entfernt ist wie Europa. Sie sang in der Pampa mit den Kindern ein Schlaflied ihres Freundes Víctor Jara und bei den Gauchos das Lied von María, der Bäuerin, die sich auf den Tabakplantagen den Rücken krumm schuftet und nur in der Mittagspause Zeit hat, ihr Kind zur Welt zu bringen. "María, eine Frau, die es verdient zu leben und zu lieben wie alle Frauen des Planeten."

Das neue Volkslied in Argentinien wurde rasch beeinflusst von den politischen Liedern aus dem Nachbarland Chile. Die Sänger der Unidad Popular und ihre Lieder kamen auch nach Argentinien, Lieder von Víctor Jara, Angel und Violeta Parra, von Quilapayún und von Inti Illimani tauchten im Repertoire von Mercedes auf. Sie selbst sagte, dass auch der kubanische Liedermacher Silvia Rodríguez eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen spielte. Dazu kamen fortschrittliche Liedermacher und Sänger wie Daniel Viglietti aus Uruguay, Milton Nascimento aus Brasilien und auch Victor Heredia und vor allem Atahualpa Yupanqui aus Argentinien.

Eines der bekannten Lieder jener Zeit ist "Gracias a la vida" von Violeta Parra, in dem es heißt: "Danke dem Leben, das mir so viel gegeben hat. Es gab mir das Lächeln und das Weinen, und so unterscheide ich zwischen Freude und Schmerz - den beiden Bestandteilen, die meinen Gesang ausmachen, und euren Gesang, und den Gesang aller, der auch mein eigener ist. Danke an das Leben."

Nach dem faschistischen Putsch vom 11. September 1973 in Chile wurden Präsident Allende und wenige Tage später der Kommunist und Sänger Víctor Jara im Stadion von Santiago ermordet. Tausende Unterstützer der Unidad Popular wurden eingekerkert, umgebracht, verschwanden spurlos, Tausende gingen ins Exil. Diese Ereignisse prägten auch das Schaffen von Mercedes Sosa. "Für Víctor" sang sie damals: "Das Lied des guten Sängers kann nicht in Blut ertränkt werden. Sie müssen den Fluß zum Schweigen bringen, sie müssen das Meer austrocknen. Sie müssen den Regen anhalten und die Sonne abschalten. Sie müssen das Lied töten, um deine Stimme vergessen zu machen."

"La Negra" wusste nicht, dass ihrem Land eine ähnliche Militärdiktatur bevorstand. Sie, die sich nie in einer politischen Partei engagiert hat, gehörte zu jenen, die nach dem 24. März 1976 Widerstand leisteten. Als in Argentinien Menschen "verschwanden", Tausende ermordet wurden, junge Kommunisten, ehemalige Stadtguerilleros und junge Pfarrer sich in der selben Gefängniszelle wiederfanden, versuchte die Junta, auch Mercedes Sosa zum Schweigen zu bringen. Sie war die Interpretin des "Liedes für Alle" (Canción con todos), das bis heute in vielen Ländern Lateinamerikas als eine inoffizielle Hymne angesehen wird. Der Refrain lautet "Alle Stimmen, alle Hände, unser aller Blut kann zu einem Lied im Wind werden. Sing mit mir, sing, amerikanischer Bruder, lass deiner Hoffnung freien Lauf mit dem Schrei deiner Stimme!"

Das alles war den Putschisten zu gefährlich, und so wurde die "Negra" 1979 bei einem Konzert kurzerhand mitsamt ihrem Publikum verhaftet. Aus Angst vor dem Druck der Öffentlichkeit im Ausland mussten die Schergen die Sängerin nach einigen Stunden freilassen mit der Auflage, sofort ins Ausland zu gehen. Die Lieder, die Mercedes Sosa in Argentinien und inzwischen in vielen Teilen der Welt bekannt gemacht hatte, wurden verboten. Als Mercedes ins Exil ging, versammelte sich eine Gruppe von Freunden und hielt den Schergen zum Trotz ein Transparent hoch mit der Aufschrift "Gracias Negra, komm wieder".

Sie ging erst nach Paris, dann nach Madrid, wo sie mit Hilfe von Spenden von Freunden eine Wohnung mieten konnte. Bald bekam sie die Möglichkeit zu Gastspielen in verschiedenen Ländern. Erst 1982, es waren beinahe vier Jahre vergangen, konnte sie wieder argentinischen Boden betreten. Über diese Zeit sagte sie Jahre später in einem Interview: "Ich werde nie wieder ins Exil gehen. Wenn sie mich umbringen wollen, dann sollen sie mich umbringen!"

Unmittelbar nach ihrer begeistert gefeierten Rückkehr gab sie zwischen dem 18. und dem 28. Februar 1982 im Teatro Ópera von Buenos Aires mehrere Konzerte, bei denen sie von anderen Künstlern aus Lateinamerikas begleitet wurde. Dieses "Gran Concierto" ist als Symbol des Endes der Militärdiktatur in die Geschichte Argentiniens eingegangen. Jahrelang begann sie danach jeden ihrer Auftritte mit dem Lied "Todavía cantamos". "Wir singen immer noch. Wir fordern, träumen und hoffen immer noch. Trotz der Schläge, die unser Leben einstecken musste, trotz des Hasses, der unsere Nächsten in das Reich des Vergessens verbannen wollte."

Im Februar 1984 stand Mercedes auf der Bühne des Festivals des politischen Liedes in der DDR. Im hoffnungslos ausverkauften großen Saal des Palastes der Republik gab sie ein zweistündiges Konzert vor einem Publikum, dem sie zum ersten Mal gegenüberstand und das sie bedingungslos feierte. Nach drei Jahren stand sie erneut auf dieser Bühne, diesmal bereits vor einer begeisterten Fangemeinde. Sie eröffnete ihr Konzert mit dem Lied "Cantaré": "Wenn ich einst diese Erde besitze, dann wird sie auch denen gehören, die kämpfen - den Lehrern, den Holzfällern, den Arbeitern. Wenn diese Erde einst mir gehört, dann gründe ich gemeinsam mit den Grillen ein Orchester, in dem all die singen werden, die denken können. ... Und ich werde singen!"

Im Interview nach dem Konzert sagte sie dem Autor dieses Beitrages: "Ich liebe dieses Lied ganz besonders, darum singe ich es so oft. 1979 haben sie mich wegen dieses Liedes aus Argentinien rausgeworfen." Und auch "Gracias a la vida" bekam dadurch einen weiteren Inhalt, wie sie mir erklärte: "Weißt du, als ich nach fast vier Jahren wieder nach Hause kam, fühlte ich soviel Dankbarkeit, die ich einfach zum Ausdruck bringen musste. Ich glaube, Violeta Parra hat mit diesem Lied uns allen, jedem Erdenbürger, die größte Hymne an die Liebe und das Leben geschrieben."

Im Dezember 1984 füllte sie das Stadion Vélez in Buenos Aires, wo sie gemeinsam mit León Gieco dessen großes Antikriegslied "Sólo le pido a Dios" sang. "Alles, was ich von Gott erbitte, ist, dass mich der Krieg nicht gleichgültig macht. Denn er ist ein großes Monstrum und tritt die Unschuld der Menschen mit Füßen. Alles, was ich von Gott erbitte, ist, dass der Verrat mich nicht gleichgültig lässt."

Mercedes Sosa ließ sich auch nach 1982 niemals politisch einbinden. "Ich mische mich nicht ein", sagte sie gern. Auch in Israel. Sie merkte "nur" an, daß der Frieden wichtiger ist als alles sonst auf der Welt. "Im Krieg kann man nichts aufbauen, nur im Frieden kann man etwas schaffen." Und in Anspielung auf das Lied "Todo cambia" (Alles ändert sich) sagte sie im vergangenen Jahr: "Alles, was ich je gedacht und gefühlt habe, denke und fühle ich auch heute. Sie sollen nicht mal davon träumen, dass ich mich jemals ändern werde."

"La Negra" war wie eine Freundin, eine Schwester, eine Mutter - in den letzten Jahren wurde sie in Argentinien voller Zärtlichkeit auch "La Mama" genannt. Sie war niemals eine Diva, selbst den Gedanken daran wies sie entschieden zurück. "Ich bin eine Sängerin des Volkes!" Bei ihren Konzerten verabschiedete sie sich oft von ihrem Publikum mit "Hasta la vista, compañeros!"

"La Negra" sang stets auch Hunger und Armut, aber ebenso Hoffnung, Kampf, Sieg, sie sang Freundschaft und Solidarität. Sie sang Lateinamerika. Sie sang auch Protestlieder, wollte aber keine Protestsängerin sein. Sie ließ sich durch nichts und niemanden in ein "Schubfach" zwängen, auch nicht von linken Intellektuellen in Westeuropa, die bis heute nicht verstanden haben, daß auch ein Liebeslied ein Lied des politischen Kampfes sein kann.

1987 erklärte sie mir im Gespräch: "Wenn ich auf der Bühne stehe und die Liebe der Menschen spüre, dann danke ich dem Leben dafür. Was ist wichtig, wenn ich singe? Ohne Zweifel die Achtung vor den Menschen, denn Ruhm und Erfolg bedeuten mir wenig."

Mercedes starb nach einem erfüllten Leben am Sonntag morgen im Alter von 74 Jahren in einem Krankenhaus in Buenos Aires. Sie wird uns fehlen, aber sie wird auch in Zukunft immer bei uns sein.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 41. Jahrgang, Nr. 41,
9. Oktober 2009, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2009