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HINTERGRUND/186: Indien - Harte Zeiten für Musiker in Kaschmir, Mädchenband nach Fatwa aufgelöst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2013

Indien: Harte Zeiten für Musiker in Kaschmir - Mädchenband nach Fatwa aufgelöst

von Athar Parvaiz


Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Probe in Rafiqs Musikschule in Srinagar
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Srinagar, Kaschmir, 2. April (IPS) - Musiker in Kaschmir haben in den vergangenen Jahren gut am Tourismus verdient. Doch die angespannte Sicherheitslage könnte ihnen nun das Geschäft ruinieren. Frauen, die öffentlich auftreten wollen, droht noch größere Gefahr.

Als vor zwei Jahren nach längerer Zeit wieder Urlauber in den indischen Teil Kaschmirs kamen, verschob der 27-jährige Aamir Ahmad kurzerhand die Renovierung seines Hauses und konzentrierte sich aufs Musikmachen. "Der Besucherzustrom hat unser Geschäft belebt", berichtet der Chef der Band 'Strangers'. Auch in diesem Winter haben sich die Musiker auf die nächste Saison vorbereitet, obwohl sie nicht sicher sein können, was sie erwartet. Gewalt, Ausgangsverbote und Streikaufrufe schrecken viele Besucher ab.

Zehntausende Touristen kamen in den letzten zwei Sommern in die Himalaja-Region. Hochzeitsfeiern bescherten der Band zusätzliche Einkünfte. Für die kommende Saison sehen die Musiker wegen der neuen Unruhen jedoch eher schwarz.


Gewalt nach Hinrichtung eines Extremisten in Neu-Delhi

Seit Afzal Guru, der im Zusammenhang mit dem Angriff auf das indische Parlament 2001 zum Tode verurteilt worden war, am 9. Februar in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi hingerichtet wurde, kommt es in den Städten in Kaschmir wieder verstärkt zu gewaltsamen Ausschreitungen. Mehrere Menschen wurden getötet und Dutzende verletzt, darunter auch Polizisten.

"Die häufigen Ausgangsverbote und Streikaufrufe sind eine große Bedrohung für die Zukunft der jungen Leute in Kaschmir. Da Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und industrielles Wachstum fehlen, sind sie völlig auf sich gestellt", sagt der Wirtschaftsprofessor Nissar Ali, der als Berater für die Regierung von Kaschmir tätig ist.

Neben den 'Strangers' gibt es noch etwa 20 Bands, die im Sommer vom Tourismus leben. Sie nennen sich 'Valley Youth Expression', 'Valley Boys', 'Janoon', 'Blood Rocks' oder 'Divine Connection'.

Mohammad Rafiq leitet in Srinagar eine Musikschule mit 50 Schülern. In den letzten Wochen konnte er nur an wenigen Tagen seinen Unterricht abhalten. "Ändern können wir daran nichts", meint er. "Wir hoffen, dass sich die Situation bessern wird."

Die Valley Boys und andere professionelle Musiker haben es in Kaschmir noch nie leicht gehabt. "Es gibt hier keine Aufnahmestudios und Produktionsfirmen", berichtet Rafiq. "Deshalb sind wir auf Live-Auftritte angewiesen."

Musik ist in Kaschmir eine Männerdomäne. Im Februar wagte sich eine Mädchenband in die Öffentlichkeit und löste dadurch einen Sturm der Entrüstung aus. Ein Religionsführer belegte die Musikerinnen sogar mit einer Fatwa. Der Islam untersage es den Frauen, den Blick von Männern auf sich zu ziehen, meinte der Groß-Mufti Bashir-ud-Din, der in den letzten Jahren etliche Verbote ausgesprochen hat.

Bereits 2007 hatte Din für Aufsehen gesorgt, als er eine Fatwa gegen Ghulam Nabi Azad, den ehemaligen Regierungschef im indischen Kaschmir ausstieß. Azad hatte zuvor die Bevölkerung aufgefordert, dem Beispiel von Mahatma Gandhi zu folgen, Der Mufti bezeichnete die Äußerungen als "unislamisch". Der Prophet Mohammed sei die einzige Autorität.


Erfolgreiche Mädchenband chancenlos

Azad ließ sich durch die Fatwa nicht beeindrucken, doch für die Mädchenband 'Pragaash' hatte das islamische Rechtsgutachten Folgen. Die drei Teenager wurden von der Bühne gezerrt, und die Gruppe musste sich etwa einen Monat nach dem Auftritt bei einem Musikwettbewerb in Srinagar auflösen.

Dabei stand die erste und einzige Mädchenband in Kaschmir, deren Name übersetzt 'Licht' bedeutet, kurz davor, den Wettbewerb zu gewinnen. Pragaash war Ende 2012 von der Sängerin und Gitarristin Noma Nazir, der Schlagzeugerin Farah Deeba und der Gitarristin Aneeka Khalid gegründet worden. Unterstützung von männlichen Kollegen erhalten sie nicht, denn offensichtlich wagt es niemand, gegen die Fatwa zu protestieren. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.youtube.com/watch?v=sv0OYVnKiHU
http://www.youtube.com/watch?v=5UGP3ZtpUJs
http://www.youtube.com/watch?v=hlAADsSjpAo
http://www.ipsnews.net/2013/03/discord-now-strikes-male-bands-in-kashmir/

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IPS-Tagesdienst vom 2. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2013