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REZENSION/004: "The Real World of Peter Gabriel" (arte) (SB)


Ein Popstar, der auf vielen Hochzeiten tanzt

arte-Dokumentation über Peter Gabriel


Auf die Frage, wer seiner Meinung nach das Universium erschaffen hat, soll Peter Gabriel einmal gesagt haben: Ihm gefalle eine Idee von Wissenschaftlern, die sich mit den Auswirkungen von Tönen auf Materie beschäftigen, sehr gut, wonach ein Ton Materie anziehen soll. Er finde die Vorstellung schön, daß es als Allererstes einen Ton gab, einen "Urknall" eben, durch den das Universum erschaffen wurde. [1]

Den Grundstein für seinen künstlerischen wie unternehmerischen "Big Bang" legte Gabriel, der 1975 zur Konsternierung der Kritiker seinen Platz als Frontmann und Aushängeschild bei der erfolgreichen Progressive-Rock-Band Genesis verlassen hat, im Jahr 1980. Damals rief er mit anderen Künstlern das Projekt WOMAD (World-Of-Music-And-Dance) ins Leben, das auf Festivals in aller Welt versucht, traditionelle folkloristische Musik mit Stilformen des Rock und Pop zu verbinden. Seither baut Peter Gabriel sein musikalisches Universum kontinuierlich aus, immer darum bemüht, sich neue, lukrative Märkte zu erschließen. Ende der 80er Jahre gründete der betriebsame Engländer das Forum Real World Records mit Schwerpunkt auf Produktion und Förderung von Weltmusik. Um die Globalisierung, die Gabriel im Sinne der angeblich weltweiten Verfügbarkeit informationstechnischer Systeme durchaus positiv betrachtet, musikalisch zu zelebrieren, machte der Sänger eine ausgebaute Mühle im südenglischen Bath zum Treffpunkt und Studio für Künstler aus aller Welt.

Man muß kein geübter Musikkonsument sein um zu erkennen, daß die traditionelle Spielweise durch die Vermischung der Stile und Kulturen auf der Strecke bleibt. Die Bilder, die die Aachener Dokumentarfilmer anläßlich des 20jährigen Bestehens der Real World Records auf dem Studiogelände einfingen, sprechen für sich. Sie zeigen die außerordentlich lebendige, kollegiale Atmosphäre, die beim Einspielen der Stücke entsteht. Es fällt allerdings auf, daß die Dokumentation auf eine kritische Betrachtung des musikalischen Miteinanders verzichtet. Im Zentrum stehen die singenden und musizierenden Gäste aus Afrika, Asien und anderen Kontinenten, umgeben und konfrontiert mit Interessen, deren Mittelpunkt nicht sie, sondern die Ausbeutung der von ihnen geschaffenen folkloristischen Weisen ist.

Indem der Film ein harmonisches Wechselspiel zwischen den angereisten Musikern und Studiomitarbeitern suggeriert, unterschlägt er beispielsweise die hohe Anpassungsleistung, die den indigenen Künstlern und Künstlerinnen aus aller Welt beim Musizieren mit ihren typischen Instrumenten während einer Aufnahmesession abverlangt wird, um sie in das vorgegebene Klangschema von rootiger World Music und tanzbarer Clubmusik westlicher Hörart einzupassen. Unausgeführt bleibt zudem Gabriels Vorhaben, traditionelle Spielweisen vor dem Aussterben zu bewahren. So werden in der Dokumentation zwei Kambodschaner beim Musizieren gezeigt, ohne daß der Zuschauer etwas über die weitere Verwertung ihrer Musik erfährt oder darüber aufgeklärt wird, in welchem Zusammenhang das Anliegen der Archivierung mit der kommerziellen Nutzung der Aufnahmen steht.

Neben dem Pop-Business ist Peter Gabriel in vielen humanitären Hilfsprojekten involviert. So beteiligte er sich unter anderem an den Benefizkonzerten "A Conspiracy Of Hope" 1986 und 1988 an der "Human Rights Now"-Tour von Amnesty International. 1992 initiierte er das Hilfsprojekt Witness, das weltweit Digitalkameras und Foto-Handys zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen einsetzt und diese Aufnahmen im World Wide Web veröffentlicht. Der Sänger ist überzeugt, daß Videotechnik und Internet effektive Hilfsmittel für die Menschenrechtsbewegung sind, um Politiker zum schnellen Handeln zu bewegen: "Das Ganze wird unter dem Namen The Hub im Internet veröffentlicht, nur so kann man einer großen Öffentlichkeit diese unmenschlichen Taten vor Augen führen. The Hub soll das YouTube der Menschenrechte werden", warb Gabriel für sein Vorhaben, Menschenrechtsverletzungen im World Wide Web anzuprangern [2].

Die Filmemacher beschränken sich auch bei diesem Thema auf eine oberflächliche Darstellung des Projekts. Es werden dem Zuschauer ergreifende Bilder vor Augen geführt, auf denen zu sehen ist, wie die Hütte einer kombodschanischen Musikerin von einem Bulldozer niedergerissen wird, während mehrere sichtlich verzweifelte Menschen dieses Zerstörungswerk vergeblich zu verhindern versuchen. Die genauen Umstände der offensichtlich ungerechten Aktion bleiben jedoch im unklaren, vor allem erfährt man nichts darüber, ob die Witness-Organisation den Betroffenen helfen konnte. Auch bleibt unerwähnt, daß ein großer Teil der Bevölkerung gar keinen Zugang zum Internet hat, der die wesentliche Voraussetzung für das Hilfsprojekt ist, wodurch viele Menschen, besonders die ärmsten, von vornherein ausgeschlossen werden.

Wohl seiner systemopportunen Einstellung wie auch seinem großen Bekanntheitsgrad hat es Gabriel zu verdanken, daß sich zahlreiche Nobelpreisträger und ehemalige Politiker aus aller Welt im Sommer 2007 bereiterklärten, der von ihm und dem Geschäftsmann Richard Branson initiierten, anläßlich Nelson Mandelas 89. Geburtsag gegründeten humanitären Organisation The Elders beizutreten. Der mit 18 Millionen Dollar Startkapital ausgestattete Rat, der sich zur Zeit aus Kofi Annan, Ela Bhatt, Lakhdar Brahimi, Gro Brundtland, Fernando H. Cardoso, Jimmy Carter, Graça Machel, Mary Robinson, Desmond Tutu, Muhammad Yunus, Nelson Mandela und Aung San Suu Kyi zusammensetzt, soll dabei helfen, internationale Konflikte zu lösen.

Auch hier haben sich Dieter Zeppenfeld und Georg Maas für eine von jeder kontroversen Überlegung freie Darstellung entschieden. Daß die Lage der Welt angesichts des krassen ökonomischen Mißverhältnisses zwischen den westlichen Industriestaaten und den Ländern des Südens kritisch ist und dringender Handlungsbedarf besteht, daran gibt es keinen Zweifel. Ob die Menschen in der westsudanesischen Krisenregion Darfur durch das Engagement des sogenannten Ältestestenrats wirklich eine bessere Chance auf Verbesserung ihrer Situation haben, wie es Peter Gabriel im Film anklingen läßt, ist zu bezweifeln. Warum sollten sich die Polit-Senioren heute für eine Lösung der Weltprobleme einsetzen wollen, die sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht viel leichter hätten angehen können?

Den vorläufigen Gipfelpunkt von Peter Gabriels künstlerischem Engagement bildet das Big Blue Ball-Projekt. Es entstand zwischen 1991 und 1995 während drei sogenannter Recording Weeks, mehrwöchiger Aufnahmesessions unter Beteiligung von afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen und westlichen Künstlern, in Peter Gabriels Real World Studios. Erstmals öffentlich vorgestellt wurde das Projekt im Rahmen des spartenübergreifenden Kulturfestivals "Across The Border" im Sommer 2008 im Aachener Ludwigsforum. Trotz freien Eintritts und Peter Gabriels CD-Präsentation lockte die anspruchsvolle Ausstellung am Eröffnungstag erstaunlich wenig Besucher an. Gut die Hälfte des 900 Plätze fassenden Saals blieb leer. Dies könnte ein voreingenommener Kritiker als Indiz dafür werten, daß der britische Popkünstler den Bodenkontakt längst verloren hat. Laut Gabriel liegt der Ursprung des Titels "Große blaue Kugel" in der Raumfahrt. "Big blue ball" sagen die Astronauten, wenn sie die Erde vom Weltall aus betrachten. Sie nehmen den Globus nicht mehr mit seinen Details wahr, sondern als Ganzes.

Aus der Distanz eines gutversorgten Daseins läßt sich das Positive an der Welt weit unbeschwerter besingen, als wenn man mit beiden Füßen im Schlamm fremdverursachten Elends steckt. Diese Distanz wird durch die Instrumente medialer Reproduktion nicht gebrückt, sondern durch ihre warenförmige Vervielfältigung verwertbar gemacht. Das Schicksal der Hungernden und Elenden zumindest erschließt sich der menschlichen Empathie und den notwendigen gesellschaftlichen Interessen auf diesem Wege weniger, als daß zu allem Überfluß eher noch die Ausbeutung und der Verkauf der bloßgelegten Kreatürlichkeit Betroffener und Geschädigter organisiert und transportiert wird.

The Real World of Peter Gabriel
Dokumentation von Dieter Zeppenfeld und Georg Maas
WDR (Deutschland, 2008, 52 min)
Produktion: Schnittstelle Film und Video GmbH, Köln
www.schnittstelle-koeln.de

Donnerstag 6. August 2009 um 23.20 Uhr auf arte


Anmerkungen:

[1] redcouchstories.com
[2] Peter Gabriel will mit Handys die Dritte Welt retten;
rhein-zeitung.de 29. Januar 2001

25. Juli 2009