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BERICHT/018: Re!oaded - frisch, vertraut, nachhallig (SB)


Coverband Re!oaded rockt das Kulturcafé Komm du und klingt nach
Konzert am 11. Oktober 2013 im Kulturcafé Komm du



Manche Erlebnisse wirken nach, lösen ein Nachdenken aus, das seinen Ursprung in einem konkreten Ereignis nicht unbedingt sofort zu erkennen gibt. Eine solche Gedanken-Schleuse öffnete sich nach dem Konzert von Re!oaded am 11. Oktober 2013 im Kulturcafé Komm du in Hamburg-Harburg.

Es singt und klingt, tönt und dröhnt in unserem Alltag. Im Auto spielt die Musik auf dem Weg zur Arbeit, im Supermarkt um die Ecke dudelt der Einkaufsfunk, im Fitnessstudio begleiten Musik-Videos im Dauerlaufmodus die schweißtreibenden Übungen. In Büro und Werkstatt ist das Radio mindestens im Hintergrund auf Sendung. Es lässt sich zwar nicht bei jedem Titel und jederzeit so laut aufdrehen, wie manch ein Kollege es sich wünscht, um daraus Schwung für die nächsten paar Arbeitsstunden zu ziehen, aber als melodisches Dickicht bietet es auch bei Minimallautstärke ein unsichtbares Versteck, in das es sich kurz und unbemerkt abtauchen lässt. Musik ist ein ständiger Alltagsbegleiter, sie umrahmt und stützt freiwillige Geschäftigkeit ebenso wie atemraubende Notwendigkeiten, die sich mit dem Job, mit familiären Verpflichtungen oder mit anderen sozialen und gesellschaftlichen Zwängen in Verbindung bringen lassen. Dabei finden sich zu jeder Stimmung und Situation die passenden Noten und Klänge.

Es ist möglich, dass es sich leichter joggt, wenn die Red Hot Chili Peppers direkt ins Ohr "Can't stop" fetzen, weil sich der Straßenlärm der Großstadt ein paar Runden lang aussperren lässt. Bestimmt kann der unbeliebte Hausputz - das unvermeidliche Staubsaugen zum Beispiel - übertönt von Pinks "Get the party started" zu einer fröhlichen Angelegenheit werden. Die Lieblings-CD von AC/DC hat entspannende Wirkung, wenn sie einen langen, stressigen Arbeitstag zumindest für einen richtig lauten Moment ins Vergessen dröhnt. Ist Musik die akustische Watte, die alles flauschig verpackt, was an Zwängen und Umständen ansonsten seine Unerträglichkeit offenbaren und entweder Widerstand oder Verzweiflung auf den Plan rufen würde? Der viel benutzte Satz "Mit Musik geht alles besser", dem zuzustimmen so leicht zu fallen scheint, wäre in diesem Licht betrachtet ein Hinweis auf eine sehr viel ältere Leier. Haben sich nicht schon die Rudersklaven auf den römischen Galeeren zu Trommelrhythmen kräftiger in die Riemen legen müssen? Die Afrikaner, die im 17. Jahrhundert auf den Tabak- und Baumwollplantagen Nordamerikas als Sklaven schufteten, sangen ihre "Worksongs", um besser Hand in Hand arbeiten zu können und um sich von der physisch schweren Arbeit emotional zu entlasten.

Die populäre Musik, die - oft auch ungefragt - unsere alltäglichen Verrichtungen begleitet und als leistungssteigerndes, harmonie- und schwungförderndes Mittel Einsatz findet, hat im Formatradio eine gut funktionierende Trommel der Gegenwart gefunden. Auf allen Sendern, die massenhaft Hörer haben oder halten wollen, laufen die gleichen Pop- und Rockklassiker, Oldies und aktuelle Hits, die der Musikmarkt mainstreamtauglich hergibt, im schnellen Takt der Wiederholung. Bloß nicht auffallen! Keine musikalischen Experimente! Bitte nicht stören! - Das sind die Webfäden für einen dicht gewirkten, formatierten Klangteppich. Dass die kreative Leistung und das handwerkliche Können der Komponisten und Musiker bei seinem Gebrauch mit Füßen getreten wird, scheint eine vertretbare Begleiterscheinung zu sein. Leicht zu übersehen ist dabei möglicherweise, dass die Fähigkeit, wirklich Musik zu hören und zu erleben, abrauscht in nicht mehr messbare Bereiche und sich selbst Menschen, die Musik lieben, nahezu verwundert stille Momente wünschen und keinen Ton mehr hören wollen. Ruhe! Feierabend! Sofa! Nichts mehr hören, niemanden sehen!

Was an genau dieser Stelle abwegig klingen mag, ist eine ernst gemeinte Empfehlung: Ein Live-Konzert kann gegen derartige Ermüdungs- und Lähmungserscheinungen wirksam helfen! Gemeint ist nicht ein Konzert jener Pop- oder Rockgiganten, die Stadien füllen und wo der Erwerb einer Eintrittskarte Monate im Voraus einer zinslosen Geldanlage gleichkommt. Gemeint ist ein Konzert in einer Musikkneipe oder einem Club in der Nachbarschaft, in der eine Band spielt, deren Namen man vielleicht vorher noch nie gehört hat und auf deren Musik man nur gespannt sein kann, weil man nicht recht weiß, was einen erwartet. An einem Freitagabend ist das Kulturcafé Komm du in Hamburg-Harburg eine gute Adresse für eine solche Entdeckungsreise in Sachen Live-Musik. Beispielsweise beim Konzert der Coverband Re!oaded am 11. Oktober 2013.

Re!oaded - die Gruppe bei ihrem Auftritt im 'Komm du' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Schon am späten Nachmittag schleppen vier Männer und eine Frau Kisten, Instrumentenkoffer, Trommeln, Verstärker, Kabel, Lampen, Stative und noch mehr Kisten auf die Bühne. Die Band, die da ihren Auftritt zügig und professionell vorbereitet, heißt Re!oaded. Das Ausrufungszeichen lässt sich beim Lesen durch das erwartbare "l" ersetzen. Der Bandname ist Programm: Bekanntes wird neu auf- und hochgeladen. Re!oaded covert, "bringt rockigen Sound der letzten zwei Jahrzehnte mit Allem, was gute Unterhaltung ausmacht auf die Bühne", schreibt die Gruppe auf ihrer Internetseite! Zum Repertoire gehören unter anderem Songs von Green Day, Bad Religion, Billy Idol, Pink, Bon Jovi, Adele, Die Ärzte, Sunrise Avenue und AC/DC. Eine stattliche Liste großer Namen, erfolgreicher Rock- und Popgrößen und richtig guter Musiker. Damit liegt die musikalische Latte hoch und ist leicht zu reißen. Gecoverte Songs der Lieblingsband können einen eingefleischten Fan gruseln, lange bevor der erste Ton erklungen ist. Nichts gegen Monika, die beiden Svens, Michael und Arne, die gerade eifrig die Strippen ziehen, die Instrumente und Boxen postieren, aber warum für einen gecoverten Song von Re!oaded das Haus verlassen, wenn das Original silbrig gepresst im heimischen CD-Regal zu finden ist, bei Knopfdruck vom mp3 - Player direkt ins Ohr geht oder allein heute ein Dutzend mal im Radio gelaufen ist?

Eine Frage, die die Gäste des Abends hinter sich gelassen haben. Das Komm du füllt sich, die besten Plätze an der Bühne sind schon beim Soundcheck besetzt. Dann rockt Re!oaded los und erspielt sich schnell den Respekt auch des letzten Skeptikers im Abseits. Gleich, welchen Song die Band in den kommenden zweieinhalb Stunden auf die Bühne bringt, das Original ist wiederzuerkennen. Uneitel und ohne den erkennbaren Versuch, ein Stück besonders eigen interpretieren und irgendwie anders oder gar besser machen zu wollen, setzen die Musiker ihr handwerkliches Können ein. Sie sind hör- und fühlbar Fans der Songs und Bands, die sie covern und als solche erspielen sie sich die Begeisterung ihres Publikums. Dabei liefern sie eine Show, die mit Lichteffekten, dem dynamischen Spiel von Gitarre, Bass und Schlagzeug und den Stimmen von Sängerin und Sänger die vergleichsweise kleine Bühne im Komm du riesig wirken lässt.

Re!oaded - die Gruppe bei ihrem Auftritt im 'Komm du' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Re!oaded heizt ein. Vorn an der Bühne hält es einige Gäste längst nicht mehr auf den Stühlen. Als die Stimmungswelle über eine weiter hinten sitzende mitklatschende Gästegruppe durch den gesamten Gastraum des Kulturcafés schließlich bis an den Spülbeckenrand in der Küche schwappt, finden wenig später die sauberen und frisch getrockneten Teller nahezu tanzend den Weg zurück ins Regal.

Das Konzertende kommt für die Gäste im Komm du nach gut zwei Stunden offenkundig viel zu früh. Sie wollen mehr, rufen und bekommen gleich zwei Songs als Zugabe. Mit einem Unplugged-Stück zum Ende ihres Auftritts liefert Re!oaded leiser, aber nicht weniger kraftvoll einen weiteren Hinweis auf die musikalischen Fertigkeiten der einzelnen Mitglieder und die Qualität ihres Zusammenspiels als Band. An dieser Stelle sei das Ausrufungszeichen im Namen noch mal erwähnt und in ein "Alle Achtung!" übersetzt.

Was nachklingt, ist die Erkenntnis, dass ein Abend allein zu Hause mit dem silbrigen Original - wie laut AC/DC auch aus der heimischen Anlage gedröhnt hätte - stiller und einsamer geworden wäre, gemütlicher hingegen sicher nicht. Die Erschöpfung, die nach Feierabend noch fast zur Bewegungslosigkeit und in eine liegende Position geführt hätte, ist wie weggeblasen und einer Entspannung gewichen, die keineswegs allein damit zu erklären ist, dass im Komm du ein großes, einladendes Sofa steht. Es ist schwer zu sagen, warum man sich sofort willkommen und schnell zuhause fühlt. Dieses Kulturcafé bringt mit seiner Atmosphäre die Grenze zwischen privatem Lieblingsplatz und öffentlichem Lokal ins Wanken. Auch deshalb war es eine gute Entscheidung, das eigene Wohnzimmer zu verlassen. Mit anderen Menschen gemeinsam Musik zu erleben, hat Titel, die als alltägliches akustisches Schmiermittel für reibungslose Funktionsfähigkeit im Dauereinsatz sind, mit einer Stimmung beladen, die ihnen schon lange nicht mehr anzuhören war. Mit anderen Worten: Songs, die bekannt und vertraut aus Dutzenden Quellen den Alltag beschallen, können zu einer Neuentdeckung werden, wenn sie gut und voller Begeisterung handgemacht gespielt sind. Sie sind wieder hörbar!

An dieser Stelle sei unbedingt gesagt: Es gibt keinen Anlass, einer verpassten Gelegenheit nachzutrauern. Das nächste Konzert im Komm du gibt am Freitag, den 18. Oktober 2013, die Gruppe Memory Four, und auch Re!oaded kommt wieder und lädt nach. Die Gruppe feiert ihren Jahresabschluss am 20. Dezember 2013 in Harburgs Kulturcafé in der Buxtehuder Straße 13.

17. Oktober 2013