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BERICHT/019: Dem Spiegelbild geschuldet - dem Ansehen geschadet (SB)


Zum Konzert von Wolf & Pamela Biermann am 13. November 2013 in Hamburg

Von Wichtigkeiten und Nichtigkeiten



Ein fast ausverkauftes Haus, lang anhaltender Schlußapplaus, vier Mal müssen Wolf und Pamela Biermann auf die Bühne zurück, zwei Zugaben verlangt das Publikum. - Das klingt nach einem überaus erfolgreichen Abend.

"Den Biermann und seine Lieder zur Gitarre - das kennt man. Ich aber im Konzert mit meiner Frau Pamela - das ist eine ganz andere Nummer!", heißt es im Programmheft zur Hamburger Premiere am 13. November 2013 im traditionsreichen Thalia Theater. Seit sie sich vor 30 Jahren trafen und lieben lernten, er damals 46 und sie 19, singen sie zusammen, zunächst zu zweit (er gern im Dunkeln, sie lieber bei Licht), später mit Freunden, jetzt haben sie ihre erste gemeinsame CD herausgebracht. "Ach, die erste Liebe", so der Titel, nach dem Lied von Bulat Okudshava, dem russischen Brassens und Sprachrohr der sowjetischen Nachkriegsgeneration, das darauf neben 20 anderen zu hören ist, gleichlautend mit dem Bühnenprogramm, mit dem die beiden seit 2012 vor großes Publikum treten.

Wolf Biermann kommt zunächst allein - ganz so, wie man ihn seit Jahrzehnten kennt, stimmt mit virtuosen Gitarrenakkorden in den ihm eigenen Dissonanzen, mal laut, mal leise, die Zuhörer auf sich ein, blickt, mit Überraschtheit kokettierend, über die gut gefüllten Reihen, um dann mit einem Liedchen seine Frau Pamela auf die Bühne zu locken; quel Charmeur.

Für diesen Abend haben sich die beiden solche Lieder ausgesucht, die sie nach eigenen Angaben besonders gern zusammen singen, allesamt aus dem Buch "Fliegen mit fremden Federn", in dem Biermann auf über 500 Seiten in 50 Jahren gesammelte Lieder und Gedichte aus aller Welt in sein "singbares Deutsch" gebracht hat. 'Nachdichtungen und Adaptionen' nennt er das, hat er doch bei der Übersetzung freie Hand walten lassen, manches interpretiert, anderes umgeschrieben, Strophen auch schon mal weggelassen. "Ich darf das", sagt er, "weil ich es kann. Wer 's nicht kann, darf es nicht, aber ich kann 's." Applaus.

Viele der Zuschauer kennen Biermann von früher, wie der Schattenblick nach der Vorstellung in Erfahrung bringt, seit er in der DDR das 'enfant terrible' gab, als Wandler zwischen den Welten, West und Ost, freiwillig und unfreiwillig. Sie erinnern sich an seine "politische und ehrliche Art" oder fühlen sich gar 40 Jahre zurückversetzt: "Man hätte gern dazu ein Bier getrunken und ganz viele Zigaretten geraucht, das wäre das bessere Setting gewesen." Er sei ein bißchen weicher, ein wenig ruhiger geworden, nicht mehr der arrogante Besserwisser von damals, ein weiser Mann, der unglaublich viel gelernt habe und über viel Selbstironie verfüge. Manch einer vermißt die politische Orientierung von früher, aber das sei "vielleicht altersangemessen" und bedingt durch die Entwicklung, die Zeit sei ja auch eine andere geworden, der Kommunismus passé. Aber er sei der gleiche Kasper auf der Bühne, dem man seine Spiel- und Singlust ansieht. "Politisch hat er nachgelassen, Positionen aufgegeben, obwohl es das war, weshalb ich ihn mochte." - " ... aber es bleibt das Gefühl, daß da mal was war."

Andere hören ihn zum ersten Mal, sind begeistert auch von den kleinen Sätzen, die er zwischen die Lieder streut: "Lieber ein gutes Gedicht von einem schlechten Menschen als ein schlechtes von einem guten", gemünzt auf Louis Aragon und sein Lied über die "Glückliche Liebe" am Schluß des Programms. "Daß er bürgerlich war, das ist das letzte, was ich ihm vorwerfe, aber daß er die Verbrechen unter Stalin geleugnet hat, das ja." Applaus.

Was ist das Geheimnis des anhaltenden biermannschen Erfolges? Erinnern wir uns.

Am 15. November 1936 wurde Wolf Biermann in eine kommunistische Familie hineingeboren, es schien folgerichtig, daß er 1953 in die DDR übersiedelte. Nur fand er dort - wie viele andere auch - nicht den Sozialismus, von dem er geträumt hatte, eine klassenlose Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung. Denn den sozialistischen Menschen gab und gibt es nicht, so wenig wie den geborenen Demokraten. Der mußte, nach obrigkeitsstaatlicher Maxime, erst gemacht oder erzogen werden. Erst kommt das Fressen, dann die Moral, der Satz von Bertolt Brecht galt hüben wie drüben.

Und mittendrin Biermann, der "ja das riesige Privileg hatte, daß ich in diesem Osten, in dieser totalitären Diktatur eine wunderbare Rolle spielen konnte als kleiner Drachentöter. Verstehen Sie? Das macht doch ein Menschenglück aus, daß man mit Gedichten und Liedern Dinge sagen und deutlich machen kann, ausschreien, aussingen, die andere Menschen nur unter der Decke heimlich ihrer Frau zuflüstern. Das ist ein Riesen-Lebensglück für jeden Menschen, wenn er das Gefühl hat, daß er etwas liefern kann, was andere brauchen." [1]

Seit 1960 schrieb Biermann Gedichte und Lieder, darunter "Die hab ich satt" oder "Du, laß Dich nicht verhärten" und geriet schon bald mit seinen provokativen Arbeiten, die auch in der Bundesrepublik schnell wachsenden Anklang fanden, ins Visier der Staatssicherheit. Und wie viele, die erst dadurch richtig bekannt werden, daß sie verboten sind, beförderte das Berufsverbot der DDR-Oberen ab 1965 seine Karriere, auch und gerade die im Westen.

Nach einem offiziell genehmigten Konzert am 13. November 1976 in Köln, "Ich möchte am liebsten weg sein - und bleibe am liebsten hier", verweigert ihm die DDR die Wiedereinreise. "Durch sein hetzerisches Auftreten und Gesamtverhalten in der BRD hat Biermann die bereitwillige Erfüllung der ihm von erbitterten Feinden der DDR übertragenen Rolle, den real existierenden Sozialismus in großem Ausmaß und auf das Gröbste zu verunglimpfen, eindeutig demonstriert", ist im Stasi-Bericht vom 28. November 1976 zu lesen. [2] Es gibt Proteste weltweit, auch in der DDR, darunter von Stefan Heym, Jurek Becker, Sarah Kirsch, Christa Wolf, Heiner Müller und anderen.

Biermann kehrt von der alten neuen in die neue alte Heimat zurück, nach Hamburg. Heute gehören seine Gedichtbände zu den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur, er wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt 2006 zum 70. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz; 2007 wird er Ehrenbürger von Berlin, nicht ohne vorherige öffentliche Debatten.

Wolf und Pamela Biermann - Zeichnung: © 2013 by Schattenblick

Zeichnung: © 2013 by Schattenblick

Es sind nicht nur Liebeslieder, die an diesem Novemberabend erklingen, wenngleich auch die Liebe laut Biermann immer in einer großen politischen Landschaft stattfindet, "sonst wäre der Kuß langweilig", sondern auch Antikriegslieder wie das von Johnny, der ohne Arme, ohne Beine und ohne Augenlicht aus dem Kampf zurückkehrt, gesungen von einem, der sich für die Kriegseinsätze der NATO auf dem Balkan und den der USA 1991 im Irak stark gemacht, ja bedauert hat, daß Deutschland bei letzterem nicht mit dabei war. Bei Biermann geht das zusammen, wie vieles andere auch. Dann gibt es auch solche Liebeslieder, die zu politischen wurden, wie Jean Baptiste Cléments "Zeit der Kirschen", das nach der Niederschlagung der Pariser Kommune im Jahr 1871, "raffiniert mißdeutet", zur subversiven Hymne der Revolution wurde. "Die Revolution ist niedergeschlagen worden, aber wir werden uns immer wieder erheben, auch wenn es wehtut."

Da schmückt sich einer, für den der Sozialismus als gesellschaftliche Vision längst keine diskutable Alternative mehr ist, nicht nur mit den Federn anderer Autoren, vor allem solchen, die selbst revolutionären Ideen anhingen und sich zum Teil auch ganz praktisch in deren Umsetzung einmischten, sondern auch mit denen eines kritisch-widerständigen Geistes, die - völlig gefahrlos - die Marke des Sängers als kleinem Drachentöter aufrechterhalten sollen.

Vom schwedischen Dichter Nils Ferlin stammt das Lied von der Blaublümeleinwelt, dessen Biermannsche Version von den Visionen und Träumen, die in die Irre führen, sich der Liedermacher zum eigenen Credo gemacht hat. "Daß der Kommunismus ein Kinderglaube ist, der in die Irre führt - Ihr wißt das schon längst, aber ich mußte das erst lernen." Applaus. Das will das Publikum offensichtlich hören und sehen, wie da einer für die "Naivität, ein Kommunist gewesen zu sein", den Kotau vor den westlichen Werten macht. Applaus. Wobei die Berufung auf die Jugendlichkeit kaum verfangen kann bei jemandem, der sich 1961, also mithin mit 25, zwei Jahre lang und schlußendlich erfolglos um Aufnahme in die SED beworben hat. Und dann ein Lied dazu.

Wie ehemalige Weggefährten sehen die meisten im Saal nicht aus, die ihm da applaudieren, eher wie die neuen Genossen in bürgerlichem Tuche, die grauen Haare wohlfrisiert. An prominenten Gästen gab es keinen Mangel: Thomas Mirow, Vorsitzender des Aufsichtsrats der HSH Nordbank, Unternehmer Michael Otto, Ex-Bürgermeisterin Christa Goetsch, die ehemalige Kultursenatorin Karin von Welck, Birgit Breuel, ehemalige Präsidentin der Treuhandanstalt, Unternehmer Klaus-Michael Kühne, der ehemalige NDR-Intendant Jobst Plog, Intendant Joachim Lux, Hapag-Lloyd-Chef Michael Behrendt, Hamburg-Süd-Chef Ottmar Gast u.a. luden nach der Hamburger Premiere zum Empfang. Ihnen ist der Biermann ein Wegweiser zu dem Glück, mit dem Gedankengut von einst rückstandsfrei fertig zu werden. Vielleicht macht das den Erfolg. Und eine gehörige Portion frecher Selbstüberschätzung - auch das mögen die Leute. Die echten Fans, die, so Biermann selbst, ganz oben auf dem dritten Rang sitzen, werden am Ende dieses Abends diejenigen sein, die den Saal zuerst verlassen.

Dem Biermann mag 's genügen, er will ja nur liefern, was andere brauchen können. Einer, der trotz aller Beteuerungen von Veränderung und Veränderlichkeit eine Gesellschaftsutopie mit einem Staatsbürokratismus oder einem Blumenland verwechselt - das eine so unzutreffend wie das andere -, der bei den zu beklagenden Opfern des Stalinismus die Millionen vergißt, die im Namen der westlichen Demokratie und zu deren Verteidigung ermordet wurden und noch werden, bei dem die Dialektik als eine Methode, das Denken zu befördern, als "das treibende Moment des Vernünftigen" (Hegel), zu einer positionslosen Manie des 'Es ist so, aber doch auch ganz anders' verkommt. Der mit einem Satz die Welt nicht entfaltet, wie die Dichter es tun, sondern mit ihr fertig wird. Dem die Unvollkommenheiten im Westen Aushängeschilder einer lebendigen Demokratie sind, über die es sich zu streiten lohnt, im real existierenden Sozialismus aber Ausweis einer ganz und gar verhunzten und zudem gefährlichen Ideologie.

Und Pamela? Die hat die Inszenierung fest im Griff. Eine Geste reicht, den Wolf zu stoppen, wenn er zwischen den Liedern zu viele Erinnerungen auspacken will und darüber ins Schwadronieren gerät. Das ging früher manchmal endlos, und Biermann versäumt nicht, darauf hinzuweisen, daß der 13. November auch der Jahrestag seines Kölner Konzertes ist - Applaus -, da hat er viereinhalb Stunden gesungen und später in Leipzig beim ersten Auftritt nach dem Mauerfall im Osten sogar sechs - da kommt einiges zusammen. Applaus.

Musikalisch eher mäßig, er krächzt und röhrt, trällert und schluchzt, brummt und brüllt, bemüht die Klassik auf eine fast peinliche Weise, die leisen Töne sind seltener als früher, die lauten umso vordergründiger geworden, sie singt eher Mittelmaß, die von ihrem Mann als "glasklar" beschworene Altstimme inkludiert manchen Mißton, der, uneingedenk gewollter Dissonanzen, nicht zu überhören ist. Ihre Gesten stereotyp, sein Französisch grauenhaft, das Englisch auch, wie andernorts schon bemerkt wurde, aber "der Biermann, der darf das", so eine Zuschauerin. Das Zusammenspiel der beiden manchmal keck, meist seicht und immer etwas gewollt. Vorgetragen wirkt das ganze, weniger Seele als Profession. Aber wen wundert's, hat doch da einer dem Hamburger Michel sein Herz verkauft, statt sich vom Glasmännlein den notwendigen Verstand zu wünschen. [3]

Manch einer oder eine im Publikum nimmt sich die Freiheit, nicht zu klatschen. Aber dann, am Schluß, kommt doch noch Begeisterung auf. Bei der Ballade von Johnny Sands und Betsy Bucht über die wechselseitigen Gemeinheiten zwischen Mann und Frau, beim recht frei übersetzten jiddischen "Bei mir biste schejn" über menschliche Schwachstellen, derentwegen man sich trotzdem liebt - das paßt zu den Protagonisten und zum Thema des Abends - oder im biermannsch eingefärbten Calypso von Harry Belafonte um die Fragen nach dem Klapperstorch und andere. Das macht er richtig gut, der Biermann: Probleme anreißen, Fragen aufwerfen und dann mit Kauderwelsch antworten. Nicht sonderlich gut intoniert, aber witzig vorgetragen. Und am Ende noch was zum Mitsingen:

[...]
Ich kann segeln ganz ohne Wind
Rudern kann ich ohne Ruder
Doch ohne Tränen mich trennen nicht
Von meinem Herzensbruder. [4]

Hat Biermann bedacht, daß auch er nur eine fremde Feder ist in einem Spiel, dessen Regeln andere bestimmen, ein bißchen Deko und für sehr leicht befunden, ein zahnloser Tiger eher als das "gebrechtelte Bühnen- Monster", als das er sich selbst bezeichnet, ein Clown, der seine Schuldigkeit getan hat und trotzdem der 'Mohr' bleibt? Vielleicht werden deshalb die Gazetten an den darauffolgenden Tagen den prominenten Namen der Dabeigewesenen mehr Platz einräumen als dem Inhalt des Konzertes.

Anmerkungen

[1] Interview mit Bettina Klein im Deutschlandfunk am 15.11.2006 anläßlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

[2] Stasi-Bericht vom 28. November 1976 Nr. 0/35, Quelle BStU, MfS, ZAIG 5524, Bl. 1-16
http://www.bstu.bund.de/DE/BundesbeauftragterUndBehoerde/Aktuelles/biermann.html

[3] In Wilhelm Hauffs Märchen "Das kalte Herz" verkauft der Protagonist sein Herz an den Holländer-Michel für Anerkennung und Reichtum, obwohl er als Sonntagskind beim Glasmännlein drei Wünsche frei hat, das ihn allerdings gemahnt, sich auch den notwendigen Verstand für seine Unternehmungen zu wünschen.

[4] Schwedisches Volkslied, deutsch von Wolf Biermann

19. November 2013