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BERICHT/020: Licht im Dunkel - Klangwelt und Instrumentenbau zur Zeit C.P.E. Bachs (SB)


Geburtstagsmatinee für "den großen Bach"

Carl Philipp Emanuel soll aus dem Schatten des Vaters geholt werden


Farbiges Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Porträt Carl Philipp Emanuel Bachs von Olaf Hajek, Berlin 2013
Foto: © 2014 by Schattenblick

Ein Komponistenjubiläum, bei dem der Jubilar nicht nur aus den Tiefen der Zeit hervorgeholt werden muß, sondern einer breiten Öffentlichkeit, ja einem beachtlichen Teil der Musikliebhaber und -kenner nur dem Namen nach und als Sohn seines Vaters bekannt ist, stellt in der Überfülle der sich jährlich häufenden Gedenkjahre sicherlich eine eher seltene Variante dar.

Daß eine musikalisch wie geistesgeschichtlich außergewöhnliche Persönlichkeit vom Format Carl Philipp Emanuel Bachs, den die geistige Elite seiner Zeit als "den großen Bach" und "Originalgenie" bezeichnete, nach ihrem Tod in kürzester Zeit so gründlich aus dem zeitgenössischen kulturellen Gedächtnis verschwinden und bis zum heutigen Tag aus Konzertsälen und Rundfunkprogrammen verschwunden bleiben konnte, ist bildungsgeschichtlich ein Phänomen. Und die Tatsache, daß sogar eine kurzfristige Wiederentdeckung des heutigen Jubilars im Gedenkjahr seines 200. Todestages 1988 sowie die damalige Herausgabe und Einspielung einer großen Anzahl seiner Werke immer noch keine dauerhafte Bachrezeption bewirkt hat, macht einen diesbezüglichen Neuversuch anläßlich des aktuellen Jubeljahrs durchaus nachvollziehbar.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Alexander Gergelyfi am historischen Cembalo und Joseph Maria Antonio an der Gambe
Foto: © 2014 by Schattenblick

Auch das Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) hat sich auf die Fahnen geschrieben, "C.P.E". endlich wieder zu angemessener Wertschätzung zu verhelfen. Unter dem Motto "'Aus der Seele muss man spielen...' - Klangwelt und Instrumentenbau zur Zeit C.P.E. Bachs" hat es zur Feier von dessen dreihundertstem Geburtstag zusammen mit der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) eine Ausstellung organisiert. Vom 7.3.-20.12. dieses Jahres sollen auf einer zauberhaften Zeitreise die Epoche der Empfindsamkeit und ihr musikalischer Hauptvertreter anhand einer beeindruckenden Auswahl zur Schau gestellter Originalinstrumente aus dem Schatz des Museums und einer Anzahl visuell und auditiv erlebbarer Filmprojektionen von verkleideten Musikstudenten, die diese Instrumente kunstgerecht bespielen, dem Publikum nahegebracht werden.

Am neunten März hatte das MKG zu einem festlichen Auftakt des Bachjahrs mit Reden und Musikeinlagen im Vestibül und anschließender Gelegenheit zu einem ausführlichen ersten Eindruck von der Ausstellung eingeladen. Über 100 Besucher hatten ihren Weg dorthin gefunden und Sitze, Empore und die Treppen besetzt, um an der Matinee teilzunehmen.

Teil des Vestibüls mit Glasfront, dahinter ein Innenhof - Foto: © 2014 by Schattenblick

Das Vestibül, einladender Veranstaltungsort im MKG
Foto: © 2014 by Schattenblick

Neben den Vorträgen von Prof. Dr. Susanne Schulze, Direktorin des MKG, Olaf Kirsch, Kurator der Musikinstrumentensammlung am MKG und Frank Böhme, Professor für angewandte Musik an der HfMT, durften die Zuhörer sich immer wieder kleiner Kostproben musikalischer Darbietungen erfreuen. Es spielten Alexander Gergelyfi am Cembalo, Joseph Maria Antonio an der Gambe und bisweilen erklang die ausdrucksvolle Stimme einer Studentin für Gesang im sechsten Semester der HfMT.

Wer es noch nicht getan hatte, konnte im Anschluß an die Veranstaltung einen Ausstellungsraum betreten, der den Besucher trotz der medialen klanglichen Präsentation in konzentrierter Stille wandeln ließ, wo er die teilweise ausgesprochen kunstvollen und stilvollen Musikinstrumente bewundern und deren Geheimnissen vergangener Zeiten nachspüren konnte. War es früher nahezu unmöglich, auch nur den Klang der alten Instrumente zu vermitteln, läßt sich dagegen in der "modernen Zeit", in der neben den zahlreichen Konservierungsmethoden für Musik heute auch eine weiträumige mediale Vernetzung existiert, eine Fülle von neuem Wissen weitergeben.

Cembalo bemalt mit geselligen Szenen - Foto: © 2014 by Schattenblick Eine der gemalten Szenen auf dem Cembalo - Foto: © 2014 by Schattenblick Eine weitere der gemalten Szenen - Foto: © 2014 by Schattenblick

links: Kunstvolles Cembalo aus der Werkstatt Vincenzo Sodi, Florenz 1778/1779.
mitte: So musizierte man offensichtlich zur Zeit des Carl Philipp Emanuel Bach
rechts: Deckel des Vincenzo Cembalos
Fotos: © 2014 by Schattenblick

In gelungener Kooperation zwischen dem MKG und der HfMT entstanden eine Reihe faszinierender Kurzfilme, auf denen zeitgemäß kostümierte Musikstudenten Klangfarbe, Tonqualität und Klangmöglichkeiten der Instrumente mit barocker Musik erlebbar machen. Die Instrumente, von denen einige nach ihrem jahrelangen Bespielen spürbare Abnutzungserscheinungen aufweisen, forderten dabei geradezu eine bestimmte Interpretation von ihrem Spieler - ein Bund zwischen alter Musik und Moderne.

Carl Philipp Emanuel Bach, als wegweisender Komponist der Empfindsamkeit, erhob zum Schwerpunkt seiner Lehre die "Rührung des Herzens", und war für seine wichtigsten Nachfolger Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven das "hochverehrte" Vorbild: "Er ist der Vater, wir sind die Bub'n" (Mozart). Er war eine gesellige, umgängliche Persönlichkeit, den revolutionären Gedanken seiner Zeit zugeneigt.

Im November 1768 übernahm er von seinem Patenonkel Georg Philipp Telemann das Amt des Musikdirektors und Kantors am Johanneum in Hamburg, das er bis zu seinem Tod im Dezember 1788 innehatte und das ihm den Namen "Hamburger Bach" bescherte. 30 Jahre am Hof Friedrichs des Großen als Begleiter des königlichen Musikliebhabers, Interpreten und Komponisten erschienen ihm mehr als genug. In Potsdam, auf Schloß Sanssouci, hatte er übrigens auch das musiktheoretische Werk "Ein Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" verfaßt, das bis heute als Standardwerk für die historische Aufführungspraxis gesehen wird.

Cembalo von der Seite und von vorn (Manuale) fotografiert - Foto: © 2014 by Schattenblick Cembalo von der Seite und von vorn (Manuale) fotografiert - Foto: © 2014 by Schattenblick

Zweimanualiges Cembalo, Christian Zell, 1728
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Hamburg nun bot dem Musiker eine neue Chance. Zwar fehlte es den Hamburgern aus seiner Sicht an "Kennern und Liebhabern", er hielt aber die meisten Hamburger für "sehr gutherzige und umgängliche Personen, mit denen man ein angenehmes und vergnügtes Leben führen kann" und war mit seiner "gegenwärtigen Situation sehr zufrieden" [1]. Seine Ämter nötigten Bach eine große Anzahl von Kompositionen ab, dennoch gelang es ihm, neben allen kirchlichen Verpflichtungen, an öffentlichen Orten reizvolle Konzerte zu veranstalten. Mit Werken, die erstmals auch für das Bürgertum bestimmt waren - für seine Zeit sehr ungewöhnlich - beeinflußte er wesentlich das Musikleben der Stadt.

In ihren Reden, in denen die Begeisterung für das gemeinsame Unterfangen deutlich spürbar war, gingen die drei Gastgeber vor allem auf Fragen, Probleme und mancherlei unterhaltsame Details der Ausstellungsorganisation und Projektdurchführung ein, die jeweils ihren speziellen Verantwortungsbereich betrafen.
Eine Ahnung vom musikalischen Anteil am Gelingen dieses höchst reizvollen Projekts vermittelten, neben dem Hörgenuß, die umrahmenden Darbietungen des Barockorchesters.

Die drei Musizierenden beim Applaus - Foto: © 2014 by Schattenblick

Voller Applaus für das Ensemble
Foto: © 2014 by Schattenblick

Alles in allem hat diese Ausstellung fraglos die Aufmerksamkeit eines interessierten Publikums wie auch des informierten Fachbesuchers verdient. Bedauerlich nur, daß eine brauchbare Information der Öffentlichkeit zu eben diesem Zweck bei der indessen vertraut mangelhaften Pressebetreuung der Ausstellungsveranstalter kaum zu realisieren sein dürfte. Für die Redakteure des Schattenblick zumindestens blieben doch einige Fragen offen.

Denn auch wenn Matinee und Ausstellung den Unterhaltungsanspruch diesbezüglich verwöhnter heutiger Kulturkonsumenten in kultureller wie ästhetischer Hinsicht sicherlich rundherum zu befriedigen vermochten, wurden im Zusammenhang mit dem Jubiläumsgeschehen in seiner heutigen Form eventuell auftauchende grundsätzliche Fragen und Überlegungen dagegen weder in den Reden, noch in der gepflegten Begleitbrochüre zur Ausstellung auch nur berührt.

So stellt sich zum Beispiel bei einer kritischen Auseinandersetzung mit C.P.E. Bach, dem es bekanntermaßen ein besonderes Anliegen war, den bis dahin vor allem dem Adel vorbehaltenen Bereich von Musik und Musikbetrieb auch dem Bürgertum zugänglich zu machen, ganz von selbst die Frage nach dem bildungselitären Charakter von Kultur und Musik und nach der Verwaltung solcher Exklusivität seitens der Politik - eine Problematik, die heute, im Zeitalter der Eliteförderung, an Aktualität sicher nichts zu wünschen übrig läßt.

Ebenso ließe sich an der Person Bachs und seiner Rebellion gegen Einengung und Gängelung durch höfisches Zeremoniell wie gegen musikästhetisches Regelwerk der enge Zusammenhang zwischen Musik- bzw. Kulturgeschichte und Herrschaftsgeschichte einerseits sowie Anpassung als Kern und eigentliches Wesen aller Ästhetik besonders deutlich erkennen und aufzeigen.

Erfreulicherweise ergab sich die Möglichkeit zu einem kurzen Gespräch mit Joseph Maria Antonio, Mitbegründer und Gambenspieler des Barockensembles "Eine glückliche Melange", das wir hier wiedergeben möchten.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Joseph Maria Antonio beim Spiel eines Gambensolos
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Auf einem derart alten Instrument wie dieser Gambe spielen zu können, was bedeutet Ihnen das?

JA: Nun, diese alten Instrumente werden selten bespielt, und wenn ich der erste bin seit vierzig Jahren, dann ist das eine Ehre.

SB: Haben Sie Angst, daß diesen doch sehr wertvollen Instrumenten etwas passieren könnte?

J.A.: Nein, die Instrumente sind sehr gut, sehr stabil und für mich ist ein Instrument ein Instrument, egal, ob es sich um eine Original- Tielke oder mein eigenes handelt. Damit habe ich es eben zu tun.

SB: Was haben Sie nach Beendigung ihres Gambenstudiums für einen Abschluß?

J.A.: Ich bin kein Student. Das Gambenspiel habe ich in Spanien bei dem professionellen Gambenspieler und Konzertsolisten Fahmi Alquai erlernt. Bei ihm habe ich private Stunden genommen. An einer Universität bin ich nicht gewesen. Das hat etwas sehr Barockes, Meister und Student!

SB: Haben Sie eine Vorliebe für Barockmusik?

J.A.: Nein, aber die Musik des Barock gehört auf jeden Fall dazu. Mehr als irgendeinen Stil liebe ich Musik ganz allgemein, auch moderne Musik und besonders Weltmusik.

SB: Wie steht es mit der Musik von Carl Philipp Emanuel Bach? Spielen sie die besonders gerne, da sie nicht so schwer und ernst ist?

J.A.: Ja, sicherlich, denn sie ist fröhlicher, viel heiterer. Einige Stücke sind ein wenig ernster. Es sind aber die unbeschwerten und heiteren, die Spaß machen. Klar bereitet es Vergnügen, eine derartige Musik zu spielen.

SB: Wie erklären Sie sich, daß der Bachsohn längst nicht so bekannt ist wie sein Vater?

J.A.: Die Zeit und die Umstände. Geschichte macht die Leute groß oder klein, weil sie zur richtigen oder falschen Zeit geboren wurden. Carl Philipp Emanuel Bach war ein ausgezeichneter Komponist - sein Vater natürlich ebenfalls. Er hat den galanten, den empfindsamen Stil gespielt. Aber damals, zu Philipps Zeit, veränderten sich die Dinge sehr schnell. Die Barockperiode, die Zeit, in der Johann Sebastian Bach wirkte, dauerte dagegen lange an. Die Klassik verging sehr schnell, die Romantik ebenfalls. Ich denke schon, daß es die Zeit war und der schnelle Wandel.

SB: Kannten Sie die Musik Carl Philipp Emanuels schon vor dem jetzigen Bachereignis?

J.A.: Ja, sicher. Er hat drei Gambensonaten geschrieben und da die Gambe nicht so bekannt ist, spielt man dann die Stücke, die man findet. Bachs Musik gilt als sehr schwierig. Es ist ein sehr technischer, aber wunderschöner Stoff.

SB: Könnten es nicht die technischen Schwierigkeiten gewesen sein und nicht die sich schnell ändernden Umstände, weswegen Bach vergessen wurde?

J:A: Nein, die Gambe zum Beispiel wurde 20 Jahre später nicht mehr gespielt und geriet so in Vergessenheit, bis Cellisten und wir heutigen Gambisten anfingen, diese Sonaten wieder zu spielen. Es haben sich so viele Dinge verändert. Das Cembalo wurde durch das Hammerklavier ersetzt, was man dann eben auch bevorzugte.

Vitrine mit fünf Instrumenten - Foto: © 2014 by Schattenblick

Vitrine, rechts eine kunstvolle Viola da Gamba von Joachim Tielke, 1699, Ahorn-, u. Fichtenholz, Elfenbein, Schildpatt
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Ich denke, die Leute liebten das Neue.

J.A: Wir sind die Merkwürdigen, denn wir lieben alles Alte. Sie nicht, sie wollten alles neu. Sie hätten gesagt, ach, diesen alten Stoff wollen wir nicht.

SB: Und was gefällt Ihnen an diesem alten Stoff?

J.A.: Er ist ganz offensichtlich sehr wertvoll für unsere Gesellschaft. Für uns ist es Geschichte und ich liebe Geschichte. Wir sollten von ihr lernen. Die alte Musik hatte ein sehr hohes künstlerisches Niveau. Die Künstler unserer Gesellschaft können so etwas nicht mehr.

SB: Ging es den Menschen vor zwei-, dreihundert Jahren nicht genauso?

J.A: Nun, in der Renaissance haben sie zweifellos auf die Klassik zurückgeschaut, aber im Barock versuchte jeder, besser als der andere zu sein. Wenn ich eine Gambe mit sechs Saiten hatte, hat jemand eine mit sieben gemacht. Baute jemand ein besonders großes Clavichord, dann entwarf ein anderer ein noch größeres und hätte ich mit drei Vorzeichen komponiert, dann ein anderer eben mit fünf. Es war wirklich eine sehr kreative Zeit in unserer Geschichte.

SB: Und auch eine Zeit der vielen Musiker und Komponisten.

J.A: Ja. Weil jeder miteinander im Wettstreit lag, haben wir so viele Komponisten.

SB: Ist das heute denn nicht ganz genauso?

J.A.: Sicherlich, aber damals hatte die Kunst ein sehr hohes Niveau. Bedenken Sie, daß wir heute all die Musik von damals haben, und die von danach und danach, von allen folgenden Zeiten. Heute haben wir hunderte, tausende von Alternativen. Wir haben iPhones, iPads, Filme, es gibt Theater. Früher hatte man nicht so viel zur Unterhaltung. Wenn man Musik hören wollte, mußte sie jemand spielen. Heute lassen Musiker häufig nur Aufnahmen machen und geben keine Konzerte. Wozu? Man verkauft eine CD, der Hit wird gespielt. In einem Club lauscht man CD's, wo damals Musiker gespielt hätten. Was wir machen ist gut, aber man kann es absolut nicht vergleichen.

Diese Jungs arbeiteten zehn Stunden am Tag und alles was sie gemacht haben ,war spielen. Wir müssen uns über unsere E-Mails Gedanken machen und ob ich eine Zusage für dieses oder jenes Konzert bekommen habe. Das ist eine vollkommen andere Sache. Wir haben den CD Player. Wenn ich Musik hören will, ein Fingerschnippen: "Spiele!" und es spielt. Das ist etwas ganz anderes. Damals haben sie diese Arbeit gemacht. Klar, wir sind mit dem, was wir machen sicherlich sehr gut, aber wir haben Tausenderlei, aus dem wir auswählen können.

SB: Vielen Dank für das aufschlußreiche Gespräch.


Fußnote:

[1] Dorothea Schröder, Carl Philipp Emanuel Bach, Hamburg 2003

20. März 2014