Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


BERICHT/035: Nabucco - in die Gegenwart geklagt ... (SB)



Ein politisches Statement und wie von einem anderen Stern
Verdis Oper Nabucco in der Staatsoper Hamburg

von Christiane Baumann


Die Nabucco-Inszenierung des russischen Erfolgs-Regisseurs Kirill Serebrennikov in Hamburg hat für Wirbel gesorgt. Zunächst erregte der Arbeitsprozess im Vorfeld Aufmerksamkeit, da Serebrennikov in Moskau seit 2017 unter Hausarrest steht. Somit konnte die Regiearbeit nur per Videoschaltungen erfolgen. Offiziell wirft man dem russischen Regisseur und künstlerischen Leiter des Moskauer Gogol-Centers die Veruntreuung staatlicher Subventionen vor. Tatsächlich geht es wohl darum, einen politisch unbequemen Kunstschaffenden kaltzustellen. Dennoch inszeniert er. 2018 führte er bereits in Zürich per Videoaufzeichnungen Regie. Die dort gezeigte Mozart-Oper Cosí fan tutte wurde enthusiastisch gefeiert.


Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Probenfoto, Projektchor

Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Abgesehen von der ungewöhnlichen Probenarbeit an der Staatsoper Hamburg bot die Premiere am 10. März hinreichend Gesprächsstoff und provozierte Fragen: Wie weit darf/kann man in der Aktualisierung eines Opernstoffes gehen? Ist es moralisch vertretbar, Flüchtlinge aus Syrien auf die Bühne zu holen und ihr Leid als Teil eines Theaterabends zu inszenieren? Es ist zweifellos eine Gratwanderung, aber sie ist in Hamburg gelungen.

Die Genialität der Inszenierung Serebrennikovs besteht darin, dass sie die Verdi-Oper quasi zum Subtext des Hier und Heute macht. Dabei entsteht ein ungewöhnliches Bühnenkunstwerk, das den Opernstoff mittels Brecht'scher Dramaturgie und modernen Medien zu einem hochaktuellen politischen Statement werden lässt, ohne aufgesetzt zu wirken. Verdis Geschichte vom ins verfeindete Babylon verschleppten hebräischen Volk, das um seine Freiheit und religiöse Identität ringt, wird konsequent als Gegenwart erzählt.


Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Dimitri Platanias, Chor der Hamburgischen Staatsoper
Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Der UN-Sicherheitsrat in New York, dessen Sitzungssaal das Bühnenbild liefert, bildet den Handlungsort. Es geht nicht um irgendeine Geschichte, sondern um Weltgeschichte, die auf eine Katastrophe zusteuert. Daran lassen Videoeinspielungen und Newsticker, die an den Wänden mitlaufen und auf globale Erwärmung und weltweite Kriegsschauplätze weisen, keinen Zweifel. Mit dem Verlust der Lebensgrundlagen verlieren Menschen ihre Heimat. Vertreibung und Flucht sind Folgen. Nabucco als König und Tyrann weckt nicht zufällig Assoziationen zum US-Präsidenten Trump. Visionen von nationaler Größe, der Traum von der Weltmacht, treiben nicht nur diesen Babylonierkönig um, der sein Machtstreben mit dem Anspruch auf Göttlichkeit legitimiert. Vor diesem Hintergrund muss sich die Liebe des Hebräers Ismaele und der Königstochter Fenena behaupten. Flucht und Exil werden ihr Schicksal. Die Liebe zu seiner Tochter Fenena bewirkt schlussendlich die Wandlung Nabuccos, die ihn von seinem Tyrannen-Wahn erlöst.

Serebrennikov bedient sich in seiner Regie konsequent des epischen Theaters von Bertolt Brecht. Nicht nur das Bühnenbild und die Straßenkleidung anstatt zeitgemäßer Kostüme verfremden das Opern-Geschehen. Immer wieder wird die Handlung angehalten. Der Vorhang fällt und wird zur Filmleinwand, auf der Bilder von Flucht, von zerstörten, unbewohnbar gewordenen Städten in heutigen Kriegsgebieten sowie von aufgebrachten Massen und Bürgerprotesten in den Ankunftsländern der Flüchtlinge ablaufen. Mit diesen dokumentarischen Mitteln wird die Bühnenrealität durchbrochen. Das Publikum ist gezwungen, sich mit unserer Wirklichkeit, mit gesellschaftlichen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Die Wahrheit, dass Krieg, Vertreibung, Flucht und soziales Elend zusammengehören, wird sukzessive zutage gefördert. Die Frage, Wozu sind Kriege da?, 1981 von Udo Lindenberg in einem seiner schönsten Songs gestellt, hat seit Babylons Zeiten nichts an Aktualität eingebüßt. Während Konzerne Milliarden am Kriegsgeschäft verdienen, sind die hebräischen Flüchtlinge von einst mitten unter uns. Sie kommen heute aus Syrien und singen vor der Bühnen-Leinwand mit der Oud, der arabischen Laute, ihre Lieder von Flucht, Heimatverlust und - nach der Chor-Darbietung - noch einmal Verdis berühmten Gefangenen-Chor "Va, pensiero". Diese Verfremdung verhindert wie alle Einschübe ganz im Sinne der Brecht'schen Dramaturgie das Einfühlen in die Welt der Verdi-Oper, in den Zauber ihrer Musik, der sich ganz besonders mit diesem Chorstück verbindet. Die Schönheit der Musik wirkt geradezu befremdlich inmitten der Szenen von Unmenschlichkeit und Vernichtung. Am Ende steht die Wandlung des Babylonierkönigs Nabucco zum Guten im grellen Widerspruch zu unserer Welt mit ihren vom Krieg zerstörten Städten, Flüchtlingen und ihrer zum Himmel schreienden sozialen Ungerechtigkeit.


Flüchtlingsvideo - Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Chor der Hamburgischen Staatsoper, Projektchor

Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Das Philharmonische Staatsorchester unter Paolo Carignani übersetzt Serebrennikovs Intentionen einfühlsam in die Musik. Der Gefangenenchor, getragener gespielt als man ihn gewöhnt ist, deutet auf die Hoffnungslosigkeit. Großartig die Leistung des Ensembles, von dem Dimitri Platanias als Nabucco und Alexander Vinogradov als Zaccaria mit ihrem stimmlichen Auftritt besonders hervorstechen.


Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Projektchor, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Alexander Vinogrado
Foto: © 2019 Staatsoper Hamburg / Brinkhoff-Mögenburg

Es ist kein Opernabend zum genussvollen Zurücklehnen, sondern - ganz in Brechts Sinn - ein intellektuell anspruchsvolles Erlebnis, das mit seinem komplexen Bühnengeschehen und der vielgestaltigen Medienpräsenz konzentrierte Aufmerksamkeit einfordert und das mit seinen aufrüttelnden Kriegs-Bildern und den berührenden Flüchtlingsliedern auch emotional dem Publikum alles abverlangt. Es ist eine Opern-Inszenierung, die zeigt, wie Musiktheater sich den globalen Fragen und sozialen Konflikten unserer Zeit stellen, seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und dabei Kunst auf hohem Niveau bieten kann. Dass man das dem Publikum zumuten sollte, zeigen die ausverkauften Vorstellungen. Bereits jetzt läuft der Vorverkauf für den Herbst 2019.

Giuseppe Verdi
Nabucco
Musikalische Leitung: Paolo Carignani
Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Mitarbeit Regie: Evgeny Kulagin
Mitarbeit Bühne: Olga Pavluk
Mitarbeit Kostüme: Tatyana Dolmatovskaya
Lichtdesign: Bernd Gallasch
Video: Ilya Shagalov
Fotographie: Sergey Ponomarev
Dramaturgie: Sergio Morabito
Chor: Eberhard Friedrich

Mehr Informationen unter www.staatsoper-hamburg.de


28. März 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang