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INTERVIEW/012: Patente Instrumente - Olaf Kirsch über Musikinstrumentenverbesserer von der Steinzeit bis heute (SB)


Musikinstrumente werden immer zum Leben gehören

Interview mit Olaf Kirsch, Kurator am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, am 13. Juni 2012

Neue Heimat für 250 Patente Instrumente - Foto: © 2012 by Schattenblick

Neue Heimat für 250 'Patente Instrumente'
Foto: © 2012 by Schattenblick

Bereits seit Beginn seiner Eröffnung im Jahre 1877 hat sich das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg um den Auf- und Ausbau einer Musikinstrumentensammlung bemüht. Die rund 450 historischen Musikinstrumente verschiedener Gattungen, insbesondere aus Hamburger Werkstätten des späten 17. und 18. Jahrhunderts, teilen nun, seit der Schenkung des Musikliebhabers und Privatsammlers Professor Wolfgang Hanneforth Anfang dieses Jahres, ihren Platz im Museum mit 250 außergewöhnlichen Streich- und Holzblasinstrumenten des 19. und 20. Jahrhunderts.

Deren verborgene Geschichten und das verlorengegangene Wissen darum mußte sich vor Eröffnung der Ausstellung am 14. Juni 2012 auch Olaf Kirsch, Kurator des Museums, zu eigen machen. Die Begeisterung teilend, bereiteten Olaf Kirsch und Frank Böhme, Professor für Instrumentation an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, die Präsentation der heute als Raritäten oder gar Kuriositäten verstandenen Musikinstrumente auf. Humorvoll kommentierte Olaf Kirsch die intensive gemeinsame Zusammenarbeit, die selbst vor einem nächtlichen Austausch nicht Halt machte: "Ich mußte lernen, Essen und Schlafen werden völlig überbewertet. Was einen lebendig hält, ist der Geist".

Kurator der Ausstellung Olaf Kirsch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kurator der Ausstellung Olaf Kirsch
Foto: © 2012 by Schattenblick

Neben der sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache sehr sorgfältigen Betitelung der Instrumente wurde von Prof. Böhme, Fabian Czolbe und Studierenden der Hochschule ein spezielles multimediales Vermittlungskonzept entwickelt. Der Besitzer eines iPhones kann sich eine kostenlose App mit allen Klang- und Filmbeispielen aus dem Internet herunterladen und so seinen Besuch durch die Ausstellung ganz im Sinne des medialen Zeitalters gestalten. Doch auch sonst findet der Interessierte auf mehreren im Raum verteilten Bildschirmen Videoclips anhand derer sowohl die klanglichen Eigenschaften wie auch die physikalische Beschaffenheit von Strohgeige, Phonofiddle, Traversflöten, Flageoletts und anderen außergewöhnlichen Instrumenten vermittelt werden.

"Patente Instrumente - Schnabelflöten, Trichtergeigen und andere Erfindungen", auf diesen Ausstellungstitel fiel letztlich die Wahl. Er geht auf Prof. Wolfgang Hanneforths aufgrund seines Todes nicht mehr durchzuführenden Vorhabens zurück, ein Buch über die patenten Musikinstrumentenbauer zu schreiben.

Vor Beginn der Ausstellung hatte der Schattenblick im Rahmen einer Pressekonferenz Gelegenheit zu einem Gespräch mit Olaf Kirsch, dem Kurator der "Patenten Instrumente".

Schattenblick (SB): Wie wir Ihren Erläuterungen über die Instrumente, ihren Bau und ihre Eigenschaften entnehmen können, war die Zunft der "Musikinstrumentenverbesserer" zumindest im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet. Ist diese Zunft ausgestorben oder gibt es auch heute noch im Musikinstrumentenbau ähnlich experimentierfreudige Geister?

Olaf Kirsch (OK): Sie sind keineswegs ausgestorben. Interessant dabei ist, daß es gar nicht die Handwerker selbst waren, die traditionell zunftmäßig ausgebildet waren und nach "Altväter-Sitte", wie sie's gelernt hatten, Instrumente bauten. Häufig waren es Leute, die aus ganz anderen Bereichen kamen. Theobald Böhm beispielsweise entwickelte die Traversflöte mit dem Klappensystem. Er war Goldschmiedesohn, ausgebildet in der Goldschmiedekunst. Viele Geigenentwickler waren Ingenieure, die unter anderem physikalische Forschung betrieben. Augustus Stroh, der Erfinder der Strohgeige, hatte eine feinmechanische Ausbildung als Uhrmacher. Sie waren häufig nicht zumindest in erster Linie Musiker und kamen sozusagen von außen. Das gibt es auch heute noch.

Die Hamburger Symphoniker beispielsweise haben vor zwei, drei Jahren ein Projekt gemacht, wo ein "Klangverbesserer" kleine Platinapplikationen an die Instrumente angebracht hat und dadurch versucht hat, den Klang zu verbessern. Auf der diesjährigen Musikmesse wurden von einer Firma erneut Carbongeigen präsentiert. Man kann sagen, daß die Entwicklung der Instrumente stetig voranschreitet. Musikinstrumente entwickelt der Mensch seit der Steinzeit. Ich denke daher, er wird auch zukünftig, mit der Entwicklung der Technik einhergehend, immer weiter Neues schaffen, so daß kein Endpunkt abzusehen ist.

Der Schwerpunkt von Prof. Hanneforths Sammlung liegt im 19. und 20. Jahrhundert und endet irgendwann, das heißt, wir haben hier keine digitalen Instrumente oder ähnlich Modernes, aber auch bei den konventionellen Instrumenten gibt es immer noch Weiterentwicklungen. Ich habe kürzlich einen Artikel von einem Geigerwettbewerb im letzten Jahr in Indianapolis gelesen, wo Geigenbauer den Künstlern neue und alte Geigen zum Vergleich in die Hand gegeben haben. Damit diese nicht merken, was sie spielen, wurden Ihnen Schweißbrillen aufgesetzt und die Geigen mit irgendwelchen Duftstoffen parfümiert, damit sie auch am Geruch nichts erkennen konnten. Tatsächlich haben die Musiker den neuen Geigen den Vorzug gegeben, d.h. daß der Mythos um die Stradivari und ihre besondere Aura hauptsächlich gerne für das Publikum am Leben erhalten wird und nicht unbedingt, weil die Geigen nun wirklich so viel besser wären.

Geigen in allen Größenordnungen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Geigen in allen Größenordnungen
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Tatsächlich geht es den Musikinstrumentenverbesserern über die Epochen hinweg immer um den Versuch, den perfekten Klang zu finden. Hörgewohnheiten sind ja durchaus unterschiedlich und wenn man den Blick auf andere Kulturen richtet, wird oft ein vollkommen anderer Klang als schön und erstrebenswert empfunden. Gibt es den perfekten Klang überhaupt?

OK: Der perfekte Klang ist natürlich eine Utopie, die Suche nach einem Ergebnis, das nicht erzielt werden kann. Der Musiker oder der Instrumentenentwickler hat eine Vorstellung. Die treibt ihn an, und dieses Ziel sucht er zu erreichen. Wie der vermeintlich perfekte Klang zu sein hat, das ändert sich natürlich über die Epochen. Das ist gerade bei der Geige spannend. Die klassische Geige ist eigentlich ein barockes Instrument. Sie ist auch in der Formgebung von den italienischen Meistern entworfen, hat sich aber grundlegend nochmal im 19. Jahrhundert verändert. Die Stradivari, die der Konzertbesucher hört, ist nicht mehr die Geige, wie Stradivari sie konzipiert hat. Das aber weiß der normale Konzertbesucher nicht mehr. Die Geigen wurden dem Klangideal des 19. Jahrhunderts, dem sehr kantablen Spiel mit großem Ton angepaßt. Die Seitenspannung wurde erhöht, der Steg ebenfalls, auch ein ganz anderer Streichbogen wurde verwendet. Ein schnelleres Auto ist einfach ein schnelleres Auto, aber eine moderne Geige ist sozusagen nicht besser als die Barockgeige. Sie folgt eben einem anderen Ideal von perfektem Klang und entsprechend ändern sich natürlich auch die Hörgewohnheiten, wie alles andere im Leben. Bei der E-Gitarre beispielsweise, deren Spiel über einen Verstärker wiedergegeben wird und die den Möglichkeiten der Verzerrung folgt, ist es wieder ein ganz anderes Ideal von Klang, das gesucht wird.

Elektrogeige neben anderen stummen Instrumenten aus der Vergangenheit - © 2012 by Schattenblick

Die neueste Entwicklung der Instrumententechnologie: Rechts eine Elektrogeige aus China neben anderen stummen Instrumenten aus der Vergangenheit
© 2012 by Schattenblick

SB: Wie erklären Sie, daß manche Musikinstrumente sich stärker durchgesetzt haben als andere? Sie zeigen beispielsweise Bratschen, die mehr dem mathematischen Ideal des Instruments entsprechen, die man heute aber in den Konzerten nicht mehr findet.

OK: Richtig, diese große Bratsche hat sich nicht durchgesetzt. Das hat sicherlich mit Gründen der Spieltechnik zu tun. Sie ist einfach für den Spieler sehr schwierig zu handhaben. Da geht man lieber einen Kompromiß ein und wählt eine etwas kleinere Bratsche mit nicht ganz so volltönig sonorem Klang, die man aber einfach besser beherrschen kann. Der Mensch spielt eben auch noch eine Rolle. Musik machen ist eine Interaktion zwischen den mechanischen Geräten, zwischen dem Musikinstrument und dem ausübenden Künstler.

...schwierig für den Spieler zu handhaben - die große Bratsche - Foto: © 2012 by Schattenblick

...schwierig für den Spieler zu handhaben - die große Bratsche
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im 20. Jahrhundert gab es durchaus Künstler wie Conlon Nancarrow, der Werke für mechanisches Klavier, also für das Rollenklavier komponiert hat. Er hat den Musiker ganz herausgenommen, aus diesem Setting. Seine Kompositionen wurden direkt von der Rolle mechanisch auf das Instrument umgesetzt. Die Tradition des Baus von mechanischen Musikinstrumenten ist allerdings schon viel älter, sie geht weit ins 17. Jahrhundert zurück.

Die Frage, was sich durchsetzt und was Mode ist, hat mit der gesamten Kultur einer Zeit und eines Kulturraums zu tun. Im Barock setzten sich gewisse Soloinstrumente durch, die in der Renaissance noch als Familienmitglieder eines Instrumentenensembles gespielt wurden. Bei den Flöten etwa setzt sich in der Barockzeit die Flöte auf D, die Traversflöte, durch. In der Renaissance wurde sie als Konsortinstrumtent gespielt. Letztlich spiegelt sich die Entwicklung des ganzen Lebens und der ganzen Kultur natürlich auch in den Musikinstrumenten wider. Im 19. Jahrhundert setzt sich ein durch industrielle Techniken stark verändertes Klavier gegenüber den Klavieren des 18. Jahrhunderts durch. Plötzlich ist es das Modeinstrument der Zeit und schließlich auch das bürgerliche Hausmusikinstrument im Wohnzimmer. Da spielen dann gesellschaftliche Aspekte eine Rolle auch in Bezug auf den Instrumentenbau.

Mit der Massengesellschaft, wie sie sich im 19. Jahrhundert formiert, und mit der industriellen Produktion beispielsweise hat sich auch der Wunsch etabliert, Instrumente seriell herzustellen. Ein Fürst brauchte früher nur ein paar Instrumente und diese konnten handwerklich von einem in einer Werkstatt tätigen Instrumentenbauer angefertigt werden.

SB: Wir wissen, daß es im Mittelalter Nonnen verboten war, Blasinstrumente zu spielen. Sie wichen auf die sogenannte Nonnentrompete oder wie es auch heißt, das Trumscheit aus, ein Instrument, das man später dann auch vorrangig in Klöstern gefunden hat. Warum war es Frauen selbst in der Abgeschiedenheit eines Klosters nicht erlaubt, Flöte zu spielen?

OK: Die Frage, warum Frauen welche Musik machten, ist eine ganz spannende Frage. Welche Instrumente galten als schicklich und welche als nicht. Die höhere Tochter des 19. Jahrhunderts am Klavier geht auf die französische Hofetikette zurück, wo es als unschicklich galt, Blas- und Streichinstrumente zu spielen. Die französische Hofetikette war sozusagen eine sehr starke Kultivierung der Natur. Alles wurde durch die Kultur beeinflußt, gestaltet, überhöht. Freie natürliche Bewegungen galten schon als unschicklich. Beim Streichinstrument mußte man mit dem Arm ausholen, ein Blasinstrument zu spielen war körperlich angstrengend. Es brachte das Blut in Wallung, man bekam einen roten Kopf. Die Damen damals waren eingeschnürt, sie bekamen sowieso keine Luft und wurden ständig ohnmächtig. Das einzige, was sich ziemte, war also - was man überhaupt noch bei dieser Mode machen konnte -, am Tasteninstrument zu sitzen, wo man nur die Finger bewegen mußte.

Schnalbelflöten mit vielerlei technischer Finesse - Foto: © 2012 by Schattenblick

Klarinetten mit vielerlei technischer Finesse
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Es lassen sich auch Instrumente finden, wie die Geige von Julius Zoller, die sich nicht durchsetzen konnte, obwohl sie ein sehr gutes Instrument gewesen sein soll. Zoller hatte sie extra für die serielle Produktion gefertigt und offenbar ließ sie sich seinerzeit auch gut verkaufen.

OK: Zoller hat seine Geige 1948 auf der Leipziger Musikmesse vorgestellt. Das war drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Deutschland war zerbombt, fing an, die Trümmer wegzuräumen und dann, in den 50er Jahren, kam so langsam die Wirtschaft wieder in Schwung. Zoller hat dann, nach der Währungsreform '48, seine Geigen für 180 D- Mark angeboten, was wohl ein sehr günstiger Preis war. Er hat diese Geige in relativ großen Stückzahlen fabrikmäßig herstellen lassen. Sie wurde dann noch während der Weltausstellung in Brüssel 1958 gezeigt, aber da war der Wohlstand schon wieder so weit gediehen, daß man nun offenbar Fabrikinstrumente nicht mehr schätzte und auf die typisch barockgestalteten Instrumente zurückgekommen ist.

SB: Beobachten Sie in der Geschichte der Musik und in ihrer Entwicklung eine ähnliche Verflachung der Klänge oder der Ausdrucksstärke, wie man sie in der deutschen Sprache beispielsweise schon nachweisen kann?

OK: Nach dem Motto 'Früher war alles besser, das wußten schon die alten Griechen'! Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben hier eine große Sammlung an historischen Tasteninstrumenten von Professor Beurmann und da sieht man ganz deutlich, daß die Musikinstrumentenbauer früherer Epochen nicht einfach ein defizientes Wissen und Können hatten und nicht in der Lage waren, so gute Instrumente zu bauen wie in späteren Zeiten oder wie wir heute, sondern daß sie eine ganz andere Zielsetzung hatten.

Wir sprachen schon drüber, daß das Ideal des Klanges oder des Musikstils einfach ein anderer war. Die Barockmusik des 18. Jahrhunderts aus Frankreich etwa spielt sich am besten auf einem Cembalo dieser Zeit und nicht auf dem modernen Steinway-Flügel, während Musik der Spätromantik natürlich auf dem modernen Konzertflügel am besten aufgehoben ist. Und so sehe ich eigentlich, daß der moderne Steinway-Flügel weder besser ist, als das Cembalo, weil neuer oder fortschrittlicher, noch ist er schlechter, weil alles den Bach runtergeht und dekadent ist. Er ist einfach Ausdruck einer anderen Zeit, von anderen Wünschen, von anderen Ausdrucksbegierden. Ich bin da nicht pessismistisch und denke, auch zukünftige Zeiten werden - wie auch immer - ihren Ausdruck finden.

Nur dem Schein nach Vergangenheit - Foto: © 2012 by Schattenblick

Nur dem Schein nach Vergangenheit
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wenn man ein Instrument spielt, muß man sich sehr konzentrieren. Man macht dann wirklich nur das, was eigentlich einen sehr erholenden Charakter in unserer reizüberfluteten Welt hat. Da müßte es doch gerade Sinn machen, ein Instrument zu lernen?

OK: Unsere eigene Kultur ist gerade total "uncool". Gedichte auswendig zu lernen oder Musikinstrumente zu spielen, ist nicht gerade gefragt. Was jetzt hier bei uns sehr modern wird, sind die ganzen östlichen Meditationstechniken und Yoga und was es noch in der Richtung so alles gibt. Mir ist aber in den letzten Jahren immer klarer geworden, daß der Unterschied im Prinzip nicht so groß ist. Ob man ein Gedicht auswendig lernt, ein Mantra spricht, ein Instrument übt oder seine Yogaübungen macht, es erfordert viel Konzentration.

Es gibt eine japanische Bambusflöte, die Shakuhachi, die von Mönchen als Meditationsinstrument genutzt wurde. Sie hatte nur ein Loch am unteren Ende. In der typischen asiatischen Denkweise haben die Mönche versucht, den idealen Ton zu finden. Das hatte einen zentrierenden, meditativen Charakter. Ähnlich ist es, finde ich, beim Üben eines Instrumentes. Es ist ziemlich dasselbe, ob man ein Instrument spielt oder ein Gedicht auswendig lernt oder, weil das eben uncool ist, ein Mantra spricht. Was der Mensch davon erwartet, unterscheidet sich nicht.

SB: Viele Handwerke sterben heute aus. Gilt das auch für den Musikinstrumentenbau?

OK: Wir hatten im Bereich der Tasteninstrumente ein großes Sterben. Das weiß ich sehr genau, da Tasteninstrumente mein bisheriges Hauptbeschäftigungsfeld waren.

Der deutsche Klavierbauer hatte eigentlich eine sehr solide, angesehene Tradition, was sich in den letzten Jahren allerdings verändert hat, weil es für Tasteninstrumente einfach keine Nachfrage mehr gibt. Wirtschaftsberichten der Klavierbauindustrie habe ich entnommen, daß noch zwei Richtungen eine Überlebenschance haben. Das Luxussegment, also Steinway, Bösendorfer und Bechstein wird am Leben bleiben und auf der anderen Seite das Billigsegment. Der größte Klavierproduzent der Welt ist derzeit China. Es werden einfach kostengünstige Serieninstrumente gebaut, aber das relativ hochpreisige, mittelständige deutsche Klavierbauertum, das geht zugrunde, weil es dafür keine Nachfrage gibt.

SB: Gibt es keine Nachfrage mehr, weil junge Leute heute eher computerbasierte Musik machen oder wie erklärt sich das?

OK: Ich habe eigentlich wenig Bedenken, daß die klassische Musik und das Klavier oder Geige spielen irgendwann aussterben werden. Bisher hat man gedacht, wie in anderen Bereichen, wir kaufen was Solides, es muß nicht das Beste sein, soll aber auch kein Billiginstrument sein. Mittlerweile hat sich der Markt aber hin zu immer günstigeren Produkten entwickelt. Man kann für 1000 Euro ein neues Klavier aus China kaufen. Das war früher so nicht möglich. Heute kauft man also entweder ein günstiges Instrument oder, wenn man etwas richtig Gutes will, ein sehr gutes, sehr teures Instrument. Da gehen die Nachfrage des Marktes und die Bedürfnisse ein bißchen in eine andere Richtung als bisher.

'...ich bin Musikinstrumentenkundler' - Foto: © 2012 by Schattenblick

'...ich bin Musikinstrumentenkundler'
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ich bin kein Soziologe, sondern Musikinstrumentenkundler, aber als Laiensoziologe sozusagen kann ich eine Tendenz beobachten. Zum einen gibt es immer mehr Luxusprodukte - es gibt Uhren im Gegenwert von Mehrfamilienhäusern, es gibt dicke, teure Autos - und auf der anderen Seite finden sich die ganzen Ramschläden und Ein-Euroshops. Das ist eine Tendenz, die sich letztlich eben auch im Bereich des Musikinstrumentenbaus widerspiegelt.

SB: Das zeigt, daß die Schere zwischen Arm und Reich in unserer Gesellschaft zunehmend auseinander klafft. Hat die Hinwendung zu immer mehr Billiginstrumenten aus asiatischen Ländern auch zu einem Austausch der Kulturen geführt?

OK: Ja, sicher. Wenn sich die asiatischen Länder wirtschaftlich an den Westen anschließen, dann findet damit auch eine gewisse Hinwendung zur westlichen Kultur statt. China ist heute zwar der größte Klavierproduzent, aber die Entwicklung ging von Japan aus. Yamaha baut dort seit dem späten 19. Jahrhundert Klaviere. Die klassische Musik wurde also in Japan sehr populär, dann in Korea und heute in China. Wir exportieren sie dorthin, weil diese Länder, die jetzt im wirtschaftlichen Erwachen sind, sich nun auch kulturell an den älteren Industrieländern der westlichen Welt orientieren.

In den asiatischen Ländern haben wir das Phänomen, daß die Menschen aufgrund ihrer Kaufkraft auf Günstig-Instrumente angewiesen sind und in Europa und Deutschland ist das jetzt teilweise genauso. Wir beobachten eine Krise bzw. ein Aussterben des Mittelstandes oder der mittleren Gesellschaftsschicht. Deshalb haben wir hier in Hamburg Projekte wie JeKi, jedes Kind ein Instrument, wo bewußt darauf geachtet wird, daß auch finanziell schlechter gestellte Schichten zur klassischen Musik Zugang haben und die Möglichkeit, Instrumente zu erlernen.

Die Hinwendung zur westlichen Kultur hat zudem damit zu tun, daß die westliche Kultur jetzt weltweit tradiert wird. Sinfonieorchester entstehen in Ländern wie beispielsweise den asiatischen, die traditionell weit entfernt waren und die historischen Streichinstrumente wachsen ja nicht nach. Der Bedarf an neu gebauten Streichinstrumenten wächst also, weil man die ganzen Orchester, die in den asiatischen Ländern neu entstehen, sonst einfach nicht mit Instrumenten versorgen kann. Im Prinzip ist das ein neuer Wachstumsmarkt.

SB: Welchen Einfluß haben Klänge oder das Spielen eines Instruments aus Ihrer Sicht auf den Menschen? Würden sie unterstreichen, daß Musik nicht aussterben wird, weil sie einfach wichtig für den Menschen ist?

OK: Ich habe überhaupt keine Bedenken, daß die Musik aussterben wird. Sie hat den Menschen immer begleitet. Mit zu den ältesten archäologischen Funden gehören Knochenflöten aus Vogelknochen von der Schwäbischen Alb, die auf über 40.000 Jahre datiert werden. Das heißt, bereits in der Steinzeit, als der Mensch irgendwo in seiner Höhle saß, hat der schon angefangen, Musikinstrumente zu bauen. Das tut er bis heute und das wird er auch weiterhin tun.

Anders als früher sind wir heute aber in einer geschichtlich etwas einzigartigen und skurrilen Situation. Wenn wir von der klassischen Musik sprechen, meinen wir Musik, die gar nicht mehr aus unserer Epoche stammt, sondern die eigentlich historische Musik ist. Das hat es in früheren Epochen gar nicht gegeben. Zur Mozartzeit wurde dessen Musik von Mozarts Zeitgenossen gespielt und keine andere.

In der Klassischen Musik haben wir im Grunde ein Repertoire von vergangenen Epochen, also die Musik des 19. und mittleren 18. Jahrhunderts. In den letzten 50 Jahren hat sich allerdings dieses Repertoire ständig erweitert. Im klassichen Abonnementskonzert in den 60er Jahren wurden Beethoven und Brahms gespielt. Heute kommen wir zurück über die Musik des 17. Jahrhunderts, die Renaissancemusik bis hin zur mittelalterlichen Musik und wir haben die zeitgenössische Musik.

Das verfügbare Repertoire ist unter anderem durch die Reproduktionstechnik viel größer geworden. Heute ist es viel einfacher, eine CD zu produzieren, als vor 40 Jahren eine Schallplatte aufzunehmen. Es gibt Spezialensembles für jede Nische der Musikgeschichte und irgendwer muß das alles hören. Das ist ähnlich wie beim Fernsehen. Früher gab es das Erste und das Zweite Programm und Montags unterhielt man sich darüber. Heute guckt jeder seinen eigenen Sender. Darin liegt zwar auch eine Chance, ein größerer Reichtum, aber gewisse Dinge verändern sich dadurch und sind nicht mehr wichtig. Eine Figur wir Karajan, ein so alles bestimmender Dirigent in der Musik, den gibt es einfach nicht mehr. Heute gibt es verschiedene Szenen und Repertoirebereiche in der Musik und das sehe ich eigentlich positiv.

Olaf Kirsch mit Schattenblick-Redakteurin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Olaf Kirsch mit Schattenblick-Redakteurin
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Findet sich unter den Instrumenten der Hanneforth-Sammlung irgend ein Instrument, das Ihnen ganz besonders am Herzen liegt oder anders gesagt, was Sie besonders fasziniert?

OK: Ja, diese große Bratsche hat mich schon beim Spielen der Instrumente durch die Studenten der Musikhochschule fasziniert. Sie ist der normalerweise verwendeten Bratschengröße klanglich einfach überlegen. Sie ist aber so schwer zu handhaben und zu spielen, daß es ein Problem ist. Klanglich, denke ich, ist die große Bratsche die richtige Lösung. Auch der junge Student, der die Bratsche gespielt hat, war so begeistert, daß er ernsthaft darüber nachdenkt, sich eine solche Bratsche zu kaufen.

SB: Herr Kirsch, vielen Dank für das Gespräch.

25. Juni 2012