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INTERVIEW/033: Blüten für Weihnacht - Anspruch, Wunsch, Erfüllung ... Michael Schanze im Gespräch (SB)


Interview mit Michael Schanze am 16. Juni 2014

Der Schlagerstar, Entertainer, Schauspieler und Komponist über neue Erfahrungen und Pläne und darüber, wie gut es tut, in eine andere Identität zu schlüpfen



Am 16. Juni 2014 stellten die Komödie Winterhuder Fährhaus und der Musicalautor Christian Berg erstmals ihr neues Weihnachtsprojekt vor: das Familienmusical "Eine Weihnachtsgeschichte - dem geizigen Scrooge geschieht das Weihnachtswunder" nach Charles Dickens. Am Rande des Geschehens hatte der Schattenblick die Gelegenheit, einige Worte mit dem Überraschungskomponisten Michael Schanze zu wechseln.

Über 30 Jahre von den beginnenden 1970ern bis Mitte der 1990er Jahre war Michael Schanze gern gesehener Unterhaltungsmoderator verschiedener Erwachsenen- und auch Kindersendungen. Seit Dieter Pröttel den Star endeckt hat, ist sein Leben bühnen- und medienbestimmt.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Michael Schanze heute
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): In einem Musical kommen in der Regel verschiedene Musikrichtungen vor. Ihr Lied 'Pfeif drauf', das Sie vorgespielt haben, erinnert an den alten Michael Schanze, wie man ihn aus seiner Showzeit kennt.

Michael Schanze (MS): Das Lebensbejahende dieses Liedes "Komm pfeif drauf, mach dir nichts draus" ist eine grundsätzliche Aussage, die paßt sicherlich ein bißchen zu dem Schanze von früher, wobei das ja nicht für mich geschrieben ist, sondern eher eine Message an die Kinder sein soll.

SB: Hat man, wenn man komponiert, die Töne sozusagen schon im Kopf, hat man von den vielen Instrumenten oder auch Stimmen, die gleichzeitig erklingen werden, schon eine ganz genaue Vorstellung?

MS: Da gibt's keinen Königsweg. Manchmal hat man wirklich einen Klang im Kopf, aber manchmal, wenn ich mich mit einem Text auseinandersetze, beginne ich mit einem Keyboard und mache mir einen bestimmten Orgelklang. Wenn ich mich dann wieder ans Klavier setze, habe ich alles im Kopf. Oder ich höre am Ende sogar richtig gewaltige Bachtrompeten, die zur Weihnachtszeit erklingen. Das erinnert mich an früher, als ich - ich weiß nicht wie oft - das Weihnachtsoratorium gesungen habe.

SB: Sie waren bei den Windsbacher Sängerknaben. Haben Sie aus diesen Jahren etwas mitgenommen, was Ihnen heute noch nützlich, sinnvoll oder brauchbar erscheint?

MS: Sicherlich, da komme ich her, wenn das in meinem Beruf auch gründlich verschleiert geblieben ist. Ich war damals 10, 11, 12 als ich im Internat in Windsbach war und da gab es dann auch relativ bald die erste Schülerband.

Während die anderen in erster Linie "I can get no satisfaction" gespielt haben, wobei einer brüllte und die anderen Krawall machten, haben wir mit unserer Quarter Deck Combo - englisch mußte der Name natürlich sein - "Good vibrations" von den Beach Boys gesungen oder mehrstimmige Sachen. Wenn das besonders gut geklungen hat, haben wir es aufgeschrieben und beim nächsten Mal klang es dann wieder gut. Insofern habe ich sehr davon profitiert und von dort ein musikalisches Rüstzeug mitbekommen.

SB: Man sagt dem gemeinsamen Musizieren nach, daß man dabei Ausdauer lernt und Disziplin. Haben Sie als ehemaliger Chorknabe, der mit vielen anderen zusammen Stücke eingeübt hat, dies so erfahren?

MS: Ob ich dort Disziplin gelernt habe, ist eher fraglich. In Windsbach schwebte stets das Damoklesschwert über einem, eine Ohrfeige zu bekommen. Die wirklich prägende Erfahrung mit Disziplin habe ich eigentlich zuhause gemacht. Meine Mutter hat, nachdem sie alleinerziehend war, praktisch ihr Leben ihren zwei Söhnen, meinem Bruder Christian und mir geopfert. Das Zusammenleben funktionierte nur mit Disziplin. Dieser kleine Kokon, den wir miteinander bilden mußten, klappte nur, wenn wir gewissermaßen auch "gespurt" haben. Meine Mutter hat den ganzen Tag gearbeitet und ich habe auf meinen kleinen, sieben Jahre jüngeren Bruder aufgepaßt. Jeder hatte so seine Aufgaben. So unangenehm das vielleicht manchmal auch war, bin ich dem gerne nachgekommen, denn sonst hätte ich wieder ins Internat zurückgehen müssen.

Ich will es nicht dramatisieren, aber da verliert ein Junge mit neun, fast zehn seinen Vater und ein knappes viertel oder halbes Jahr später quasi auch seine Mutter. Die Kinder aus der Umgebung konnten am Reisetag nach Hause fahren. Wir aber hatten kein Auto und meine Mutter konnte sich die Reise auch nicht leisten. Also mußte ich, als einer der wenigen, im "Kasten" - wie wir das nannten - bleiben. Die 170 oder 190 Kilometer waren für damalige Verhältnisse sehr weit. Ob 90 oder 190 Kilometer, für mich war mein Zuhause unerreichbar und die Nächte in Windsbach waren nicht lustig.

SB: Überwiegen dennoch die schönen Erinnerungen an Ihre Sängerknabenzeit?

MS: Ja, am Ende überwiegen sie. Als es vor kurzem um einen Gedenkstein ging, wollte man, daß ich mich der Kritik anschließe. Doch ich habe gemerkt, daß die Zeit tatsächlich Wunden heilt. Auf dem Stein wollte man unbedingt festhalten - was letztlich auch von den kritischen Geistern durchgesetzt wurde -, daß die pädagogischen Methoden der damaligen Zeit vielleicht nicht die richtigen waren. Die Methoden damals waren bestimmt nicht in Ordnung und für die Kinder zum Teil einfach sehr hart. Musikalisch aber habe ich in jedem Fall profitiert.

SB: Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens ist das erste Musical aus Ihrer Feder. Haben Sie immer schon davon geträumt, einmal ein großes Werk zu komponieren?

MS: Ich hatte in der Pressekonferenz erwähnt, daß das Schreiben zum Beispiel für die Samstagsandacht ein Teil meines Lebens war. Aber jetzt etwas schreiben zu dürfen, das man "szenische Musik" nennen könnte, die nicht nach Schema F wie ein Schlager abläuft, sondern in der sich Stimmungen, Geschehnisse oder Handlungen von der Bühne widerspiegeln, das ist in der Tat ein Traum.

SB: Glauben Sie, daß Sie mit Ihrer Musik den richtigen Nerv getroffen haben?

Foto: © 2014 by Schattenblick

Im Gespräch
Foto: © 2014 by Schattenblick

MS: Am Ende entscheidet das Publikum. Aber ich habe schon das Gefühl, daß wir Musiken gefunden haben, die den einzelnen unterschiedlichen Charakteren entsprechen. Ich würde mir wünschen, daß der eine oder andere, wenn das Stück zu Ende ist, womöglich ein Liedchen trällert oder pfeift.

SB: Sie haben einmal sehr viel Erfolg gehabt. Wieviel Michael Schanze steckte eigentlich in Ihren Shows?

MS: Es war halt immer nur ein Segment von mir, das ich zwar mit Überzeugung vertreten habe, aber es war nur ein Teil von mir. Insofern ist die Frage für mich schwer zu beantworten. Ich war überzeugt davon, in diesen zwei Stunden für eine himmelblaue und rosarote Welt verantwortlich zu sein. Das ist ein längeres Thema, denn als ich in diesen Beruf kam, waren die Musikshows durchgeschrieben, selbst die Versprecher und das Begrüßen und der sogenannte Smalltalk, der entstand nicht. Ich habe später erst gelernt, daß es eine andere Form der Unterhaltung gibt und daß, wenn man abends als Moderator vor die Leute tritt, die Nachrichten, die man gerade gehört hat, auch eine Rolle spielen dürfen. Aber stellen Sie sich mal bitte vor, Peter Alexander wäre in einer seiner Shows rausgekommen und hätte am Anfang gesagt: "Haben Sie das gerade gehört von dem Unglück?" Das wäre undenkbar gewesen.

Als Professor Matiasek, der Ehemann von Cornelia Froboess, der ein Stückchen lebendes Theater ist und viele, viele Jahre Intendant in Wien, Salzburg und München war, mir zum ersten Mal eine bitterböse Rolle, die des fremden Gaglers, eines Menschenverführers, in Orffs Astutuli angeboten hat, haben alle gefragt: Kann der das? Und nach all den Jahren stellte sich mir dieselbe Frage. Dann höre ich, wie der Professor sagt: "Wissen Sie, wenn alle denken würden wie Sie, müßte meine Frau heute immer noch 'Pack die Badehose ein' singen." Und damit hat er recht gehabt. Damit hat er mir wirklich den Rücken freigehalten, und dann wurde es ein Riesenerfolg. Daraus haben sich dann eine Reihe von sehr ernsten, auch bösen Rollen entwickelt, so daß ich jetzt gerade in "Othello darf nicht platzen" etwas total Verrücktes gespielt habe. Ich empfinde es als Riesenglück, daß ich inzwischen alles spielen darf.

Heute bin ich mehr mit dem Jetzt und dem Heute verbunden. Wenn ich auf die Bühne gehe, dann bin ich Mister Halpern, der am Grab seiner Frau steht und zu ihr sagt: "Ich hab dir noch was zu sagen". Es ist für mich wirklich ein Geschenk, wo man nach all den Jahren, in denen man mehr oder weniger seine eigene Haut zu Markte getragen hat, einmal in eine fremde Haut schlüpfen darf und dann auch noch in so unterschiedliche. Ich habe gerade eine kurzfristige Entscheidung getroffen und spiele im Sommer in "Miss Daisy und ihr Chauffeur". Das ist ein schönes, stilles melancholisches Stück, das zwar seine humorigen Momente hat, aber in der Melancholie eines Menschen, der eben in den Alzheimer hineindriftet, endet. Ich freue mich sehr darauf.


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25. Juni 2014