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INTERVIEW/040: HipHop von unten - Wecken, wandeln, handeln ...    Holger Burner im Gespräch (SB)


Nicht helfen, sondern zusammen stärker werden ...

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 2. Mai 2105 in Hamburg


Holger Burner ist seit langem als Rapper aktiv und trat mit seiner kämpferischen Botschaft auch auf der Bühne des Klassenfestes gegen Staat und Kapital [1] in Hamburg an. Am Rande des Hip-Hop Openair For The Lower Class beantwortete Holger dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Musik und seiner politischen Positionierung.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Holger Burner
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Holger, wie bist du dazu gekommen, politisch zu rappen?

Holger Burner: Ich bin genauso lange politisch wie in der Hip-Hop-Kultur unterwegs. Es war eine Parallelentwicklung. Ich habe mir nicht vorgenommen, politisch zu rappen, sondern war, als ich mit dem Rappen anfing, schon politisiert. Und natürlich habe ich dann über das gerappt, was mich bewegt.

SB: Hast du dich über den US-HipHop für diesen Musikstil begeistert?

HB: Ja, ich habe nicht zufällig ein Public Enemy-Tattoo. Tatsächlich habe ich Anfang, Mitte der 90er die Art politischen Rap gehört, der mich immer noch bewegt. Es war selbstverständlich nicht nur politischer Rap, aber als ich anfing, auf die Message zu hören, haben mich vor allem die Bands interessiert, die politisch etwas zu sagen hatten.

SB: Wie stehst du zum deutschen HipHop, der im Verhältnis zum frühen, politischen US-HipHop zumindest im kommerziellen Mainstream eher flach wirkt?

HB: Ich glaube, beim US-HipHop wird vieles schöngeredet. Jede Subkultur, die kommerziell aufgegriffen wird, hat beides. Sobald die Musikindustrie ins Spiel kommt, wird HipHop ein Teil der Industrie, die bestimmte Messages nicht will und wenn, dann nur auf weichgespülte Art. Natürlich ist das, was dann gepusht wird, auch anders. Man kann natürlich sagen, HipHop war früher politisch, aber man kann auch sagen, die Sugarhill Gang wurde zusammengecastet. Beides stimmt. Wir dürfen nicht so positiv geschichtsrevisionistisch sein und sagen, früher war alles gut und jetzt wird nur noch Scheiße erzählt.

SB: Abgesehen von den Leuten, die heute hier auftreten, welchen politischen Hip Hop gibt es noch in Deutschland, den du für nennenswert hältst?

HB: Die Trennung politisch oder nicht ist für mich nicht die wichtigste Kategorie. Ganz viele Leute erzählen in ihren Liedern etwas über ihr Leben, was sie so machen und wie sie die Welt sehen. Klar wird man darin keinen Polit-Sprech wiederfinden, aber dennoch kann es politischer sein als vieles andere, wo eine linke Analyse hintersteckt. Ich selbst höre ganz unterschiedlichen deutschen Rap sehr gerne wie zum Beispiel Amewu, Damion Davis, Jintanino, aber ich finde auch Lakmann unheimlich gut, und der hat beileibe nicht nur politische Texte, und auch nicht nur gute (lacht).

SB: Kürzlich gab es eine kleine Auseinandersetzung mit der Antilopen-Gang, die ziemlich erfolgreich ist, sich aber negativ bis abfällig über Blockupy geäußert hatte. Ist das signifikant für die Hip-Hop-Szene, wird man nur gedisst, weil es Spaß macht, oder gibt es auch inhaltliche Differenzen?

HB: Es gibt nicht die HipHop-Szene, von dieser Vorstellung muß man sich verabschieden. Jeder von uns, egal, in welcher Subkultur er aufgewachsen ist, wird durch tausend Sachen beeinflußt, die von außerhalb kommen, durch seinen Job, ob seine Eltern Geld hatten oder nicht, wen man kennengelernt hat, wie man zuerst auf die Straße gegangen ist. Sicherlich ist es relativ wahrscheinlich, daß von einer Sache, die in der Kulturindustrie gerade gut gefeiert wird, nicht die richtig guten Aussagen kommen. Dennoch kann man nicht sagen, es gibt die richtige und die falsche HipHop-Szene, sondern es gibt Menschen, die die Welt verändern, sie gerechter und solidarischer machen wollen. Es gibt Leute, die Rap hören, andere machen Graffiti und wieder andere hören Klassik oder schreiben für die junge Welt. Ich finde nicht, daß man die Kategorien von richtig und falsch so einfach aufmachen kann. Es gibt unter diesen Leuten solche, die Widerstand gegen die Kulturindustrie leisten und etwas verändern wollen, und solche, die eigentlich ganz gut finden, wie es ist.

SB: Bist du politisch organisiert oder machst du Politik im wesentlichen über die Kunst?

HB: Ich bin definitiv politisch organisiert. Mitte der 90er bin ich in die Sozialistische Alternative (SAV) eingetreten. Das sind Leute, die zum einen selber viel organisieren und zum anderen einer internationalen Organisation angehören, die überall für Sozialismus eintritt und kämpft. Wir schauen, was für Kämpfe und Organisierungsansätze es gibt und wie diese unterstützt werden können. Wir sind bei allen Widersprüchlichkeiten beispielsweise im kämpferischen Flügel der DGB-Gewerkschaften und im marxistischen Flügel der Linkspartei aktiv, obwohl es dort nicht nur Leute gibt, die dasselbe wollen wie wir. Aber wir denken, daß jeder Ansatz, der gerade viele Leute bewegt, es wert ist, daß man Kampfangebote macht. Rückzug in eine Subkulturszene ist falsch und reißt nichts.

SB: Das Klassenfest heute greift ein bißchen die Idee des Agitprop auf, um Menschen zu erreichen, die nicht oder noch nicht politisiert sind. Geht es dir bei deinen Texten auch um dieses Ziel?

HB: Ich sehe meine Kunst nicht so weit vorne. Wenn sich politische Organisationen wie die meine dafür entscheiden, sich beispielsweise für eine Flüchtlingsbewegung einzusetzen, weil da viele Jugendliche aktiv sind, überlegen wir uns den nächsten größeren Schritt, der mehr ist als eine Demonstration. Zum Beispiel, indem wir darüber diskutieren, ob ein Schulstreik möglich ist. Wenn ich dann ein Musikstück dazu mache, ist das cool, und wenn meine Musik im Widerstand irgendeine Rolle spielt, dann ist das auch cool, aber ich glaube nicht, daß sich Bewußtsein über einen Rap-Text, ein verteiltes Flugblatt oder das gelesene Marx-Buch verändert, sondern nur über einen Schritt zum Kampf. Wenn dann Leute noch schlaue Ideen haben für den Kampf, um so besser.

Daß sich die Leute hier jetzt ein HipHop-Fest anhören, heißt noch nicht, daß wir sie auf der nächsten Aktion dabei haben. Es kann helfen, daß sie hier von der nächsten Aktion erfahren, von der sie sonst nie erfahren hätten. Aber dann müssen wir uns als Linke an die eigene Nase fassen und uns fragen, warum haben wir nicht vorher in ihrem Stadtteil Flugblätter verteilt oder Plakate aufgehängt, warum kriegen wir sie nur hier über ein Konzert. Man muß die Sache andersherum sehen: Es ist cool, daß hier Leute sind, die vielleicht gestern nicht demonstrieren waren, aber es ist auch ein Zeichen unserer Schwäche, wenn sie gestern nicht demonstriert haben.

SB: Damit spricht du eine Grundproblematik der Linken in der Bundesrepublik an, die angesichts der sozialen Konflikte und Widersprüche eigentlich viel stärker sein könnte. Statt sich politisch zu engagieren, gehen viele Leute - siehe Pegida und so weiter - gegen schwächere Menschen vor. Was müßte eine Linke tun, um den Leuten klarzumachen, daß es auch darum geht, Menschen zu unterstützen, die nicht stark, sondern marginalisiert, geächtet und Verfolgungen ausgesetzt sind?

HB: Ich verstehe, was du meinst, aber ich möchte die Frage dennoch ein bißchen drehen. Denn ich glaube nicht, daß die Menschen, die auf der Welt ausgebeutet werden, schwach sind. Ich glaube, wenn wir unsere Arbeitskraft verweigern, sind wir stärker als der Gegner. Wenn wir erkennen, daß wir eigentlich dasselbe Interesse haben, und zwar unabhängig davon, ob wir gerade unsere Arbeitskraft verkaufen oder nicht, sind unsere Möglichkeiten viel größer als die, die wir jetzt gerade sehen. Deshalb kann es nicht um Hilfe für Schwächere gehen, sondern um gemeinsame Organisierung und das Erkennen der eigenen Stärke. Auch wenn das jetzt ein bißchen hohl klingt: Die Menschen hatten mittlerweile 25 Jahre keine Systemalternative mehr.

Ich will aber auch nicht verschweigen, daß Leute mit demselben Sozialismusbegriff wie ich auch im Ostblock in Gefängnissen gelandet sind oder Schlimmeres erleiden mußten. Eine Systemalternative zum Kapitalismus zu haben bedeutet jedoch, daß der Kapitalismus nicht jeden Scheiß durchziehen kann, was er die letzten 25 Jahre jedoch getan hat. Davon haben wir uns noch nicht erholt, wir haben noch nicht die Organisierung, die Solidarität und die Themen, die nötig sind.

Ich möchte ein paar praktische Beispiele dranhängen. Wenn die GDL streikt und jede kleine linke Organisation in einem Stadtteil würde einen Infotisch aufstellen, um klarzumachen, daß dieser Streik gut ist, weil er zeigt, was man machen könnte, dann wäre die Stimmung schon ganz anders und dann hätten wir auch ganz andere Leute in die Linke reinbekommen. Wenn die Partei Die Linke bei Antikriegsdemonstrationen sich mehr zu organisieren zutrauen würde und nicht nur sagt, wir spielen den Anmelder und vernetzen alles mögliche, sondern jede ihrer Basis-Organisationen dazu aufruft, drei Infotische in einem Stadtteil zu machen, um für die Demonstration zu mobilisieren, hätten wir, glaube ich, schon eine andere Stärke. Beim Streik bei Opel Bochum und am Beginn der Anti-Hartz-IV-Bewegung hatten wir größere Chancen, als wir sie genutzt haben. In diesem Sinne muß sich jede und jeder Linke fragen, habe ich alles getan, um zu einer Bewegung zu kommen, die gewinnen kann.

SB: Die Bewegung für Flüchtlinge ist ziemlich stark geworden. Menschen haben sich für andere eingesetzt, die nichts mehr haben und aus Verfolgung und Not nach Europa kommen. Das ist einer der konkretesten Widersprüche zu einer rechten Position, die diese Menschen draußen lassen will, weil es hier angeblich nichts zu verteilen gibt. Sich für Menschen in Not einzusetzen, würdest du das nicht als ein linkes Ideal bezeichnen?

HB: Du stellst die Frage so, daß man ganz schwer nein sagen kann. Aber ich sage trotzdem nein, und zwar aus dem Grunde, daß Menschen gemeinsam gegen das zu organisieren, was ihnen hier genommen wird, genau das Richtige ist. Es war ja nicht so, als hätte es eine Solidaritätsbewegung mit den Flüchtlingen gegeben und die Flüchtlinge hätten dankbar genickt und gesagt, cool, daß ihr das für uns macht, ihr solidarischen Deutschen. Vielmehr hat die Lampedusa-Hamburg-Gruppe Demonstrationen mit 300 Leuten, die vor dem Krieg geflohen sind, selber organisiert und erst dann kamen Leute, die davon beeindruckt waren und es unterstützen wollten. Sie haben nicht Schwäche, sondern Stärke gezeigt.

Als im Hamburger DGB darüber diskutiert wurde, wie man faktisch einen Mindestlohn durchsetzen kann, wenn Leute ohne Arbeitserlaubnis gezwungen sind, illegal zu arbeiten, haben wir gesagt, wir wollen gemeinsam für gute Arbeits- und Wohnbedingungen kämpfen. Es geht nicht darum, einem Schwächeren zu helfen, sondern daß sich die vermeintlich Schwachen solidarisieren und darüber stark werden. Es geht nicht ums Helfen, sondern um gemeinsamen Widerstand. Wie heißt es so schön in dem alten Lied: Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht... (singt)

SB: Als Künstler verkauft man im Grunde seine Arbeitskraft an die Kulturindustrie. Für wie sinnvoll oder realistisch hältst du es, gegen dieses Vermarktungsmonopol Strukturen einer Gegenbewegung aufzubauen, in denen der Einfluß des Kommerzes von vornherein gering gehalten oder ganz ausgeschlossen wird?

HB: Als Teil einer Bewegung, die etwas anderes will, sollte man auch andere Kunststrukturen aufbauen. In den 20er Jahren gab es sehr viele Diskussionen innerhalb der KPD über Agitprop, weil man mehr als nur die eigenen Parteigenossen agitieren wollte. Es gibt tolle Berichte von Gruppen über ihre Auftritte. Darin schildern sie, wo sie politisch falsch lagen. Beispielsweise haben sich Agitprop-Gruppen für den Kampf gegen die Faschisten engagiert. Um Parteilinie zu zeigen, haben sie die Sozialdemokraten als Helfershelfer der Braunen dargestellt. Daraufhin sind SPD-Arbeiter zu den Agitprop-Gruppen gegangen und haben gesagt: Was ihr macht, finden wir gut, aber der Quatsch, daß ihr uns mit den Faschisten vergleicht, geht gar nicht.

Deswegen glaube ich, daß auch eine kulturelle Bewegung stark sein kann, wenn sie Teil des Widerstandes ist. Linke Liedermacher sind gehört worden, als die Leute bei den Ostermärschen massenhaft gegen die Aufstellung von Pershing-II-Raketen auf die Straße gegangen sind. Klassenkämpferischer Rap ist gut, wo Klassenkampf praktiziert wird, nicht gut ist aber, wenn agitatorischer Rap Klassenkampf propagiert.

SB: Holger, vielen Dank für das Gespräch.


Menschenmenge beim Klassenfest - Foto: © 2015 by Schattenblick

Am Hamburger Pflasterstrand
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnote:

[1] BERICHT/025: HipHop von unten - Aufschrei nach Noten ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0025.html

17. Mai 2015


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