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INTERVIEW/052: In Szene und erzählt - "Die Andere", eine Oper ...    Christoph Hein im Gespräch (SB)


Die Andere von Sidney Corbett und Christoph Hein in Magdeburg

Interview mit dem Librettisten der Oper, dem Schriftsteller Christoph Hein, vor der Uraufführung

von Christiane Baumann, März 2016


In Magdeburg wirft ein ungewöhnliches Ereignis seine Schatten voraus: Am Freitag (18. März 2016) wird Die Andere, eine im Auftrag des Magdeburger Theaters komponierte Oper, als Uraufführung zu sehen und zu hören sein.
Der Komponist ist der US-Amerikaner Sidney Corbett, dessen Orchester-, Instrumental- und Vokalwerke international aufgeführt werden. Corbett lebt seit 1985 vorwiegend in Deutschland und hat in Mannheim eine Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst inne.
Das Libretto für Die Andere schrieb Christoph Hein, einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller, dessen neuer Roman Glückskind mit Vater gerade in die Buchläden gekommen ist. Nach der Oper Noach, die 2001 in Bremen zur Uraufführung kam, ist es die zweite gemeinsame Arbeit von Corbett und Hein.

Christiane Baumann traf Christoph Hein vor der Uraufführung in Magdeburg.


Schattenblick (SB): In Ihrem Roman Weiskerns Nachlass spielt der Librettist Mozarts, Friedrich Wilhelm Weiskern, eine Rolle, eine Ihrer Erzählungen heißt Der Tangospieler. Dann gibt es da die Zusammenarbeit mit Hans-Eckhardt Wenzel, die zwei CDs hervorbrachte, Masken und Das erste Buch Homers. Korrekturen, schließlich Opern-Libretti. Was reizt Sie an der Verbindung von Literatur und Musik?

Christoph Hein (CH): Ganz grundsätzlich: Ich arbeite eigentlich ganz gern übergreifend mit Künstlern zusammen, auch mit der bildenden Kunst, mit Bildhauern, das ist immer etwas sehr Anregendes. Insofern bin ich gerne mit Komponisten, mit Sängern, mit anderen Künstlern zusammen. Es ist einfach das Anregende das für mich Entscheidende dabei.

SB: Es ist Ihre zweite gemeinsame Arbeit mit Sidney Corbett, was spricht Sie an seiner modernen Musik, seinem Kompositionsstil besonders an?

CH: Seine Musik ist tonal. Ich arbeite noch mit einem lateinamerikanischen Komponisten zusammen, der auch modern ist, aber im tonalen Bereich bleibt. Atonale Musik hat möglicherweise ihren Rubikon, ihren Höhepunkt überschritten. Ich weiß es nicht, aber mit dieser Art Musik von Corbett komme ich sehr gut zurecht.

SB: Für die Oper Noach war Ihre Erzählung Ein älterer Herr, federleicht der Auslöser. Sidney Corbett las darüber und regte die Zusammenarbeit an. Der Anstoß für die neue Oper kam von Ihnen. Wie kamen Sie auf das Sujet?

CH: Es ist immer zuallererst die Geschichte, der Einfall, um den es geht. Das war ganz spannend. Die Ehefrau legt dem Ehemann eine andere Frau ins Bett, da dachte ich, das könnte was ergeben. Dann ist der nächste Punkt zu schauen, was das für eine Geschichte ist. Ich schreibe Romane, ich schreibe Theaterstücke, und ich habe schon einige Libretti geschrieben. Insofern prüfe ich, wofür es am geeignetsten ist, mit welchen Mitteln kann ich es am besten erzählen. Das schien mir hier am geeignetsten zu sein.


Abraham umklammert Hagar von hinten - Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Szenefoto "Die Andere" - Uraufführung am 18.03.2016
im Theater Magdeburg
v.l.n.r. Roland Fenes als Abraham und
Julie Martin du Theil als Hagar
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

SB: Mythisches spielt in Ihrem gesamten Schaffen eine Rolle. 2013 erschien der Erzählband Vor der Zeit. Korrekturen, in dem Sie die griechischen Mythen neu erzählen. Woher rührt Ihr Interesse am biblischen Stoff?

CH: Ich kenne die Bibel und gerade das Alte Testament auswendig. Sie brauchen nur ein paar Zeilen in der Luther-Übersetzung zu nennen und ich kann Ihnen sofort sagen, wie es weitergeht. Die habe ich einfach oft gelesen, weil es gute Geschichten sind, so wie ich mich mit den griechischen Mythen gut auskenne und den lateinischen, mit den deutschen nicht so sehr. Der deutsche Mythos, Wotan und Genossen, ist eigentlich ziemlich langweilig. Ich finde auch, die Libretti für die großen Wagner-Opern haben überhaupt nicht den Reichtum, jetzt rede ich natürlich nicht von der Musik, ich rede von der Geschichte. Da gibt es immer Gut und Böse, alles genau zugeordnet. Das ist in den anderen Mythen ganz anders. Die Abraham-Geschichte in der Bibel hat eine enorme Brutalität. Diese Geschichte von Sara und Hagar, das sind Sachen, die man keinem Kind erzählen kann, und wenn in einer Familie so etwas passiert, dann wird heftig darüber gestritten, aber nicht vor Kindern, das ist schon eine spannende Geschichte.

SB: Was hat Sie gerade an der Geschichte von Abraham und Sara gereizt?

CH: Gerade das Alte Testament erzählt sehr harte, brutale Geschichten, das ist nichts für Kinder und nichts für die Spinnstuben der Mägde, das ist schon ein ziemlich genauer Bericht über das Leben. Und das war mir ganz klar, als ich Sidney Corbett diesen Stoff vorschlug. Ich sah die Moderne dabei. Ich kenne noch solche Bauernhöfe. Mein Großvater war in Schlesien Inspektor eines riesigen Gutshofs. Nach dem Krieg war er hier in Sachsen-Anhalt. Er war staatlicher Leiter von einem riesigen Gut, das sogar einen eigenen Dorfnamen hatte. Und in diesem Stil müsste man sich das auch bei Abraham vorstellen. Er war ein mächtiger Mann, ein großer Herrscher und das bedeutete damals, dass er einen besonders großen Hof hatte. Insofern waren diese Geschichten, das fand ich sehr schnell für mich heraus, sehr modern. Es sind fast zwei Hundertjährige, die da ein Kind zeugen, Sara und Abraham. Das ist zwar etwas verwunderlich, aber wir erleben das ja gerade mit der Medizin, dass das alles wunderbar geht, und die Frauen werden ja inzwischen auch schon aufgefordert, die Eier einfrieren zu lassen und dann, wenn sie beruflich die Zeit haben, so um die 60, die Kinder zu kriegen. Wir nähern uns auch da wieder dieser alten Bibel. Und dann diese Geschichte: Die Frau legt dem Mann die Magd, die ihr Untergebene, ins Bett, ungern, aber sie bekommt ein Kind. Kein Kind zu haben, ist für Abraham die große Katastrophe. Wer keinen Erben hat, der ist von den anderen gierigen Nachbarn bedroht. Das haben wir auch bei großen Dynastien der Politik und der Wirtschaft. Es muss immer irgendwie ein Sohn her oder es müssen dann die Gesetze geändert werden, damit die Frau Regentin wird, was aber immer schwierig ist. Sara weiß, ohne Kind wird sich Abraham scheiden lassen. Das war übrigens noch Anfang des 20. Jahrhunderts in landwirtschaftlich geprägten Regionen Deutschlands ganz üblich. Da heiratete der reiche Erbe eine Frau zur Probe und das wurde von der Katholischen Kirche toleriert. Wenn das Mädchen nach einem Jahr kein Kind hatte, wurde sie entlassen und die nächste kam dran, denn das Erbe war viel zu wichtig, wegen der Macht. Und schließlich: Hagar wird schwanger und kaum ist sie schwanger, wird Sara auch schwanger. Auf ihr lastete jahrzehntelang der Druck, sie sollte gefälligst den Thronerben gebären. Auf einmal löst sich der Zwang und in dem Moment kann sie schwanger werden. Auch da würde die moderne Psychologie zu dieser Bibel-Geschichte nur beifällig nicken. Insofern bleibe ich ganz dicht an der Bibel, aber den Zug zu meinem Track, zu meinem Hier, das war mir, auch beim Noah-Stoff immer ganz wichtig.


Die beiden Schwangeren, Hagar und Sara - Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Szenefoto "Die Andere" - Uraufführung am 18.03.2016
im Theater Magdeburg
v.l.n.r. Julie Martin du Theil als Hagar und Undine Dreißig als Sara
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

SB: Wird durch die politische Ebene, durch den Bruder Nachor und den Ältestenrat, in Ihrem Libretto nicht der alttestamentarische Mythos korrigiert, das heißt knallhart ökonomisch erzählt?

CH: Es gibt Erweiterungen, aber Nachor ist original. Ich leiste mir da keine Dreistigkeiten. Wenn wir ein paar religiöse Verbrämungen wegnehmen, ist das in der Bibel auch knallhart ökonomisch erzählt. Das ändert sich im Neuen Testament. Das ist das Gründungdokument einer Religion mit der entsprechenden Aufforderung des Wohlverhaltens, was zu Gründungsdokumenten von Religionen und Ideologien dazugehört. Das Alte Testament erzählt hingegen Geschichten, wie das Leben abgelaufen ist, natürlich immer zeitgemäß. Vor tausend Jahren waren Blitz und Donner mit einem Gott verbunden, man konnte sich das ja nicht anders vorstellen. Der Gott ist immer dabei, aber das hat natürlich etwas mit der nicht ausreichenden Welterkenntnis zu tun. Insofern ist im Alten Testament Gott immer dabei, aber die Geschichten laufen nur unter den Menschen ab und ich suche nach dem Kern, nach dem Funken Wahrheit in diesen Mythen.

SB: Sie nennen die Oper Die Andere, was auf Hagar, die ägyptische Magd Saras zielt, warum?

CH: Hagar ist nicht nur die Magd, sie ist die Fremde, die Ausländerin, die Unerwünschte, und wir haben ja in Deutschland gerade mit den Anderen viel zu tun. Sie ist vielfältig, diese Andere. Sie ist die andere Frau, die zweite, aber die nicht aus dem Land ist, die man auch wieder vertreiben will und die weg soll. Als sie unverschämt werden will, wird sie verjagt, also sie ist die Andere. Sie gehört nicht dazu.

SB: In Ihrem geradezu legendär gewordenen Stück Die Ritter der Tafelrunde von 1987 bedeutete das Ende einer Idee immer zugleich die Geburt einer neuen. In Die Andere ist am Ende die "Ordnung" wieder hergestellt, das heißt Unterdrückung, Ausbeutung, Sklaverei. Hat sich aus Ihrer Sicht seit Abrahams Zeiten nichts verändert?


Abraham in gebieterischer Haltung vor den drei Räten und seinem Bruder - Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Szenefoto "Die Andere" - Uraufführung am 18.03.2016 im Theater Magdeburg
v.l.n.r. Paul Sketris, Kai Preußker und Kim Schrader als die drei Räte, Manfred Wulfert als Nachor und Roland Fenes als Abraham
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

CH: Ich verstehe Ihren Pessimismus, eine Spirale wahrscheinlich. Es geht mal nach oben, mal nach unten, mal zur Seite. Zur Zeit habe ich keinen guten Eindruck, von der Welt, aber speziell auch von Deutschland. Einer der Elder Statesmen sprach unlängst von Weimarer Zuständen, die wir jetzt hier in Deutschland bekommen. Das ist schwierig. Der Wunsch nach einer menschlichen Gesellschaft wird nicht aufhören. Da gehört das Scheitern auch dazu, aber ich glaube nicht, dass der Wunsch danach, das Bestreben und auch die einsetzenden Kämpfe aufhören.

SB: Ein Kompositionsauftrag für eine neue Oper ist ein Ereignis, brauchen wir überhaupt noch moderne Opern, haben sie eine Zukunft?

CH: Wenn ich mir die Spielpläne der deutschen Opernhäuser anschaue, dann würde ich sagen: Das hat keine Zukunft. Wenn die mal eine neue moderne Oper spielen, ist sie garantiert mindestens hundert Jahre alt. Was vor hundert Jahren komponiert wurde, gilt heute als gewagt. Die Opernhäuser haben sich ein bisschen auf Händel, Mozart und Telemann geeinigt, viel mehr will man nicht haben, also es ist schwierig. Andererseits ist, was schon Hegel und Goethe an der Oper loben, dieses Zusammenführen der verschiedenen Künste, das ist schon ein großer Heizpunkt, der da vor Hunderten von Jahren entstanden ist, aus Anfängen, die tausende von Jahren zurückliegen. Die Oper ist ein ganz besonderer Höhepunkt. Insofern denke, hoffe ich, dass das nicht aufhört. Wir haben da ja auch Nebenstrecken, die später entstanden sind, die Operette oder das Musical, die sich zwar mehr ans Publikum anschmeißen, aber auch wunderbar sind. Irgendwie gibt es da ein Bedürfnis im Publikum nach dem Zusammenklang der Künste. Deshalb habe ich bei allen Schwierigkeiten Hoffnung. Ich selber schreibe ununterbrochen Libretti.



Premiere: 18. März 2016, 19.30 Uhr
Theater Magdeburg, Schauspielhaus/Bühne

Die Andere
Uraufführung
Kammeroper von Sidney Corbett
Libretto von Christoph Hein
Kompositionsauftrag des Theaters Magdeburg
Musikalische Leitung: Michael Wendeberg
Regie/Bühne: Ulrich Schulz
Kostüme: Falk Bauer
Dramaturgie: Ulrike Schröder

Weitere Vorstellungen So. 27. 3. / Do. 7. 4. / Sa. 14. 5. 2016, jeweils 19.30 Uhr, Theater Magdeburg, Schauspielhaus/Bühne

17. März 2016


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