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INTERVIEW/061: HipHop Open Air - keine Heimstatt zwischen den Welten ...    Tice im Gespräch (SB)


Gespräch am 5. Mai 2018 in Hamburg-St. Pauli


Wenn eine Frau gegenüber 14 männlichen Acts in der Lage ist, ein Publikum regelrecht zu elektrisieren, wie es die Düsseldorfer Rapperin Tice auf dem Klassenfest getan hat, dann muß es sich bei ihr um eine außergewöhnliche Künstlerin handeln. Der Rauhreif ihrer samtenen Stimme verbindet den tiefen emotionalen Soul einer Jazzsängerin mit den Kriegstänzen nordamerikanischer Indianerstämme. Was bei Tice durchbricht, wenn sie in ihren Songs die schmerzhafte Fülle erlittener Enttäuschungen und Lektionen als Migrantin und Strandgut zwischen zwei Welten besingt, ist so authentisch und nah, daß beim Zuhörer kein Stäubchen von Distanz zurückbleibt. Wohl ist sie verletzt worden und mußte bitter lernen, was es heißt, aufgrund ihrer Herkunft ausgegrenzt zu werden, aber die Prüfungen haben sie nicht gebrochen, sondern sie darin bestärkt, als Mensch die Emanzipation von allem anzustreben, was Schmerzen und Ignoranz gebiert. Nach ihrem Auftritt beantwortete sie dem Schattenblick noch einige Fragen.


Beim Auftritt mit Mikro auf der Bühne - Foto: © 2018 by Schattenblick

Tice
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Dein bürgerlicher Name lautet Hatice. Hast du dir den Künstlernamen Tice gegeben, um deine türkische Herkunft ein wenig zu verschleiern?

Tice: Nein, nur das H und A sind weg. Ich habe das ha! gestrichen, weil mir das Lachen vergangen ist, und so blieb Tice übrig. Im Endeffekt stehen die Buchstaben weiterhin für eine charaktereigene türkische Identität. Tatsächlich stammt Tice aus Jugendzeiten und ist als Spitzname an mir hängengeblieben. Wenn man sich ein bißchen mit der Musik und dem, was dahintersteckt, beschäftigt, ist das ganz leicht herauszufinden.

SB: Als du dich auf der Bühne vorgestellt hast, sagtest du, daß du eine Türkin und integriert bist. Was bedeutet das für dich und deinen Lebenslauf?

Tice: Ehrlich gesagt habe ich das Wort Integration erst durch Sarrazin kennengelernt, davor hatte ich keine Ahnung davon. Als Menschen sind wir alle gleich. Ich wüßte nicht, wie man Integration definieren soll. Schließlich rappe ich auf deutsch. Wenn ich sage, ich bin integriert, dann benutze ich es als Provokation und Spaß. Das Wort Integration hat sich in meinem Wortschatz sozusagen integriert. Ich spiele mit Worten und provoziere auch gerne, aber ansonsten bin ich hier aufgewachsen und liebe das Land. Ich lebe seit 32 Jahren in Deutschland und war ein Jahr alt, als ich hierherkam. Gleichwohl habe ich jeden Tag damit zu kämpfen, den Leuten meine Identität zu erklären. Das ist ein täglicher Kampf. Jeder Migrant hat eine Herkunft, aber keine Heimat, obwohl wir hier zu Hause sind.

SB: Wie kommst du mit dem Widerspruch zurecht, daß Deutschland dein Lebensmittelpunkt, aber das Türkische deine Herkunft ist?

Tice: Das ist natürlich ein Widerspruch in sich, und in gewisser Weise widerspricht man sich auch selber. Man nimmt die kulturellen Werte sowohl von Deutschland als auch von der Türkei mit und fühlt sich dabei wie ein Tischtennisball, der von beiden Seiten gespielt wird. Aber letzten Endes bin ich ein Mensch. Daß man damit immer wieder konfrontiert wird, ist ein gesellschaftliches Problem, kein persönliches. Natürlich muß man gewisse Dinge verarbeiten wie den Rassismus und vieles andere. Ausländische Frauen erfahren vor allem Sexismus viel stärker als deutsche Frauen. Wir sind alle eine Art Flummi hier, springen mal hierhin, mal dorthin, aber ich möchte auf keiner Seite landen. Am liebsten würde ich in der Luft bleiben.

SB: In Deutschland vollzieht sich seit einiger Zeit ein Rechtsruck und die Stimmung gegen Ausländer nimmt zu. Mit dem Zuzug syrischer Flüchtlinge wird der Ton nochmals schärfer. Ist dieser gesellschaftliche Wandel für dich ein Motiv, deine Musik in eine bestimmte Richtung zu lenken?

Tice: Für mich war es schon immer ein persönlicher Grund, weil ich damit selbst zu kämpfen habe. Das mache ich nicht erst seit der Flüchtlingskrise, sondern bin mit diesen Fragen, seit ich sprechen und denken kann, konfrontiert. Mein Motiv ist also persönlicher Art, wenngleich hier und da ein paar gesellschaftskritische Zeilen miteinfließen. In erster Linie schreibe ich das, was ich erlebt habe. So ist auch mein Song "Ich bin so" entstanden. Darin erkläre ich, wie ich in meiner Jugend quasi zwischen zwei Stühlen großgeworden bin. Mit diesem Konfliktstoff will und muß ich mich auseinandersetzen, und das mache ich durch die Musik. In der Türkei als auch in Deutschland ist die Flüchtlingskrise ein stark besetztes Thema. In beiden Ländern werde ich damit konfrontiert. Ich war vor einiger Zeit in der Türkei und konnte dort im Überfluß miterleben, wie über Flüchtlinge geredet wird. Natürlich werden sie dort anders behandelt als hier, aber unterm Strich tut sich da nichts. Ich glaube, Rassismus wird es immer geben, egal wo. Das liegt wohl am Nationalstolz. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber wie kann man stolz darauf sein, wo man geboren wurde? Niemand, der auf die Welt kommt, kann sich das aussuchen. Ob nun Amerikaner, Kubaner oder Türke, darauf stolz zu sein, ist das Dämlichste, was ich mir vorstellen kann. Vielleicht kann man stolz darauf sein, Kulturen zusammen zu erleben, und man kann sich auf jeden Fall über seine Kultur freuen, wenn man sie ausleben will. Dafür bin ich voll und ganz, aber das hat nichts mit Nationalstolz zu tun. Da unterscheide ich schon.

SB: In Deutschland läuft derzeit eine Debatte über die Unterdrückung der türkischen Frau, sei es über das Kopftuch, die Religion oder durch den Chauvinismus der türkischen Männerwelt. Du wirkst wie eine moderne Frau, mit welchen Konflikten und Schwierigkeiten hattest du zu kämpfen, um dich hier in Deutschland zu emanzipieren?

Tice: Das ist eine schwierige Frage. Letzten Endes hat man als Frau immer mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Wenn man aus der türkischen Kultur kommt, lernt man - und ich hoffe, nicht mißverstanden zu werden - als Frau eine ganz bestimmte Rolle. Die türkische Frau wird dem Mann untergeordnet und sollte auch danach leben. Das habe ich auch in meiner eigenen Familie gesehen, was mir aber nicht gepaßt hat. Ich habe schon als Kind und später im Jugendalter eine große Klappe gehabt. Meine Eltern fanden das nicht immer cool, aber ich war schon immer aufmüpfig. Ich glaube, das hat man einfach in sich, und wenn man dann erwachsen wird, kommt die Prägung durch gewisse Erfahrungen hinzu. Aber auch hier in Deutschland wird man als türkische Frau anders angesehen. Ich habe damals, als ich mit der Mittleren Reife von der Schule abgegangen bin, so viele Bewerbungen geschrieben, habe aber bis heute keinen Ausbildungsplatz bekommen, und das nicht, weil ich faul gewesen bin. Ich habe jahrelang Bewerbungen abgeschickt und mich bemüht, den Leuten zu zeigen, daß ich das wirklich machen will, bis ich gemerkt habe, daß ich als Türkin keine VIP-Karte besitze, sondern aufgrund meiner Herkunft aussortiert werde. Oder ein anderes Beispiel: Ich bin seit Jahren in Düsseldorf auf Wohnungssuche, aber ich bekomme wegen meines Namens keine Wohnung. Dann habe ich einen anderen Namen verwendet, und sofort bekam ich Zusagen für eine Besichtigung, was ich mit meinem türkischen Namen nicht hinbekommen habe. Deutsche Freunde sagen mir, bei uns hat das geklappt, warum nicht bei dir? Ich habe wirklich händeringend alles versucht, kam mit einer Bürgschaft oder sagte, ich lege euch Gold auf den Boden, bitte gebt mir die Wohnung, aber trotzdem war die Antwort immer Nein.

Auch mit einem deutschen Mann zusammenzusein, ist noch einmal etwas ganz anderes als mit einem türkischen Mann. Als Türkin mit einem deutschen Mann zusammen zu leben, war für mich sehr schwierig, auch aufgrund seines Umfeldes. Ich habe lange gebraucht, bis mich seine Freunde akzeptierten. Das sind so banale Sachen, mit denen man immer konfrontiert wird, die einem anfangs nicht so klar sind, aber hinterher, wenn man diese Erfahrung gemacht hat, immer bewußter werden. Natürlich lernt man daraus und versucht, das Ganze nächstes Mal geschickter anzugehen und den Leuten irgendwie ihre Tricks zu nehmen und den Spiegel vorzuhalten.

SB: Würdest du sagen, daß deine Musik politisch motiviert ist?

Tice: Ich würde sagen, wir sind alle politisch eingestellt - irgendwie, irgendwo -, auch wenn wir nicht auf Demos gehen. Selbst wenn man nichts sagt, keine Meinung hat, ist das auch ein politischer Einfluß. Ich mußte mich in meinem Leben sehr viel mit dem deutsch- türkischen Komplex auseinandersetzen, und das fließt hier und da in meine Lieder mit ein. Vor allem in dem Song "Ich bin so" habe ich mich sehr stark mit diesem Thema und meinen Erfahrungen als Türkin in der Schule, der Jugend und im Erwachsenenalter auseinandergesetzt. Ich denke, das wird niemals aufhören. Je stärker und bewußter man daran herangeht und einen Song darüber macht, um so mehr Leute erreicht man. Von ganz vielen Frauen weiß ich, daß sie glücklich sind, daß ich diesen Song geschrieben habe. In ihren Nachrichten stand: Danke, danke, danke, daß du sagst, was ich fühle. In einem gewissen Sinne bin ich froh, daß ich diese Rolle übernehme, weil wir im deutschen Rap keine Deutschtürkin haben, die sich - würde ich mal behaupten -, so damit auseinandersetzt wie ich.

SB: Deine Lieder sind manchmal provokant, strahlen aber oft eine unbändige Wut und tiefe Enttäuschung aus. In einer Strophe heißt es, ich bin nicht deine Schwester. Kannst du etwas zu diesem Lied sagen?

Tice: Im Song geht es halt darum, blablabla, ich bin nicht deine Abla, also ich bin nicht deine Schwester. Das Ding ist, daß man im Türkischen unter Geschwistern immer Bruder oder Schwester sagt. Ich möchte diese oberflächliche Nähe nicht haben. Ich mag es nicht, Schwester genannt zu werden. Nein, tut mir leid, das ist mir zu intim. Man möchte einen Platz in meinem Herzen haben, ohne daß man sich einander vorstellt, und das gönne ich niemanden. Ich sehe ja über vieles hinweg, aber wer in mein Herz will, muß anders anklopfen, als nur zu sagen, hey Schwester. Da fehlt mir die Sensibilität für den anderen Menschen.

SB: Das Klassenfest stand heute unter dem Vorzeichen des 200. Geburtstages von Karl Marx. Welche Bedeutung hat das für dich?

Tice: Ganz ehrlich, ich solidarisiere mich gerne und mag es aufzutreten. Ich denke schon, daß meine Lieder dazu passen. Doch was soll ich zu einem Plakat mit der Aufschrift "Marx statt Merkel" sagen, wenn ich noch nicht einmal wählen gehen darf? Ich habe einen türkischen Paß und darf daher kein Kreuz machen. Es gibt verschiedene Auflagen, warum ich den deutschen Paß nicht bekomme, aber im Grunde möchte ich mich nicht zwischen türkisch und deutsch entscheiden, soweit bin ich noch nicht. Ich hätte gern beide Pässe, weil ich mich beidem zugehörig fühle, aber das ist eben nicht machbar. Im Endeffekt ändert das nicht mein Aussehen, niemand sieht, ob ich in meiner Tasche einen türkischen oder deutschen Paß habe. Zur Veranstaltung möchte ich noch sagen, daß ich es immer gut finde, wenn Menschen auf die Straße gehen und für ihre Interessen demonstrieren. Ich mache es mir ein bißchen easy, weil ich die Bühne mag. Ich bin eher ein Einzelgänger und versuche, Emotionen zu verpacken. Jeder hat Emotionen. Man muß erstmal sich selber gerade machen, bevor man versucht, die Welt zu verändern. Ich denke, daß es vor allem darauf ankommt, bei sich selber anzufangen.

SB: Tice, vielen Dank für dieses Gespräch.


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