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NACHLESE/008: 50 Jahre später ... Small Faces - Ogdens' Nut Gone Flake (SB)



Lazy Sunday afternoon
I've got no mind to worry
Close my eyes and drift away

Small Faces - Lazy Sunday

Cockney Psychedelia - nicht nur in den lichtdurchfluteten Archipeln der New Age-Kommunen Kaliforniens, sondern auch in den dunklen Gassen des Londoner East Ends wagte die Jugend den Ausbruch aus den beengten Verhältnissen eines auf freudlose Lohnarbeit abonnierten Daseins. Steve Marriott und Ronnie Lane kamen aus der englischen Arbeiterklasse und hatten die Small Faces 1965 in London gegründet, um schwarzen R&B-Größen wie Otis Redding und Bobby Bland nachzueifern. Schon Single-Erfolge wie All Or Nothing vom August 1966, Itchycoo Park vom August 1967 oder Tin Soldier vom Dezember 1967 griffen mit einem euphorischen Überschwang auf das Publikum über, der Fesseln sprengt oder sie zumindest als solche spürbar macht.

Wie The Who als musikalische Idole der Mod-Szene in die erste Riege britischer Rockgruppen vorgestoßen zeigten die Small Faces, daß der psychedelische Sound ihrer Zeit kein Markenzeichen US-amerikanischer West Coast-Bands war. Mit dem am 24. Mai 1968 veröffentlichten Album Ogdens' Nut Gone Flake legten sie ein in mehrfacher Hinsicht emblematisches Konzeptalbum vor. Die Hülle bestand aus einer runden Blechschachtel, die, einer Tabakdose nachempfunden, auf das Label einer in Liverpool ansässigen traditionsreichen Tabakfirma anspielte. Einmal aufgeklappt, ließ sich die runde Druckeinlage fünffach aufklappen, um die einzelnen Bandmitglieder vorzustellen. Tatsächlich dienten die Tabakdosen der 2011 geschlossenen Firma den Musikern dazu, ihr Marihuana aufzubewahren. "Nut Gone" sollte den beim Graskonsum erreichten Bewußtseinszustand auf den kurzen Begriff bringen, daß da eben nichts mehr war.

Während die erste Seite des Albums mit Titeln wie Afterglow Of Your Love, Song Of A Baker oder Lazy Sunday den State of the Art einer mit ungewöhnlichen Soundelementen und räumlich entuferten Atmosphären arbeitenden Rockmusik präsentierte, wurde auf Seite Zwei die fantastische Geschichte des Jungen Happiness Stan und des Einsiedlers Mad John im Wechel von Songs und gesprochenem Text erzählt. Als Sprecher gewann die Gruppe den Autor und Komödianten Stanley Unwin, der mit seiner eigenen Sprache Unwinese ein Beispiel für den Einsatz ver- und sinnentfremdeter Worte, auch Gobbledygook genannt, als dramaturgisches Mittel gab.

Mit breitestem Cockney, wie im Song Lazy Sunday, und dem darin verhandelten Thema eines Nachbarschaftsstreites ließ Sänger Steve Marriott keinen Zweifel daran, daß das Wegdriften an einem faulen Sonntagnachmittag überall möglich ist, wo es Gründe dafür gibt, den herrschenden Verhältnissen zu entfliehen. So wenig die Small Faces politische Absichten hatten, so sehr waren sie einer Zeit entsprungen, in der die Reibungen und Brüche der englischen Klassengesellschaft, die keineswegs alle Menschen an ihrem Wohlstandsbauch teilhaben ließ, kulturell und künstlerisch hervortraten. Das von der Gruppe in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre besungene Lebensgefühl bedurfte nicht der ausdrücklichen Verwendung des Begriffes "authentisch", denn es konnte gar nicht anders als mitten aus dem Leben gegriffen empfunden werden. Mit späteren Acts wie Humble Pie und den Faces wurden Marriott und Lane, die beide in den 1990er Jahren verstarben, zwar zu Weltstars, aber ihr Aufstieg zu popmusikalischem Ruhm war auch die Zeit ungetrübtester Lebensfreude und kreativster Schaffenskraft.

26. Mai 2018


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