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NACHLESE/010: 50 Jahre später ... The Velvet Underground - White Light/White Heat (SB)


White light goin', messin' up my mind
And don't you know it's gonna make me go blind

The Velvet Underground - White Light/White Heat


Heute unangefochten eines der wichtigsten Werke der alternativen Rockmusik der 1960er Jahre, floppte das im März 1967 erschienene Album The Velvet Underground & Nico in den Charts und den Plattenläden. Die Musikpresse nahm es kaum wahr, doch heute kommt kaum eine Publikation über die Popkultur jener Zeit ohne ein Bild des von Manager Andy Warhol entworfenen Covers mit dem Bananen-Design aus. Lou Reed, John Cale, Sterling Morrison und Maureen Tucker waren, nachdem sie die Aufnahmen zu dem Album ein Jahr lang vorbereitet hatten, so frustriert, daß sie sich von ihrer Sängerin Nico, der in Köln gebürtigen und von Warhol stark geförderten Christa Päffgen, sogleich wieder trennten.

Dem im Januar 1968 erschienenen Nachfolgealbum White Light/White Heat erging es kaum besser. Es war der musikalischen Entwicklung seiner Zeit um Jahre voraus, zumal auf dem Höhepunkt der mit bunten Farben und viel Licht experimentierenden psychedelischen Musik, deren kulturindustrielle Verwertung für grellbunte Designs und blumenbewehrte Harmonieseligkeit in den Boutiquen und Kaufhäusern sorgte. White Light/White Heat kam mit einem vollständig schwarzen Cover daher, auf dem in dünnen weißen Lettern lediglich Titel und Bandname zu sehen waren.

Inspiriert von der New Yorker Avantgardekunst und Subkultur, die mit provokanten Filmen über gescheiterte Existenzen, mit expressivem Free Jazz und Romanen über das elende Leben auf den Straßen der Weltmetropole einen deutlichen Akzent gegen die New Age-Visionen der kalifornischen Westküstenkultur setzte, war das in nur zwei Tagen eingespielte White Light/White Heat eine Manifestation der Gegenschönheit, wie es John Cale ausdrückte. In der rabiaten Rohheit des Sounds, der mit dissonant übersteuerten Gitarren, einer quälend auf wenigen Tönen verharrenden Violine, einem scheppernd minimalistischen Schlagzeug und halb gesungenen, halb erzählten Geschichten, die von den Abgründen urbaner Obsessionen kündeten, war das Album so authentisch wie erfolglos.

Der namensgebende Titelsong beschreibt die körperlichen Sensationen einer Meth-Injektion, Lady Godiva's Operation berichtet über das fatale Scheitern einer transsexuellen Geschlechtsumwandlung, The Gift ist eine gesprochene Horrorminiatur über den blutig endenden Versuch eines Mannes, seiner vermutlich untreuen Freundin in Form eines Paketes zugestellt zu werden, und das 17minütige Sister Ray wurde als Archetyp des Noise-Rock von so bekannten Postpunk-Acts wie Joy Division, New Order oder The Sisters of Mercy gecovert. Das Stück, das um eine von dem New Yorker Literaten Hubert Selby Jr. inspirierte Geschichte voller Ausschweifung und Verfall, so Lour Reed, über eine tödlich verlaufende Orgie mit Drag Queens und Matrosen kreiste, wurde in einem Durchgang eingespielt und war dabei so fehlerbehaftet, daß der Toningenieur mitten in der Aufnahme entnervt das Studio verließ. Niemand zensierte die Platte, weil niemand sie sich anhörte, kommentierte der 2013 verstorbene Lou Reed das heute pophistorisch ebenfalls hochgehandelte Werk später.

The Velvet Underground traten insbesondere in der nur diese zwei Alben überdauernden Urbesetzung als schwarze Engel der an wüsten und gescheiterten Existenzen nicht eben armen US-Musikkultur in Erscheinung. Galt weißes Licht den Hippies dank des LSD-Propheten Timothy Leary als Synonym für Erleuchtung und höchste spirituelle Weihen, so war es für das Publikum dieser Gruppe Ausdruck einer drogeninduzierten Überforderung aller nervlichen und physischen Belastbarkeit. Im Grunde genommen kein so großer Unterschied, könnte man meinen. Die von Aussteigertum und Neubeginn bestimmte Jugendkultur jener Jahre hoffte allerdings noch auf ein gutes Ende, was den nagenden Verdacht, der harmonische Duktus ausgewogener Kompositionen siedle nah an der Ordnung herrschender Verhältnisse, noch nicht zur Gewißheit werden ließ.

12 . Juni 2018


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