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NACHLESE/032: 50 Jahre später ... Santana - Santana (SB)


Sie bringen Drogen, sie bringen Verbrechen, sie sind Vergewaltiger, und einige sind, wie ich vermute, gute Leute.
US-Präsident Donald Trump über mexikanische MigrantInnen 2016


Braceros wurden die meist männlichen Arbeitsmigranten genannt, die zwischen 1942 und 1964 einen Großteil der Feldarbeit im Süden der Vereinigten Staaten verrichteten. Als Ergebnis eines Vertrages, den die US-Regierung mit der mexikanischen Regierung ausgehandelt hatte, weil viele Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft in den Krieg ziehen mußten, reisten mexikanische Landarbeiter für sechs Monate nach Kalifornien, Texas oder in andere Staaten im Süden, um dort niedrig entlohnte Pflanz- und Erntearbeiten zu verrichten. Im eigenen Land wurde ihnen das kleine Stück Land, von dem sie hätten leben können, von Großgrundbesitzern und Landspekulanten vorenthalten, und in den USA wurden sie wie Lohnsklaven behandelt, deren legaler Status sofort auslief, wenn sie ihren Job verloren. Braceros wurden kaum besser als Nutztiere behandelt - solange man ihnen Arbeit abpressen konnte, durften sie bleiben, wenn nicht, galten sie als Kriminelle.

"No somos animales" - "Wir sind keine Tiere", kommt heutigen WanderarbeiterInnen schon mal leise über die Lippen, wenn die Grenzpolizei sie mit dem Ruf "Levantate perros!" - "Steht auf, Hunde!" in Busse verfrachtet. Von den 10,7 Millionen illegal in den USA lebenden MigrantInnen stammt etwa die Hälfte aus Mexiko. Es sind, zumindest in der rassistischen Wortwahl eines Donald Trump, moderne "Untermenschen", deren Zuwanderung mit einer gigantischen Mauer unmöglich gemacht werden soll, obwohl sie die schlechtesten und unbeliebtesten Jobs im Land übernehmen. Rund 8 Millionen illegale MigrantInnen stellen heute in den USA eine fast unsichtbare Work Force dar, die aufgrund ihrer Rechtlosigkeit zu Minimallöhnen und unter elenden Bedingungen Ernten einbringt, Häuser baut und Haushalte versorgt.

Womöglich würde Carlos Santana, wenn er heute versuchte, nach San Francisco zu gelangen, niemals dort ankommen, sondern bereits an der Hochsicherheitsgrenze scheitern, mit der sich die USA, die über ein dreimal so hohes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf verfügen wie Mexiko, nach Lateinamerika hin abschotten. Als der 1947 im Südwesten Mexikos geborene Musiker, der schon mit fünf Jahren mit einer Violine umgehen konnte und im Alter von acht Jahren das Gitarrenspiel erlernt hatte, Ende der 1950er Jahre über die Grenze in die USA reiste, wurde er von dem Mann, der ihn führte, sexuell mißbraucht. In Kalifornien hielt sich der früh vom Blues eines B.B. King und John Lee Hooker beeinflußte Rockgitarrist jahrelang als Geschirrspüler und Straßenmusiker über Wasser, bis er im Alter von 19 Jahren von Bill Graham, dem Impresario des Fillmore West, entdeckt und gefördert wurde.

Im Januar 1969 war es schließlich soweit. Die 1966 in San Francisco noch unter dem Namen Santana Blues Band gegründete Formation des jungen Ausnahmegitarristen ging ins Studio, um ihr Debütalbum aufzunehmen. In der Urbesetzung Gregg Rolie, Lead Vocals und Keyboards, Bassist David Brown, Drummer Michael Shrieve und den Perkussionisten Michael Carabello und José Areas wurde eine LP eingespielt, auf der die ganze Spielfreude dieser ungewöhnlichen, mit vielen Schlaginstrumenten in extensiven Latinrhythmen aufgehenden Rockband zu hören war. Was die Gruppe von anderen, meist im Jazz angesiedelten Bands unterschied, die ebenfalls einen Crossover aus Blues und Latin spielten, waren ihre Gitarrensoli. Die in höchsten Noten langezogenen Töne imaginierten das Licht südlicher Sphären und schwebten über einem aus rhythmischen Mustern perkussiven Mit- und Gegeneinanders gewebten Klangteppich wie Vögel, die sich hoch in den Luftraum erhoben, um mit gellendem Schrei wieder zur Erde zurückzustürzen.

Das Langspielplattendebüt stach weder durch besonders ausgefeilte Texte noch andere Eskapaden progressiver Art hervor. Es war ein solide wie in einem Stück produziertes, in seiner Frische und Dynamik extrem unterhaltsames Album, das sich bis heute, von den verstrichenen Jahrzehnten fast unverbraucht, gut anhören läßt. Wie bei so vielen großen Werken der Rockmusik dieser bewegten Zeit überstrahlt der Nachruhm die damals erzielte Wirkung. Fielen die Rezensionen der Musikkritiker vor 50 Jahren eher zurückhaltend aus, so plazierte das Musikmagazin Rolling Stone 2003 das Debütalbum Santanas auf Platz 150 seiner Liste der 500 größten Alben aller Zeiten.

Als Produktion des großen Labels CBS Records erreichte das Album auch das westdeutsche Rockpublikum, das bis dahin eher wenig über die Fusion von Rock und Latin wußte. Der innovative, von hohem Tempo bewegte Impetus Santanas verschaffte der Band in der BRD schnell eine feste Fanbasis. Das im Mai 1969 innerhalb eines Monats aufgenommene Debüt sollte erst Ende August 1969 in den Läden sein. Zwei Wochen zuvor jedoch fand das legendäre Musikfestival Woodstock Music & Art Fair an der Ostküste der USA im Bundesstaat New York statt. Bill Graham hatte dafür gesorgt, daß die Band für das Festival gebucht wurde, und so kam es dort zu einem legendären Auftritt, bei dem das längste Stück des Albums, die Instrumentalnummer Soul Sacrifice, in einer elfminütigen Version mit einem Schlagzeug- und Perkussionspart der Extraklasse zelebriert wurde.

In den USA war Santana so noch vor Erscheinen des Debütalbums als Liveband berühmt geworden, was die LP auf Platz 4 der US-Albumcharts katapultierte und den Newcomern einen erheblichen Erfolg bescherte. Es war der Beginn einer Karriere, die bis heute andauert, deren musikalischer Höhepunkt aber spätestens in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre überschritten war, als die Band zusehends Mainstreamsounds adaptierte, mit der sie zwar weiterhin viele CDs verkaufte, aber nicht mehr an die künstlerische Schaffenskraft der frühen 1970er Jahre heranreichte. Carlos Santana vollzog - seiner persönlichen spirituellen Entwicklung adäquat - große Schritte in Richtung eines rockbeeinflußten Jazz mit zum Teil außergewöhnlich gelungenen Ergebnissen. Zwar setzte er sich immer wieder auf karitative Weise für die Belange hispanischer MigrantInnen ein, doch trotz oder gerade wegen seiner eigenen Erfahrungen entwickelte er sich nie zu einer politischen Stimme von Gewicht für die aus Lateinamerika stammende US-Bevölkerung. Andere Mitglieder der Gruppe wollten die rockmusikalische Seite ihrer Musik verstärken, woraus diverse andere Bands entstanden. Die Frische und Kreativität der Gründerzeit aufrechtzuerhalten gelingt ohnehin nur wenigen Bands, doch Santana konnte sich noch über Jahre hinaus immer wieder selbst übertreffen.

1. Mai 2019


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