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NACHLESE/033: 50 Jahre später ... Nina Simone - To Love Somebody (SB)



But my country's full of lies
We all gonna die and die like flies.
I don't trust it anymore
You keep on saying: Go slow!

Nina Simone - Mississippi Goddam

Die 1933 als sechstes von acht Kindern einer armen schwarzen Familie in Tryon, North Carolina geborene Eunice Kathleen Waymon hatte zeitlebens das Problem, entschieden und vernehmlich gegen rassistische Ausgrenzung zu kämpfen, während sie als Pianistin und Sängerin auf das Wohlwollen der weißen Musikindustrie angewiesen war. Nimmt man die Radikalität ihres Bekenntnisses zu notfalls auch militant zu erzwingenden Befreiung der afroamerikansche Bevölkerung der USA ernst, dann konnte sie nicht anders, als der massiven Gewalt, mit der die schwarze Bevölkerung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere im Süden der USA unterdrückt wurde, streitbar Rechnung zu tragen und sich beim Management der Plattenfirmen, Radiosender und Konzertveranstalter unbeliebt zu machen.

Mit Stücken wie "Backlash Blues", dessen Text von Langston Hughes verfaßt worden war, oder "Mississippi Goddam" wurde Nina Simone zu einer künstlerischen Vorkämpferin der Bürgerrechtsbewegung. Sie war die erste schwarze Sängerin, die sich traute, einen Fluch wie "Gottverdammt!" auf der Bühne herauszuschreien und tat dies unter anderem auf einer der historischen Demonstrationen, die von Selma zur 87 Kilometer entfernten Hauptstadt Montgomery des aufgrund seiner rassistischen Gesetzgebung besonders berüchtigten Bundesstaates Alabama verliefen, mit vernehmlicher Wut. Martin Luther King erklärte sie bei einem dieser Anlässe, sich beim Protest gegen die weiße Unterdrückung nicht auf die von ihm gepredigte Gewaltfreiheit gebunden zu fühlen. Die Militanz ihrer Position bekräftigte sie in dieser Zeit auch auf der Bühne immer wieder, was mit Sende- und Auftrittsverboten quittiert wurde.

Bis heute gilt ihr Titel "To Be Young, Gifted and Black", dessen Text ihre Freundin, die Dramatikerin Lorraine Hansberry, verfaßt hatte, als Hymne des schwarzen Amerikas. Im Verlauf der Kämpfe der 1960er Jahre lernte sie neben Martin Luther King auch Malcolm X, Stokeley Carmichael, James Baldwin und viele andere AktivistInnen und KünstlerInnen der zivilen Bürgerrechtsbewegung wie der Black Panther Party kennen.

In jungen Jahren zur Konzertpianistin mit hochgesteckten Zielen ausgebildet und stets als großartige Instrumentalistin bewundert, emanzipierte sich Nina Simone von einer Karriere im Bereich der modernen Klassik spätestens, als ihre Versuche, im arrivierten weißen Kulturbetrieb Fuß zu fassen, immer wieder scheiterten. Als politische Sängerin beklagte sie die vielen von weißen Polizisten und Attentätern ermordeten AktivistInnen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auch in ihrer Musik. Tatsächlich starben zahlreiche ihrer MitstreiterInnen einen frühen, meist gewaltsam herbeigeführten Tod. Den Niedergang der schwarzen Bewegung wollte sie nicht weiter miterleben, und da sie auch noch unter einem gewalttätigen Ehemann litt, kehrte sie 1970 den USA konsequent den Rücken. Nach einigen Jahren in Liberia, dem von in den USA befreiten Sklaven gegründeten Land, zog sie in die Schweiz und verbrachte die letzten 10 Jahre ihres Lebens bei Aix-en-Provence in Südfrankreich.

Das 1969 veröffentlichte Album "To Love Somebody" bietet einen repräsentativen Querschnitt ihres musikalischen Könnens. Mit Titeln wie "Suzanne" von Leonard Cohen, drei Songs von Bob Dylan und den von Pete Seeger verfaßten Klassiker "Turn! Turn! Turn!" nahm die Ikone des schwarzen Blues und Jazz Anleihen bei der Tradition des weißen Folk. Mit zwei Songs der Gebrüder Gibb von den Bee Gees bewies sie, daß sie hitparadentaugliche Popmusik auf allerdings ganz und gar nicht süßliche Art singen konnte. Das war niemals ihre Art, und ihre Fans wußten zu schätzen, daß Nina Simone stets mit großer Authentizität und Ernsthaftigkeit zur Sache ging. Die beiden von ihr verfaßten Titel des Albums tragen den Titel "Revolution - Part 1 and 2".

2010 plazierte das Musikmagazin Rolling Stone Nina Simone auf Platz 29 der größten SängerInnen aller Zeiten. Wie subjektiv und fragwürdig derartige Rankings auch sein mögen, die 2003 verstorbene Künstlerin war auf vielerlei Weise eine Ausnahmeerscheinung in einem Geschäft, das besonders eigenwillige Persönlichkeiten nur dann erfolgreich zu produzieren weiß, wenn sie nicht über das vergossene Blut aus rassistischen Gründen ermordeter AktivistInnen singen. Die Geschichte ihres komplizierten und zu großen Teilen tragisch verlaufenden Lebens wurde in mehreren Filmen und einem Theaterstück gewürdigt. Die Zahl der MusikerInnen, die ihr auf diese oder jene Weise Reverenz erweisen, und Filme, in denen ihre Songs gespielt werden, geht in die Hunderte. An der Unvereinbarkeit radikaler politischer Positionierungen und musikalischer Mainstream-Unterhaltung hat sich auch ein halbes Jahrhundert nach den Kämpfen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung nichts geändert.

8. Mai 2019


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