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BERICHT/060: Hinter den Kulissen von Einstein@Home (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 11/11 - November 2011
Zeitschrift für Astronomie

Hinter den Kulissen von Einstein@Home
Ein Projekt für verteiltes Rechnen stellte sich vor

Von Benjamin Knispel


Jeder Wissenschaftsinteressierte weltweit kann mit seinem PC von zu Hause aus am Projekt Einstein@Home mitwirken und damit die Astrophysiker bei der Suche nach Pulsaren und Gravitationswellen unterstützen. Am 2. Juli 2011 informierte das Albert-Einstein-Institut (AEI) in Hannover über den Stand des im Jahr 2005 begonnenen Projekts und über die aktuellen Forschungsgebiete.


Ein heller, moderner Bau aus Beton und viel Glas mit einer auffällig rot umbauten Eingangstür - so erscheint einem Passanten das Albert-Einstein-Institut (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik) auf dem Gelände der Leibniz Universität in Hannover. Dem zufälligen Blick verborgen bleibt jedoch, was in den Büros der Physiker im Inneren des Gebäudes alltäglich geschieht. Wer jedoch das Institut am 2. Juli 2011 besuchte, erhielt einzigartige Einblicke in die aktuellen Forschungsgebiete. An diesem Tag gewährte das AEI den aus aller Welt angereisten Gästen einen Blick hinter die Kulissen. Den Anlass für diese Veranstaltung bot auch das einjährige Jubiläum der astronomischen Erstentdeckung durch Einstein@Home. Im August 2010 war dem Projekt ein bis dato unbekannter und dazu noch besonders interessanter Radiopulsar in Daten des Arecibo-Teleskops ins Netz gegangen, dem kurz darauf die Entdeckung eines weiteren Pulsars folgte (siehe SuW 12/2010, S. 78).

Für Einstein@Home stellen Freiwillige aus aller Welt Rechenzeit auf ihren Heim- oder Bürocomputern zur Verfügung, um Wissenschaftler bei der Suche nach Gravitationswellen oder Radiopulsaren zu unterstützen. Neu hinzugekommen ist im August 2011 ein Projekt zur Suche nach Pulsaren in den Daten des US-amerikanischen Satelliten Fermi, der den Himmel im Gammastrahlenlicht beobachtet.

Die wissenschaftlichen Träger von Einstein@Home sind das Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin-Milwaukee und das AEI in Hannover, mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation (NSF) und der Max-Planck-Gesellschaft. Doch ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit wäre ein derart komplexes Forschungsvorhaben unmöglich. Mit weltweit mehr als 300.000 Freiwilligen ist Einstein@Home eines der größten Projekte seiner Art - Grund genug also, die Teilnehmer nach Hannover einzuladen und ihnen einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren. Wie entstand Einstein@Home, und welche Zukunftspläne gibt es? Wer sind die Menschen, die an dem Projekt arbeiten? Und was treibt andere Wissenschaftsbegeisterte an, sich daran zu beteiligen? Rund 40 Teilnehmer fanden sich im AEI ein, um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, darunter auch die Freiwilligen, deren Computer die beiden ersten Pulsare aufgespürt hatten. Einige Gäste hatten ihren Weg sogar von Australien aus angetreten. Und natürlich standen die Türen auch Neugierigen und potenziellen Einstein@ Home-Teilnehmern offen.

Zunächst beschrieb Bruce Allen, Leiter von Einstein@Home und Direktor am AEI sowie Professor an der University of Wisconsin-Milwaukee, die Entstehungsgeschichte des Projekts, die mehr als einen Anlauf erforderte. Einen ersten Finanzierungsantrag lehnte die NSF ab, woraufhin Physiker des AEI und der University of Wisconsin-Milwaukee das Projekt zu Beginn in Eigenregie aufzogen und Einstein@Home im Februar 2005 aus der Taufe hoben. Schnell zeichnete sich ab, dass sich viele Freiwillige für diese Art von öffentlicher Wissenschaft begeistern lassen. So wurde das Einstein@Home-Team wenige Monate später von der NSF ausdrücklich gebeten, einen überarbeiteten Antrag einzureichen. Bei diesem erneuten Anlauf ging alles glatt, und seither ist die NSF ein wichtiger Projektpartner.


Vielfältige neue Forschungsprojekte

Einen Blick in die nahe Zukunft wagte Allen mit der Ankündigung einer neuen Suche nach Gammapulsaren in Daten des Large Area Telescope an Bord des NASA-Satelliten Fermi. Inzwischen läuft diese Suche ebenfalls auf Einstein@Home. Das relativ junge Forschungsgebiet brachte bereits viele unerwartete Entdeckungen hervor. Auch hierbei erfordert die Datenauswertung viel Rechenzeit, aber sie lässt sich in kleine Aufgabenpakete teilen. Jedes Paket benötigt nur eine winzige Datenmenge, um lange Analyseberechnungen durchzuführen. Damit eignet sich das Projekt ideal für ein verteiltes Rechnen. So kann Einstein@Home möglicherweise demnächst den Fund eines neuen Gammapulsars vermelden.

Im nächsten Vortrag berichtete Benjamin Knispel, Mitglied in Allens Arbeitsgruppe, über die ersten Pulsarentdeckungen mit Einstein@Home. Der erste mit diesem Projekt entdeckte Radiopulsar wurde weltweit an fünf großen Radioteleskopen untersucht. Damit wollten die Wissenschaftler in kurzer Zeit möglichst viele Daten sammeln, um den Neutronenstern umfassend zu charakterisieren. Das Ergebnis: Bisher ist nur ein Dutzend vergleichbarer Objekte bekannt (siehe SuW 12/2010, S. 78).

Die Folgebeobachtungen am ersten entdeckten Pulsar waren noch nicht abgeschlossen, als Einstein@Home auf einen weiteren Radiopulsar stieß - diesmal in einem Doppelsternsystem mit einem Weißen Zwerg oder einem anderen Neutronenstern. Beide Objekte umkreisen den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems innerhalb von nur 9,4 Stunden (siehe Bild auf S. 55 oben). Auch dieses Objekt ist eine Besonderheit, sind doch nur fünf vergleichbare Doppelsternsysteme bekannt. Zum Abschluss überbrachte Knispel eine weitere gute Nachricht: Einstein@Home entdeckte in Daten des Radioteleskops im australischen Parkes zehn weitere Pulsare. Damit liegt die Anzahl der Neuentdeckungen durch Einstein@Home nunmehr bei zwölf Radiopulsaren.

Einige der Teilnehmer des Projekts bringen mehr als nur die Rechenzeit ihrer Computer ein. Ein Beispiel ist Heinz-Bernd Eggenstein, der als Moderator der projekteigenen Internetforen und als ehrenamtlicher Softwareentwickler an Einstein@ Home mitwirkt. Er trug maßgeblich dazu bei, die für die Suche nach Radiopulsaren verwendete Software für Grafikkarten nutzbar zu machen. Moderne Grafikkarten enthalten viele hundert spezialisierte Computerprozessoren. Mit ihnen lässt sich durch parallel ausgeführte Arbeit an Teilaufgaben die notwendige Rechenzeit erheblich verkürzen. Eggenstein beschrieb das Funktionsprinzip und erklärte, wie Computernutzer ihre heimischen Grafikkarten für verteilte Rechenprojekte zur Verfügung stellen und wie sie die Rechenleistung maximieren können.

Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, berichtete über das geplante Square Kilometre Array (SKA). Dieses multinationale Großobservatorium, das im Jahr 2019 seinen Betrieb aufnehmen soll, wird aus tausenden kleinen Antennen bestehen, die gemeinsam eine Sammelfläche von rund einem Quadratkilometer erreichen. Das SKA wird 50 Mal empfindlicher sein als die derzeit leistungsstärksten Radioteleskope und den Himmel bis zu zehntausend Mal schneller absuchen können. Als Standorte kommen das südliche Afrika oder Westaustralien in Betracht. Aufgrund der überragenden Empfindlichkeit des Teleskops sollte es alle innerhalb des Milchstraßensystems beheimateten aktiven Radiopulsare aufspüren können. Zudem soll das SKA unter anderem erforschen, wie sich das Universum im Alter von 300.000 Jahren bis eine Million Jahre nach dem Urknall entwickelte. In diesem »dunklen Zeitalter« leuchteten noch keine Sterne, das Universum war aber bereits durchlässig für elektromagnetische Strahlung.

Die Suche nach Gravitationswellen von schnell rotierenden Neutronensternen ist die Hauptaufgabe und das Langzeitziel von Einstein@Home. In den nächsten zwei Jahren werden die bestehenden Gravitationswellendetektoren der ersten Generation mit verbesserter Technik ausgestattet, um ihre Messempfindlichkeit um rund eine Größenordnung zu steigern und sie zu Detektoren der zweiten Generation umzubauen. Die Gravitationswellendetektoren sind Laserinterferometer mit Messstrecken von mehreren hundert bis mehreren tausend Metern Länge: Ein Laserstrahl wird geteilt und durchläuft beide Armlängen des Interferometers. Anschließend werden die Strahlen überlagert. Aus dem Interferenzsignal lässt sich dann die relative Änderung der Armlängen registrieren, die durch Gravitationswellen hervorgerufen worden sein könnte (siehe SuW 1/2009, S. 30). Zu diesem Thema referierte Jonathan Leong in einem abschließenden Vortrag. Der am AEI tätige Physiker forscht am Gravitationswellendetektor GEO 600 südlich von Hannover.

Im Rahmen von GEO 600 wurden viele der Techniken entwickelt, die nun in die Detektoren des Gravitationswellenobservatoriums AdvancedLIGO in den USA eingebaut werden. Dazu gehört ein leistungsstärkeres Laserlicht, das die durch einzelne Photonen hervorgerufenen statistischen Schwankungen verringert. Eine aktuelle Entwicklung ist ein so genannter Quetschlichtlaser, den die Forscher bei GEO 600 erstmals außerhalb eines Labors nutzen. Mit dem besonders präparierten »gequetschten Licht« aus dieser Laserquelle lässt sich das noch verbleibende Quantenrauschen deutlich reduzieren. Störungen seismischer Natur, die an der Spiegelaufhängung angreifen, werden durch spezielle Mehrfachpendelsysteme kompensiert. Leong stellte diese Techniken vor und illustrierte seinen Vortrag mit Bildern der Experimentalaufbauten in GEO 600 und mit praktischen Beispielen.

Nach den Vorträgen besichtigten die Besucher bei geführten Touren den Computerverbund ATLAS und einen Prototypen der Gravitationswellendektoren der dritten Generation. Der Zehn-Meter-Prototyp ist eine verkleinerte Version der großen interferometrischen Detektoren. In dieser immer noch beeindruckend großen Miniatur erproben die Physiker Technologien, welche die Messgenauigkeit von Gravitationswellendetektoren verbessern sollen. Ihr Ziel ist es, alle übrigen Störquellen soweit zu reduzieren, dass die Messgenauigkeit allein durch die Quanteneffekte des Lichts begrenzt wird. Aber selbst diese Grenze lässt sich inzwischen durch den Einsatz gequetschten Lichts unterschreiten. Zudem experimentieren die Forscher am Prototypen mit Quanteneffekten an makroskopischen Objekten.


Auch Computer kooperieren

Der Computerverbund ATLAS besteht aus rund 1700 Rechnern zur Datenanalyse beim Nachweis von Gravitationswellen. Seit 2005 durchsucht Einstein@Home Daten der Gravitationswellendetektoren innerhalb der LIGO-Virgo-Science Collaboration (LVC), der auch GEO 600 angehört, nach Gravitationswellen von unbekannten, schnell rotierenden Neutronensternen. Die Analyse der von den Gravitationswellendetektoren innerhalb der LVC gemessenen Daten erfordert im Allgemeimnen viele Rechenoperationen und ist damit sehr rechenzeitaufwändig. Nicht alle dieser Analyseaufgaben lassen sich von Projekten wie Einstein@Home bearbeiten und müssen mit Hilfe spezieller Rechnerverbünde realisiert werden. Im Fall von ATLAS stellen mehrere Dutzend Datenserver und ein Magnetbandspeichersystem den notwendigen Platz zur Aufbewahrung der Messdaten zur Verfügung. Über ein schnelles Netzwerk greifen die einzelnen Rechner des Verbunds auf diese Daten zu und verarbeiten sie effizient.

Bei einem Grillabend im Innenhof des Instituts und angeregten Gesprächen klang der Besuch bei Einstein@Home aus. Wenn auch Sie die Suche nach neuen Pulsaren und Gravitationswellen unterstützen möchten, dann können Sie auf der Website von Einstein@Home einsteigen, indem sie die dort angebotene Software auf Ihrem PC installieren (siehe Kasten unten). Vielleicht ist ja der nächste mit Einstein@Home entdeckte Pulsar Ihrem Beitrag zu verdanken...


Benjamin Knispel promovierte an der Leibniz Universität Hannover und am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Er widmet sich unter anderem der Suche nach Radiopulsaren mit Einstein@Home und der Simulation der galaktischen Neutronensternpopulation als Quelle von Gravitationswellen.


Weblinks zum Thema mit Hintergrundinformationen über
Gravitationswellen und
Pulsare: www.astronomie-heute.de/artikel/1124073


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Einstein@Home - wie kann ich teilnehmen?

Wenn auch Sie die Suche nach neuen Pulsaren und Gravitationswellen aktiv unterstützen möchten, dann können Sie unter http://einstein.phys.uwm.edu in das Projekt Einstein@Home einsteigen. Innerhalb weniger Minuten installieren Sie auf ihrem Computer den BOINC-Manager. Nun kann Ihr PC bei der Datenanalyse »mitrechnen«, und Sie können sich an Ihrem neuen Einstein@Home-Bildschirmschoner erfreuen. Die Software ist für Windows, Mac und Linux verfügbar.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 55 oben:
Zu den jüngsten Endeckungen von Einstein@Home gehört der 31.000 Lichtjahre entfernte Pulsar J1952+2630 - ein Neutronenstern, der von einem Weißen Zwerg begleitet wird. Der Pulsar blitzt alle 20,7 Millisekunden einmal auf. Seine Radioemission entlang eines Doppelkegels ähnelt den gerichteten Strahlen eines Leuchtturms. Der Umlauf beider Himmelskörper um den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems dauert 9,4 Stunden.

Abb. S. 55 unten:
Die Software von Einstein@Home arbeitet ähnlich wie ein Bildschirmschoner. Wird der heimische PC nicht für andere Aufgaben genutzt, so analysiert das Programm Daten des Projekts, und auf dem Bildschirm erscheint eine farbige Grafik.

Abb. S. 56:
Teilnehmer von Einstein@Home nutzten den Workshop des Albert-Einstein-Instituts, um sich vor Ort über das Projekt zu informieren und die Forscher persönlich kennenzulernen.

Abb. S. 57:
Das geplante Square Kilometre Array (SKA) wird mit tausenden kleinen Antennen die Empfindlichkeit und Schnelligkeit der heute leistungsstärksten Radioteleskope bei weitem übertreffen.


© 2011 Benjamin Knispel, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 11/11 - November 2011, Seite 54 - 57
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/52 80, Fax: 06221/52 82 46
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2011