Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE

GESCHICHTE/071: Der Fall Galilei (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 6/09 - Juni 2009
Zeitschrift für Astronomie

Welt der Wissenschaft: Galilei-Serie, Teil 8
Der Fall Galilei
Der damalige Konflikt zwischen Glauben und Wissen aus heutiger Sicht

Von Rivka Feldhay


Wie wurden Galileis Beobachtungen in einen neuen astronomischen Diskurs verwoben? Auf welche Weise war die traditionelle Synthese von Wissenschaft und Religion damit vor eine Herausforderung gestellt? Und wie sind die damaligen Reaktionen der katholischen Kirche heute zu deuten?


Im März 1610 erschien in Venedig ein Büchlein mit dem Titel »Sidereus nuncius« (»Der Sternenbote«, oder auch: »Botschaft von den Sternen«) von Galileo Galilei (1564 - 1642). Darin gab Galilei einen systematischen Bericht über seine ersten teleskopischen Himmelsbeobachtungen. Der Bericht war nach Monaten intensiver Beschäftigung mit dem Bau und der Verbesserung dieses neuen astronomischen Instruments entstanden und brachte die Republik der Gelehrten seiner Zeit in Aufruhr. Das Werk »De revolutionibus« von Nikolaus Kopernikus aus dem Jahre 1543 war bis dahin wenig gelesen und noch weniger verstanden worden: Mit Galileis Bericht bekam es erstmalig die Chance, zu dem Samen zu werden, aus dem später die Früchte der astronomischen und mechanischen Revolution in Isaac Newtons »Principia mathematica« (1687) entstehen sollten.

Bis zur Veröffentlichung des »Sidereus nuncius« war Galilei ein angesehener, aber schlecht bezahlter Mathematikprofessor an der Universität Padua, der sein Einkommen mit Logis und Unterricht für Privatstudenten sowie durch Herstellung und Verkauf mathematischer Instrumente aufbessern musste. Die neue Publikation bescherte ihm nun eine Anstellung als Mathematiker und Philosoph am Hofe des Cosimo de' Medici.

Galileis teleskopische Beobachtungen trugen vielfältige Früchte. Er erkannte neue, bis dahin unsichtbare Objekte (zahllose Fixsterne und die vier Jupitermonde), er stellte die raue Mondoberfläche dar und deutete sie als Landschaft ähnlich der irdischen, er gab eine neue Erklärung für das aschgraue Mondlicht und spekulierte über die Beschaffenheit der Milchstraße.

Die Geschichte der Entstehung des Teleskops und der Entdeckungen Galileis ist gut bekannt. In diesem Beitrag möchte ich mich mit der Eigenart des Diskurses über astronomische Sachverhalte beschäftigen, den Galilei anhand seiner neuen Beobachtungen entwickelte. Die Rekonstruktion dieses Diskurses wird uns die Herausforderung erkennen lassen, vor die sich damals noch Wissenschaft und Religion gestellt sahen. Damit werden wir die Reaktionen analysieren können, die dieser Diskurs auslöste - zunächst die Dekrete der Indexkongregation, später das Inquisitionsverfahren.


Ein neuer Wahrheitsanspruch

Die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen unserer Sehkraft und unserer Fähigkeit zu Einsicht und Wissen geht auf Aristoteles zurück. In diesem Sinne formulierte er seine berühmte Unterscheidung zwischen den übernatürlichen und perfekten Körpern der translunaren Sphäre und unvollkommenen Tieren, Pflanzen und Dingen auf der Erde. In seinem Werk »De partibus animalium« schrieb er:

»Die Substanzen, welche von Natur aus bestehen, sind teils ungeworden und unvergänglich alle Zeit hindurch, teils haben sie am Werden und Vergehen Anteil. Und es hat sich ergeben, dass uns über jene erstgenannten, die wertvoll sind und göttlich, weniger Einsichten zur Verfügung stehen - denn sowohl hinsichtlich der Ausgangspunkte, von denen her man sie untersuchen könnte, als auch hinsichtlich dessen, was wir über sie zu wissen wünschen, gibt es nur wenig, das aufgrund der Wahrnehmung deutlich ist.«

Die Dinge des Himmels lagen für Aristoteles aufgrund ihrer Erhabenheit zumeist jenseits dessen, was mit dem Verstand erfassbar war. Über sie konnte man nur so viel wissen wie die Mutmaßungen reichten, während man über Dinge der Erde, mit denen man lebte, die einem nahe und von derselben Art waren, umfassend und mit Sicherheit etwas wissen konnte.

Die Vorstellung, dass das Blickfeld über die von Aristoteles aufgezeigten Grenzen hinaus erweitert werden könnte und sollte, war insbesondere bei den humanistischen Künstlern der Renaissance populär, allen voran Leon Battista Alberti (1404 - 1472). In seiner Abhandlung zur Perspektive »De pictura« (Über die Malkunst) formulierte er erstmalig den Gedanken, dass das menschliche Blickfeld durch Einbindung mathematischen Wissens in die stoffliche Welt erweitert und vertieft werden könnte: »Mathematiker messen allein mit dem Verstand die Formen der Dinge, losgelöst von allem Stofflichen. Wir aber, die wir die Dinge zur Anschauung gebracht haben wollen, werden uns an eine sozusagen 'handfestere Minerva' halten.«

Die Entwicklung und Lehre von Techniken zur perspektivischen Darstellung war Albertis zentrales Thema, um, wie er sagte, mathematische Dinge zur Anschauung zu bringen. Gleichzeitig entwickelte er ein spezielles »Ethos« für die humanistischen Maler, um die aktive Überschreitung der Grenzen zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen zu rechtfertigen, welche die Techniken der Perspektive für ihn und seine Zeitgenossen verkörperten.

Alberti war auf seiner Suche nicht allein. Sein Zeitgenosse Nicolaus Cusanus (Nikolaus von Kues, 1401 - 1464) unternahm einen außergewöhnlichen Versuch, um in die Erweiterung des Sichtbaren nicht nur mathematische Größen mit einzubeziehen, sondern auch Gott selbst, das ultimativ Unsichtbare. Er nahm die Herausforderung an, die Albertis Technik der Perspektive ihm bot, und schlug verwegen eine neue Theologie vor, die auf diesem Wunsch gründete, das Unsichtbare zu sehen: »Wir wollen den unsichtbaren Ursprung selbst erkennen.« In seiner späteren kurzen Abhandlung »De beryllo« schlug er ein Experiment mit einem Beryll als einer Art Linse vor: »Der Beryll ist ein glänzender, weißer und durchsichtiger Stein«, schrieb er, »ihm wird eine zugleich konkave und konvexe Form verliehen, und wer durch ihn hindurchsieht, berührt zuvor Unsichtbares«. Angeblich ließ sich der Maler Jan van Eyck in seinem berühmten Bild der Arnolfini-Hochzeit (1434) von dieser Schrift des Cusanus inspirieren: Im konvexen Spiegel, dem »Auge Gottes«, sehen wir aus dem Hintergrund auf das Paar, auf den Raum davor und auf den Künstler, der soeben diesen Raum betritt.

Die Diskurse Albertis über das Sichtbare wie auch des Cusanus über das Unsichtbare zeigen: Galileis Strategien bei der Vorstellung seiner teleskopischen Beobachtungen waren maßgeblich in der materiellen Kultur von Praktikern, im konzeptuellen Ansatz von humanistischen Künstlern wie Alberti und auch Leonardo da Vinci sowie im theologischen Ansatz von Humanisten wie Cusanus verankert. Galilei erkannte schnell die mit dem Teleskop gegebenen Möglichkeiten, die aristotelische Hierarchie zwischen unsichtbaren und daher unerfahrbaren Himmelskörpern gegenüber sichtbaren und erfahrbaren Gegenständen auf der Erde zu zerschlagen. Indem das Teleskop ferne Gegenstände vergrößerte und schärfer darstellte, schien die Lücke der Sichtbarkeit zwischen himmlischen und irdischen Objekten tatsächlich kleiner zu werden.

Die technischen Möglichkeiten, die das neue Instrument eröffnete, führten jedoch nicht zwangsläufig zu einem neuartigen astronomischen Diskurs. Der Engländer Thomas Harriot (1560 - 1621) hatte einige Wochen vor Galilei mit einem holländischen Teleskop den Mond beobachtet und auch Zeichnungen angefertigt (siehe das Bild rechts). Er hatte jedoch nie Berge und Täler gesehen, bevor Galilei sie erkannte: Ohne seine künstlerischen und begrifflichen Fähigkeiten hätte Galilei die Flecken der teleskopischen Abbildung niemals in wahrnehmbare Objekte verwandeln und zum Gegenstand eines neuen astronomischen Diskurses machen können.


Das Sichtbare verstofflichen und versinnlichen

Der »Sidereus nuncius« liefert uns ein wundervolles Beispiel für die Verwandlung von beobachteten Phänomenen in Gegenstände einer neuartigen astronomischen Erfahrung. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Mond, so können wir Galileis Strategien bei der Identifizierung und Klassifizierung der wahrgenommenen Strukturen genau verfolgen, ebenso ihre Darstellung mit sprachlichen und plastischen Techniken und ihre Interpretation als Berge und Täler analog zu denen, die wir auf der Erde kennen.

Zunächst beschreibt Galilei zwei Teile der uns zugewandten Oberfläche des Mondes, »einen helleren und einen dunkleren: Der hellere scheint die gesamte Halbkugel zu umgeben und auszufüllen, der dunklere aber trübt das Antlitz wie eine Art Wolken und macht es fleckig«. Dann klassifiziert er zweierlei Flecken auf dieser Oberfläche: »...diese etwas dunklen und ausgedehnten Flecken sind für jedermann offenkundig, und jedes Zeitalter hat sie gesehen; deshalb werde ich sie die 'großen' oder die 'alten' nennen, im Unterschied zu anderen Flecken, die zwar kleiner, aber infolge ihrer Menge so dicht beieinander gelegen sind, dass die ganze Mondoberfläche, besonders jedoch der hellere Teil, davon übersät ist«.

Ausgangspunkt für seine Interpretation ist die unregelmäßige Linie, die er vier oder fünf Tage nach Neumond als Grenze zwischen dem dunklen und dem hellen Teil des Mondes ausmacht (siehe Galileis Zeichnungen auf Seite 48). Sie dient ihm als Beweis für seine raue Oberfläche. Lichteinbrüche, so fährt er fort, dehnen sich über die Grenzlinie in den dunklen Teil hinein aus. Darüber hinaus ist der erleuchtete Teil mit vielen kleinen dunklen Flecken gesprenkelt, die gänzlich von dem dunklen Teil getrennt sind. Galilei sieht, dass der dunkelste Teil dieser Flecken auf die Sonne ausgerichtet ist, während die der Sonne abgekehrte Seite leuchtende Ränder besitzt, die sich Galilei wie Gebirgskämme auf der Erde vorstellt, wenn sie von der Sonne überflutet werden.

Diese Analogiebildung ist der Angelpunkt der neuen und revolutionären Bedeutung, die Galilei den hellen und dunklen Flecken verleiht, die er mit dem Teleskop auf dem Mond ausgemacht hat. Allmählich, so führt er aus, verlieren die Flecken ihre Finsternis und die beleuchteten Bereiche wachsen. Dann interpretiert er, was er sieht, als Licht, das sich nach und nach von den Bergen des Mondes in die Täler ausbreitet. Langsam werden die Flecken größer und immer heller, bis sie sich mit dem Rest des beleuchteten Teils vereinen. Dies ist der Prozess, durch den der Mond von einem traditionell als perfektes kristallines Gebilde wahrgenommenen Himmelskörper in einen Gegenstand verwandelt wird, der zwar nicht der Erde angehört, auf der wir leben, der aber dennoch ein legitimes Objekt vollständigen, sinnlich wahrnehmbaren Wissens darstellt.

Die verbale Beschreibung und Interpretation Galileis wird durch eine bildliche Darstellung der Mondphasen lebhaft und plastisch ergänzt. In den vergangenen Jahren hat die Bedeutung der künstlerischen Fertigkeiten Galileis für sein Verständnis der Naturphänomene bei vielen Wissenschaftlern Beachtung gefunden, unter anderem bei Eileen Reeves und Horst Bredekamp, die über seine Mondzeichnungen schreiben. Sie machen uns auf seine meisterhafte Strichführung aufmerksam, die den Mondzeichnungen eine wahrhaft stoffliche Qualität verleiht, auf seine Fertigkeiten bei der Schattenvariation in den dunklen Bereichen und schließlich auf die Anwendung von Clair-obscur-Techniken für die Explosion des Sonnenlichts auf der Mondoberfläche oder für das von der Erde auf den Mond reflektierte Sonnenlicht. Einige vertreten sogar die Meinung, dass Galileis Fähigkeit, was er sieht, getreu abzubilden, ein grundlegendes Element seiner Wahrnehmung der Himmelskörper mit Hilfe wohlbekannter irdischer Phänomene ist - beispielsweise der Lichtstreuung. Zweifellos wirkten seine plastischen Darstellungen auf die relativ große Leserschaft des »Sidereus nuncius« überzeugend. Durch die Kontaktaufnahme mit diesen Phänomenen über die Kupferstiche der Mondbilder und Galileis Kommentar konnten sie sogar erstmals erfahren, dass das, worin sie lasen, das »Buch der Natur« war.


Einbindung des Sichtbaren in die traditionelle Astronomie

Ein Vergleich der Wahrnehmung von Himmelskörpern im astronomischen Diskurs des Kopernikus mit Galileis neuer sprachlicher und bildlicher Beschreibung bezeugt zwei diametral entgegengesetzte Strategien der Objektkonstruktion. Liest man Kopernikus, so entsteht der Eindruck, dass die Objekte systematisch ihres wahrnehmbaren körperlichen Inhalts entleert werden. Denn für Kopernikus ist das, was man sieht, nicht das, was ist, sondern etwas anderes. So wird die beobachtete rückläufige Bewegung der Planeten als Hinweis auf die unsichtbare Bewegung der Erde um die Sonne verstanden. Eine solche Bewegung hinterlässt aber keine wahrnehmbaren Spuren: Sie führt (mit den Teleskopen, die Galilei und seine Zeitgenossen verwendeten) zu keiner beobachteten Parallaxe, kein starker Wind ist auf der Erdoberfläche zu spüren, keine Wolken oder Vögel werden auf ihrem Weg abgelenkt, noch wird beobachtet, dass ein Stein, der von der Spitze eines Turms fällt, hinter einer vermeintlichen Erdbewegung zurückbleibt.

Galileis Teleskop hingegen war in der Lage, das sterile Universum des Kopernikus mit wahrnehmbaren, wirklichen Gegenständen zu füllen. Sein Diskurs lieferte praktische Anleitungen zur Justierung des neuen Blickfelds und verlieh dem theoretischen Ansatz des Kopernikus einen Sinn, und zwar vor allem in visueller Hinsicht. Gleichzeitig musste er die neuen Objekte in die traditionelle Art der astronomischen Darstellung einbinden, die sich im Wesentlichen einer mathematischen geometrischen Sprache bediente. Die traditionelle Astronomie lieferte hauptsächlich geometrische Modelle, die sich als Werkzeuge zur Darstellung und Vorhersage der Planetenbewegungen eignen sollten.

Es war für Galilei klar, dass seine Innovationen in diese traditionelle Sprache gegossen werden mussten. Die Schilderung seines Versuchs, die Höhe der Berge auf dem Mond zu bestimmen (siehe das Bild auf Seite 50), ist ein perfektes Beispiel dafür. In der Umkehr seiner vorherigen Praxis, Abstraktes zu konkretisieren, abstrahiert er nun vom konkreten Mondkörper, um ihn mit Hilfe eines geometrischen Modells zu vermessen. So kommt er bei der Berechnung einer Berghöhe auf dem Mond zu einem ziemlich guten Wert von vier Meilen.


Eine neue Art von Autorität

Der »Sidereus nuncius« markiert mit seinem Erscheinen den Kreuzweg unterschiedlicher Traditionen der Wissensproduktion. Er ist auch der Vorbote für eine neue Art von Geldgebern, die im 16. und 17. Jahrhundert auftraten. Der Bau und Einsatz von Teleskopen zur Untersuchung der wahren Natur von Himmelskörpern stärkte frühmoderne Tendenzen, technologische und künstlerische Kenntnisse auf Gebieten wie der Linsenschleiferei und der Malerei miteinander zu verknüpfen und neue Antworten auf traditionelle und neue Fragen im Bereich der Optik, Astronomie und Naturphilosophie zu liefern, so beispielsweise zum Himmelslicht oder zu den Umlaufzeiten der Jupitermonde.

Dennoch spürte Galilei zu Recht, dass er seine Botschaft nicht nur auf praktische Mathematiker, Maler, Naturphilosophen oder Berufsastronomen beschränken durfte. Durch sein Engagement in der höfischen Kultur wurde ihm zunehmend klar, dass sich seine ambitionierten Projekte nur verwirklichen ließen, wenn er seine Entdeckungen auch einem größeren Konsumentenkreis der neuen Renaissancekultur mitteilen, und, noch wichtiger, die Unterstützung eines starken Mäzens finden würde. Da er also in verschiedenen intellektuellen Bereichen gleichzeitig tätig war, spielte er bei der Entstehung gleichermaßen wissenschaftlich wie politisch relevanter Strukturen eine wichtige Rolle. Der wohl durchdachte Titel seines Buchs gibt uns die Auskunft, dass dieser »Sternenbote« »jedermann große, ferne und bewundernswerte Anblicke« bieten will. Der Titel dient auch der Selbstdarstellung Galileis als Edelmann, Berufsmathematiker und Erfinder aus Florenz. Nicht weniger wichtig ist die Tatsache, dass Galilei sich selbst als »Autor« vorstellt, ein Titel, der ihm die Autorität verleiht, die von ihm entdeckten Jupitermonde »Mediceische Gestirne« zu nennen.

Galilei widmet das Werk seinem Mäzen, dem Fürsten Cosimo de' Medici. In der Widmung erstellt er eine hierarchische Ordnung zwischen Künstlern, die ihrem Fürsten mit vergänglichen Kunstgegenständen dienen, Schriftstellern, die ihrem Mäzen »literarische Denkmäler« schenken, und Naturphilosophen wie ihm selbst, die ihrem Fürsten ihre Naturentdeckungen bieten können - in diesem Fall die Jupitermonde. In dieser Hierarchie gelten ihm die Naturphilosophen dem nach als überlegen, weil ihre Entdeckungen im Bereich der Natur die langlebigsten sind.

Direkt nachdem er zugunsten der Kostbarkeit argumentiert, die von der Ewigkeit seines Geschenks ausstrahlt, zieht Galilei den Umkehrschluss. Unter Berufung auf die Beziehung zwischen Jupiter und dessen Monden in Analogie zu der Beziehung zwischen dem Fürsten und dessen Tugenden behauptet er, dass die Tugenden des Fürsten ebenso auf die Sterne ausstrahlen wie die Kraft des Planeten auf seine Satelliten: »Denn kaum noch haben die unsterblichen Vorzüge Eures Herzens auf der Erde zu strahlen begonnen, da bieten sich am Himmel leuchtende Sterne dar, um Eure unübertrefflichen Tugenden wie Zungen für alle Zeit zu verkünden und zu feiern.«

Damals war die barocke Sprache des Hofes eine allegorische Sprache. Galilei beherrschte die Regeln dieser Sprachkunst perfekt und nutzte sie, um seinem Fürsten und seinen Lesern eine komplexe, mehrdeutige Botschaft zu senden. Einerseits bezieht sich der Titel des Textes auf die neuen Sterne, die ihre Botschaft an die Welt senden. Auf einer anderen Ebene erlauben es die Regeln der Allegorie dem Autor, die treffende Analogie und ihre Richtung zu wählen. So mag sich Galileis 'Sternenbote' nicht nur auf die Botschaft der Sterne an den Leser bezogen haben, sondern auch auf ihn selbst in seiner Eigenschaft als Überbringer, Mediator und vielleicht gar Erzeuger des Ruhms, den Cosimo über die Mediceischen Gestirne erlangt hatte, die von seinem Hofphilosophen Galilei entdeckt worden waren.


Neue Grenzen zwischen Philosophie, Mathematik und Theologie

Die Auswirkungen der Strategien Galileis auf den Aufbau seines neuen Diskurses wurden in zwei zusätzlichen Texten deutlicher, die er nach der Veröffentlichung des »Sidereus nuncius« (1610) und vor den ersten Sanktionen der Inquisition gegen das kopernikanische Weltbild (1616) schrieb.

In seiner Schrift »Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti« (Geschichte und Demonstrationen zu den Sonnenflecken und ihren Phänomenen, 1613) erläutert Galilei sein Ziel, die Naturphilosophie und die mathematische Astronomie zu einer neuen Wissenschaft zu vereinen, die er »philosophische Astronomie« nennt, und die darauf abzielt, das »Weltsystem« in irdischer und himmlischer Hinsicht zu untersuchen. Zum einen definiert er dabei die traditionelle Rolle des Astronomen neu. Vertretern der »philosophischen Astronomie«, so sein Argument, »...geht es über die Forderung hinaus, die Erscheinungen auf irgendeine Art zu bewahren, darum, die wahre Beschaffenheit des Universums zu untersuchen, das wichtigste und bewundernswerteste Problem, das es gibt«. Zum anderen formuliert er die traditionellen Ziele der Naturphilosophie um, die, so seine Forderung, nicht versuchen soll, die Essenz der Dinge zu durchdringen, sondern sich auf die geometrischen Eigenschaften der Gegenstände zu konzentrieren.

Galileis Vorhaben, die Naturphilosophie und die praktische Mathematik (also die Wissenschaften, welche die Naturphänomene mit mathematischen Methoden untersuchen, insbesondere die Astronomie) zu vereinen, erschreckt die Universitätsphilosophen, deren Ziele und Methoden er scharf kritisiert. Was die Autorität der Theologen aber am meisten herausfordert, sind seine Ideen zum Buch der Natur und zur Bibel. Die beiden Bücher (so schreibt er 1615 in seinem berühmten Brief an Christine von Lothringen) unterscheiden sich im Thema, in ihrer Sprache, ihrer Leserschaft und ihrer Zielsetzung:

»Die Autorität der Heiligen Schrift hatte das Ziel, die Menschen von Anfang an von den Glaubensartikeln und Sätzen zu überzeugen, die - weil sie jede menschliche Vorstellung übersteigen - weder durch eine andere Wissenschaft noch durch sonstige Mittel glaubhaft gemacht werden können, es sei denn durch den Mund des Heiligen Geistes selbst. [...] Die Autoren der Heiligen Schriften hatten nicht den Anspruch, uns Anordnung und Bewegungen der Himmel und der Sterne, ihre Größe und Entfernungen zu lehren, vielmehr haben sie aus reiner Sorgfalt vermieden, dies zu tun.«

Nicht nur ging es in der Bibel um Fragen des Glaubens und der Erlösung, die Galilei von den Fragen zum Verständnis der Natur und ihrer Wahrheiten trennte - nein, der Unterschied lag in der Sprache selbst: »Für die Schrift ist es angemessen, viele Dinge zu sagen, die sich (in der Erscheinung und hinsichtlich der wörtlichen Bedeutung der Worte) von der absoluten Wahrheit unterscheiden. [...] Nicht jede schriftliche Aussage ist so streng an Pflichten gebunden wie jedes Naturphänomen.«

Die Natur andererseits, in deren Abläufen Gott sich »keineswegs weniger großartig offenbart«, und die »in gleicher Weise aus dem Göttlichen Wort hervorging, ist unerbittlich und unwandelbar; sie überschreitet niemals die Grenzen der ihr auferlegten Gesetze und ist unbekümmert darum, ob ihre verborgenen Gründe und Wirkungsweisen dem Fassungsvermögen der Menschen erklärlich sind«.

So sagt Galilei in seiner Schrift »Il Saggiatore« (Der Prüfer mit der Goldwaage, 1623), die Philosophie sei »in diesem großartigen Buch geschrieben, dem Universum, das unserem staunenden Blick beständig offen steht. [...] Es ist geschrieben in der Sprache der Mathematik und seine Zeichen sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren«. Daher können es nur Experten lesen: »Das Buch kann aber nicht verstanden werden, bevor man nicht gelernt hat, die Sprache zu verstehen und die Buchstaben zu lesen, aus denen es besteht.«

Galilei zog aus den Unterschieden in Thema, Sprache und Zielsetzung des Buchs der Natur und der Heiligen Schrift gewagte Schlüsse. An diesen Unterschieden machte er seine radikale Forderung fest, die Autorität der mit der mathematischen Sprache der Natur vertrauten Philosophen von der Autorität der in der Auslegung der Bibel geübten Theologen zu trennen. Daneben machte er die Priorität der Philosophen vor den Theologen geltend, wenn es um philosophische Fragen ging: Galilei ersuchte diejenigen, welche die Autorität hatten, die Bibel zu interpretieren, und die er für die oberste Autorität hielt, auf ein Urteil über die Bewegung oder den Ruhezustand der Erde zu verzichten, denn »es wäre richtig, zunächst die Tatsachen zu ermitteln, so dass diese uns dabei leiten könnten, die wahre Bedeutung der Schrift zu finden; es würde sich herausstellen, dass sie mit den aufgezeigten Tatsachen absolut übereinstimmt, auch wenn die Worte auf den ersten Blick anders klingen würden, da sich zwei Wahrheiten nie widersprechen können«.

Indem Galilei die geistreichen Worte eines Geistlichen seiner Zeit zitierte, zog er durch Aufzeigen nicht nur der unterschiedlichen Inhalte, Sprachen und Leserschaften der beiden Bücher, sondern auch ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen die Bilanz: »Die Absicht des Heiligen Geistes ist uns zu lehren, wie man in den Himmel geht, nicht aber wie der Himmel geht.«

Wer Galileis Texte zu seinen teleskopischen Entdeckungen genau liest, erkennt, dass von Anbeginn keine notwendige Verbindung zwischen seinem Engagement für das kopernikanische Weltbild und seiner Praxis der Himmelsbeobachtung existierte. Oberflächlich gab es in diesen Texten auch kaum Hinweise auf das kontroverse Thema der Erdbewegung. Im »Sidereus nuncius« verspricht Galilei: »Ich werde nämlich beweisen, dass die Erde sich bewegt und dass sie den Mond an Glanz übertrifft, nicht aber eine Jauche aus Schmutz und Bodensatz der Welt ist, und ich werde das mit Hunderten von Gründen aus der Natur untermauern.« Zu seinen Lebzeiten jedoch wurde kein unwiderlegbarer letzter Beweis für die Bewegung der Erde gefunden. In seinen Schriften begann Galilei aber die Möglichkeiten neuer Regeln aufzuzeigen, die den Diskurs über Himmelsphänomene leiten könnten. Er tat dies durch die wörtliche Beschreibung und die plastische Darstellung dessen, was wir an Stelle des Unsichtbaren sehen sollten, nämlich die Berge auf dem Mond und das Licht und die Bewegung der Erde. Ferner tat er dies durch Erklärung dessen, was wir sehen, aber vernachlässigen sollten, wie die perfekt gleichmäßigen Konturen um den Mond.

Galilei entzog damit den Bereich des Sichtbaren der allgemeinen Wahrnehmung und übertrug ihn dem professionellen Beobachter. So wurde sein »philosophischer Astronom« die oberste Autorität und letzte Instanz für das, was am Himmel sichtbar oder nicht sichtbar war. Gleichzeitig zog er neue Grenzen zwischen der traditionellen mathematischen Astronomie, der Naturphilosophie und der Theologie und behauptete, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei. Aus diesem Grunde war es für jene, die diese Sprache nicht beherrschten, und damit auch für die Theologen, nicht transparent. Zuletzt unternahm Galilei den Versuch, sich die Unterstützung und Verteidigung durch die politische Macht zu sichern, indem er behauptete, seine Entdeckungen seien für die Sichtbarkeit der Macht des Fürsten wichtig.

Zweifellos stellte dieser neue Diskurs nicht nur die gängige Interpretation der Heiligen Schrift und die Autorität der Theologen in Frage. Indem er sowohl für den Bereich des Sichtbaren als auch für die Sprache der Natur das Monopol beanspruchte und die Autorität des philosophischen Astronomen eng an die Macht des Fürsten knüpfte, forderte er die Suche nach einer neuen Synthese von Theologie und Wissenschaft im Namen und im Interesse der Kirche geradezu heraus.


Die Reaktion der Kirche auf Galileis Herausforderung

Am 24. Februar 1616 kam eine Gruppe von elf Theologen und Beratern des Heiligen Offiziums zusammen, um über die kopernikanische Theorie zu diskutieren. Diese Theorie, nach der die Sonne im Mittelpunkt der Welt steht, um den sich die Erde bewegt und sich dabei täglich um sich selbst dreht, beurteilten die Theologen aus philosophischer Sicht als widersinnig und aus formaler Sicht als ketzerisch oder zumindest als falsch im Glauben, da sie im Widerspruch zur Heiligen Schrift stand.

Dieser Beschluss der Berater der Inquisition hatte zwei unmittelbare Folgen. Erstens gab die Inquisition den Beschluss an die Indexkongregation weiter, die entschied, das Buch des Kopernikus bis zu seiner Korrektur zu suspendieren sowie zwei weitere Bücher vollständig zu verbieten, in denen versucht wurde, die Interpretation der Heiligen Schrift mit der neuen astronomischen Theorie in Einklang zu bringen. Zweitens benannte die Inquisition auf ausdrückliche Weisung des Papstes einen ihrer Kardinäle, den Jesuiten Robert Bellarmin (1542 - 1621) damit, Galilei den Beschluss der Theologen mitzuteilen und ihn zu ermahnen.

Galilei, der Hofmathematiker und philosoph Cosimo de' Medicis, weilte derzeit bei einem Besuch in Rom. Das Treffen zwischen Bellarmin und Galilei fand nur zwei Tage nach dem Urteilsbeschluss im Palast des Kardinals statt. Der Beschluss wurde Galilei mitgeteilt und er wurde ermahnt. Gerüchte über einen angeblichen Gerichtsprozess veranlassten Galilei, Bellarmin um ein Dokument zu bitten, das den »wahren« Verlauf der Dinge bezeugte, obschon er genau wusste, dass wer mit den Akten der Inquisition zu tun hatte, an die Schweigepflicht gebunden war. Tatsächlich findet sich unter den Akten der Inquisition ein solches Dokument. Das vom Kardinal unterzeichnete Zeugnis bestätigt die Ermahnung, die Lehre nicht zu verfechten oder aufrechtzuhalten, dass die Erde sich um die Sonne bewege und die Sonne im Mittelpunkt der Welt stehe. Von einem Prozess ist in dem Zeugnis jedoch keine Rede. Der Prozess, der nie stattgefunden hat, ging dennoch in die meisten Geschichten zum Fall Galilei als »der erste Prozess gegen Galilei« ein.

Obwohl alle diese Fakten in den Akten der Inquisition aufgezeichnet sind und eine dem Anschein nach zusammenhängende und verständliche Abfolge bilden, haben sie alle Historiker beschäftigt, die sich mit den Galilei-Prozessen befassen. Die Probleme, die durch diese Dokumente aufgeworfen werden, vereiteln jeden Versuch, auf ihrer Grundlage eine wahre historische Begebenheit zu rekonstruieren. Chancenlos scheint der Versuch, die Intentionen der Kirche bei der Verurteilung des kopernikanischen Weltbilds zu ermitteln, denn der Beschluss der Theologen erlaubt mindestens drei unterschiedliche Interpretationen, die von der Kirche in jeweils anderen Umständen verwendet wurden. Ebenso chancenlos der Versuch, herauszufinden, was bei dem Treffen von Bellarmin und Galilei am 26. Februar 1616 wirklich geschah, denn die Zeugnisse der Inquisition sagen zu dieser Begebenheit Widersprüchliches aus.

Die erste Schwierigkeit entsteht in dem Spannungsfeld zwischen dem Urteilsbeschluss der Theologen, der die kopernikanischen Theorie als ketzerisch, oder zumindest als falsch im Glauben verurteilt, und dem Beschluss der Indexkongregation, das Buch des Kopernikus bis zu seiner Korrektur zu suspendieren.


Wie kann eine ketzerische Theorie korrigiert werden?

Liest man die Verurteilung wörtlich, so erhält man den Eindruck, dass eine verurteilte Theorie nicht diskutiert, vertreten, gelehrt oder auf irgend eine andere Art verwendet werden sollte, und viele Historiker glauben, dass dies die Intention der Kirche war. Für die Zeitgenossen war das jedoch nicht die einzig mögliche Interpretation. In einem Brief Bellarmins an den Karmeliter-Mönch Paolo Antonio Foscarini vom 12. April 1615 - in dem Galileis Name als implizierter Adressat genannt wird - führt der Autor die Idee aus, dass die Verwendung der kopernikanischen Theorie als mathematische Hypothese, namentlich als Mittel zur Berechnung von Himmelsbewegungen, keinen Schaden beinhalte. Bellarmin betont aber auch, dass die philosophische Geltendmachung der kopernikanischen Thesen als wahre physikalische Beschreibung des Universums gefährlich sei, da sie im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehe.

Im Jahre 1620 erging ein weiteres Dekret der Indexkongregation, mit dem der Gebrauch des kopernikanischen Weltbilds für praktische Zwecke der Berechnung legitimiert und einige geringfügige Korrekturen im Buch des Kopernikus angeregt wurden, damit es in diesem Sinne gelesen werden konnte. Schließlich erwähnt Galilei in einem Brief an seinen Freund und Förderer Federico Cesi ein Gespräch zwischen Papst Urban VIII. und einem seiner Kardinäle, in dem der Papst selbst das Dekret so interpretiert, dass es erlaubt sei, die kopernikanische Theorie als eine mathematische Hypothese aufrechtzuerhalten.

Aber auch die Interpretation der Kirchenpolitik im Sinne der Zulassung als mathematische Hypothese ohne Anspruch auf philosophische Wahrheit macht die Verurteilung nicht weniger ambivalent. Denn es stellt sich immer noch die Frage, ob die Verwendung der kopernikanischen Theorie als mathematische Hypothese bedeutete, dass sie eines Tages bewiesen werden könnte, das heißt, ob sie den Status einer möglichen, jedoch noch nicht bewiesenen Theorie hatte, oder ob nach Meinung der Kirche die mögliche Existenz eines solchen Beweises ausgeschlossen war. Die wahre Intention hinter dieser Verurteilung bleibt für uns so sehr im Dunkeln wie für die damaligen Zeitgenossen und die nachfolgenden Generationen. Jeder Versuch, ein glaubwürdiges, fundiertes historisches Bild von dem Fall Galilei zu zeichnen, hängt aber davon ab, wie diese Frage beantwortet wird.

Dies ist nicht das einzige Beispiel für kritische Lücken im historischen Verständnis des Falles. Noch verwirrender ist die Beweislage zu der Begegnung zwischen Galilei und Bellarmin. Wir haben drei Dokumente der Inquisition, die bezeugen, dass Galilei ermahnt wurde, die kopernikanische Theorie nicht aufrechtzuerhalten oder zu verfechten. Alle drei stehen in Zusammenhang mit dem Namen Bellarmin, der die Ermahnung durchführen sollte, die auf ausdrückliche Weisung des Papstes erfolgte und von der Indexkongregation bestätigt wurde. Einerseits sind dies Bellarmins Bericht an die Kongregation, dass die Ermahnung durchgeführt wurde und seine Beurkundung des Vorgangs, die er Galilei übergeben hatte - das vorgenannte Zeugnis von Bellarmin. Andererseits erzählt aber das Dokument, in dem nicht Bellarmin, sondern die Amtspersonen der Inquisition berichten, was tatsächlich im Palast des Kardinals geschah, eine andere Geschichte. Denn es stellt sich heraus, dass es diesem Dokument zufolge direkt nach der Ermahnung durch Bellarmin an demselben Ort und in Anwesenheit des Kardinals ein weiteres Inquisitionsverfahren gegeben hat - diesmal geführt von dem dominikanischen Pater Kommissar in Anwesenheit eines Notars und im Beisein zweier Zeugen. In diesem Verfahren wurde Galilei nicht nur davor gewarnt, die kopernikanische Theorie aufrechtzuerhalten oder zu verfechten, sondern auch davor, sie auf welche Weise auch immer zu lehren, in Wort oder in Schrift. Allerdings befand sich dieses Dokument unsigniert bei den Akten.

Einige Historiker, denen der eklatante Widerspruch zwischen diesen Dokumenten aufgefallen war, versuchten dies durch die Annahme zu entkräften, dass das nicht signierte Dokument im Laufe des Prozesses von 1633, des einzig wirklichen Prozesses gegen Galilei, in dessen Folge sein Buch verboten und er für den Rest seines Lebens zu Hausarrest verurteilt wurde, gefälscht ist. Das allerdings ist eine willkürliche Annahme. Sie erscheint als ein zu schwerwiegender Eingriff des Historikers - als ein Versuch, Geschichte zu formen oder neu zu schreiben, anstatt das darzustellen, was die Dokumente erzählen. Andere Historiker wollen den Widerspruch durch die Interpretation auflösen, die Unterschiede zwischen dem Gespräch mit Bellarmin und dem direkt nachfolgenden Verfahren seien minimal. Diese Unterschiede scheinen sich jedoch nicht kleinreden zu lassen. Sie zeigen unserem Wissen hier eine Grenze auf, die aber auch den Aufbruch in eine neue Richtung darstellt.


Galileis Prozess im Kontext der Gegenreformation

Auf der Suche nach dem Aufbruch in eine neue Richtung greift der Historiker auf den Kontext zurück. Welches aber ist der richtige Kontext?

Man ist versucht, die Verurteilung der kopernikanischen Bücher mit der Ermahnung Galileis so miteinander in Verbindung zu bringen, dass letztere eine Umsetzung der ersteren ist. Aber dieser Versuch stellt sich bald als Holzweg heraus: Sobald man die Verurteilung als ein strenges Verbot interpretiert, sich mit dem kopernikanischen Weltbild in wie auch immer gearteter Form zu beschäftigen, werden die zahlreichen Beweismittel - drei Dokumente, die mit dem Namen Bellarmin in Verbindung gebracht werden, zusammen mit dem externen Beweismittel des Briefs von Bellarmin von 1615 - irrelevant. Folgt der Historiker dieser Strategie, so bleibt ihm ein unsigniertes Dokument als Beleg. Wenn wir aber glauben wollen, dass die Inquisition Galilei die Beschäftigung mit der kopernikanischen Theorie als mathematische Hypothese erlaubt hat - wie es die Dokumente von Bellarmin anscheinend nahelegen -, wie ist dann der Hauptanklagepunkt im Prozess von 1633 zu interpretieren? Wie sollten wir den Satz verstehen, demnach »eine Meinung in keiner Weise vertretbar sein kann, die als der göttlichen Schrift widersprechend erklärt und definiert wurde«? Hier muss vielleicht der Kontext erweitert werden. Man kann einen Annäherungsversuch starten, indem man die Heilige Schrift und ihre Interpretation im Kontext der Gegenreformation liest. Aber die Hoffnung, die Widersprüche so aufzulösen, wird bald enttäuscht.

Es stimmt zwar, dass die Kirche der Gegenreformation ihre Autorität zur Auslegung und Interpretation der Heiligen Schrift gegenüber der starrköpfigen Weigerung der Protestanten, diese anzuerkennen, verteidigte. Sie betrachtete ihre Traditionen als heilig und betonte ihr diesbezügliches Monopol. Eines der wichtigsten Dekrete des Konzils von Trient, das fünfzig Jahre vor der Verurteilung der kopernikanischen Bücher und der Ermahnung Galileis stattfand, das Dekret über die Heilige Schrift, besagt, dass »niemand wagen soll, auf eigene Klugheit gestützt die Heilige Schrift nach den eigenen Ansichten zu verdrehen und dieselbe Heilige Schrift gegen jenen Sinn, den die Heilige Mutter Kirche festgehalten hat und festhält, oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter auszulegen«. Es stimmt auch, dass sich in jener Zeit unter Katholiken eine Präferenz für die wörtliche Auslegung der Heiligen Schrift feststellen lässt. Wörtliche Auslegung stand dabei jedoch nicht unbedingt für Fundamentalismus, denn viele der hervorragenden Bibelausleger der Gegenreformation glaubten weiterhin, dass »die Schrift von Natur aus sehr breit angelegt und für verschiedene Lesarten und Auslegungen offen« sei, wie der Jesuit Benedictus Pererius in seiner Schrift »Commentariorum et disputationum in Genesis, tomi quatuor« aus dem Jahr 1587 sagt.

Der Kontext rechtfertigt also keine Herleitung einer eindeutigen Negation der kopernikanischen Theorie im Namen der Heiligen Schrift. Selbst wenn wir die Verurteilung der kopernikanischen Bücher im Kontext der Gegenrevolution lesen, muss aus den Dekreten des Konzils von Trient nicht zwangsläufig ein unabwendbarer Konflikt zwischen Galilei und der Kirche hervorgegangen sein. Der Kontext selbst ist nämlich mehrdeutig und vielstimmig, und er umfasst die Fülle intellektueller und religiöser Ansätze, die für die katholische Tradition typisch sind. Es erfordert einen kruden Akt der Selektion, um die Vielzahl der Stimmen zum Schweigen zu bringen, die den Kontext der Gegenreformation bildeten. In seinem oben genannten Brief an Foscarini schreibt der Kardinal Bellarmin ausdrücklich:

»...wenn es einen echten Beweis gäbe, dass die Sonne im Zentrum der Welt stehe und die Erde im dritten Himmel, und dass die Sonne nicht die Erde umrunde, sondern die Erde die Sonne - dann bedürfte es eines sehr bedachten Vorgehens, um die Schriften zu erklären, die dem entgegenzustehen scheinen; und zwar müsste man eher sagen, dass sie das nicht beabsichtigen, als für falsch zu erklären, was bewiesen ist.«

Das sind gewiss nicht die Worte eines Fundamentalisten. Bellarmin scheint hier für eine Änderung der Auslegung bereit, sobald es einen wissenschaftlichen Beweis für die neue Theorie in Übereinstimmung mit dem augustinischen, nicht fundamentalistischen Prinzip der Bibelauslegung gibt. Ein derartiger direkter Beleg bringt jedoch die Stimmigkeit der Geschichte derjenigen ins Wanken, die glauben, dass bei dem Prozess der biblische Fundamentalismus und das freie Denken als zwei gegensätzliche Prinzipien aufeinandertrafen und der Prozess daher von vornherein unvermeidbar war.


Der Fall Galilei aus der Sicht des 21. Jahrhunderts

Die Lücken, Widersprüche und Spannungsfelder, die sich in den Akten der Inquisition zum "Fall Galilei" ausmachen lassen, gaben Historikern sehr großen Spielraum für ihre Hypothesen und Darstellungsweisen. Am erfolgreichsten war dabei die polarisierte, dichotome Darstellung, die den Konflikt zwischen Galilei und der Kirche als unvermeidbar schildert. Dieses Konstrukt hat im Laufe der Jahrhunderte verschiedenen Gruppierungen zu unterschiedlichen Zwecken gedient. Den italienischen Säkularisten des 19. Jahrhunderts diente es als Mythos, der ihr Streben nach nationaler Einheit bestärkte, von der sie glaubten, dass sie die politische Freiheit des Einzelnen fördern und seine intellektuelle Freiheit garantieren würde. Manch einen der heutigen Anhänger der Konzepte der Aufklärung zum Thema Vernunft und Glauben führt die Darstellungsweise der Geschichte als unvermeidbarer Konflikt ganz allgemein zur Behauptung, dass zwischen dem autoritären katholischen System und der modernen Wissenschaft damals wie heute ein Antagonismus besteht.

Der Fall Galilei wurde als moralisches Drama unserer Befreiung von der Religion durch die Wissenschaft benutzt, um eine Identitätsgeschichte westlicher Intellektueller zu schreiben. Aber ein kritischer Rückgriff auf die Quellen sollte uns in die Lage versetzen, ihn auf eine komplexere Art zu reflektieren, die der historischen Wahrheit näher kommen könnte. Eine solche Interpretation mag auch für die komplexe, multikulturelle und multireligiöse Realität des 21. Jahrhunderts maßgeblicher sein, in der uns endlich dämmert, dass die Wissenschaft keinen Sieg über die Religion davongetragen hat, weil sie diese nicht ersetzen kann und es vielleicht auch gar nicht anstreben sollte.

Galileis Prozess und seine Verurteilung lassen sich auch als ein Moment der Geschichte der katholischen Reformbewegung p@C begrei manchmal widersprechenden Strategien, um die Anforderungen der modernen Welt des 17. Jahrhunderts bewältigen zu können. Aus einer solchen Perspektive signalisieren die sich widersprechenden Dokumente echte, gelebte Widersprüche zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der Kirche. Eine Bewältigungsstrategie, die beispielsweise die Jesuiten und auch ihr Kardinal Bellarmin verfolgten, bestand darin, Sich auf Bildung und missionarische Tätigkeiten zu konzentrieren. Es erforderte eine ungeheure Anstrengung, hier das neue naturwissenschaftliche Wissen des 16. Jahrhunderts, das sie physikalische Mathematik nannten, zu integrieren.

Eine andere Möglichkeit bot sich über die traditionellen Strukturen des Katholizismus einschließlich der Inquisition. Die Diskrepanz zwischen Bellarmins Ermahnung, die kopernikanische Theorie nicht aufrechtzuerhalten oder zu verfechten und der Anordnung der Inquisition, diese weder aufrechtzuerhalten, noch zu lehren oder zu verfechten, auf welche Weise auch immer, weder in Wort noch in Schrift, war ein Symptom des Kampfes um die Kulturpolitik der Kirche zwischen traditionellen Modernisten und Konservativen.

Die Jesuiten waren daran interessiert, einen Versuch der vorsichtigen und schrittweisen Modernisierung zu wagen. Leider blieb die Strategie, für die sie sich entschieden, ambivalent. Diese Ambivalenz zeigte sich nicht nur in den Schwierigkeiten, die sie mit den traditionelleren Zirkeln der Kirche hatten, sondern such in den scharfen Debatten, die innerhalb der Gemeinschaft Jesu über den Status der physikalischen Mathematik geführt wurden. 1633 wurde offenbar, dass Galilei diese Komplexität für eine aggressive Propaganda seiner eigenen Theorien benutzte, für die er einen echten Beweis schuldig blieb: Was 1616 als vorteilhaft schien, wurde 1633 zum Desaster. Die Jesuiten, die vor den Mitteln der Inquisition nicht zurückschreckten, wenn es ihren Zwecken diente, kooperierten 1633 bei dem Versuch, die Ereignisse des Jahres 1616 umzudeuten und Galilei zu belasten.

Wichtig sind hier nicht die Einzelheiten dieser Interpretation, sondern die Erkenntnis, dass die Kirche in einen Kampf um ihre eigene kulturelle Identität verwickelt war, während Galilei seinen Kampf um die wissenschaftliche Wahrheit und die Autorität des Wissenschaftlers führte. Dies soll keine Rechtfertigung der Machtpolitik der Kirche sein. Dass Galilei zum Schweigen gebracht wurde, steht außer Frage. Doch die Lektion, die daraus folgt, finden wir nicht, wenn wir über die Freiheit der Rede moralisieren. Vielmehr ist es wichtig, uns daran zu erinnern, dass Geschichten über die Suche nach Identität nicht gutartig sind - üblicherweise sind dies Geschichten, die »uns«, das »Subjekt«, als Helden oder Engel präsentieren wollen und den »anderen« als den »Teufel«. Hier liegt die Gefahr. Die Geschichte der Identität der aufgeklärten rationalen westlichen Kultur ist tief mit dem kulturellen Trauma verwurzelt, das durch den Galilei-Prozess ausgelöst wurde. Mit dieser Verquickung wurde das Opfer zum Helden erhoben - die Komplexität des anderen aber, in diesem Falle der Kirche, wurde vergessen oder vielmehr dämonisiert. Somit ist es der Aufklärung mit ihrer Darstellungsweise gelungen, die schwierige komplexe dialektische Geschichte des historischen Wechselspiels zwischen Wissenschaft und Religion zum Schweigen zu bringen.

Aus dem Englischen von Susanne Grandel.


Rivka Feldhay lehrt Wissenschafts- und Kulturgeschichte an der Universität Tel Aviv. Sie forscht in Kooperation mit dem MPI für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und wird von der Minerva-Stiftung der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt.


Literaturhinweise:

Bredekamp, H.: Galilei, der Künstler. Akademie Verlag, Berlin 2007.


De Padova, Th.: Das Weltgeheimnis. Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels. Piper Verlag, München 2009.

Fölsing, A.: Galileo Galilei. Prozess ohne Ende. Piper Verlag, München 1983.

Godman, P.: Die geheime Inquisition. Aus den verbotenen Archiven des Vatikans. List Verlag, München 2001.

Shea, W.R. und Artigas, M.: Galileo Galilei, Aufstieg und Fall eines Genies. Primus Verlag, Darmstadt 2006.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Auf diesem allerersten Exemplar des »Sidereus nuncis« steht in Galileis Handschrift unten zu lesen: »Io Galileo Galilei f(eci)«, das heißt: »Ich, G.G., habe dies gemacht«.

Bildunterschrift 2:
Galilei führt in Venedig dem Dogen das neue Instrument vor.

Bildunterschrift 3:
In seinem berühmten Bild der Arnolfini-Hochzeit macht Jan Van Eyck mit Hilfe eines Spiegels das Unsichtbare sichtbar: das Paar von hinten, den Raum im Vordergrund und den Maler selbst, der soeben das Zimmer betritt.

Bildunterschrift 4:
So zeichnet Thomas Harriot den Mond am Teleskop 1609, wenige Wochen vor Galilei.

Bildunterschrift 5:
Diese Tuschzeichnungen der Mondphasen aus dem Jahr 1610 verfertigte Galilei vermutlich erst nach dem Erscheinen des »Sidereus nuncius«.

Bildunterschrift 6:
Das Universum des Kopernikus ist steril, es entzieht sich unseren Sinnen. Erst Galileis teleskopische Beobachtungen und deren kunstvolle bildliche Darstellung erschlossen die translunare Welt der sinnlichen Wahrnehmung.

Bildunterschrift 7:
Aus seinem Hausarrest in Arcetri erläutert Galilei am 13. Dezember 1633 in einem Brief an den Kardinal Francesco Barberini seine Methode, die Höhe der Berge auf dem Mond zu bestimmen.

Bildunterschrift 8:
Noch nach Jahrhunderten bewegte Galileis Auftritt vor dem Heiligen Offizium die Gemüter - hier in einer Darstellung von Joseph Nicolas Robert-Fleury aus dem Jahr 1847.


© 2009 Rivka Feldhay, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7 der Serie finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Naturwissenschaften -> Astronomie ->
GESCHICHTE/064: Galileis Revolution und die Transformation des Wissens (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/065: Wie entstehen neue Weltbilder? (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/066: Die Ursprünge des Teleskops (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/067: Galileis astronomische Werkstatt (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/068: Das Rot der Augen - Die Erforschung der Sonne zur Zeit Galileis (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/069: Wie auf Erden, so im Himmel. Zwei Welten - eine Physik (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/070: Astronomie vor Galilei (Sterne und Weltraum)


*


Quelle:
Sterne und Weltraum 6/09 - Juni 2009, Seite 44-53
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528-0, Fax: 06221/528-246
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
Tel.: 06221/912 66 00, Fax: 06221/912 67 51
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009