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INSTRUMENTE/383: Deutschland will sich nicht am Mega-Radioteleskop SKA beteiligen (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/14 - August 2014
Zeitschrift für Astronomie

Kurzbericht
Ausstieg: Deutschland will sich nicht am Mega-Radioteleskop SKA beteiligen

Von Uwe Reichert



Im April 2012 bekundete Deutschland, sich am Bau des Square Kilometre Array (SKA) beteiligen zu wollen. Nun, zwei Jahre später, leitet das Bundesforschungsministerium den Ausstieg aus dem zukunftsweisenden Teleskopprojekt in die Wege. Dieser Rückzug wird der Astronomie und der Wirtschaft in Deutschland nachhaltig schaden.


Die Hiobsbotschaft kam kurz vor Pfingsten mit der Post. Absender: Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Empfänger: die SKA-Organisation, eine von zurzeit zehn Mitgliedsstaaten getragene Einrichtung, welche die Planung und den Aufbau des Square Kilometre Array (SKA) koordiniert und vorantreibt. Inhalt des offiziellen Schreibens: Deutschland beabsichtige, die SKA-Organisation zu verlassen. Gemäß den gegenwärtigen vertraglichen Verpflichtungen bedeutet das, dass Deutschlands Mitgliedschaft in der SKA-Organisation zum 30. Juni 2015 endet. Damit wird das weltgrößte Radioteleskop - ein Verbund aus Tausenden Antennen auf zwei Kontinenten - ohne maßgebliche Beteiligung deutscher Partner gebaut werden.

Die Entscheidung des BMBF traf vor allem die an deutschen Instituten arbeitenden Wissenschaftler unvorbereitet. Offenbar handelt es sich um einen internen Beschluss, der mit keinem der Betroffenen besprochen oder abgestimmt worden war. Selbst die ausländischen Partner des SKA erhielten die Information eher als die am Projekt mitwirkenden deutschen Forscher.

Als die Entscheidung des BMBF bekannt wurde, befanden sich rund 300 der am SKA-Projekt beteiligten Wissenschaftler auf dem Weg nach Sizilien. Auf der Tagung »Advancing Astrophysics with the Square Kilometre Array« in Giardini Naxos am Fuße des Ätnas wollten sie das wissenschaftliche Potenzial des SKA und die Fortschritte auf dem Weg zur Realisierung dieses größten Radioteleskops der Welt diskutieren. Dort konnte die Sterne-und-Weltraum-Redaktion drei führende SKA-Forscher aus Deutschland erreichen. Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, bestätigte den offensichtlichen Alleingang des BMBF: »Die Entscheidung wurde ohne Konsultation oder Information der wissenschaftlichen Community getroffen.«

Nach den Auswirkungen der BMBF-Entscheidung gefragt, betonte Kramers Institutskollege Hans-Rainer Klöckner: »Die internationalen Kollegen sind von dem Projekt so überzeugt, dass zu hoffen ist, dass das SKA auch ohne Deutschland gebaut wird. Leider bedeutet das aber starke negative Auswirkungen für die deutschen Wissenschaftler und die deutsche Industrie, die damit aus dem Projekt, der Entwicklung der Technologie, dem Bau und der Nutzung ausgeschlossen werden.« Und Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld ergänzt: »Besonders hart trifft diese Entscheidung die Universitäten in Deutschland, die sich zusammen mit außeruniversitären Partnern gerade für den Synergieeffekt des SKAs in Bezug auf Astronomie über alle Wellenlängen und die Bedeutung für die Grundlagenphysik engagiert hatten sowie für die wichtigen Schlüsseltechnologien - Hochleistungsrechner, Signalverarbeitung und Umgang mit riesigen Datenmengen.« (Das vollständige Interview ist unter
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1294517 nachzulesen.)

Ein internationaler Verbund

Das Square Kilometre Array wird ein Radioteleskop der Superlative (siehe SuW 9/2006, S. 22). Array - das bedeutet, dass viele Radioteleskope zu einem Verbund zusammengeschlossen werden. Square Kilometre - das heißt, die Sammelfläche aller Radioteleskope in diesem Verbund soll einen Quadratkilometer betragen. Mit diesen Dimensionen sprengt das SKA alle Grenzen. Über mehrere Länder auf zwei Kontinenten verteilt und digital gesteuert, kann es mehrere Regionen des Himmels gleichzeitig beobachten. Die Empfindlichkeit wird gegenüber heutigen Radioteleskopen rund 100-fach gesteigert sein. Die gewaltige Datenflut wird etwa zehnmal so groß sein wie alles, was heute durch das weltweite Internet übertragen wird.

Das SKA ist also ein gigantisches Unterfangen, das sich nur in internationaler Zusammenarbeit verwirklichen lässt. Das Radioteleskop der Superlative soll unter anderem nach den ersten Strukturen im frühen Universum fahnden, die Natur der Dunklen Materie erkunden, Gravitationswellen nachweisen und die allgemeine Relativitätstheorie mit bislang unerreichter Präzision testen. Zudem ist eine Fülle neuartiger Entdeckungen zu erwarten. Damit ist das SKA von grundlegender Bedeutung für die Physik, Astronomie und Kosmologie des 21. Jahrhunderts - und dabei vergleichsweise kostengünstig.

Errichtet werden soll das SKA auf zwei Kontinenten - in Afrika und in Australien. Die Phase 1 soll bis 2019 aufgebaut sein und 650 Millionen Euro kosten. Die volle Betriebsfähigkeit ist für 2024 geplant. Bisher haben 20 Länder mehr als 120 Millionen Euro in den Entwurf und die Planung des SKA investiert. Im März 2014 verpflichtete sich Großbritannien als erstes Land, 100 Millionen Pfund für den Bau des SKA zur Verfügung zu stellen. Südafrika und Australien haben für Vorgängeranlagen des SKA (ASKAP, Murchison Widefield Array und MeerKAT) bereits mehrere hundert Millionen Euro bereitgestellt.

Für Deutschland hatte die damalige Bundesministerin Annette Schavan im April 2012 bekanntgegeben, der SKA-Organisation beitreten zu wollen. Die Ankündigung erfolgte werbewirksam auf dem Eröffnungssymposium zum Deutsch-Südafrikanischen Jahr der Wissenschaft in Kapstadt (siehe SuW 6/2012, S. 29). Seit Mai 2012 ist Deutschland Mitglied in der SKA-Organisation. Was nun, zwei Jahre später, den Sinneswandel auslöste, ist noch nicht genau bekannt.

Staatssekretär Georg Schütte, der nun Deutschlands Ausstieg aus der SKA-Organisation ankündigte, hatte - ebenfalls aus Anlass des Deutsch-Südafrikanischen Jahrs der Wissenschaft - im Mai 2012 die Bedeutung der astronomischen Forschung für den Menschen hervorgehoben. In einem Interview, das er dem internen Online-Dienst des BMBF gab, sagte er: »Man darf in der Grundlagenforschung nicht nach dem schnellen, direkten Nutzen fragen. Da ist zunächst einmal die menschliche Neugierde, den eigenen Platz im Universum zu verstehen. Aber: Die Forschungsergebnisse sind dann auf vielfältigen Ebenen relevant. ... Der Blick ganz weit nach draußen ist auch der Blick in das ganz kleine Detail. Und diese kleinen Details sind für die Materialforschung hier auf der Erde von höchster Relevanz. Daneben aber ist moderne Radioastronomie eine Wissenschaft, die mit neuestem technischem Gerät und mit neuesten technischen Methoden arbeitet. Ich habe eben die Datenverarbeitung genannt. Eine andere Herausforderung für die Astronomie ist die Energieversorgung von Teleskopen in Regionen, in denen keine energietechnische Infrastruktur zur Verfügung steht. Das heißt, auch Themen wie Photovoltaik, Energieautarkie, Batteriestromversorgung sind für die Astronomie von Bedeutung. Wenn eine Infrastruktur für astronomische Forschung aufgebaut wird, wird gleichzeitig auch ein Know-how generiert, das in ganz anderen Bereichen relevant ist. Länder, die führend in der astronomischen Forschung sind, sind darauf angewiesen, auch in anderen Bereichen hochtechnologiefähig zu werden.« (Vollständiges Interview unter www.bmbf.de/de/18673.php)

Genau solche Aspekte scheinen nun bei der Entscheidung zum Ausstieg keine Rolle mehr gespielt zu haben. Den wissenschaftlichen Wert des SKA bezweifelt das BMBF nicht. Aber wie eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber SuW sagte: »Der finanzielle Einsatz dafür musste mit der Größe der Community, die man damit bedient, ins Verhältnis gesetzt werden. Die Community ist einfach zu klein.«


UWE REICHERT ist Chefredakteur von Sterne und Weltraum.

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Bundesministerium für Bildung und Forschung
Stellungnahme des BMBF zur SKA-Entscheidung
Das Square Kilometre Array (SKA) ist ein in der Planung befindliches Radioteleskop, das in Südafrika und Australien errichtet werden soll. Seine Antennen sollen eine Gesamtfläche von ungefähr einem Quadratkilometer haben. Die Investitionskosten für die erste Phase des SKA werden auf 650 Millionen Euro geschätzt, die Kosten für den vollen Ausbau auf etwa 6,5 Milliarden Euro.
Deutschland war bisher an der SKA-Organisation zur Vorbereitung einer endgültigen Entscheidung über das Projekt beteiligt. Die Mitgliedschaft in der Organisation diente auch der Prüfung, ob ein finanzielles Engagement Deutschlands an SKA angesichts der erwarteten Höhe zu rechtfertigen ist.
Mit Blick auf die Höhe der Kosten, die große internationale Forschungsinfrastrukturen verursachen, muss Deutschland Prioritäten setzen. Aus diesem Grund hat das BMBF eine Roadmap entwickelt, in der die Forschungsinfrastrukturen, an denen Deutschland sich beteiligen möchte, begutachtet und priorisiert wurden. Beispielhaft sind hier der Europäische Röntgenlaser XFEL und die Beschleunigeranlage FAIR zu nennen. Ein weiteres Projekt aus dem Bereich der Astronomie ist das Cherenkov Telescope Array (CTA). Hier werden zurzeit die Standortverhandlungen zum Standort in der südlichen Hemisphäre aufgenommen - unter anderem mit Namibia/Südafrika, die zu den bestgeeigneten Standorten für CTA zählen.
Das SKA-Projekt ist nicht in der BMBF-Roadmap für Forschungsinfrastrukturen enthalten.
Die zu Verfügung stehenden Mittel für Forschungsinfrastrukturen werden auf die in der Roadmap priorisierten Projekte fokussiert. Voraussetzung dafür, dass ein Vorhaben auf diese Roadmap jetzt oder künftig aufgenommen wird, ist eine Bereitschaft der beteiligten Forschungsorganisationen, die anfallenden Betriebskosten zu übernehmen. Eine entsprechende Zusage konnte für SKA von diesen nicht in Aussicht gestellt werden.
Die Entscheidung zur Kündigung der deutschen Mitgliedschaft in der SKA-Organisation wurde zum jetzigen Zeitpunkt getroffen, um von deutscher Seite klare Rahmenbedingungen für die Verhandlungen der verbliebenen Partner über die Aufteilung der Kosten zu schaffen.
Die deutsche Wissenschaft kann weiter unter den Rahmenbedingungen, die SKA den Forschungseinrichtungen bietet, auf eigene Kosten an der Entwicklung und Umsetzung von SKA teilnehmen. Deutsche Unternehmen können sich im Rahmen der Ausschreibungen um Aufträge bewerben.

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Kommentar: Wie Deutschland ein Stück Zukunft verspielt

Das Square Kilometre Array (SKA) wird das internationale Radioteleskop des 21. Jahrhunderts. Seine hohe Empfindlichkeit, seine breite Wellenlängenabdeckung und seine Fähigkeit zur schnellen Durchmusterung großer Himmelsareale werden die bisherigen Grenzen der Beobachtungstechnik überwinden. Das Potenzial des SKA für die astronomische Forschung ist enorm. Doch die Bedeutung dieses Mega-Radioteleskops geht weit über den puren Erkenntnisgewinn hinaus.

Da ist zum einen die Wissenschaftsförderung. Die zahlreichen Antennen werden sich auf zwei Kontinente verteilen: Afrika und Australien. Damit bietet sich gerade Ländern, die wissenschaftlich noch nicht so sehr in Erscheinung getreten sind, die Chance, den Anschluss an die moderne internationale Forschung zu gewinnen.

Zum anderen ist der technische und wirtschaftliche Aspekt zu bedenken. Für den Bau des SKA sind Fortschritte in mehreren Schlüsseltechnologien erforderlich. Das beginnt bei der Energieversorgung: Die meisten Antennen werden in abgelegenen Wüsten- oder Steppengebieten errichtet, und zu ihrem Betrieb muss eine leistungsfähige, autarke Stromversorgung mittels Fotovoltaik- und Batteriesystemen gewährleistet sein. Dann müssen enorme Datenmengen - ein Vielfaches des heutigen Internet-Aufkommens - über Breitbandkabel transportiert werden. Neue Superrechner sind erforderlich, um diesen Datenwust zu verarbeiten. Spezielle Algorithmen müssen entwickelt werden, um quasi in Echtzeit die Spreu vom Weizen zu trennen, denn für ein langfristiges Speichern der Daten fehlen die Kapazitäten. Der Umgang mit »Big Data« und »Data-Mining« sind hier die Stichworte.

Alle diese Schlüsseltechnologien werden in modernen Gesellschaften schon bald eine sehr bedeutende Rolle spielen. Die Länder, die sich am SKA beteiligen, werden einen gewaltigen Startvorteil bei der Entwicklung solch zukunftsweisender Technologien haben. Wer nicht dabei ist, wird ein Stück Zukunft verpassen.

Leidtragende werden insbesondere die Universitäten in Deutschland sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), aus der SKA-Organisation auszusteigen, nicht nachzuvollziehen. Gewiss, moderne Großforschungsprojekte müssen auf den Prüfstand. Aber eine solche Prüfung sollte alle Aspekte angemessen berücksichtigen.

Die Widersprüche in der BMBF-Entscheidung sind zahlreich. Es heißt, die deutschen Forschungsorganisationen hätten nichts dazu beigetragen, dass das SKA auf die so genannte Roadmap der zu priorisierenden Projekte gesetzt werde. Auf der anderen Seite haben diese Institutionen wiederholt nachgefragt, was zu tun sei, um auf diese Roadmap zu kommen - ohne Antwort vom BMBF zu erhalten. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie das BMBF zur Aussage kommt, die Phase II des SKA würde 6,5 Milliarden Euro kosten. Bisher sind lediglich die Kosten für die Phase I quantifiziert, und zwar auf 650 Millionen Euro. Bereits in dieser ersten Ausbauphase wird das SKA das weltbeste Radioteleskop sein - und wichtige Bestandteile der auch für die Phase II wichtigen Infrastruktur schon enthalten. Und die Meinung, die Größe der Community, die man fördern würde, sei zu klein, wird widerlegt durch die Tatsache, dass unter den Autoren des aktuellen »SKA Science Book« deutsche Wissenschaftler die drittstärkste Fraktion stellen.

Das Kapital, das Deutschland für das SKA bereitgestellt hätte, wäre in ähnlicher Höhe wieder in Form von Aufträgen an deutsche Universitäten, Max-Planck-Institute und Unternehmen zurückgeflossen. Davon kann nun keine Rede sein. Denn das BMBF hatte selbst der Regelung zugestimmt, dass nur diejenigen Länder von Aufträgen profitieren, die sich am SKA beteiligen. Und selbst, wenn die Max-Planck-Gesellschaft Wege zu einer Finanzierung aus normalen Haushaltsmitteln finden sollte: Die großen Leidtragenden werden die Universitäten sein.

Uwe Reichert



Literaturhinweise

Beck, R.: Das Square Kilometre Array - ein Radioteleskop der Superlative. In: Sterne und Weltraum 9/2006, S. 22-33
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/848481

Reichert, U.: Zieht sich Deutschland vom Square Kilometre Array zurück? Online-Meldung vom 11.06.2014
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1294517

http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-08-s020-pdf/1298729

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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Abb. S. 20:
Das Square Kilometre Array mit einem Quadratkilometer Sammelfläche wird aus verschiedenen Antennentypen bestehen (das Bild zeigt eine frühe Referenzstudie). Die Standorte verteilen sich auf Afrika und Australien.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-08-s020-pdf/1298729

© 2014 Uwe Reichert, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/14 - August 2014, Seite 20 - 22
URL: http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-08-s020-pdf/1298729
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2014