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INSTRUMENTE/395: ALMA setzt neue Maßstäbe - Planeten bei HL Tauri? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 3/15 - März 2015
Zeitschrift für Astronomie

ALMA setzt neue Maßstäbe: Planeten bei HL Tauri?

Von Markus Schmalzl


In einer Aufnahme des Radiointerferometers ALMA zeigt sich in der protoplanetaren Scheibe um den noch jungen Stern HL Tauri eine unerwartet komplexe Ringstruktur, die sich wohl als Hinweis auf gerade entstehende Planeten deuten lässt.


Seit das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array ALMA vor wenigen Jahren den Beobachtungsbetrieb aufgenommen hat, konnten Wissenschaftler weltweit Erkenntnisse über die Entstehung und Entwicklung von Galaxien, Sternen und Planeten erlangen. ALMA hat eine große Anzahl an Antennen: Bis zu 66 von ihnen lassen sich als gemeinsames Teleskop betreiben. Es arbeitet als Interferometer. Im Zusammenspiel mit den herausragenden Beobachtungsbedingungen auf dem Chajnantor-Plateau der chilenischen Atacamawüste in rund 5000 Meter Höhe ist die mit ALMA erreichte Empfindlichkeit um Größenordnungen besser als mit jedem anderen Instrument, das im gleichen Wellenlängenbereich beobachtet. Nun hat man bei der ALMA Long Baseline Campaign, einem Projekt im Rahmen des Programms zur Inbetriebnahme und Abnahme neuer Beobachtungsmodi, einen absoluten Meilenstein in Sachen Auflösung erreicht.

Als Objekt für diesen Testlauf wählten die Astronomen HL Tauri, einen noch jungen Stern in einer Entfernung von rund 450 Lichtjahren, der von einer protoplanetaren Scheibe umgeben ist. Im sichtbaren Licht ist HL Tauri durch eine dichte Hülle aus Gas und Staub verdeckt. Diese wird für Beobachtungen im Millimeter-Wellenlängenbereich jedoch transparent und erlaubt tiefe Einblicke in dieses junge Sternsystem.

Steckbrief - HL Tauri

HL Tauri ist ein junger Stern vom Typ T Tauri. Solche Objekte sind vor nicht mehr als rund einer Million Jahre entstanden und weisen einen starken Sternwind auf. Ihnen entströmen schnelle bipolare Jets, die in Stoßfronten enden. Dort treten zumeist leuchtende Nebel auf, die Herbig-Haro-Objekte. HL Tauri und T-Tauri-Sterne im Allgemeinen befinden sich in einer Sternentstehungsregion, in der sie sich gebildet haben.

Position: 4h31m38s, +18°13'57"
Sternbild Stier
Helligkeit: 15,1 mag, variabel
Entfernung: rund 450 Lichtjahre
Masse: rund eine Sonnenmasse
Alter: rund 100.000 Jahre


ALMA enthüllt Strukturen im Ring

Durch frühere Beobachtungen mit Hilfe anderer Observatorien war es möglich, die radiale Struktur der Scheibe um HL Tauri in groben Zügen zu charakterisieren, jedoch blieben viele Fragen, zum Beispiel über eventuell gerade entstehende Protoplaneten, weitgehend unbeantwortet. Räumliche Auflösung und Sensitivität waren bei allen bisherigen Teleskopen der limitierende Faktor, was somit eine besondere Herausforderung an die Leistungsfähigkeit von ALMA stellte.

Bei den Testbeobachtungen mit ALMA bei einer Wellenlänge von 1,2 Millimetern zielte man auf die Emission des kalten Staubs innerhalb der protoplanetaren Scheibe ab. Die dabei entstandene Aufnahme übertraf in vielerlei Hinsicht die Erwartungen aller Beteiligten und hinterlies zunächst viele Forscher sprachlos vor Staunen. Die mehrfach bessere Auflösung sowie um Größenordnungen höhere Empfindlichkeit im Vergleich zu Aufnahmen anderer Millimeter-Observatorien erlaubt es, Strukturen mit einer Größe von lediglich fünf Astronomischen Einheiten innerhalb der Scheibe aufzulösen. Es zeigten sich deutlich mehrere Ringe sowie Lücken verschiedener Breite. Solche Zonen werden üblicherweise mit noch jungen Planeten in Verbindung gebracht, die im Laufe ihrer Entstehung Material aus der Scheibe akkretieren und im Zuge dessen ihre Umlaufbahn quasi entstauben.

All diese Strukturen in der neuen Aufnahme zu sehen, kam für einige Forscher durchaus überraschend. Gängigen Theorien zufolge werden in der noch relativ jungen Scheibe nämlich keinerlei Hinweise auf die Entstehung von Planeten erwartet. »Diese eine Aufnahme wird die Theorien der Planetenentstehung revolutionieren«, ist sich Catherine Vlahakis sicher, die leitende Wissenschaftlerin der ALMA Long Baseline Campaign. Ob eben nun tatsächlich die Entstehung von Planeten oder vielleicht doch ein neuer, noch nicht bekannter Mechanismus für die Entstehung der gefundenen Radialstruktur verantwortlich ist, wird sich wohl erst in weiteren Aufnahmen zeigen.

Auflösungsvermögen wie Hubble

In Zukunft wird ALMA Aufnahmen mit solch hoher Auflösung quasi routinemäßig erzeugen können. Um bei Interferometern wie ALMA die Winkelauflösung zu verbessern, ist es nötig, das Signal möglichst weit voneinander entfernter Antennen zu kombinieren. Dabei ist unabdingbar, die Position aller Antennen bis auf Bruchteile der Wellenlänge genau zu bestimmen. Die längste bei den Beobachtungen von HL Tauri erreichte Basislinie, also die Verbindungslinie zweier Antennen, war mit 15 Kilometer nur unwesentlich kürzer als die maximal erreichbare Länge von 16 Kilometer. Die dabei erreichte Winkelauflösung von 35 Millibogensekunden entspricht etwa der Auflösung des Weltraumteleskops Hubble - dort allerdings im sichtbaren Licht. Aufnahmen bei kürzeren Wellenlängen werden es ALMA in der Zukunft erlauben, die Auflösung auf bis zu fünf Millibogensekunden zu steigern. Dies würde einem Beobachter in Hamburg gestatten, noch auf der Zugspitze Objekte von der Größe einer Zwei-Euro-Münze räumlich auflösen.

Durch derartig hochaufgelöste Beobachtungen protoplanetarer Scheiben hoffen die Astronomen, Rückschlüsse auf die Entstehung ferner Planetensysteme ziehen zu können: Wo entstehen Planeten? Wie viele Planeten bilden sich? Und wann genau während der Entwicklung geschieht dies?

Dadurch möchten die Forscher früher oder später auch Rückschlüsse auf die Entstehung unseres eigenen Sonnensystems ziehen, sowie insbesondere auf die Herkunft unserer Erde und den Ursprung des Lebens darauf genauer beleuchten. Die von ALMA mit dessen einzigartiger Empfindlichkeit und Winkelauflösung gewonnene Aufnahme von HL Tauri mit seiner Scheibe ist im Hinblick auf die Beantwortung dieser Fragen ein erster großer Schritt.


Markus Schmalzl ist Postdoc bei »Allegro« (ALMA Local Expertise Group), einem Teil des europäischen ALMA Regional Centres.


Literaturhinweis

ESO Photo Release 1436: Revolutionary ALMA Image Reveals Planetary Genesis.
http://www.eso.org/public/news/eso1436/

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

Was ist WIS?
Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.

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www.wissenschaft-schulen.de/artikel/1156171 und 1156164

WiS in Sterne und Weltraum

Die beiden Beiträge von »Das Projekt ALMA Mater« passen zu den Kurzberichten auf S. 20, »ALMA setzt neue Maßstäbe: Planeten bei HL Tauri?«, und S. 22, »Rote Riesen und ALMA - das größte Radioteleskop der Welt«: Die Radioastronomie erlebt gegenwärtig einen großen Aufschwung. Die Großprojekte ALMA (Atacama Large Millimeter Array, SKA (Square Kilometre Array) und LOFAR (Low Frequency Array) stehen in den Startlöchern und werden für einen Schub an Erkenntnissen über den Weltraum sorgen. Insbesondere in der Phase ihrer Entwicklung erbringen derartige Wissenschaftsprojekte einen enormen Zugewinn an technischem Knowhow. Und, sie haben einen großen Wert für die Schule, denn das Neue und Aktuelle sorgt für viel Motivation. Der erste WIS-Beitrag beschreibt die eingesetzte Technik der ALMA-Radioteleskope, während sich der zweite Teil mit dem ALMA-Interferometer im Detail auseinandersetzt. Die Materialien sind für den Einsatz in der Mittelstufe gedacht.
(ID-Nummern: 1156171 und 1156164)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 20:
Die protoplanetare Scheibe um den Stern HL Tauri überrascht die Wissenschaftsgemeinde durch ihre unerwartet detaillierte Struktur. In der von ALMA gewonnenen Aufnahme zeigen sich hell leuchtend die Staubteilchen in der Scheibe. Diese ist durch eine Vielzahl von dunklen, staubfreien Ringen durchsetzt, die als direkter Nachweis von Planetenentstehung gelten. Das Inset zeigt den direkten Größenvergleich mit unserem Sonnensystem.

Abb. S. 21:
In der unmittelbaren Umgebung des Sterns HL Tauri befinden sich weitere junge Objekte: XZ Tauri und der von der Seite sichtbare bipolare Nebel HH 30/V 1213 Tauri. Die Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble zeigt einen engen Spektralbereich im Roten durch ein H-Alpha- und ein R-Filter bei den Wellenlängen 658 (H-Alpha) und 625 Nanometer.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-03-s020-pdf/1331064

© 2015 Markus Schmalzl, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 3/15 - März 2015, Seite 20 - 21
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-03-s020-pdf/1331064
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2015

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