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KOMET/108: Komet Siding Spring auf Tuchfühlung mit Mars (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 12/14 - Dezember 2014
Zeitschrift für Astronomie

Komet Siding Spring auf Tuchfühlung mit Mars

Von Tilmann Althaus



Der Marsvorbeiflug des Kometen C/2013 A1 Siding Spring am 19. Oktober 2014 war die dichteste bislang beobachtete Annäherung eines Schweifsterns an einen Planeten. Gleich sieben Marssonden konnten ihn dabei ins Visier nehmen und lieferten erstmals Detailinformationen über einen frischen Kometen aus der Oortschen Wolke.


"Der Sonntag war ein Tag, wie wir Missionskontrolleure ihn uns wünschen: ruhig und langweilig«, so Andrew David Johnstone vom European Space Operations Centre (ESOC) im hessischen Darmstadt. Dies waren die Worte, mit denen der Autor dieses Beitrags einen Tag nach der Kometenpassage am 20. Oktober 2014 im ESOC begrüßt wurde. »Langweilig« bedeutet in diesem Fall, dass keiner der vielen Notfallpläne, die im Vorfeld des Vorbeiflugs von Siding Spring vorbereitet wurden, in die Tat umgesetzt werden musste.

Mars Express hatte die Kometenpassage völlig unbeschadet überstanden. So »langweilig« wie der Vorbeiflug aus Sicht der Missionskontrolleure war, umso interessanter war er jedoch für die beteiligten Wissenschaftler der Mission Mars Express und der sechs anderen derzeit um den Mars kreisenden Raumsonden.

Mit seiner dichten Passage am Roten Planeten hatte sich Siding Spring ausgerechnet denjenigen Himmelskörper ausgesucht, bei dem derzeit die meisten Spähsonden aktiv sind. Der Minimalabstand zur Marsoberfläche betrug nur 136.000 Kilometer, das entspricht rund einem Drittel der Distanz Erde - Mond. Fünf Orbiter sind in der Umlaufbahn: Neben Mars Express sind es die US-Raumsonden Mars Odyssey, Mars Reconnaissance Orbiter und MAVEN sowie der indische Mars Orbiter, genannt Mangalyaan. Die beiden letzteren sind Neuzugänge, sie erreichten den Mars erst im September 2014. Auf der Marsoberfläche sind zudem die beiden US-Rover Opportunity und Curiosity aktiv.

Alle Raumsonden richteten ihre Instrumente auf den eiligen Besucher, denn hier bot sich den Planetenforschern eine einmalige Gelegenheit. Siding Spring ist nämlich der erste Komet direkt aus der Oortschen Wolke, der aus der Nähe beobachtet werden konnte. Alle anderen bislang von Raumsonden untersuchten Schweifsterne sind kurzperiodische Kometen, die schon viele Umläufe um die Sonne hinter sich haben. Sie wurden daher schon viele Male in Sonnennähe aufgeheizt und haben dabei einen großen Teil ihrer ursprünglich vorhandenen leichtflüchtigen Stoffe verloren.

Siding Spring dagegen dürfte sich auf seiner ersten Sonnenpassage befinden. Somit ist er ein unverändertes Überbleibsel aus der Entstehungszeit des Sonnensystems vor rund 4,6 Milliarden Jahren. Aus den Daten, welche die Marssonden und eine große Anzahl erdgebundener Teleskope und Weltraumteleskope bei der Marspassage aufzeichneten, erhoffen sich die Planetenforscher Aufschluss über die Bedingungen im frühen Sonnensystem. Zudem helfen die Daten bei der Interpretation der Datenflut der europäischen Kometensonde Rosetta, die seit August 2014 den Kern des kurzperiodischen Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko umrundet (siehe SuW 10/2014, S. 28).

Derzeit ist noch nicht bekannt, ob sich der Komet Siding Spring auf einer extrem langgestreckten Ellipse um die Sonne befindet oder gar auf einer offenen, hyperbolischen Bahn, auf der er das Sonnensystem verlassen wird. Im ersten Fall dürfte Siding Spring mindestens eine Million Jahre für einen Sonnenumlauf benötigen. So ähnlich sahen es auch die Missionskontrolleure des ESOC, als sie beim Team-Meeting am 20. Oktober in den Missionsbericht schrieben: »See you in a million years!«

Die ersten Ergebnisse der Raumsonden-Armada

Nach dem Vorbeiflug dauerte es mehrere Tage, bis die Bilder und Messdaten von den diversen Raumsonden zur Erde übertragen waren und die beteiligten Forscher erste Ergebnisse präsentieren konnten.

Die besten Bilder des Kometenkerns gelangen der Kamera HiRISE auf dem Mars Reconnaissance Orbiter (MRO). Dies ist nicht verwunderlich, nutzt HiRISE doch die derzeit größte und lichtstärkste Optik, die sich auf einer Marsumlaufbahn befindet. Mit ihrem 50-Zentimeter-Spiegelteleskop konnte HiRISE sogar den eigentlichen Kern von Siding Spring erfassen. Aus den Bilddaten leiteten die Forscher an der University of Arizona ab, dass dieser einen Durchmesser von weniger als 500 Metern aufweist. Damit ist er kleiner als erwartet, denn die Schätzungen lagen zwischen 700 Meter und einem Kilometer. Siding Spring hat also den kleinsten Kern aller bislang aus der Nähe beobachteten Schweifsterne. Zum Vergleich: Der Kern des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko ist zwischen drei und fünf Kilometer groß, derjenige von Komet Halley sogar 7 x 15 Kilometer.

Aus den Bilddaten von HiRISE ergibt sich, dass die Oberfläche des Kerns von Siding Spring offenbar sehr viel heller ist als diejenigen der anderen bislang untersuchten Kometenkerne. Letztere werfen etwa so viel Licht zurück wie ein Stück Kohle. Offenbar befinden sich bei frischen Kometen noch größere Mengen von gefrorenen Gasen auf der Oberfläche, die viel Licht reflektieren. Legt man aber die bei den kurzperiodischen Kometen festgestellten Reflektivitäten zu Grunde, so werden die Durchmesser solch frischer Kometenkerne systematisch überschätzt.

Weitere Informationen über Siding Spring lieferte auch CRISM, das Compact Reconnaissance Imaging Spectrometer for Mars, das sich ebenfalls an Bord von MRO befindet. Dem abbildenden Infrarotspektrometer gelangen kurz vor und nach der Kometenpassage Aufnahmen des Nahbereichs der Koma - der rundlichen Hülle aus Gas und Staub, die den eigentlichen Kern umgibt. Die Aufnahmen entstanden in 107 unterschiedlichen Spektralbändern, und die Wissenschaftler von CRISM hoffen, daraus Informationen über die Zusammensetzung oder die Größe der von Siding Spring ausgestoßenen Staubpartikel ableiten zu können.

Auch der erst einen Monat zuvor in den Marsorbit eingeschwenkten Sonde MAVEN gelangen mit ihrem abbildenden Ultraviolettspektrometer IUVS Aufnahmen des Kometen. Sie zeigen die weit ausgedehnte Hülle aus atomarem Wasserstoff. Auf den Bildern von IUVS ließen sich die Wasserstoffatome bis in eine Entfernung von 150.000 Kilometern zum Kometenkern nachweisen. Sie entstehen durch die Spaltung von Wasserdampf durch die ultraviolette Strahlung der Sonne. Ein Team von Astronomen des Observatoire de Paris ermittelte mit dem Radioteleskop von Nançay bei Siding Spring kurz vor der Marspassage eine Freisetzungsrate von rund einer Tonne Wasserdampf pro Sekunde. An Bord von Mars Express nahm die High Resolution Stereo Camera (HRSC) Bilder des Kometen auf. Nach Auskunft von Mitgliedern des Kamerateams beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt in Berlin-Adlershof und der Freien Universität Berlin sind sie jedoch wenig spektakulär. Sie zeigen den Kern von Siding Spring lediglich als Punkt. Zum Redaktionsschluss hatte die Bildauswertung gerade erst begonnen. Weitere Instrumente an Bord von Mars Express untersuchten ebenfalls den Kometen. Dazu gehören das Spektrometer SPICAM, das Langwellen-Radar MARSIS und das Massenspektrometer ASPERA. Bei all diesen Untersuchungen hat die Auswertung gerade erst begonnen, so dass bis zur Drucklegung dieses Hefts noch keine Resultate vorlagen.

Eine Premiere vermeldete der Marsrover Opportunity, der seit mehr als zehn Jahren die Marsoberfläche erkundet: Er lichtete mit seiner Hauptkamera das erste Bild eines Schweifsterns am Firmament eines anderen Planeten ab. Zwar war der staubige Marshimmel schon durch die Morgendämmerung in der Region Meridiani Planum aufgehellt; dennoch zeigte sich ein diffuser leuchtschwacher Fleck am Himmel. Für den Marsrover Curiosity, der sich im Bezug auf Opportunity auf der anderen Seite des Planeten befindet, waren die Beobachtungsbedingungen wohl zu ungünstig, zumindest wurden bis Ende Oktober 2014 keine Bilder veröffentlicht.

Beinahe verpasste Chance

Noch lange Zeit nach der Entdeckung von Siding Spring hatte es zunächst danach ausgesehen, als wären keinerlei Beobachtungen mit den Marssonden möglich. Die ersten Daten des Schweifsterns legten nahe, dass es sich um einen großen und sehr aktiven Kometen handelt. Daher planten die Missionskontrolleure weltweit Schutzmaßnahmen für ihre Sonden. Sie sollten sich nach Möglichkeit während der heikelsten Phase des Vorbeiflugs auf der dem Kometen abgewandten Seite des Planeten befinden, damit dieser die Sonden vor Staubpartikeln schützen würde.

Der Vorbeiflug von Siding Spring am Mars erfolgte mit einer Relativgeschwindigkeit von 56 Kilometern pro Sekunde. Im Fall von Mars Express bedeutete dies, dass bei dieser Geschwindigkeit bereits ein Teilchen von einem Zehntel Millimeter Durchmesser die dünnen Bordwände der Sonde durchschlagen würde. Dabei fürchteten die Missionskontrolleure weniger den mechanischen Schaden als die beim Aufschlag des Teilchens entstehende heiße Wolke aus geladenen Partikeln. Das auftreffende Teilchen verwandelt sich beim Aufschlag schlagartig in Dampf, da seine hohe kinetische Energie in Wärme umgesetzt wird. Die entstehende Wolke ist sehr heiß und das freigesetzte Material teilweise ionisiert. Diese elektrischen Ladungen können dann schwerste Schäden in der Bordelektronik verursachen, die bis zum Totalverlust der Mission führen könnten.

Um dem vorzubeugen, wurden die Umlaufbahnen der Sonden im Vorfeld des Vorbeiflugs durch kleine Schubmanöver so modifiziert, dass sie sich während der heikelsten Phase hinter dem Mars befanden. Mars Express verwendete dafür rund 20 Gramm Treibstoff, etwa ein hundertstel des noch verfügbaren Treibstoffvorrats. Zudem sollte sich die Sonde mit der Hauptantenne voraus auf ihrer Bahn bewegen, da sich auf dieser Seite des quaderförmigen Sondenkörpers am wenigsten Elektronik befindet.

Allerdings gaben die nach und nach eintreffenden Ergebnisse der intensiven erdgebundenen Beobachtungen des Kometen Entwarnung, als sich zeigte, dass Siding Spring ein eher kleiner und mäßig aktiver Komet ist. Die endgültige Entscheidung, ob Mars Express ihn aktiv beobachtet oder aber sich wegduckt, wurde erst Anfang Oktober 2014 gefällt. Zum Glück für die Forscher hat sie sich als richtig herausgestellt.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 28:
Rund 10.000-mal so hell wie der Komet C/2013 A1 Siding Spring links unten leuchtete der Planet Mars bei der dichten Annäherung des Schweifsterns am 19. Oktober 2014. Das Bild nahm Damian Peach um 13:07 Uhr MESZ, rund sieben Stunden vor Erreichen des geringsten Abstands, auf.

Abb. S. 29 oben:
Zwei Tage vor der dichtesten Annäherung an den Mars nahm das abbildende Ultraviolettspektrometer IUVS an Bord der US-Raumsonde MAVEN dieses Bild der Wasserstoffhülle um den Kometen Siding Spring auf. Sie ließ sich bis zu einer Entfernung von 150.000 Kilometern zum Kometenkern nachweisen.

Abb. S. 29 unten links:
Zum Zeitpunkt der dichtesten Annäherung des Kometen Siding Spring gelangen der Kamera HiRISE von Mars Reconnaissance Orbiter diese Aufnahmen des Schweifsterns. Die Darstellung unten betont schwache Bildbereiche und zeigt einen Teil der Koma, der Hülle aus Gas und Staub um den Kern.

Abb. S. 29 unten rechts:
Der US-Marsrover Opportunity nahm am 19. Oktober 2014 diese Ansicht des Kometen Siding Spring am Morgenhimmel des Roten Planeten auf.

Abb. S. 30:
Der sonnennächste Punkt der Bahn des Kometen C/2013 A1 Siding Spring liegt nahe der Marsbahn, allerdings ist die Bahn des Kometen gegen die Marsbahnebene stark geneigt.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2014-12-s028-pdf/1316867

© 2014 Tilmann Althaus, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 12/14 - Dezember 2014, Seite 28 - 30
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2014-12-s028-pdf/1316867
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2015


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